An das Bildungsministerium der LSSR Erklärung

der Eltern und der Verwandten der Schüler von Gargždai im Rayon Klaipėda

Wir, die Eltern, Großeltern und Verwandten der Schüler, wenden uns an Sie mit einer sehr heiklen Frage.

Am 16. Februar dieses Jahres hat der Direktor der I. Mittelschule von Gargždai, Jacikas, den Schüler der IV. Klasse Saulius Lingevičius zu sich gerufen und ihn ausgefragt, wer aus der Schule in die Kirche geht. Der Direktor las aus einer aufgestellten Liste die Namen vor und fragte den Schüler, wer in die Kirche gehe. Einen Teil hat der Schüler bestätigt.

S. Lingevičius hat über diese Unterhaltung mit dem Direktor seinen Freun­den erzählt. Unsere Kinder haben von der bestehenden Liste erfahren und wir erfuhren davon von unseren Kindern. Ein solches Verhalten des Direk­tors hat uns sehr erschüttert; er schickt sich an, unsere Kinder wegen des Kirchenbesuchs durch die Klassenlehrer und auf andere Weise zu verfolgen.

Wir protestieren aufs entschiedenste gegen ein solches Verhalten des Direk­tors. Gleichzeitig verlangen wir die von der Verfassung garantierten Gewis­sensfreiheit für uns und für unsere Kinder und die Achtung unserer Rechte auf dem Gebiet der Erziehung.

Der Direktor lehrt schon kleine Kinder, ihre Familien zu verraten und Feind­schaft unter ihnen zu schüren, wo dagegen überall die Freundschaft pro­klamiert wird.

Der Direktor hätte aus den Ereignissen des 16. Januars dieses Jahres eine Lehre ziehen sollen, wo zwei ehemalige Schüler, die noch vor kurzem an die­ser Schule waren, in den Flammen umgekommen sind, als sie die Keller ihrer Erzieher ausrauben wollten. Ihr Mithelfer hat sich der Miliz gestellt. Das waren solche, die den Wunsch des Direktors erfüllten und die Kirche nicht besuchten. Scheinbar will er auch unsere Kinder soweit bringen.

Der Leiter der Volksbildungsabteilung des Rayons, Klizas, hat in der Zeit­schrift »Banga« vom 14. Februar dieses Jahre geschrieben: »Wir unterhalten uns während der Pausen offen mit den Lehrern, die der Schule mehr als ein Jahrzehnt ihres Lebens geopfert haben und die sich große Sorgen machen, weil die älteren Schüler verständnislos und frech sind und ihre Lehrer nicht achten. Man kann das nicht von allen Schülern sagen, aber von jenen, die der Schule die größten Sorgen bereiten, von jenen, über die in verschiedenen

Instanzen für Minderjährige beraten werden muß, die aber die gewünschten Ergebnisse nicht bringen und nicht bringen.« Er schlägt als Erziehungsmittel vor, »das Bild des Helden in der Literatur zu beachten . . .« Was werden aber die in der Phantasie geschaffenen Helden helfen, wenn die konkreten ernsteren Maßnahmen nicht mehr helfen können? Bei ihnen handelt es sich gerade um solche, die keinen Respekt mehr vor höheren Autoritäten emp­finden, weil sie atheistisch erzogen sind. Die antireligiöse Propaganda des Direktors und der Lehrer aber, die ständige Verspottung der gläubigen Schüler will unsere Kinder zu Taugenichtsen machen. Deswegen bitten wir Sie, den Direktor und die Lehrer zu ermahnen, unsere Kinder wegen der Religion nicht zu verfolgen und sich in unsere Pflichten nicht einzumischen.

 

Am 18. 2. 1984        Unterzeichnet haben 300 Personen

Kaunas

Marytė Gudaitytė, eine Schülerin der Gruppe III/3 an der P. Mažylis-Kran-kenschwesternschule in Kaunas, wurde am 27. März 1985 zur Direktorin der Schule, Tamašauskienė, gerufen. Als die Direktorin das Mädchen gefragt hatte, wie es ihr an der Schule gehe und wohin sie ihre Ernennung bekom­men habe, teilte sie M. Gudaitytė mit, sie solle sofort zum Sicherheitsdienst kommen, wo der Genosse Jocas auf sie warte, der sie schon tags zuvor habe sprechen wollen.

