Vilkaviškis. Am 6. März 1987 führte eine Gruppe von Sicherheits­beamten, die ihre Namen nicht genannt haben, im Wohnhaus des Ehepaa­res Ona und Jurgis Brilius in der Stadt Vilkaviškis, Vilniaus g-vė Nr. 30, eine Durchsuchung durch. Dabei nahmen die Tschekisten drei Nummern der Untergrundveröffentlichung „Tiesos kelias" („Der Weg der Wahrheit"), 10 Packungen Schreibmaschinenpapier, Kohlepapier und andere Sachen mit. Die Durchsuchung dauerte fünf Stunden lang. Während der Durch­suchung wurde auch der Pfarrer der Pfarrei Bartininkai (im Rayon Vilkaviš­kis), Priester A. Liubšys, angehalten. Erst als er entschieden erklärt hatte, daß er zum Abendgottesdienst noch in seine Pfarrei zurückkehren müsse, wurde der Priester nach einiger Zeit freigelassen.

Nach der Durchsuchung brachten die Sicherheitsbeamten J. Brilius in den Sicherheitsdienst von Vilkaviškis zum Verhör. Die Tschekisten waren empört darüber und machten ständig Vorwürfe, daß J. Brilius seine Kinder schlecht erzogen habe - zwei seiner Söhne sind Priester; sie machten ihm außerdem damit Angst, daß seine Tochter Birutė Briliūtė beim Schreiben der „Chronik" ertappt und festgenommen worden sei. J. Brilius erklärte ihnen, daß er seine Kinder in dem Geiste erzogen habe, in dem er selbst lebe. Der Vernommene weigerte sich, das Protokoll zu unterschreiben.

Kybartai (Rayon Vilkaviškis). Am 6. März 1987 wurde in der Wohnung der Bürgerin der Stadt Kybartai, Ona Šarakauskaitė, in der Čepajevo g-vė Nr. 19, eine Durchsuchung gemacht. Zur selben Zeit wurden auch die Wohnräume der Birutė Briliūtė und der Ona Kavaliauskaitė durchsucht, die sich in demselben Haus befinden.

Das Ziel dieser Durchsuchung war, „Literatur verleumderischen Inhalts und die Mittel ihrer Vervielfältigung zu finden und zu beschlagnahmen". Die Durchsuchung leiteten der Oberuntersuchungsbeamte der Unter­suchungsabteilung des KGB in Vilnius, Major Rainys, und die Stellvertre­terin des Rayonstaatsanwaltes von Vilkaviškis, Šiugždinytė. Aus dem Wohnzimmer der O. Kavaliauskaitė wurden während der Durchsuchung mitgenommen: eine Tonbandkassette mit der Aufnahme der Predigt, die bei der Beisetzung des Priesters J. Zdebskis in Rudamina gehalten wurde, 16 Exempl. von Aufnahmen des Priesters Alfonsas Svarinskas mit der Auf­schrift „Für Kirche und Heimat", fünf Exemplare eines Briefes von Priester Sigitas Tamkevičius, geschrieben am 1.7.1984, die Bücher „Der Archipel GULAG" von A. Solschenizyn, „Rekrūtu prisiminimai" („Erinnerungen der Rekruten") von R. G. „Kitokios Lietuvos ilgesys" („Sehnsucht nach einem anderen Litauen") von Raila und ein Brief, geschrieben von Robertas Grigas.

Bei B. Briliūtė wurde mitgenommen: Eine Reiseschreibmaschine und zwei Umschläge mit Texten, geschrieben mit der Hand und mit der Schreib­maschine, wie auch einige Erklärungen, die an die Regierungsbehörden gerichtet waren.

Die Durchsuchung dauerte 7 Stunden lang. Nach der Durchsuchung ver­hörte der Untersuchungsbeamte Rainys noch etwa 2 Stunden lang B. Bri­liūtė und O. Šarakauskaitė. Das Protokoll hat weder O. Šarakauskaitė noch B. Briliūtė unterschrieben.

