Am 2. Dezember vorigen Jahres gedachten wir des 101. Geburtstages eines Mannes, der zu den berühmtesten Männern der Litauischen Katholischen Kirche, der Wissenschaft und der Politik zählt, Pranas Dovidaitis. Die Gedenkfeier fand in der Karmeliterkirche zu Kaunas statt. Der Prediger durchleuchtete weit und ausführlich die vielverzweigte Tätigkeit von Pranas Dovydaitis, seine Verdienste für die Katholische Kirche und die Wissen­schaft Litauens. P. Dovydaitis, der seine gesellschaftliche und wissenschaft­liche Tätigkeit auf die Wahrheiten des Evangeliums Christi gebaut hatte, ist uns, den Litauern, ein Beispiel, ein leuchtender Stern auf allen Gebieten des Lebens geblieben. Seine Anweisungen, die er Lehrern und Schöpfern der Kultur Litauens gab, haben bis heute nichts an Aktualität verloren.

Am 27. Januar 1988 wurde während des Abendgottesdienstes in der Kirche von Pilviškiai des Professors Antanas Maceina gedacht. Diese Gedenkfeier­lichkeiten werden langsam zur Tradition. Es ist aber schade, daß der ein­fache Hörer oder Leser in Litauen nicht ausreichend Möglichkeit hat, ausführlich und allseitig das literarische und philosophische Erbe von A. Maceina zu durchschauen. Das ist ein sehr großer Verlust für alle, besonders aber für die junge Generation. Ähnliche Gedenkfeiern ermög­lichen uns, einem der berühmtesten Schöpfer der christlichen Philosophie nicht nur Litauens, sondern auch des westlichen Europa näher zu kommen und ihn kennenzulernen.

Zu einer ähnlichen Tradition werden auch die Gedenkfeiern des seligen Erzbischofs Jurgis Matulaitis nicht nur in Marijampolė, sondern auch in den anderen Kirchen Litauens. Am 30. und 31. Januar 1988 wurden solche Gedenkfeiern in der Karmeliterkirche zu Kaunas eindrucksvoll begangen. Es ist erfreulich, daß die Prediger immer wieder neue Eigenschaften des Charakters und der Tätigkeit des Seligen, besonders seiner Tätigkeit auf dem Gebiet der Seelsorge als eine Idee der Allgemeinheit, den Gläubigen vor Augen halten. Im gesellschaftlichen wie auch im politischen Leben ist das Wort „Stagnation" zu einem Modewort geworden. Paßt dieses Wort vielleicht auch für uns, die Katholiken? Solange wir auf die Seligsprechung des Erzbischofs J. Matulaitis gewartet haben, wurde sein Name beinahe während jeder hl. Messe genannt. Jetzt haben wir unser Ziel erreicht!... und danach kommt - nur eine Stille. Man sollte doch endlich begreifen, daß ein Mann aus dem litauischen Volke, unser Volksangehöriger (für manche sogar ein Zeitgenosse) und schließlich auch unser geistiger Führer Erzbischof Jurgis Matulaitis der Vertreter vor dem Thron Gottes in unseren Angelegenheiten sein kann. Leben und Tätigkeit des Erzbischofs J. Matu­laitis sind ein Beweis dafür, daß es auch in diesen Zeiten des Regierungs­atheismus möglich und notwendig ist, der Kirche Christi und dem von ihr verkündeten Evangelium treu zu bleiben. Wenn wir aufbauen und nicht zerstören wollen, dann müssen wir nach dem Beispiel des seligen Erz­bischofs J. Matulaitis wie eine Kerze auf dem Altar des Herrn verbrennen und dürfen nicht nur in weltlichen Sitzungssälen wie ein nicht ganz ver­branntes Holzscheit glimmen.

Am 5. Februar 1988 fand in der Kirche von Rudamina das Gedenken des zweiten Jahrestages des Todes des Priesters J. Zdebskis statt. Daran nah­men S. Exz. der Bischof Julijonas Steponavičius, nicht wenige Gesinnungs­genossen des verstorbenen Priesters J. Zdebskis, sowohl Priester wie auch Laien, und selbstverständlich, wie immer bei so einem Fall, auch eine Schar von Beobachtern seitens der Regierung teil. Bischof J. Steponavičius wie auch die Prediger erinnerten wieder an die vielen Probleme und Auf­gaben, die dem verstorbenen Priester J. Zdebskis die ganze Zeit am Herzen lagen: Er war besorgt darüber, wie man auch in diesen für den Gläubigen so ungünstigen Zeiten der von Christus gegründeten Kirche, dem von ihr verkündeten Evangelium durch Sittlichkeit des Volkes, durch heldenhafte Liebe zum Nächsten usw. vollkommen treu bleiben kann. Danach richtete Priester J. Zdebskis als Mensch und Priester seine Taten aus. Priester J. Zdebskis ist ein Vorbild, ein einmaliges Beispiel für die derzeitige katho­lische Aktion. Begeisternd wirkt seine alles durchdringende, umfassende aktive Nächstenliebe. „...Man muß sich überall bemühen", - wiederholte dieser Priester oft. „Unser Bemühen und unsere konkreten Taten der Liebe sind die Zeichen, an denen man die wahren Schüler Christi erkennen wird."