Im Sicherheitsdienst versprach ihr Jocas: »Wenn du offen mit mir sprichst und nicht lügst, brauchen wir nicht lange und gehen als Freunde auseinan­der.«

Nun legte der Sicherheitsbeamte Briefe und Weihnachtsglückwünsche auf den Tisch, die M. Gudaitytė an die Priester A. Svarinskas und S. Tamkevičius sowie an Balys Gajauskas geschrieben hatte.

Der Tschekist verlangte von der Vorgeladenen, daß sie in einer schriftlichen Rechtfertigung die Frage beantworten solle, woher sie die Adressen der Ge­fangenen habe, wer ihr geraten habe, die Glückwünsche zu schreiben und wer noch geschrieben habe. Er versuchte sie außerdem zu überzeugen, daß diese Gefangenen ganz schlimme antisowjetische Verbrecher seien. Deswegen sei es auch ein großes Verbrechen, Briefe an sie zu schreiben.

Als sich M. Gudaitytė weigerte, eine derartige Rechtfertigung zu schreiben, fing der Tschekist an, ihr zu drohen: »Wir werden auch deine Klassenlehre­rin, die Direktorin vorladen und dich vor der ganzen Klasse bloßstellen ...« Er drohte auch damit, ihre Ernennung zu ändern; sie werde nicht in Prienai, sondern in Skuodas eine Stelle bekommen, das weiter von ihren Eltern und ihrem Freundeskreis entfernt ist. Anschließend drohte ihr auch der Vorsteher des Sicherheitsdienstes, daß er sie aus dem Sicherheitsdienst nicht weglasse, bevor sie die Rechtfertigung nicht geschrieben habe. Als sich die Schülerin dennoch weiterhin weigerte, seinen Willen zu erfüllen, griff sie einer der Tschekisten an mit den Worten: »Wenn du die Rechtfertigung nicht schreibst, dann bedeutet das, daß du mit der sowjetischen Regierung nicht zufrieden bist, und dann müssen wir dich natürlich aus der sowjetischen Schule hinaus­werfen; wenn du nämlich dann einmal als Krankenschwester arbeitest, könn­test du ja deinen Feinden Gift statt Medizin verabreichen.«

Nach einer etwa zweistündigen »Umerziehung« wurde die Schülerin ent­lassen. Beim Weggehen befahl ihr der Tschekist Jocas noch, sich bei der Di­rektorin der Schule zu melden.

Direktorin Tamašauskienė und die Lehrerin Pečiulienė setzten in der Schule dann die vom Sicherheitsdienst eingeleitete »Umerziehung« fort. Beide be­mühten sich darum, M. Gudaitytė zu überzeugen, daß sie ein schlimmes Verbrechen begangen habe, das aber noch gutzumachen sei, wenn man dem Sicherheitsbeamten Jocas Folge leiste; andernfalls werde sie von der Schule verwiesen. »Was ist dir denn da eingefallen ...! Es sind nur mehr fünf Mi­nuten und du hast dein Diplom in Händen . . . Die Zeitungen haben doch geschrieben, daß die Priester A. Svarinskas und S. Tamkevičius wegen ihrer antisowjetischen Aktivitäten verurteilt worden sind; sie sind »Politische«, und deswegen wird es als Vergehen betrachtet, wenn man mit ihnen eine Verbindung, welcher Art auch immer, aufrecht erhält. Deine Freunde werden alle von dir Abstand nehmen, wenn du schon mit dem Sicherheitsdienst zu tun hast; niemand wird dir mehr vertrauen, aber man wird dich auch nicht in Ruhe lassen, sondern jeden deiner Schritte verfolgen... Wir brauchen dringend Krankenschwestern und die Gläubigen verrichten ihre Arbeit sogar besser; aber wenn natürlich so etwas geschieht, dann mußt du schon wissen, daß du kein Zeugnis bekommen kannst, daß du unsere Schule besucht hast; dann wirst du nicht einmal als Sanitäterin eine Arbeit finden. Nimm deine Rechnung mit und fahre heim! Im Kolchos wird es schon eine Arbeit geben. Denke bloß einmal nach, wie du dein Leben schon verpfuscht hast, und nicht nur dein eigenes: Dein Bruder wird auch nicht mehr in der Fabrikation ar­beiten dürfen, und deine beiden anderen Brüder können ihren geplanten Eintritt ins Priesterseminar auch vergessen, legte ihr die Direktorin ans Herz. (Ein Bruder, M. Gudaitytės, wurde dieses Jahr in das Priesterseminar zu Kaunas aufgenommen).

