(Das Schreiben wird hier in der Urfassung wiedergegeben, die kursiv ge­druckten Worte, Sätze und Absätze sind von der Behörde des Bevollmäch­tigen des Rates für Religionsangelegenheiten gestrichen worden.)

Schon seit beinahe 2000 Jahren lebt die Menschheit unter dem Zeichen des Segens Christi. Von Palästina, wo Christus geboren wurde, wo er gelehrt und gelitten hat und von den Toten auferstanden ist, trugen die Apostel und ihre Schüler und später ihre Nachfolger das Licht und die Gnade Christi zu vielen Völkern: Zuerst zu den näher liegenden, die leichter zu erreichen wa­ren, später auch zu den entfernteren und weit entfernten.

Vor 600 Jahren gab die Vorsehung Gottes dieses Geschenk auch dem Lande unserer Väter und Ahnen, dem Lande Litauen. Durch die heilige Taufe im Jahre 1387 schloß es sich der großen Familie der Christenheit an, wurde Erbe und Teilhaber ihres Segens. Seit sechs Jahrhunderten gehen, von der Gnade Christi unterstützt, unzählige litauische Christen ehrenvoll auf dem Weg der Tugend und des Heiles.

Wir, die Bischöfe und die Verwalter der Diözesen Litauens, die wir mit Freuden den Segen des Christentums erfahren, laden unsere lieben Brüder im Priesteramt und alle teuren Gläubigen herzlich ein, dem Jubiläum der Taufe Litauens durch ein Triennium der geistigen Erneuerung Ausdruck zu verleihen.

Das Jahr 1985 soll für uns ein Jahr der Frohen Botschaft sein. Wir wollen in diesem Jahr durch das Anhören der Predigten und in der Vertiefung der Geschichte unserer Kultur erkennen und neu schätzenlernen, was das Chri­stentum unserem Volke gegeben hat und immer noch gibt.

Das Jahr 1986 möge für uns ein Jahr des bewußten Glaubens sein. Wir werden uns in diesem Jahr bemühen, unser Glaubenswissen zu vervollstän­digen, wir werden lernen, im Lichte des Evangeliums Christi uns selbst, die Welt und unsere Lebensaufgaben zu sehen. Das Jahr 1987 — das Jubiläum selbst — werden wir als Jahr des lebendigen christlichen Geistes feiern, begreifend, daß unser Christentum keine trockene Theorie, sondern für uns selbst und für die anderen ein segenvolles, helles Leben ist.

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Der Weg nach Litauen war für das Christentum nicht leicht. Unsere Ahnen lebten abseits der Straßen und waren deshalb lange Zeit weniger bekannt. Die ersten Missionare, die die baltischen Völker zu erreichen versuchten, waren tschechische und deutsche Bischöfe und Mönche. Im Jahre 997 kam der Bischof von Prag, der hl. Vaitiekus (Adalbert) mit zwei Priestern in das Land der Preußen und versuchte das Christentum zu verbreiten. Er wurde aber nicht verstanden und ermordet. Dasselbe Schicksal traf 11 Jahre später (1008) den hl. Bischof Bruno von Querfurt, der bei dem litauischen Stamm der Jotvingiai (der jetzigen Sudauen oder Suvalkai — Bern. d. Übers.) zu missionieren versuchte.

Ein paar Jahrhunderte später trafen unsere Ahnen im Westen, Osten und Sü­den wieder mit Christen zusammen, meistens aber mit den Waffen. Von den kriegerischen Preußen und Litauern oft angefallen, riefen die Masuren um etwa 1200 die Ritter des Kreuzordens zu Hilfe, um ihre Grenzen zu schützen. Deutsche Kolonisten, die sich in Riga und Umgebung niederge­lassen hatten, gründeten den Schwertritterorden. Mit der Zeit wurden diese Verteidigungsorden zu Angreifern, die großen Schaden bei den Stämmen der Preußen, Letten, Litauer und Polen anrichteten. Aus ihren Händen wollten die Litauer das Kreuz nicht empfangen.

Die Länder der christlichen Weißrussen und der Ukrainer im Süden und Südosten ergaben sich den Herrschern Litauens leicht, weil nur diese in der Lage waren, sie vor der grausamen Unterjochung durch Tataren und Mon­golen zu beschützen. Das östliche Christentum entwickelte aber keine be­sondere missionarische Tätigkeit und vermochte nicht, Litauen zum Christen­tum zu bekehren.

Der große Vereiniger Litauens, Mindaugas, ein weitsichtiger Politiker, hatte sehr gut verstanden, daß in Europa kein Christ zu sein, ein schmerzlicher und unvorteilhafter Rückstand war. Deswegen lud er 1251 (oder Ende 1250) Missionare aus Riga zu sich ein und ließ sich mit seiner Familie und einer großen Anzahl Adeliger taufen. Gleichzeitig erwirkte er, daß in Litauen eine eigene Diözese gegründet wurde, die direkt dem Apostolischen Stuhl unterstand. Papst Innozenz VI. honorierte diesen Entschluß, Litauen christlich zu machen, indem er dem Fürsten 1253 die Königskrone schickte. Mit dieser Krone wurde nicht nur der Herrscher gekrönt, sondern auch die Staatlichkeit Litauens anerkannt. Leider wurde Minaugas zehn Jahre später (1263) als Opfer politischer Intrigen ermordet. Ans Steuer des Staates ka­men wieder Befürworter des Heidentums, und die Verbreitung des Christen­tums wurde unterbrochen. Das war ein schicksalshafter Fehler.