*

Kybartai. Ona Šarakauskaitė, wohnhaft in Kybartai, Čepajevo g-vė 19, wurde am 18. März 1987 vom Staatssicherheitdienst nach Vilnius zu dem Untersuchungsbeamten Stepučinskas vorgeladen. Der Untersuchungs­beamte Stepučinskas befragte O. Šarakauskaitė als Zeugin in einem ihr unbekannten „Prozeß in Vilkaviškis" wegen der Verbreitung und Verviel­fältigung von Untergrundliteratur. Während des Verhörs wurde eine ganze Reihe Fragen gestellt: Ob sie das Ehepaar Ona und Antanas Kelmelis, Janina und Romas Blažukas, wohnhaft in der Stadt Vilkaviškis, kenne, ob sie an der Beisetzung und am Jahrestag des Priesters J. Zdebskis teil­genommen habe, wieviele Menschen daran teilgenommen hätten, wer die Predigt und die Reden gehalten habe, was sie wisse über die im Zimmer der O. Kavaliauskaitė während der Durchsuchung mitgenommenen Sachen. Das Vernehmungsprotokoll unterschrieb O. Šarakauskaitė nicht. An demselben Tag wurden ihre Fingerabdrücke und Proben ihrer Schrift abgenommen.

*

 

Kybartai. Am 19. März 1987 hat der Sicherheitsbeamte Rainys in Vilnius Birutė Briliūtė vernommen. Rainys stellte ihr eine ganze Reihe Fragen, die die „Chronik d. L. K. K." und „Aušra" („Die Morgenröte") betrafen: Ob sie wisse, wer die genannten Untergrundveröffentlichungen finanziere, in welcher Auflage und in welchen Zeitabständen sie erschei­nen würden, wie sie ins Ausland gelangten usw. B. Briliūtė antwortete dar­auf, daß sie ähnliche Fragen nicht beantworten könne, weil sie es nicht wisse. Zu Ende der Vernehmung erklärte Rainys, daß B. Briliūtė nur vor­läufig entlassen werde, aber noch oft mit ihm werde zusammenkommen müssen. Das Vernehmungsprotokoll unterschrieb B. Briliūtė nicht.

Kybartai. Am 19. März 1987 wurde Ona Kavaliauskaitė vom KGB in Vilnius zum Untersuchungsbeamten Stepučinskas vorgeladen. Der Unter­suchungsbeamte Stepučinskas befragte O. Kavaliauskaitė über die von ihr während der Durchsuchung mitgenommenen Sachen, wollte wissen, woher sie Grigas kenne, ob sie an der Beisetzung des Priesters J. Zdebskis und am Gedenken des Jahrestages seines Todes in Rudamina teilgenommen habe. Nach dem Mittagessen machte Stepučinskas O. Kavaliauskaitė mit dem Beschluß der Beratung des KGB vom 17. März, ihre Fingerabdrücke und eine Probe ihrer Handschrift zu entnehmen, bekannt. Die ganze Prozedur dauerte etwa zwei Stunden. Das Protokoll zu unterschreiben hat O. Kavaliaskaitė verweigert.

*

Kaunas. Liudvikas Simutis, wohnhaft in Kaunas, Borisos 25-3, wurde am 10. April 1987 in den Sitz des KGB in Kaunas vorgeladen. Im Sicher­heitsdienst wurde ihm eine offizielle Ermahnung zur Unterschrift vorge­legt. L. Simutis wird beschuldigt, er habe Dokumente verleumderischen Inhalts geschrieben und verbreitet: eine Erklärung an den Untersuchungs­beamten des KGB Vidzėnas in Verbindung mit dem Prozeß gegen Priester A. Svarinskas (im Jahre 1983) und einen offenen Brief an junge Priester und Seminaristen Litauens (im Jahre 1984).

