Kaišiadorys. Nach der Vorlesung der für den Sonntag vorgesehenen Lesung und des Evangeliums wandte sich S. Exz. Bischof Vincentas Sladkevičius am 17. Januar 1988 an die Gläubigen mit der Feststellung, daß man die Wahrheit lieben und sie, wenn es nötig ist, vor Lüge und Ver­leumdungen verteidigen müsse. Der Bischof sagte, daß er es als eine Pflicht empfinde, auf den ihn betreffenden Artikel des Korrespondenten A. Čaikovskis, der am 12. Januar 1988 in der „Tiesa" („Die Wahrheit") ver­öffentlicht war, Antwort zu geben. Der Artikel trägt die Überschrift „Die ,Chronik' nährt sich von Verleumdungen". „Was in diesem Artikel über mich geschrieben wird", sagte der Bischof, „ist eine reine Lüge, wahr ist nur, daß ich an dem Tag gerade dabei war, wegzugehen, als mich zwei unbekannte Männer besuchten und sich als Korrespondenten der Tiesa' vorstellten." Der Bischof hat sie genau so empfangen, wie alle Interessen­ten, die zu ihm kommen. Die Unbekannten waren offiziell kühl, und der Ton der Fragen war beinahe aggressiv. Die erste Frage: „Warum weigern Sie sich, eine katholische Zeitschrift herauszugeben?" Der Bischof antwor­tete auf die Frage kurz: „Wir weigern uns deswegen, weil es allen klar ist, daß die Zeitschrift nicht so wird, wie sie von den Katholiken benötigt wird. Wir benötigen eine Zeitschrift mit einem Inhalt, wie sie beispielsweise die Diözesen in der Deutschen Demokratischen Republik herausgeben."

Die zweite Frage: „Lesen Sie die ,Chronik'?" Der Bischof antwortete: „Zur Zeit nicht." Auf die Frage, - „Haben Sie sie früher gelesen, wie beurteilen Sie sie?" - erklärte der Bischof, die „Chronik" sei eine notwendige Ver­öffentlichung, weil sie die Schwierigkeiten aufdecke, mit denen die Kirche in Litauen und die Gläubigen, die diskriminiert und von den Atheisten wie auch von den Beamten angegriffen werden, konfrontiert sind. Hier wies der Bischof die Korrespondenten auf eine Begebenheit hin, die die Beisetzung seiner Mutter betrifft. Als der Bischof in der Verbannung war, starb seine Mutter. Seine Mutter wollte in der Pfarrei Žasliai beerdigt werden. Als man sich mit der Bitte um ein Lastauto an die Ortsverwaltung wandte, damit man den Sarg mit den Überresten nach Žasliai bringen kann, hatten die Regie­rungsvertreter spottend erwidert: „Soll doch seine Mutter hier verfaulen..."

Nachdem die Korrespondenten stirnrunzelnd die Erzählung des Bischofs angehört hatten, stellten sie die dritte Frage: „Welcher Meinung sind Sie über Priester Rokas Puzonas?" Der Bischof antwortete darauf, daß er ein guter, beispielhafter Priester sei. Dies sei auch die Meinung der anderen Priester.

Mehr Fragen gab es nicht. Der Bischof erzählte weder über seine Jugend, noch darüber, daß er kein Geld hatte, um seine verstorbene Mutter beerdi­gen zu können, so daß er um eine Anleihe beim Vorsitzenden des Kolchos habe bitten müssen. Er sprach auch nicht über Sport und auch nicht über die „Besserung" des Lebens, weder darüber, daß die „Chronik" eine Unzu­friedenheit unter den Priestern hervorrufe, noch darüber, daß der Bischof „den Exzessen gegen die Regierung" nicht zustimme, oder, daß zu eilig auf eine „offizielle Zeitschrift" verzichtet worden sei und schon gar nicht, daß er Priester Rokas Puzonas ermahnt habe...

Eine Folgerung daraus: Wenn das offizielle Organ des ZK der Kommu­nistischen Partei Litauens, die „Tiesa", schon wagt, so über Bischof V. Slad­kevičius zu lügen, dann kann man sich vorstellen, wieviel Wahrheit in dem Artikel des Korrespondenten A. Čaikovskis selbst, der in drei Nummern der „Tiesa" als Fortsetzung erschien, überhaupt noch zu finden ist.

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Šakiai. Alle Priester der Rayons Šakiai wurden am 19. Januar 1988 in das Rayonexekutivkomitee von Šakiai geladen. Der Stellvertreter des Bevollmächtigten des RfR, Juozėnas, kam zu einer Begegnung mit den Priestern. Er gab den Priestern bekannt, daß vorgesehen sei, in Zukunft ein neues Statut der religiösen Gemeinschaften herauszugeben, in dem seiner Ansicht nach auch die Forderungen der Kirche berücksichtigt werden, erklärte aber gleich, daß das alte streng eingehalten werden müsse, solange das neue Statut noch nicht bestätigt sei. Als der Pfarrer der Pfarrei Lukšiai, Priester Lionginas Kunevičius, sich erkundigte, ob die neuen Bestimmun­gen des Statuts dem ganzen Volke zur Beratung vorgelegt würden und die Priester ihre Meinung dazu äußern dürften, antwortete Juozėnas: „Reli­giöse Menschen machen in unserem Lande nur eine Minderheit aus, des­wegen hat es keinen Sinn, das Statut dem ganzen Volke zur Beratung vor­zulegen."

Der Dekan von Šakiai, Msgr. Juozapas Žemaitis, versuchte sich darüber Klarheit zu verschaffen, warum die sowjetische Regierung alle früher in Litauen tätigen Klöster geschlossen hat. Der Stellvertreter des Bevollmäch­tigten des RfR antwortete darauf, er wisse nicht, warum das geschehen ist. (Es ist wahr, in der letzten Zeit erscheinen ab und zu in der Presse Mel­dungen, in denen der Gedanke geäußert wird, daß ihnen manche Häuser, wie z.B. in Liškiava zurückerstattet werden sollen. Es wird aber leider sofort auch auf die Arbeitsgebiete der Klöster hingewiesen, die, ohne die strenge Kontrolle durch die Regierungsatheisten, Hilfslandwirtschafts­betriebe für die Kolchosen zum Anbau von Gemüse werden sollten; und, wenn es auch paradox klingt, die Regierung würde ihnen sogar „erlauben", einen oder auch mehrere alte Menschen zu pflegen.)