Die Geschichte des Staates Litauen hätte ganz andere Wege genommen, wenn der gekrönte Herrscher nicht ermordet worden wäre. Wären die Nachfolger von Minaugas ihm gefolgt und hätten sie das Christentum öffentlich unter­stützt, hätten sie die Königskrone für alle Zeiten erhalten können. In diesem Falle hätten die Kreuzzüge gegen Litauen aufhören müssen. Die Beziehun­gen zum Deutschen Orden und später zu den benachbarten Polen wären ganz anders geworden und die Früchte der christlichen Kultur hätten Litauen wesentlich früher erreichen können (Vergl. Z. Ivinskis, Ausgewählte Werke. Band 1, Rom, 1978, Seite 195).

Die erleuchteten Großfürsten Litauens, Vytenis, Gediminas und auch spätere sahen deutlich, daß es geschichtlich notwendig sei, daß Litauen christlich werde und traten deswegen ohne zu zweifeln in die Fußstapfen von Min-daugas: Sie wählten das Christentum, suchten aber nach dem richtigen Weg. Dieser Weg bot sich unerwartet an, als sich der Großfürst Litauens, Jogaila, (polnisch Jagello) taufen ließ und König von Polen wurde. Jogila kam am Anfang des Jahres 1387 mit einer Schar von Geistlichen und Adeligen nach Litauen und begann in Vilnius und anderen wichtigeren Orten Litauens gemeinsam mit Vytautas die Taufe Litauens zu organisieren und Kirchen zu bauen. Wegen des Mangels an litauisch sprechenden Priestern, so berichtet man, habe er selber die Glaubenswahrheiten erklärt und das Glaubensbe­kenntnis und das »Vater unser« in die litauische Sprache übersetzt.

Die in der Hauptstadt Litauens begonnene Christianisierung und das ge­gründete Bistum bedeutete offiziell die Absage aller Litauer vom Heiden­tum. Deswegen wird das Jahr 1387 mit Recht für das Jahr der Taufe Li­tauens gehalten. (Z. Ivinskis, dortselbst, Seite 189). Die Taufe selbst dauerte in verschiedenen Regionen länger. Sie wurde gekrönt durch die Taufe des größten Teils der Schemaiten, für die Jogaila und Vytautas gemeinsam sorgten, nachdem sie einige Jahre vorher mit vereinten Kräften die Macht des Kreuzritterordens zerschlagen hatten. Die alten Litauer, die sich dem mit Waffengewalt gebrachten Christentum ein paar Jahrhunderte lang uner­schütterlich widersetzt hatten, nahmen es jetzt, da es friedlich angeboten wurde, auf die Aufforderung ihrer eigenen Herrscher hin, leichten Herzens an.

Der alte Glaube der Litauer bestand nicht nur in der Verehrung der Natur­kräfte, vielmehr findet man darin bereits Spuren des Glaubens an einen höchsten Ewigen, also Gott. Die moralischen Forderungen waren erhoben. Das Christentum veredelte nur die schönsten Elemente der alten Religion der Litauer, wie Treue, Achtung der Unschuld und der Mutterschaft, das Vertrauen auf die Vorsehung. Es milderte die rauen Sitten und zeigte die Vorstellungen des ewigen Lebens in neuem Licht. An den Stätten, wo das ewige Feuer gebrannt hatte, begann man das Erlösungsopfer der Menschheit, die hl. Messe zu feiern. Langsam formierten sich die christlichen Sitten, und der Litauer lernte Gott nicht im Grollen des Donners oder in einer rau­schenden Eiche zu empfinden, sondern im ganzen Leben, besonders aber auf dem Altar.

