Im Frühjahr 1985 schrieb der Pfarrer der Pfarrei Skaudvile, Priester Jonas Kauneckas, eigenen Angaben nach, eine Beschwerde nach Moskau, undzwar darüber, wie die Beamten des Sicherheitsdienstes und der Staatsanwaltschaft die sowjetischen Gesetze und die eigenen Beschlüsse brechen. Nicht einmal den allernächsten Freunden des Priesters J. Kauneckas ist es gelungen, dieses Schreiben zu Gesicht zu bekommen oder Einzelheiten der Beschwerde zu erfahren. Er sagte, er wolle keinen Anlaß für eine Rache oder Kritik bieten, denn die verurteilten Mitglieder des Komitees zur Verteidigung der Rechte der Gläubigen seien deswegen der antisowjetischen Agitation und Propaganda angeklagt worden, weil die Dokumente des Komitees im Aus­land bekannt geworden seien.

Auf diese Beschwerde hin wurde die begonnene Rachekampagne des KGB gegen Priester J. Kauneckas noch deutlicher; vermutlich plant man, auch ihn zu erledigen. Im Frühjahr und im Sommer 1985 »schufen« die Sicher­heitsbeamten von Taurage auf alle mögliche Art, immer neue »Vergehen« des Priesters. Nicht zuletzt trug der Vorsteher des Sicherheitsdienstes, Sche-welow, besonders aber auch der Sicherheitsbeamte Vytautas Valantinavičius zu dieser Aktion bei. Beinahe alle Mitglieder des Kirchenkomitees der Pfarrei Skaudwilė wurden vernommen. Die Sicherheitsbeamten bemühten sich, die Gläubigen zu überzeugen, daß der Priester J. Kauneckas ein Ver­brecher sei, der sogar gefährlicher als die Priester A. Svarinskas oder S. Tamkevičius sei. Nur raffinierter sei er als die anderen. »Wir werden ihn noch schlauer erledigen als die anderen Priester: In ihren Prozessen waren Ungläubige als Zeugen geladen, gegen Priester J. Kauneckas aber werden nur Gläubige aussagen.« Die Sicherheitsbeamten gaben sich Mühe, die Mit­glieder des Kirchenkomitees zu überzeugen, daß der Priester die »Chronik« verbreite. Unter den furchtbarsten Drohungen verlangten dann die Tsche-kisten von den Pfarrangehörigen, zu bezeugen, daß sie vom Priester J. Kauneckas die »Chronik« bekämen. Widrigenfalls hätten die Kinder der Gläubigen keine gute Zukunft zu erwarten: Das Studium werde ihnen an jeder Schule versagt, sie würden zum Militärdienst einberufen und nach Afghani­stan geschickt usw. Auch die Mitglieder des Kirchenkomitees der Pfarrei Adakavas (wegen Mangel an Priestern versorgt Priester J. Kauneckas zwei Pfarreien: die Pfarrei Skaudvile, wo er auch wohnt, und die Pfarrei Ada­kavas. — Bern. d. Übers.) wurden vom Sicherheitsdienst eingeschüchtert. Da sie den Druck der Nötigung nicht mehr aushalten konnten, traten der Vorsitzende des Kirchenkomitees von Adakavas, Lembutis, und die Sekre­tärin, Lembutienė, zurück.

Die Tschekisten bemühten sich, eine für den Priester unerträgliche Arbeits­und Lebensatmosphäre zu schaffen. Am 14. August 1985 kam ein Milizmann ins Pfarrhaus und stellte ein Protokoll auf, daß hier die polizeilich nicht gemeldete Brone Apulytė lebe und dem Pfarrer das Essen bereite (sie kann sich nicht anmelden, weil sie eine staatliche Wohnung in Gargždai hat). Nach einigen Tagen brachte der Milizmann die Mahnung, daß sie bestraft werde, wenn sie sich nicht anmelde. Die Vorsitzende des Exekutivkomitees der Stadt Skaudvile, Bernikienė, und die Sekretärin Karosienė bereiteten am 29. August die Unterlagen für die administrative Bestrafung der B. Aputytė vor: Sie sollte am 30. August bei der Miliz von Tauragė erscheinen und dabei aus der Wohnung in Gargždai abgemeldet, ihr also die Wohnung weggenom­men werden. Aber die Milizleute, die noch am selben Tag ins Pfarrhaus gekommen waren, trafen sie nicht mehr an — sie war schon nach Gargždai abgereist. Obwohl der Priester J. Kauneckas in ein städtisches Speiselokal zum Essen ging, probierten es die Milizmänner trotzdem einige Male, im Pfarrhaus nach B. Aputytė zu suchen.

Während der Exerzitien der Pfarrei am 14. und 15. Dezember bereiteten einige Frauen der Ortschaft im Pfarrhaus das Essen. Als Gäste waren eine Schwägerin und die kranke Schwester des Priesters gekommen. Die Miliz­männer, die ins Pfarrhaus gekommen waren, erschreckten die Schwester des Pfarrers so sehr, daß man einen Arzt in Anspruch nehmen mußte.