Am Schluß der Begegnung wurde den Priestern, als Geste der „Freund­schaft und Zusammenarbeit", seitens der Regierung aufdringlich die Mög­lichkeit eines Sonderausflugs in eine Schweinefarm einer Kolchose angebo­ten. Die Priester lehnten die Teilnahme an diesem Ausflug kategorisch ab.

Gargždai (Rayon Klaipėda). Anfang Februar 1988 wurden die Priester des ganzen Rayons in das Rayonexekutivkomitee von Klaipėda zu einer Begegnung mit den Regierungsvertretern eingeladen. Der Stellvertreter des Vorsitzenden des Exekutivkomitees, V. Leita, trug den Priestern einen von der Behörde des Bevollmächtigten des RfR vorbereiteten Vortrag vor, in dem, begründet mit den Vernehmungsprotokollen aus der Zeit Stalins, die Bischöfe von Telšiai, Vincentas Borisevičius und Pranciškus Ramanauskas diffamiert und „Knechte der Banditen" genannt wurden. Während des Vor­trages wurden der Pfarrer der Pfarrei Laukuva, Priester Jonas Pakalniškis, und der Pfarrer der Pfarrei Skaudvilė, Priester Jonas Kauneckas, beschul­digt, „politisch zweideutige" Predigten zu halten.

Nach dem Vortrag erinnerte Priester Juozapas Janauskas alle daran, daß der Bischof P. Ramanauskas im sowjetischen Lager ständig gedemütigt wurde; er mußte als Reiniger der Toiletten arbeiten. Die Leiterin der Abteilung für Agitation und Propaganda des Rayons, Birutė Kalendrienė, entgegnete darauf: „Einem solchen Banditen gehört es auch so." Nicht ohne Grund bemerkte darauf der Vikar der Pfarrei Gargždai, Priester Antanas Šeškevičius: „Dieser Vortrag bezeugt, daß die Zeiten Stalins in Litauen wiederkehren."

Während der Begegnung mit den Regierungsvertretern wurde den Priestern eingeschärft, am 16. Februar in den Kirchen nicht für Litauen zu beten.

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Alytus. Am 4. Februar 1988 waren die Priester der Stadt und des Rayons Alytus zu einem routinemäßigen Gespräch in das Rayonexekutiv­komitee eingeladen. An dem Gespräch nahmen der erste Sekretär der Kommunistischen Partei der Stadt Alytus, Rybakow, die Vorsitzende des Exekutivkomitees, Janušauskienė wie auch ihr Stellvertreter Makštutis teil. Auch der Redakteur der Rayonzeitschrift, der Leiter der Finanzabteilung, der zweite Parteisekretär Aleksandravičius, der Stadtarchitekt, einige Abge­ordnete und sogar der Rayonstaatsanwalt waren anwesend. Der Haupt­zweck dieser Einberufung der Priester war, sie streng zu ermahnen, es ja nicht zu wagen, irgendwelche Gedenkfeierlichkeiten aus Anlaß des 16. Februar in der Kirche zu veranstalten.

Die Beamten verlangten, daß an den Tagen zwischen dem 14. und dem 16. Februar keine Gottesdienste zum Gedenken der Unabhängigkeit Litauens in den Kirchen veranstaltet werden sollten. „Widrigenfalls", so drohte der erste Sekretär der Kommunistischen Partei von Alytus, Rybakow, „haben wir das Recht, die Kirchen zu schließen, wenn sie nicht zu religiösen Zwecken benutzt werden".

Der Vorsitzende des Rayonexekutivkomitees von Alytus, Aleksandravičius, zitierte in seinem Referat die Cañones des Kirchenrechts, was ein Priester tun darf und was nicht, und legte selbstverständlich alles so aus, wie es ihm paßte. Mit bitteren Worten wurden die verstorbenen Bischöfe von Telšiai, Borisevičius und Ramanauskas, als Organisatoren und Helfer des Wider­stands gegen die sowjetische Regierung in den Nachkriegsjahren genannt. Auch die Bischöfe der Erzdiözese Kaunas und der Diözese Vilkaviškis, Erzbischof Skvireckas und Bischof Brizgys, wurden nicht ausgelassen. „Nur durch ihre Schuld", so behaupteten lügnerisch und frech die Vertreter der Regierung, „hat Litauen in den Kriegs- und Nachkriegsjahren etwa ein Tau­send Priester verloren. Die einen, die gegen ihren Willen 1940 die sowje­tische Regierung aufnehmen mußten, waren gezwungen, in den Westen zu fliehen, die anderen, die sich in den Nachkriegsjahren dem Widerstand angeschlossen haben, sind von der Gesellschaft isoliert worden". Um diese Behauptung bildlich lebhaft zu machen, wurden „Geständnisse" zitiert, die den Archivakten der Verhöre entnommen waren, auch wenn in der Zeit der sogenannten Umgestaltung sogar in der offiziellen Presse ausführlich beschrieben wird, wie die Geständnisse bei den Verhören zu Stalins Zeiten zustande gekommen sind, wie Stalin sogar die treuesten Generäle auf die Anklagebank gebracht hat, und wie seine Handlanger „gerecht" mit ihnen fertig geworden sind. Priester Vytautas Gustaitis wies auf Priester Antanas Mieldažys als Opfer stalinistischen Terrors hin und schlug vor, ihn zu befra­gen, wie er wegen angeblicher Vergehen gegen die sowjetische Regierung 10 Jahre Gefängnis bekommen hat.