Die Taufe gliederte unser Volk in die Familie der christlichen Völker Euro­pas ein, öffnete uns die Tür zu den Schätzen der Wissenschaft, Kunst und Kultur. Die Kirche war in Litauen, wie auch bei anderen Völkern, Trägerin der Bildung; neben den Kirchen und Klöstern entstanden Schulen und später auch eine Akademie — eine Universität. Das Land schmückte sich mit schönen Kirchen und die Volkskunst bekam eine neue, frische Inspiration. Das Christentum hat vielen großartigen Persönlichkeiten unseres Volkes zur Reife verholfen: Den heiligen Königssohn Casimir, den seligen Ordensmann Mykolas Giedraitis, den ehrwürdigen Diener Gottes Jurgis Matulaitis; die großen Lehrer Merkelis Giedraitis und Motiejus Valančius; die berühmten Dichter Bischof Antanas Baranauskas und Prälat Maironis; die edlen Prie­ster Ambroiiejus Pabrėža und Alfonsas Lipniūnas; aber auch edle Laien wie die Wohltäterin Barbora Žagarietė, die Schriftstellerin und Pädagogin Marija Pečkauskaitė, den Philosophen Stasys Šalkauskis und viele, viele andere. Auch in unseren Tagen inspiriert das Licht und die Liebe Christi Priester und Gläubige, mit Hingabe zu arbeiten, nach allseitigem Seelenadel zu streben, sich zu opfern und zu vergeben . . . Wir können noch lange die Verdienste des Christentums um unser Volk aufzählen, könnten aber nicht einmal ein Zehntel davon nennen, wenn wir nur die zeitlichen, die irdischen Erscheinungen nennen würden. Die grundlegende und direkte Aufgabe des Christentums ist die überirdische Heiligung der Menschen, ihre Führung in das ewige Leben. Durch die Gnade der Taufe und der anderen Sakramente, durch alle Werte der christlichen Lehre und des christlichen Lebens ist unseren Eltern und uns der Weg zur ewigen Glückseligkeit viel leichter geworden.

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Brüder und Schwestern, teure Gläubige, liebe Priester! Wir wollen unserem Herrn und Gott danken für den Segen der Taufe, den Er unseren Eltern und uns geschenkt und auch den zukünftigen Generationen versprochen hat. Wir wollen das schätzen lernen, was die durch Gottes Eingebung geschrie­bene Heilige Schrift über die Taufe sagt:

Die Taufe macht uns zu Kindern Gottes, zu Gliedern des geistigen Leibes Christi, der Kirche, zu Miterben des Himmels (vergl. Rom. 8, 16; 1. Kor. 12, 12). Die Taufe vereinigt uns mit Christus, macht uns zu Teilhabern der Verdienste seines Todes und der Hoffnung der Auferstehung (vergl. Rom. 6, 3—4). Durch die Taufe sind wir »ein auserwähltes Geschlecht, eine könig­liche Priesterschaft, ein geheiligtes Volk, ein von Christus erworbenes Volk, das dazu berufen ist, die Ruhmestaten dessen zu verkünden, der uns aus der Finsternis sein wunderbares Licht berufen hat.« (1. Pt. 2, 9). Wir schätzen dankbar das große Geschenk Gottes, die Taufe und wollen willig auch ihre Verpflichtungen erfüllen, indem wir bösen Versuchungen und unwürdigen Taten entsagen. Wir wollen »neue Menschen, die nach Gott geschaffen sind in wahrer Gerechtigkeit und Heiligkeit« sein. (Ef. 4. 24).

Die Bischöfe und die Diözesanverwalter Litauens

Kaunas, am 16. Januar 1985

Zusatzschreiben an die Priester:

Die hochwürdigen Priester werden dieses unser Schreiben anstatt der ge­wohnten Predigten am Vorabend des Tages des Schutzpatrons Litauens, des hl. Casimir, und am Zweiten Sonntag in der Fastenzeit, also am 3. März 1985 und am 14. April vorlesen.

In diesem Jahr der Frohen Botschaft werden die Priester in ihren Predigten und Gesprächen die Gläubigen besser über die Erhabenheit des Christen­tums und des Katholizismus, über seinen segenbringenden Einfluß auf das Leben unseres Volkes in Kenntnis setzen. Die Jubiläumskommission der Christianisierung Litauens wird sich Mühe geben, für solche Predigten Ma­terial vorzubereiten und es durch die Kurie oder durch die Dekane zu ver­breiten.

Die Fastenzeiten der Jahre 1985, 1986, 1987 mögen als Bußzeit für unser aller Untreue gegenüber der Gnade der Taufe gelebt werden.

Es wird empfohlen, an Sonntagen und bei anderen geeigneten Gelegenheiten, am Ende der hl. Messe (vor Erteilung des Segens) eines der hier beigefügten Gebete für das Jahr der Frohen Botschaft zu verlesen.

Herr Gott, Schöpfer der Völker, Vater der gesamten Menschheit!

Wir danken herzlich Deiner väterlichen Liebe, die vor sechs Jahrhunderten durch die Taufe unserer ehrenvollen Ahnen auch unser Volk in die Kirche Deines Sohnes Jesu Christi, in das heilige Königreich der Freiheit, des Friedens und der Liebe eingeladen hat!

Wir bitten Dich, o Herr, hilf unserem Volke, dieses große Geschenk schätzen zu lernen, immer der Berufung des Christen treu zu sein und durch das Beispiel der Edelmütigkeit und mit Worten die Frohe Botschaft Christi in unserer Umgebung zu verbreiten.

Herr Gott, der Du uns durch die Gnade der Taufe zu Deinen Kindern machst, umhülle mit Deiner Gnade auch unsere junge Generation, der beschieden ist, sich im siebten Jahrhundert des litauischen Christentums, im einund­zwanzigsten Jahrhundert des Weltchristentums in die ersten Reihen zu stel­len. Darum bitten wir durch Christus, unseren Herrn. Amen.