Die Sicherheitsbeamten begannen auch jene zu schikanieren, die den Priester in die Kirche nach Adakavas fahren, die er ebenfalls versorgen muß, oder ihn sonstwie transportieren. Folgende Personen, die den Pfarrer gefahren haben, wurden verhört: Alfonsas Kaminskas, Adolfas Kumpikevičius, Juozas Dadulskis, Aleksas Ivanauskas, Rimantas Andruška, Remigijus Lau-galis und Vytautas Neteckas. Den Lagerist der Kolchose, Vytautas Neteckas, der an Sonntagen in der Kirche von Adakavas den Dienst des Sakristans ver­sieht, luden die Sicherheitsbeamten in die Verkehrspolizei oder in andere Ämter vor oder sie kamen zu ihm in die Dienststelle und verlangten von ihm, jeden Montag in der Ortsverwaltung zu erscheinen und über die Predigt des Priesters Auskunft zu geben. Wegen der nervlichen Überforderung wurde Neteckas einige Male krank, gab seine Stelle als Lagerist auf und verlor wegen der Krankheit auch die Fahrerlaubnis. Ungeachtet dessen fuhr er manchmal den Priester nach Adakavas. Am 18. Januar 1986 rief die Vorsit­zende des Exekutivkomitees der Stadt Skaudvilė, Bernikiene, den Milizmann Grubliauskas telefonisch an, er solle sich bereithalten, am Sonntag den Priester J. Kauneckas zu empfangen. Mit dem Auto kam auch der Sicher­heitsbeamte Vytautas Valantinavičius, und beide warteten auf dem Stadt­platz auf den kommenden Neteckas. Sie hielten ihn an, bestraften ihn mit einer Strafe von 30 Rubel und taten ihm warnend kund, daß ihm das Auto weggenommen würde, falls er den Priester zurückfahre. Der Tschekist spottete über ihn »Wenn du auch den Pfarrer kutschierst und in die Kirche rennst, da hilft dir kein Gott, du hast deine Fahrerlaubnis verloren, hast deine Strafe bezahlen müssen und jetzt wirst du auch noch dein Auto ver­lieren. Tue für uns, was wir dir auftragen, dann brauchst du deine Strafe nicht zu zahlen, und morgen bekommst du deine Fahrerlaubnis zurück...«

Mit allen möglichen Drohungen wollten die Beamten des Sicherheitsdienstes den Organisten Remigijus Laugalis zwingen, für sie zu arbeiten. Sie luden ihn ins Paßamt oder in die Verkehrspolizei vor, oder sie suchten zu Hause nach ihm. Im Sommer 1985 besuchte er die Fahrschule. »Du bekommst keine Fahrerlaubnis«, drohten ihm die Sicherheitbeamten. Und tatsächlich, Laugalis wurde nicht zur Prüfung zugelassen und er bekam eine Strafe von 30 Rubel wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis. Nach jedem Gottesdienst erscheint der Sicherheitbeamte Valantinavičius in Adakavas und beobachtet, wie der Or­ganist nach Hause fahren wird. Am 13. Januar wartete er auf ihn beim Pfarrhaus von Adakavas und suchte bei den Eltern seiner Frau nach ihm, denn er ist einer Vorladung in das Paßamt nach Taurage nicht nachgekom­men.

Am 11. Januar 1986 erzählte der Vorsteher des Sicherheitsdienstes von Taurage, Scheweliow, seinen Nachbarn, daß man den Priester J. Kauneckas wegen einer Diavorführung in der Kirche bald verhaften müsse. Die Rede von der Festnahme wurde ziemlich weit verbreitet, sicher um Angstatmo­sphäre zu erzeugen.

Am 12. März 1986 wurden alle Mitglieder der Kirchenkomitees des ganzen Rayons Taurage in die Rayonverwaltung zu einem Gespräch eingeladen. Hier sprach zu ihnen der Referent des Bevollmächtigten des Rates für Reli­gionsangelegenheiten Kažukauskas. Er erklärte wie gewöhnlich das Statut der religiösen Vereinigungen. Aus den Ausführungen der Stellvertreterin des Vorsitzenden des Rayonexekutivkomitees, Ulbienė, wurde klar, daß geplant ist, in Zukunft den Priester J. Kauneckas anzugreifen. Die Stellvertreterin Ulbienė nannte die Kirche von Skaudvilė einen Herd der Gesetzesverletzun­gen. Es war eindeutig, daß man nach künstlich ausgedachten Anklagen suchte, wie z. B. der Priester J. Kauneckas lade andere Priester zu Festen und Exer­zitien ein, ohne davon das Rayonexekutivkomitee zu unterrichten und ohne Erlaubnis dafür erhalten zu haben; damit verletze er die schon genannten Bestimmungen, denn der Priester dürfe sein Amt nur in der eigenen Pfarrei ausüben. Der Priester J. Kauneckas verlange von den Gläubigen, ein Ver­sprechen zu unterschreiben, nicht zu trinken. (In Wirklichkeit verlangt der Priester J. Kauneckas solche Versprechen nicht. Und was ist denn schon Schlimmes dafeei, wenn der Priester die Entschlossenen ab und zu auffordert, enthaltsam zu leben und sich in das Abstinenzlerbuch der Pfarrei einzutra­gen?). Er zeige in der Kirche Dias, habe eine Weihnachtsbaumfeier in der Kirche veranstaltet, er sei am Allerseelentag zum Beten zum Friedhof ge­gangen und habe dort eine Andacht abgehalten. Und es wird immer dabei betont: So verletzt der Priester von Skaudvilė die Gesetze (obwohl beinahe nirgends in Litauen die Priester um Erlaubnis bitten, andere Priester ein­laden zu dürfen, Dias vorzuführen usw.).