Da noch keine offizielle Ausweisung aus der Schule vorlag, besuchte Gu­daitytė auch weiterhin die Vorlesungen.

Am 2. April kam der Tschekist Jocas in die Medizinschule, um sich mit Marytė zu unterhalten. Er drängte sie, die Fragen, die ihr der Vorsteher des Sicherheitsdienstes beim vorangegangenen Gespräch vorgelegt hatte, schriftlich zu beantworten. Wieder weigerte sich die Schülerin, eine schrift­liche Rechtfertigung zu schreiben mit der Begründung, daß sie kein Verbre­chen begangen habe. »Schreibe, daß du die Adressen der Gefangenen, wie du selbst behauptest, durch Radio Vatikan gehört hast und alles ist erledigt. Und wenn du schon meinst, daß du unschuldig bist, dann schreibe eben auch, daß du dich nicht schuldig fühlst«, riet ihr der Sicherheitsbeamte. Aber M. Gudaitytė weigerte sich kategorisch, etwas zu schreiben.

Am 4. April wurde den Eltern von Gudaitytė, die in die Schule vorgeladen waren, das — wie sich die Direktorin ausdrückte — »ungebührliche Ver­halten ihrer Tochter« erklärt. Da der Vater nicht begreifen konnte, worin da ein Verbrechen zu sehen sei, da man doch an jeden schreiben dürfe, gab die Direktorin Tamašauskienė zu, daß das alles der Sicherheitsdienst regle, und wenn ihre Tochter nicht gewillt sei, eine Rechtfertigung zu schreiben, dann solle sie kommen und ihre Papiere abholen.

Am 9. April wurde dann auf dem Anschlagbrett der Schule die Verordnung ausgehängt, daß M. Gudaitytė, Tochter des Antanas, »wegen eines Verhal­tens, das sich mit einem sowjetischen Schüler nicht vereinbaren läßt«, von der Schule verwiesen sei. Außer daß sie an Gefangene Briefe geschrieben hat, wird noch eine ganze Reihe anderer Vergehen aufgezählt, die es nicht zu­lassen, daß Marytė als Krankenschwester arbeitet: Sie reist aus unerklär­lichen Gründen auffällig oft zu ihrem Bruder, ist verschlossen und pflegt mit den Freunden der Gruppe keine Kontakte.

Am 12. April schrieb M. Gudaitytė eine Erklärung an den Minister für Hoch- und Fachschulausbildung;

»Ich bin Krankenschwesternschülerin der Gruppe HI/3 an der P. Mažylis-Medizinschule zu Kaunas. Niemals mußte ich in meiner ganzen Schulzeit eine Klasse wiederholen; ich bin die Älteste einer Untergruppe, Gruppen­sprecherin und im Besitz einer Urkunde für gute Arbeit bei der Mithilfe­aktion im Kolchos Plokščiai..

Am 27. März 1985 wurde ich zur Direktorin der Schule vorgeladen, wo über meine private Korrespondenz gesprochen wurde; solche Gespräche fanden mehrmals statt und schließlich wurde mir nicht mehr erlaubt, in die Pro­duktionspraxis zu fahren, ohne daß dies begründet worden wäre. Ohne Beschluß des Pädagogenrates und ohne Gegendarstellung meinerseits, wurde am 9. April 1984 am Anschlagbrett der Medizinschule die Anordnung Nr. 198 ausgehängt, wonach ich »wegen eines Verhaltens, das sich mit einem sowjetischen Schüler nicht vereinbaren läßt« von der Schule verwiesen bin. In dem Beschluß der Direktoratssitzung finden sich eine ganze Reihe Un­wahrheiten.