L. Simutis weigerte sich kategorisch, die Ermahnung zu unterschreiben, mit der Begründung, daß er in beiden Dokumenten die Wahrheit und nur über ihm selber gut bekannte Fakten geschrieben habe, außerdem seien beide Dokumente ohne seine Unterstützung und sein Einverständnis ver­breitet worden, und deswegen sei die genannte Anschuldigung in keiner Weise mit der Politik der „Glasnost" und der „Perestroika" der UdSSR vereinbar.

*

Vilnius. Am 1. April 1987 wurde in Vilnius, Antakalnio 62-2, eine Durchsuchung durchgeführt, die der Major Rainys leitete. In der Wohnung trafen die Tschekisten auch Nijolė Sadūnaitė an, die zu Besuch gekommen war. Nachdem die Sicherheitsbeamten die Wohnungseigentümerin ange­fahren hatten, wie sie es nur wagen könne, einer Staatsverbrecherin in ihrer Wohnung Aufenthalt zu gewähren, nahmen sie Nijolė Sadūnaitė fest und brachten sie zum Staatssicherheitsdienst. Unterwegs machte der Major Rainys ihr Vorwürfe: „Du hast Dich mit Deinen Erinnerungen' über uns lustig gemacht, jetzt wirst Du aber lange Zeit sitzen müssen und keine Erinnerungen mehr schreiben können". Darauf antwortete N. Sadūnaitė lachend, daß sie wahrhaftig schon beinahe alles geschrieben habe und nichts mehr hätte, worüber sie noch schreiben könnte, jetzt aber werde der KGB neues Material für den dritten Band ihrer Erinnerungen liefern. Im Sicherheitsdienst wurde N. Sadūnaitė vom Staatsanwalt Bakučionis und dem Sicherheitsbeamten Liniauskas vernommen. N. Sadūnaitė wurde eine Reihe von Fragen gestellt, die die „Chronik d. L. K. K.", ihre eigenen Erin­nerungen „Im Blickfeld des KGB" und „Seit fünf Jahren verbirgt mich der gütige Gott vor den Augen des KGB" betreffen. Auf jene Fragen, die das Material des Prozesses betreffen, verweigerte N. Sadūnaitė kategorisch die Antwort. Der Staatsanwalt Bakučionis versuchte noch, N. Sadūnaitė zu beschuldigen, daß sie nirgends arbeite und keinen ständigen Wohnsitz habe. Bevor sie in die KGB-Isolationszelle im Keller geführt wurde, befahl man N. Sadūnaitė das Verhaftungsdokument zu unterschreiben. Die Ver­haftete verweigerte die Unterschrift. Am Abend desselben Tages, etwa um 21 Uhr, wurde N. Sadūnaitė (durch Medikamente, vermutlich durch das Narcoticum Scopolamin, beeinträchtigt) zum zweiten Mal zu einem Verhör vorgeladen. Diesmal wurde sie im Arbeitszimmer von General H. Vaigaus-kas, dem Vorsteher der Untersuchungsabteilung Baltinas und dem Staats­anwalt Bakučionis erwartet. Wieder folgte eine Reihe von Fragen über die Nr. 73 der „Chronik d. L. K. K", von der sie noch ein Exemplar während der Durchsuchung hatte zerreißen können. Auf die Frage, warum sie sie zerrissen habe, stellte die Vernommene klar, daß man die „Chronik" nach dem Durchlesen weitergeben solle, sie werde aber festgenommen und der Sicherheitsbeamte werde die „Chronik" sicher nicht weiter verbreiten, und deswegen habe sie sie vernichtet. Die Tschekisten erzählten N. Sadūnaitė von irgendeiner Frau, die angeblich festgenommen worden sei; bei ihr sei ein Exemplar der Nr. 73 der „Chronik" gefunden worden, das offensichtlich Nijolė handschriftlich abgeschrieben habe. Sie legten ihr nahe, daß das Schicksal dieser Frau in ihren Händen sei; die genannte Frau und sie selbst würden dann in die Freiheit entlassen, wenn sie einen vom Staatsanwalt Bakučionis vorgelegten Text unterschreibe. In diesem Text war zu lesen, daß N. Sadūnaitė unter dem Verdacht, ein Vergehen gemäß §199-1 StGB des begangen zu haben, festgenommen worden sei, da aber das Vergehen verhindert worden sei, werde sie in die Freiheit entlassen. Benommen las N. Sadūnaitė einige Male den Text durch; nachher versuchte sie zu fragen, warum sie entlassen werde, obwohl sie dem Sicherheitsdienst keine Ver­sprechungen gegeben habe. Schließlich unterschrieb sie, wie mit fremder Hand, in großer Schrift und wurde entlassen. H. Vaigauskas brachte die Hoffnung zum Ausdruck, daß von diesem Gespräch am späten Abend niemand etwas erfahren werde.