Priester Rumšas warf man vor, Predigten „nicht-religiösen" Inhalts zu hal­ten. Priester P. Račiūnas wurde aufgefordert, den illegalen Priestern Ricar­das Repšys und Jonas Boruta die Arbeit in seiner Pfarrei nicht zu erlauben. Der Stellvertreter des Rayonexekutivkomiteesvorsitzenden Makštutis sagte: „Keiner der Priester, die kein von P. Anilionis ausgestellten Zeugnis besit­zen, hat das Recht, in einer Pfarrei zu arbeiten."

Die Stellvertreterin des Vorsitzenden des Rayonexekutivkomitees von Alytus, Laukienė, legte Fakten vor, wonach nicht alle Priester die Bestim­mungen der Regierung einhalten. Die einen predigen nicht passend, wie der Pfarrer der Pfarrei Kiaukliai, Priester Rokas Puzonas, die Priester Anta­nas und Kazimieras Gražulis; andere stellen Kreuze auf dem Kirchhof auf, ohne nachzufragen, wie der Priester V. Insoda, der Pfarrer von Butrimonys,

Priester E. Kraujalis, während der Priester V. Stakėnas das Weihnachts­baumfest für die Kinder zu unpassender Zeit feiert.

Dieses Mal hat keiner der Priester geschwiegen, die in dem Referat genannt worden waren. Und als die Vorsitzende des Exekutivkomitees der Stadt, Janušauskienė, an einem Modell den Bau der neuen Stadtrayons zu erklären begann, fragen die Priester, wo die neue Kirche gebaut werde. Der zweite Parteisekretär, Aleksandravičius, beruhigte sie: „Wenn es nötig ist, wird es auch eine Kirche geben..." So wurde das Gespräch abgeschlossen.

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Pasvalys. Anfang Februar 1988 waren alle im Rayon Pasvalys arbeiten­den Priester in das Rayonexekutivkomitee eingeladen. Zu Beginn der Ver­sammlung sprach der Vorsitzende des Exekutivkomitees vor den Priestern über die ökonomischen Errungenschaften der Republik, und am Schluß forderte er von den Priestern, am 16. Februar in den Kirchen nicht für Litauen zu beten; er drohte ihnen, daß dies als antisowjetischer Exzeß gewertet werde, ebenso wie das Niederlegen von Blumen auf den Gräbern der Freiheitskämpfer oder vor den zu ihren Ehren aufgestellten Denkmä­lern. Der Vikar der Pfarrei Pasvalys, Priester Algimantas Petkünas, erklärte dem Vorsitzenden, daß es gerade die sowjetischen Beamten seien, die den 16. Februar durch ihre verschiedenartigen Verbote so bekannt gemacht hätten wie noch nie bisher. Für das Vaterland in der Kirche zu beten aber, verbieten die Gesetze nicht nur nicht, sondern sie verpflichten sogar dazu.

Am 16. Februar haben die Leute auf dem Denkmal des Unterzeichners der Unabhängigkeitserklärung, Petras Vileišis, in Pasvalys Blumen niedergelegt.

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Šilutė. Am 1. Februar 1988 waren alle Priester und alle Pastoren der Lutheraner des Rayons im Rayonexekutivkomitee eingeladen. Der Vorsit­zende des Exekutivkomitees las den Geistlichen einen vom Bevollmächtig­ten des RfR, P. Anilionis, zugeschickten Bericht vor, in dem mit Zitaten aus Vernehmungsprotokollen aus Stalins Zeiten versucht wird, die Bischöfe Vincentas Borisevičius und Pranciškus Ramanauskas herabzuwürdigen. Priester Zenonas Degutis bat den Redner, in Zukunft von solchen Vorträ­gen abzusehen, denn heute sei auch aus offiziellen Quellen schon bekannt, auf welche Weise zu Zeiten Stalins die „Geständnisse" bei den Vernehmun­gen zustandegekommen sind.

Der Vorsitzende des Rayonexekutivkomitees ermahnte die Priester, am 16. Februar in den Kirchen keine Gedenkfeier zu veranstalten. Die Priester setzten sich zur Wehr: „Ein unabhängiges Litauen ist doch eine historische Tatsache, deswegen darf sein Gedenken weder als Verleumdung noch als antisowjetischer Exzeß angesehen werden."

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Prienai. Mitte März 1988 wurden die Mitglieder des Pfarrkomitees des Rayons zu einer Begegnung mit dem Bevollmächtigten des RfR, P. Anilio-nis, nach Prienai eingeladen. Zu Beginn wurde den Versammelten der Film „Katholiken in der Sowjetunion" gezeigt, den anschließend der Bevoll­mächtigte des RfR, P. Anilionis, kommentierte.

Der Bevollmächtigte versuchte zu beweisen, daß in der Sowjetunion eine bewundernswerte Glaubensfreiheit herrsche. Darauf fragten die Gläubigen: „Wenn die Glaubensfreiheit so bewundernswert ist, warum werden dann Priester gefangengehalten?" P. Anilionis machte klar, daß die Priester selber das Gefängnis nicht verlassen möchten. „Auch wenn man ihre Klamotten aus dem Gefängnis hinauswerfen würde, würden sie sie selber zurückbrin­gen." Sie seien in den Gefängnissen für die ausländischen Reaktionäre nützlicher.

Auf die Frage, warum es in Litauen so viele geschlossene Kirchen gibt, antwortete der Bevollmächtigte, daß nur die Kirchen geschlossen seien, „in denen die Banditen (so werden die Freiheitskämpfer Litauens genannt -Bern. d. Übersetzers) ihre Waffen versteckt hatten". P. Anilionis schwärzte in seiner Rede den Bischof von Kaišiadorys, Vincentas Sladkevičius, an und beschuldigte ihn, er mißachte die sowjetische Regierung und gehe nicht zu den Begegnungen mit den Regierungsvertretern. „Die sowjetische Regierung wird solche Bischöfe ebenfalls mißachten", - versuchte der Bevollmächtigte zu drohen. Wenig Trost gab dem Bevollmächtigten auch die Tatsache, daß es in Litauen, wie er sagte, viele Mädchen gibt, die sich als Klosterfrauen verstellen. „Sie strengen sich an, eine Arbeit bei der Kirche zu bekommen, und nachher ziehen sie auch die Priester in die anti­sowjetische Arbeit hinein", - sagte P. Anilionis und nannte als Beispiel die Wäscherin der kirchlichen Gewänder in Paberžė, Nijolė Sadūnaitė, und die Organistin von Žarėnai-Latveliai, Regina Teresiūtė.