Nach der Einweihung des Grabsteins wurden die Lieder „Maria, Maria", „Lietuva brangi" („Teures Litauen"), „Lietuva, tėvyne mūsų" („Litauen, unser Vaterland") gesungen. Vor dem Grab des Priesters J. Zdebskis sprach Robertas Grigas im Namen der Jugend. Er forderte die Jugend auf, aktiv die Eucharistische Bewegung zu unterstützen und durch das eigene Bei­spiel aufopferungsvoller Liebe zu Christus und der Kirche zur schnelleren Auferstehung des Volkes beizutragen. Die von der Regierung geschickten Personen versuchten, die Harmonie der Gedenkfeier zu stören, doch war keiner unter ihnen, der hervortreten wollte. Es waren nur gegenseitige Vorwürfe im Hintergrund zu hören: „Warum hast du denn nichts gesagt?" und ähnl. Man begnügte sich nur mit dem gewohnten Fotografieren der Teilnehmer und dem Aufschreiben der Autonummern.

Das Gedenken des 50. Todestages des Prälaten Adomas Jakštas-Dambraus-kas wurde vor dem Hintergrund der Geschehnisse des 16. Februar begangen. Der Gottesdienst in der Kathedrale zu Kaunas fand am 21. Februar statt, als in der Stadt noch der, wenn auch nicht offiziell ausgerufene, Kriegs­zustand herrschte. Der Gottesdienst und die Teilnehmer wurden aufmerk­sam von den Mitarbeitern des Sicherheitsdienstes verfolgt. Während des Gottesdienstes wurden zwei Predigten gehalten, eine von Bischof Juozas Preikšas, die zweite vom Rektor des Priesterseminars, Viktoras Butkus. Bischof J. Preikšas analysierte sorgfältig und gründlich die Tätigkeit des Prälaten A. Jakštas-Dambrauskas, seinen großen Beitrag für die litauische Kultur, für das Gesellschaftsleben und zur Pflege des religiösen Bewußt­seins. Nach dem Gottesdienst beteten die versammelten Gläubigen ge­meinsam am Grabe, trugen Gedichte vor und sangen religiöse Lieder. Zum Abschluß wurde die Nationalhymne des unabhängigen Litauens „Lietuva, tėvyne mūšy" („Litauen, unser Vaterland") gesungen.

Das Jahr 1988 ist für unser Volk kein gewöhnliches Jahr. In Ausnutzung der Lage der Geschichte war Litauen fähig, sich am 16. Februar 1918 als souve­räner Staat auszurufen. Am 16. Februar waren 70 Jahre seit diesem für jeden Litauer unschätzbaren historischen Geschehen vergangen. Das Volk ist unterjocht, das Begehren nach Freiheit ist aber lebendig und zeigt sich am 16. Februar jeden Jahres, an den für das Volk kostbaren Gedenktagen, macht sich aber besonders in diesem Jubiläumsjahr bemerkbar. Die Regie­rungsgottlosen haben dieses Datum durch ihre propagandistische Tätigkeit so stark bekannt gemacht wie noch nie zuvor. In den Zeitschriften der Republik wie auch in den Regionalzeitschriften und Journalen erschienen reichlich früh vor dem Jubiläum Artikel, die durch Bosheit, nicht selten aber auch durch Verleumdungen miteinander wetteiferten. Auch das Fern­sehen und der Rundfunk schliefen nicht. Einige Male am Tage wurde hier über all jene geschimpft, die auf die eine oder andere Weise dazu aufgefor­dert hatten, dieses Jubiläum des 16. Februar zu begehen; besonders starke Beschimpfung erfuhren der Präsident der Vereinigten Staaten R. Reagan und die westlichen Rundfunkstationen. Die Werktätigen in den Fabriken und Ämtern wurden gezwungen, ein Schreiben zu unterschreiben, daß sie immer im Verband der UdSSR leben möchten. In den Städten und Städtchen wurden zwangsweise Versammlungen gegen das Gedenken des 16. Februar zusammengerufen (mancherorts wurden Prämien für die Teilnahme versprochen): Studenten und Schüler wurden gezwungen, den Präsidenten der Vereinigten Staaten R. Reagan zu verleumden, ihn der Ein­mischung in die inneren Angelegenheiten der Sowjetunion zu beschul­digen. Dabei wurde verlangt, emphatisch auszurufen: „Wir sind entsetzt darüber!" „Wer hat denn jene beauftragt, die das Gedenken des 16. Februar vorbereiten?" „Wir werden das Gedenken des 16. Februar nicht dulden!"