Etwas später wandte sich N. Sadūnaitė mit einer Erklärung an den Staats­anwalt Nowikow und forderte ihn auf, ihre Sachen, die während der Durchsuchung mitgenommen wurden (Psalmen-Gebetbuch, Notizbüchlein mit religiösen Gedanken und Adressen, einige Fotoaufnahmen, Briefe usw.) ihr zurückzuerstatten oder wenigstens eine Bestätigung darüber aus­zustellen, daß sich ihre Sachen wirklich im Sicherheitsdienst befinden.

Am 16. Mai wurde N. Sadūnaitė vom Sicherheitsdienst vorgeladen. Der Untersuchungsbeamte Stepučinskas gab ihr ihre Sachen zurück. Nur die Aufnahmen der Priester A. Svarinskas und S. Tamkevičius wurden zurück­behalten; die habe angeblich der Staatsanwalt Bakučionis an sich genom­men, denn auf den Aufnahmen fände sich die Aufschrift „Für Gott und Heimat".

*

Vilnius. Am 1. April 1987 wurde in der Wohnung der Bürgerin der Stadt Vilnius, Bronė Vazgelevičiūtė, in der Dzeržinsko g-vė 160-292 eine Durchsuchung gemacht. B. Vazgelevičiūtė kam am 1. April in Antakalnio 62-2, gerade zu der Zeit zu Besuch, als dort eine Durchsuchung im Gange war. Auf Anordnung des Tschekisten Rainys, der dort die Durchsuchung leitete, wurde bei der B. Vazgelevičiūtė eine Leibesvisitation gemacht, wäh­rend der die Nr. 73 der „Chronik d. L. K. K." bei ihr gefunden wurde, B. Vazgelevičiūtė wurde unverzüglich in ihre Wohnung gebracht, und dort wurde eine Durchsuchung gemacht. Während der Durchsuchung wurden mitgenommen: eine Broschüre „Prisiminimai apie kun. J. Zdebski," („Erin­nerungen an Priester J. Zdebskis"), das Gedicht „Šeši šimtai metų klūpo" („Seit sechshundert Jahren knien"), ein mit der Schreibmaschine geschrie­bener Text „Atsakymas į V. Balkevičiaus straipsni," („Antwort auf den Artikel von V. Balkevičius") und andere Sachen. Nach der Durchsuchung wurde B. Vazgelevičiūtė verhört.

Am 4. April wurde im Sitz des KGB Elena Šuliauskaitė vernommen, die in der Wohnung von B. Vazgelevičiūtė gewesen war. Die Vernehmung führte Tschekist Vidzėnas durch. Den Sicherheitsbeamten interessierte, ob E. Šuliauskaitė Nijolė Sadūnaitė kenne, und er stellte eine Reihe von Fra­gen, die die „Chronik d. L. K. K." betrafen. E. Šuliauskaitė hat verweigert, das Vernehmungsprotokoll zu unterschreiben.