Der Bevollmächtigte verlangte von den Kirchenkomitees, solche wie die Obengenannten nicht einzustellen, sondern für die Arbeit in der Kirche ortsansässige alte Frauen zu nehmen. Nach Überzeugung P. Anilionis' sind die ortsansässigen Frauen hier mehr am Platze.

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Tauragė . Die Mitglieder der Pfarrkomitees des ganzen Rayons wurden am 21. März 1988 zu einer Begegnung mit dem Bevollmächtigten des RfR, Petras Anilionis, in das Kino der Stadt Tauragė eingeladen. Zu Beginn wurde der Film „Katholiken in der Sowjetunion" gezeigt. Bei der Erläu­terung dieses Streifens versuchte P. Anilionis die Leute zu überzeugen,

„wenn die Religion mit der kommunistischen Moral auch unvereinbar ist, die Religionsfreiheit ist den Gläubigen in der Sowjetunion trotzdem garan­tiert". Es sei nur schlecht, daß jene Priester, die vom Bevollmächtigten Extremisten genannt werden, diese Freiheit mißbrauchten. Als Beispiel nannte er die vom Priester Jonas Kauneckas während der Ablaßfeierlich­keiten Mariens in Žemaičių Kalvarija 1987 gehaltenen Predigten, in denen, nach Meinung von P. Anilionis, der Priester überhaupt nicht über Maria gesprochen, sondern nur die Gläubigen aufgehetzt habe, die kommuni­stische Ideologie nicht anzunehmen. „Solchen Priestern wird nicht mehr erlaubt werden, Predigten in Žemaičių Kalvarija und anderswo während der großen Ablaßfeier zu halten. Und wenn der Priester J. Kauneckas auch weiterhin nicht aufhört, solche Predigten zu halten, wird die Kirche von Skaudvilė geschlossen. Das Kirchenkomitee von Skaudvilė ist verpflichtet, Priester J. Kauneckas zu ermahnen und ihm nicht zu erlauben, solche Predigten zu halten", - verlangte P. Anilionis und versuchte die Leute davon zu überzeugen.

Eine der im Saal anwesenden Frauen fragte den Redner: „Wenn die Reli­gionsfreiheit schon so vollkommen ist, warum dürfen dann die Lehrer die Kirche öffentlich nicht besuchen und an Gottesdiensten teilnehmen?" „Bist du nicht gar zu eifrig? Wenn du das wissen willst, geh doch in das Bildungsministerium und erkundige dich dort", - erwiderte erzürnt der Bevollmächtigte. Ähnlich wurden alle von Gläubigen gestellten Fragen beantwortet.

Šiauliai. Am 24. März 1988 waren alle Mitglieder der „Zwanziger" der religiösen Gemeinschaften der Stadt und des Rayons in das Stadtexekutiv­komitee eingeladen. An der Versammlung nahmen teil der Stellvertreter des Bevollmächtigten des RfR, Juozėnas, die Stellvertreterin des Exekutiv­komiteevorsitzenden der Stadt Šiauliai, Gaurilčkienė und der Stellvertreter des Vorsitzenden des Rayonexekutivkomitees von Šiauliai. Der Stellvertre­ter Juozėnas zeigte sich verärgert darüber, daß es Priester in Litauen gebe, die nach seinen Worten die Kirche für politische Zwecke benützen. Als Beispiel nannte er die St. Anna-Kirche und die St. Nikolai-Kirche in Vil­nius und die St. Georg-Kirche in Šiauliai. In besonderer Weise verurteilte Juozėnas den Rundfunksender „Stimme Amerikas" wie auch die anderen ausländischen Rundfunksender, die vor dem 16. Februar bekanntgegeben haben, in welchen Kirchen Litauens und zu welcher Zeit für das Vaterland gebetet wird. Er beschuldigte den Vikar der St. Georg-Kirche von Šiauliai, Priester Kazimieras Gražulis, wegen der Leitung der Andacht für Litauen und wegen seiner aus diesem Anlaß gehaltenen Predigt.

„Ihr seid die eigentlichen Hausherren der Kirche", wandte sich Juozėnas an die Mitglieder der Kirchenkomitees, „deswegen sollt ihr alles sehen und alles wissen, was in eurer Kirche vorgeht. Denkt nicht, daß wir nicht das Recht hätten, solche Priester wie K. Gražulis ins Gefängnis zu bringen. Wir haben es schon, wir warten aber ab, vielleicht werden sie sich bessern. Wir können ungehorsame Priester schon zur Vernunft bringen, - ihr wißt ja selber, was mit Priester Alfonsas Svarinskas und Priester Sigitas Tamke-vičius, geschehen ist. Jetzt können sie nichts mehr ausrichten".

Der Stellvertreter Juozėnas verlangte von den Komiteemitgliedern, die Priester zu bespitzeln und zu beobachten, wie sie die Gelder einteilen: Er betonte dabei, daß eine bestimmte Summe dem Friedensfond zugeführt werden müsse.