Die Regierungsbeamten und die Leiter der Fabriken und Behörden vergaßen total Perestroika und Glasnost, als ob diese überhaupt nicht existieren wür­den, und drohten allen Ungehorsamen mit den Repressalien der Stalinzeit: mit Degradierung im Amt, mit Entlassung aus der Arbeit (Etatskürzun­gen), mit Schlägen und Freiheitsentzug. Die aktiveren, nationalbewußten Litauer wurden in andere Republiken abkommandiert, viele wurden im Sicherheitsdienst, in den Milizabteilungen oder in den Ortsstaatsanwalt­schaften ermahnt. Blumen auf den Gräbern der Freiheitskämpfer nieder­zulegen, wurde als grausamer Exzeß gegen die sowjetische Regierung betrachtet. Den Menschen, die in der Sowjetunion leben, war das alles sehr gut bekannt, und nicht selten haben sie das auch am eigenen Leibe erfah­ren. Die Bischöfe Litauens wurden wegen des 16. Februar im Präsidium des Obersten Sowjets und die Priester und Kirchenkomitees in den Rayonexekutivkomitees ermahnt (fast alle Priester Litauens wurden per­sönlich von den Sicherheitsbeamten der Rayons, manche aber sogar von Beamten aus Vilnius besucht).

Etwa 10 Tage vor dem 16. Februar begann in Litauen jeden Abend ein Zustand, der einem Kriegszustand vergleichbar ist, der noch 10 Tage nach dem 16. Februar andauerte: Auf den Straßen, auf den Plätzen und sogar auf den Friedhöfen wachten Milizmänner, ihnen wurden Gefolgsmänner von den Behörden zu Hilfe geschickt und der Sicherheitsdienst wachte auf­merksam über alles. Aus Angst vor dem aufgewiegelten Volke haben die Regierungsgottlosen alle aktiven Teilnehmer der Demonstration vom 23. August und die Organisatoren isoliert, indem sie ihnen einen Hausarrest auferlegten. Nach den anderen aktiveren Gläubigen wurde am 16. Februar auf den Straßen gejagt, sie wurden mit der Begründung, daß ihre Perso­nalien geklärt werden müßten, in die Milizabteilungen gebracht.

Und trotzdem fanden die Gedenkfeierlichkeiten dieses Jubiläums statt. Dieses Jahr waren sie so eng mit der Kirche verbunden wie noch nie zuvor. Vom Sonntag, dem 14. Februar an, wurden in vielen Kirchen Litauens Gottesdienste für Litauen abgehalten, die aktiveren Priester haben extra auf dieses Jubiläum des Volkes bezogene Predigten gehalten. Unter der Leitung der Jugend wurden in den Kirchen nach dem Gottesdienst die Kreuzwegstationen begangen, und mit dem Gebet „Der Engel des Herrn" wurde derjenigen gedacht, die für die Unabhängigkeit Litauens ihr Leben hergeben mußten. In manchen Kirchen haben die Pfarrangehörigen den ganzen Tag Anbetungsstunden vor dem ausgesetzten Allerheiligsten Altar­sakrament organisiert, als Sühne für die Vergehen des Volkes und als Bitte um Seinen Segen. Wenn der Gottesdienst zu Ende war, wurde die Natio­nalhymne Litauens und das zum Nationallied gewordene „Lietuva brangi" („Teures Litauen") nach dem Text von Maironis und der Musik von Naujalis gesungen. Zum Gedenken an alle jene, die sich für die Freiheit aufgeopfert und für sie gearbeitet haben, wurde aus Anlaß des Jubiläums am 16. Februar auf die Gräber der Unterzeichner des Unabhängigkeitsaktes, auf die Gräber derer, die für ihre Freiheit gefallen sind, und vor den dem Volke teuren Denkmälern Blumen gelegt. (Leider wurden sie sofort von den wachenden Sicherheitsbeamten und Milizmännern entfernt). In den Großstädten Litauens waren Militäreinheiten zusammengezogen, an den Ecken der Straßen standen versteckt Autos zum Abtransport der Menschen bereit, eine ganze Schar von Sicherheitsbeamten und Milizmännern mußte wach­sam sein und hatte die Aufgabe, auch schon die geringste Demonstration im Keim zu ersticken.

Die Gläubigen haben es mit Schmerzen getragen, daß es Pfarrherren gab, die die Begeisterung der Volksangehörigen, dieses Jubiläum zu feiern, nicht nur nicht unterstützt haben, sondern es sogar verboten haben, in den Kirchen gemeinsam für Litauen zu beten, die Nationalhymne des unab­hängigen Litauens zu singen, und die Leute zum Gehen aufgefordert haben. So geschah es in der Vytautas-Kirche in Kaunas, in der St. Georg-Kirche in Šiauliai und in der Kirche von Alytus in der Diözese Vilkaviškis.

Jedes Gedenken unserer großen Männer ist wie ein Klang einer Glocke, der unserem religiösen und nationalen Geist nicht erlaubt einzuschlafen. Wie der Geist der ersten Christen eine zuverlässige Stütze in allen Verfolgungen ist, so müssen die Kinder Litauens ihre Stärke und Ausdauer aus dem hei­ligen und ehrenvollen Leben der Töchter und Söhne ihres Volkes schöpfen.