Da ich kein Vergehen begangen habe, bitte ich Sie, Genosse Minister, mir die Erlaubnis zu erteilen, zur Produktionspraxis fahren und meine Staats­prüfung machen zu dürfen.«

Am selben Tag haben auch Kursfreundinnen von M. Gudaitytė eine Erklä­rung an den Minister geschickt. Sie schrieben in ihrer Erklärung: »Wir, die unterzeichneten Krankenschwesternschülerinnen der P. Mažylis-Medizin-schule zu Kaunas, haben unsere Gruppenkameradin, die Älteste der Unter­gruppe a, M. Gudaitytė, Tochter des Antanas, als eine pflichtbewußte, flei­ßige und lustige Schülerin gekannt, die zu ihren Anschauungen steht, und wir bitten Sie, Genosse Minister, ihr zu erlauben, die Medizinschule abzu­schließen.«

Aber schon als M. Gudaitytė ihre Erklärung beim Ministerium einreichte und auch als sie sich nach dem Beschluß der Beratung erkundigte, wurde ihr erklärt, daß sie rechtens von der Schule verwiesen worden ist, weil die ge­nannten Priester antisowjetische Verbrecher seien und ein sowjetischer Schüler sie deswegen auch nicht beglückwünschen könne.

Die Kurskameradinnen Naglytė, Velickaitė, Blaževičiūtė, Ambrasaitė, Liut-kauskaitė, Masleninkaitė, Kairaitytė und Senavaitytė, die durch ihre Erklä­rung versucht hatten, M. Gudaitytė zu verteidigen, mußten Rechtfertigungen schreiben mit dem Versprechen, kein zweites Mal mehr eine Erklärung zu unterzeichnen. Die Direktorin Tamašauskienė bemühte sich, die Schülerin­nen davon zu überzeugen, daß die Priester A. Svarinskas und S. Tamke-vičius antisowjetische Verbrecher seien. Sie warnte die Schülerin Ambrasaitė, daß sie ebenfalls auf der Liste des Sicherheitsdienstes stehe und auch in Gefahr sei, das Abschlußdiplom nicht zu bekommen.

Am 4. Mai wandte sich M. Gudaitytė mit einer Erklärung an den General­sekretär des ZK der KPdSU, M. Gorbatschow; sie nannte die Gründe für ihre Ausweisung aus der Schule und äußerte ihren Wunsch, ihr als einer Un­schuldigen zu erlauben, die P. Mažylis-Medizinschule zu Kaunas abschließen zu dürfen.

Am 25. Mai bekam M. Gudaitytė vom Ministerium für Hoch- und Fach­schulbildung eine Antwort folgenden Inhalts: »Im Auftrag des ZK der KPdSU hat das Ministerium ihre Erklärung noch einmal behandelt. Es wurde festgestellt, daß Sie die Verhaltensregeln eines sowjetischen Schülers verletzt haben. Das Ministerium sieht daher keinen Grund, den Beschluß der P. Mažylis-Medizinschule zu Kaunas zu ändern. Das ist Ihnen im Gespräch detailliert erklärt worden. Der Vorsitzende der Verwaltung des Fachschul­wesens. J. Stonys.«

Skaudvilė (Rayon Tauragė)

Am 8. September 1985 kam der Bischof von Telšiai, S. Exz. Antanas Vaičius, in die Kirche von Skaudvilė, wo das Fest der Erhöhung des heiligen Kreuzes gefeiert wurde. Auf Anordnung der Rayonverwaltung wurde für die Schüler der Mittelschule von Skaudvilė am Sonntag zur Zeit des Hochamtes ein obligatorischer Laufwettbewerb veranstaltet, damit diese nicht am Empfang des Bischofs teilnehmen können. Etwa die Hälfte aller Schüler nahm an dem Wettrennen teil. Nach dem Feiertag besuchten einige Lehrer die Eltern der gläubigen Schüler und schimpften sie aus, weil sie ihre Kinder in die Kirche geschickt hatten und nicht zum Wettbewerb ließen.