Nach dem Hauptbericht wurde erlaubt, Fragen zu stellen. J. Šileikis hat gefragt: „Ist es uns, den Litauern, vielleicht schon nicht mehr erlaubt, unsere Heimat zu lieben und für sie zu beten?" Als er keine Antwort dar­auf bekam, fuhr er fort: „Wir alle, die am 16. Februar am Gottesdienst für unsere Heimat teilgenommen haben, trugen anschließend Blumen auf die Gräber der Soldaten, die in den Kämpfen für die Freiheit und Unabhängig­keit Litauens gefallen sind. Auf dem Friedhof wachten etwa 20 Sicherheits­beamte, die jeden fotografierten, der auf den Friedhof kam. Nachdem wir die Blumen niedergelegt und gebetet hatten, gingen wir auseinander. Und was hat die sowjetische Presse darüber geschrieben? Es ergoß sich eine Flut von Artikeln über die Besucher der Friedhöfe am 16. Februar. Litauen ist ein christliches Land - das Land der Kreuze. Im Laufe der Jahrhunderte haben die einen oder anderen Besatzer es unterdrückt, aber die Kirchen haben zu allen Zeiten gearbeitet und niemand hat die Kreuze vernichtet. Jetzt kamen aber die Sowjets, viele Kirchen wurden in Lagerhäuser, Kon­zertsäle umfunktioniert, die Priester wurden massenweise verhaftet, viele kunstvolle Kreuze wurden verwüstet. Ist es also jetzt vielleicht möglich, in Verbindung mit der Umgestaltung, die verwüsteten Kreuze wieder zu errichten? Darf man vor dem Haus auf dem eigenen Hof ein Kreuz aufstel­len?" - fragte J. Šileikis. Die Antwort war negativ.

Als jemand aus dem Saal fragte, ob irgendwann eine religiöse Zeitschrift oder Zeitung herausgegeben wird, antwortete Juozėnas sehr unbestimmt mit der Erklärung, daß noch viel Zeit vergehen könne, bis es erlaubt werde, eine eigene Zeitschrift zu haben. Auf die Frage, ob die Kathedrale von Vil­nius zurückgegeben werde und ob man in den neuen Städten, wie Naujoji Akmenė oder Elektrėnai, Kirchen errichten dürfe, antwortete Jouzėnas negativ. Auf die Frage, wann der Bischof der Erzdiözese Vilnius, Julijonas Steponavičius, endlich wieder den Bischofsstuhl besteigen dürfe und wann er nicht mehr gehindert werde, sein Hirtenamt auszuüben, versuchte Juozėnas sich zu rechtfertigen, daß die Regierung diese Frage bearbeite und daß er selbst zu Bischof J. Steponavičius gefahren sei, das Schlimme sei aber dabei, daß der Bischof seinen Standpunkt nicht ändere. .." „Dann brach unsere Unterhaltung ab", erklärte Juozėnas. Gleich darauf aber brachte er seine Hoffnung zum Ausdruck, daß S. Exz. Bischof J. Steponavičius sein Amt wegen seines hohen Alters aufgeben müßte, dann würden sich, seiner Meinung nach, die Angelegenheiten der Erzdiözese Vilnius zum Guten ändern. Man könnte nach einer Abmachung mit den Bischöfen einen von ihnen nach Vilnius delegieren, und so würde die Frage gelöst. Damit schloß der Stellvertreter des Bevollmächtigten des RfR, Juozėnas, die Un­terredung ab.

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Alytus. Die Rayonzeitschrift „Komunistinis rytojus" („Der kommuni­stische Morgen") hat am 10. September 1987 einen Artikel von S. Kama­rauskas gedruckt, der „Kodėl kun. Antanas Gražulis sėja melą?" („Warum verbreitet Priester Antanas Gražulis Lügen?") genannt wurde.

In dem Artikel wird Priester A. Gražulis der Verletzung der sowjetischen Gesetze und der Erzeugung antisowjetischer Stimmungen beschuldigt. Der obengenannte Artikel verursachte unter den Gläubigen von Alytus Empörung.

Am 19. September schickten sie an die Redaktion der Zeitung „Komunisti­nis rytojus" eine Erklärung, in der geschrieben steht: „(...) Sie schreiben, daß Priester A. Gražulis die Gesetze verletzt. Warum sagen Sie nicht kon­kret, wo, wann und welche Gesetze er verletzt? Ist es vielleicht schon Anschwärzung des gesellschaftlichen Lebens, wenn man die Wahrheit an die Öffentlichkeit bringt? Wir, die Gläubigen der Pfarrei Alytus, kennen Priester Antanas Gražulis als einen guten, beispielhaften Priester. Wir haben noch niemals gehört, daß er sich als Schönredner gezeigt hätte oder daß er das materielle Wohl verschmäht hätte, im Gegenteil! Der Priester fordert die Menschen auf, ein schöneres Leben zu schaffen, dabei aber nicht zu vergessen, daß alles das, was der Mensch auf der Erde besitzt, nur ein Mittel ist, um das ewige Leben erreichen zu können. Wir stimmen dem zu, wenn Priester A. Gražulis den Eltern den Rat gibt, ihren Kindern nicht zu erlauben, den Organisationen der Gottlosen beizutreten. Raten viel­leicht die Gottlosen ihren Kindern, in die Kirche zu gehen und jeden Tag zu beten?

Wir die Gläubigen, verlangen, daß die Redaktion diesen Artikel widerruft!" So schließen die Bürger von Alytus ihre Erklärung ab. Die Erklärung wurde von 1609 Gläubigen unterschrieben.

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Die Zeitschrift „Gimtasis kraštas" („Heimatland") veröffentlichte in der Nummer für 3. bis 9. Dezember 1987 eine Nachricht mit der Überschrift „Apie atsitikimą Rokiškyje" („Über eine Begebenheit in Rokiškis").

Eine ähnliche Begebenheit hat es auch auf dem Friedhof in Alytus gegeben.

Nachdem in der Kirche von Alytus (in der Diözese Vilkaviškis) am 25. Oktober den Gläubigen alles über die Allerseelenandacht bekanntgegeben worden war, auch die Zeit, die übrigens mit der des Gedenkens der Toten der Zivilregierung nicht zusammenfiel und damit auch niemanden behin­dern konnte, wurden die Priester auf aufdringliche Weise in das Rayon­exekutivkomitee gerufen, damit ihnen dort, nach Abstimmung mit den Beamten, eine Genehmigung für die Andacht erteilt werde. Als der Vikar der Pfarrei, Priester Antanas Gražulis, klargestellt hat, daß man für eine Zeremonie auf dem Friedhof gemäß dem Statut der religiösen Gemein­schaften keine spezielle Genehmigung benötigt, suchte der Leiter der Finanzabteilung, der zu der Zeit den Stellvertreter des Stadtexekutivkomi­tees, Makštutis, vertrat, mit einer Schar bediensteter Frauen das Pfarrhaus auf. Der Leiter der Finanzabteilung konnte seinen Groll darüber nicht ver­heimlichen, daß er einige Male den Priester A. Gražulis zu Hause nicht antraf: In verschiedenen Behörden der Stadt wurde gemunkelt, daß die Priester etwas Unerlaubtes tun.

Als am 1. November die Priester mit den Gläubigen auf dem Friedhof erschienen, wurde auf dem Friedhof durch Lautsprecher laute Musik gespielt und nur durch wiederholtes Bitten der Gläubigen und der Priester wurde sie etwas leiser gestellt. Viele Milizmänner und Sicherheitsbeamte waren auf den Friedhof bestellt, die die Teilnehmer der Andacht und die Priester demonstrativ fotografierten. Als die Prozession schon etwas weiter vom Haupteingang entfernt war, spielte die Musik wieder in voller Laut­stärke.

Nach dem Allerseelentag versuchte der Stellvertreter des Exekutivkomitees­vorsitzenden, A. Makštutis, telefonisch Priester A. Gražulis zu bewegen, in das Exekutivkomitee zwecks einer Rechtfertigung wegen eines begangenen „Vergehens" zu kommen. A. Makštutis beschuldigte ihn, daß eine Prozes­sion am Friedhof organisiert worden sei (es wurden ein Kreuz und zwei Trauerbanner getragen, genau so, wie das mit der Genehmigung der Regie­rung herausgegebene Meßbuch für Verstorbene es verlangt), für die Prozes­sion werde aber eine Genehmigung verlangt. Nach der Klarstellung Prie­sters Antanas Gražulis, daß das Statut der religiösen Gemeinschaften keine spezielle Genehmigung der Regierungsvertreter für religiöse Zeremonien in der Kirche, auf dem Kirchhof und auf dem Friedhof verlangt und auch keine Abstimmung mit den Beamten wegen der Prozessionen vorsieht, weigerte er sich, zur gewohnten Einschüchterung durch die Verwaltung zu erscheinen.

Die Situation ist also genau dieselbe wie in Rokiškis. Nur hat in Alytus nie­mand den Priester um Verzeihung gebeten, keiner der Regierungsvertreter wurde wegen der Störung der religiösen Zeremonien bestraft.

Noch eigenartiger erschien es, als in diese Forderung der Ortsverwaltung, die religiösen Zeremonien auf dem Friedhof abzusagen, sich auch das offi­zielle Organ der Republik, die „Tiesa", eingeschaltet hatte, die am Vorabend des 1. November den Artikel „Warum verbreitet Priester Antanas Gražulis Lügen?" von S. Kamarauskas von der Rayonzeitung von Alytus „Komuni­stinis rytojus" („Der kommunistische Morgen") veröffentlichte, dessen Grundlosigkeit 1609 Gläubige der Pfarrei Alytus in der Erklärung an die Regierungsbehörde mit ihren Unterschriften beweisen.

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Šiluva. Es ist schon das sechste Jahr, daß am 13. jedes Monats aus ganz Litauen in Šiluva versammelte Gläubige zu Maria beten und sie um ihren Schutz und ihre Fürsprache bitten. Der 13. Februar 1988 war aber ein besonderer Tag. Eine Gruppe von Priestern und Laien Litauens hatte in einem besonderen Aufruf, der auch von Rundfunkstationen im Ausland verbreitet wurde, die Gläubigen aufgefordert, zum Gedenken des 70. Jah­restages der Unabhängigkeit Litauens im Heiligtum von Šiluva für Litauen zu beten.

Der Sicherheitsdienst von Vilnius und der des Rayons haben die Priester von Šiluva im voraus gewarnt, daß es am 13. Februar zu keinen Exzessen kommen dürfe.

Am 12. Februar gaben die Chauffeure der planmäßigen Omnibusse ihren Fahrgästen um die Mittagszeit bekannt, daß ab dem Mittag des 12. Februar bis zum Nachmittag des 13. Februar nicht nur keine Omnibusse, sondern auch keine Taxis nach Šiluva verkehren werden. Private Personenautos würden nicht behindert und Fahrgäste, die ihre Fahrkarten im voraus gekauft haben, erhielten ihr Geld zurückerstattet.

Am 13. Februar hat man auf allen Wegen, die nach Šiluva führen, nur Fuß­gänger gesehen. Zum Hochamt war die Kirche schon voll; es waren etwa 2000 Wallfahrer gekommen. Fünf Priester feierten gemeinsam die hl. Messe und etwa 1200 Gläubige empfingen die hl. Kommunion. Nach dem feierlichen Gottesdienst, einer Anbetung des Allerheiligsten Altarsakra­mentes und einer Segnung mit dem Allerheiligsten sang die ganze Kirche das Nationallied „Lietuva brangi" - „Teures Litauen". Nach Verlassen der

Kirche zogen die Wallfahrer geordnet, den Rosenkranz betend, zu der Kapelle. Dort wurde die hl. Messe für Litauen gefeiert und eine dem Anlaß angemessene Predigt gehalten. Nach dem Gottesdienst wurde die National­hymne Litauens „Lietuva, tėvyne mūsų" - „Litauen, unsre Heimat" und das Lied „Lietuva brangi" gesungen.

Sicherheitsbeamte in Zivilkleidung, Beamte der Miliz wie auch Gefolgs­männer mit roten Armbinden, die massenweise aus Vilnius und aus ande­ren Rayons für den 13. Februar hierher gebracht worden waren, filmten die Wallfahrer, störten den Gottesdienst aber nicht.

 

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Telšiai. Sicherheitsbeamte in Zivilkleidung nahmen, ohne ihre Papiere vorgezeigt zu haben, am 16. Februar 1988 am Tor zum alten Friedhof von Telšiai die jungen Männer Gediminas Numgaudys und Egidijus Gricius, beide Angestellte der Kathedrale von Telšiai, die auf dem Friedhof auf die Gräber der im Wäldchen von Rainai Ermordeten Blumen hinterlegen woll­ten, fest. Etwas später kamen auch Milizbeamte und brachten die Fest­genommenen in die Milizabteilung von Telšiai. Dort wurden sie lügenhaft beschuldigt, sich den Beamten mit Gewalt widersetzt zu haben, und zu je 15 Tagen Arrest verurteilt.

Aus Protest gegen die Ungerechtigkeit der Regierungsbeamten haben G. Numgaudys und E. Gricius am 17. Februar einen Hungerstreik angekün­digt, und am 19. Februar richteten beide eine Protesterklärung an den Staatsanwalt der Stadt Telšiai und an den Milizvorsteher.

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Kelmė . Am 10. Februar 1988 kam der Autoinspektor Kazlauskas zu Regina Teresiūtė, wohnhaft in Kelmė, Laisvė 11, ins Haus und befahl ihr, mit ihrem Personenauto zwecks angeblicher Überprüfung ihres Führer­scheins in die Abteilung für innere Angelegenheiten nach Kelmė zu fah­ren. R. Teresiūtė weigerte sich, dem Inspektor zu folgen mit der Begrün­dung, daß sie die Verkehrsregeln nicht verletzt habe, und wenn ihre Fahr­weise aus unbekannten Gründen den Mitarbeitern der Autoinspektion nicht gefallen habe, so hätten sie sie unterwegs anhalten müssen. Inspektor Kazlauskas erklärte ihr ganz entschieden, daß R. Teresiūtė mit Gewalt hingebracht werde, falls sie nicht freiwillig hinfahre. In der Abteilung für innere Angelegenheiten von Kelmė wurde von dem Personenauto der R. Teresiūtė die vordere Kennummer entfernt und ihr erklärt, daß ihr Auto technisch nicht in Ordnung sei und daß man damit nicht fahren dürfe.

Am 14. Februar 1988 kamen der Ortsvorsitzende Valdemaras Meiliulis und ein Bevollmächtigter der Miliz in das Pfarrhaus von Žarėnai-Latveliai (im Rayon Šiauliai), um nach R. Teresiūtė zu suchen. Sie beschuldigten R. Teresiūtė, daß sie hier unangemeldet wohne und damit gegen die Mel­devorschriften verstoße. R. Teresiūtė stellte klar, daß sie hier nicht wohne, sondern nur arbeite. Die Beamten forderten das Mädchen auf, am 16. Februar unbedingt im Ortsexekutivkomitee von Šakyna zu erscheinen. R. Teresiūtė verweigerte dies kategorisch und erklärte, daß der 16. Februar ein Nationalfeiertag sei, und gerade an diesem Tag könne sie nicht kom­men. Wenn es nötig sei, werde sie einen Tag später kommen. Diese Ant­wort gefiel dem Beamten nicht. Noch am selben Tag gegen 17 Uhr kamen der Ortsvorsitzende, V. Meiliulis, der Vorsteher der Autoinspektion von Šiauliai, Daknys, und ein Milizmann zu R. Teresiūtė ins Pfarrhaus. Sie befahlen R. Teresiūtė, unverzüglich in die Abteilung für innere Angelegen­heiten nach Kelmė zu fahren. R. Teresiūtė weigerte sich wiederholt und kategorisch, irgendwohin mit ihnen zu fahren. Noch ein drittes Mal erschienen die Beamten in derselben Angelegenheit an diesem Tag im Pfarrhaus um etwa 20 Uhr, diesmal trafen sie R. Teresiūtė aber nicht mehr an. Am 15. Februar 1988 wurde R. Teresiūtė, die mit dem Pfarrer der Pfar­rei Žarėnai-Latveliai, Priester A. Pakamanis, mit einem Personenauto unter­wegs war, in Telšiai von der Autoinspektion angehalten und gezwungen, in die Milizabteilung von Telšiai zu fahren. Hier wurde R. Teresiūtė der Füh­rerschein und dem Priester A. Pakamanis der Fahrzeugschein entzogen. Aus der Milizabteilung der Stadt Telšiai wurden die Angehaltenen zwangs­weise in die Abteilung für innere Angelegenheiten von Kelmė gebracht. Hier wurde R. Teresiūtė von einem Arbeitszimmer ins andere geschickt, wo die Milizbeamten ihr versprachen, ihr den Führerschein und die ent­fernte Kennummer Ihres Personenautos zurückzugeben, wenn sie nur ein­verstanden sei, mit dem KGB zusammenzuarbeiten. R. Teresiūtė weigerte sich entschieden. Sie verweigerte auch, eine Stellungnahme zu schreiben. „Ich bin nicht schuld daran, daß nach dem 15. Februar der 16. Februar und nicht der 17. folgt, wegen dem man mir meinen Führerschein und die amt­liche Kennummer meines Autos wegnehmen mußte. Ich würde für das nächste Jahr vorschlagen, den 16. Februar aus dem Kalender überhaupt zu streichen, wenn er ihnen so viel Sorgen bereitet", - sagte R. Teresiūtė.

Erst gegen 18 Uhr wurde R. Teresiūtė aus der Milizabteilung entlassen.

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Viduklė (Rayon Raseiniai). Am Abend des 26. Januar 1988 versam­melte sich eine Schar Gleichgesinnter von Priester A. Svarinskas, Priester und Laien, in der Kirche von Viduklė zu einem traditionellen alljährlichen Gebet für die eingekerkerten Priester und andere Gewissensgefangene.

Fünf Jahre der Gefangenschaft des Priesters A. Svarinskas, oder - wie er sagt - „von Gott geschickten Marschbefehls"! Seit fünf Jahren werden an einem freudlosen Abend im Monat Januar die Kreuzwegstationen began­gen, die hl. Messe gefeiert. In der Betrachtung der Opfer Christi danken wir dem Allmächtigen, daß er einem aus unserer Mitte erlaubt, nicht gezwungen, sondern aus seinem eigenen herzlichsten Wunsch heraus, sich zu opfern, das Kreuz von Golgotha zu tragen. Daß dieses Kreuz freiwillig getragen wird, davon konnte sich die breite Öffentlichkeit Litauens über­zeugen, als sie den Dokumentarfilm „Kas jūs, kunige Svarinskai?" - „Wer sind Sie, Priester Svarinskas?" sah. Alle, die diesen Film angeschaut haben, sogar Menschen anderer Denkweise, wunderten sich: „Wo liegt die Schuld dieses Priesters?" Nicht selten hörte man in Kinosälen während der Vor­führung Händeklatschen, das als Zustimmung für den Priester A. Svarinskas gedacht war.

Eines ist klar: Solange es Priester und Laien geben wird, die entschlossen sind, für die Kirche und das Vaterland sich zu opfern, solange werden die Ideale des Glaubens, der Sittlichkeit und der Freiheit in unserem Volke unerschütterlich erhalten bleiben.

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Kaunas. Nach dem Hochamt in der Kathedrale von Kaunas am Sonn­tag, dem 21. Februar 1988, wo des 50. Todestages des Prälaten Jakštas-Dam-brauskas gedacht wurde, versammelte sich eine große Menge von Bürgern der Stadt Kaunas wie auch auswärtige Gläubige vor dem Grab des Prälaten Jakštas-Dambrauskas, das sich an der Außenwand der Kathedrale befindet. Hier wurde „Der Engel des Herrn", „Lietuva brangi" („Teures Litauen") und die Nationalhymne „Lietuva, tėvyne mūsų" („Litauen, unsere Heimat") gesungen. Mit Beifallsklatschen wurden Gedichte über die Geschichte des Volkes, über die Besetzung Litauens, über den Genozid der Nachkriegs­jahre, über die geistige und äußerliche Unterdrückung begleitet. Die Teil­nehmer wurden von etlichen Filmkameras gefilmt und von vielen Tsche-kisten in Zivilkleidung beobachtet. Als eine kleine Gruppe der Teilnehmer sich in Richtung Vilniaus-Straße begab, fielen plötzlich drei oder vier Sicherheitsbeamte sie an, ergriffen den Jugendlichen Gintas Sakavičius (wohnhaft in Kapčiamiestis) und schleppten ihn in die Milizabteilung des Rayons Požėla, die sich in der nächsten Gasse befindet. Eine Gruppe von Gläubigen, die diesen Vorfall beobachtet hat, war über eine derartige Aktion des Sicherheitsdienstes entsetzt, folgte ihnen nach und forderte die unverzügliche Freilassung des zu Unrecht festgenommenen Jugendlichen. Alle bezeugten, daß G. Sakavičius nichts verbrochen habe, sondern daß irgendwelche Rowdies (man kann es nicht anders nennen!) ihn weg­geschleppt haben. Auf die energischen Forderungen der Versammelten ant­worteten die Milizmänner mit Fragen, ob sie Verwandte, Freunde von G. Sakavičius seien, woher sie gekommen seien usw. Die Leute antworte­ten darauf, daß dies überhaupt nicht von Bedeutung sei. Der Jugendliche sei ohne Grund festgenommen worden, und sie würden so lange da stehen bleiben, bis er freigelassen werde. Der Milizvorsteher Setkauskas hieß alle auf der Straße zu warten. Nach geraumer Zeit wurde G. Sakavičius frei­gelassen.

 

Viduklė (Rayon Raseiniai). Am 27. Juni 1987 errichteten die Gläubigen von Viduklė an einem Wegrand unweit eines Wäldchens ein Kreuz aus Eichenholz mit der Inschrift „Zum Gedenken an das 600-jährige Jubiläum der Taufe des Volkes". Am 28. Juni besuchten die Leute eifrig das Kreuz, beteten dort und sangen Lieder. In der Nacht zum 29. Juni rissen Sicher­heitsbeamte, unter Leitung des Leiters der Sowchose Pryšmančiai, Petras Stirbys, das Kreuz nieder.

 

Rudamina (Rayon Lazdijai). Am 19. März 1988 wurde in der Kirche von Rudamina das Fest des hl. Josef gefeiert und gleichzeitig fanden auch Exerzitien zur Fastenzeit statt. Während des Hochamtes wurde, aus Anlaß seines Namenstages, des ehemaligen Pfarrers der Pfarrei, des verstorbenen Priesters Juozapas Zdebskis, gedacht. Auch eine Gruppe gläubiger Jugend­licher aus Vilnius, Kaunas, Prienai und anderen Ortschaften war an diesem Tag zum Gottesdienst nach Rudamina gekommen. Egal, von welcher Rich­tung sie kamen, von Lazdijai oder von Šeštokiai, überall kamen ihnen Milizbeamte entgegen. Die Beamten versuchten die Reisenden lügenhaft zu überzeugen, daß Rudamina sich in der Grenzzone befinde und man eine Erlaubnis benötige, um dort hinzufahren. Eine andere Variante der Lüge war, daß in Rudamina eine militärische Übung stattfinde, und des­wegen sei es verboten, dorthin zu fahren. An dem Tag wurden sowohl Fahrende als auch Fußgänger nach Rudamina von der Miliz gestoppt. Die Beamten kontrollierten sogar alle Linienbusse, und so wurden Robertas Grigas, Marytė Gudaitytė und andere aktivere Vertreter der katholischen Jugend von Milizfeldwebel Brogis und Sergeanten Verečenskas zum Aus­steigen gezwungen. Die Durchfahrt nach Rudamina wurde erst nach der Beendigung des Gottesdienstes in der Kirche wieder freigegeben.