Kretinga. Bronius Poškus, wohnhaft in Kretinga, Žemaičių 8 - 58, wurde am 22. Januar 1988 zum Sicherheitsvorsteher des Rayons Kretinga, Pocevičius, vorgeladen.

Zu Beginn der Vernehmung erklärte Pocevičius, daß die Fragen dieser Ver­nehmung die Staatsanwaltschaft von Vilnius zugeschickt habe. Die Fragen betrafen die „Chronik d. L.K.K.", ob er diese Veröffentlichung gelesen habe, von wem er sie bekommen und an wen er sie weitergegeben habe, ob er die Erklärung an den Kongreß der Vereinigten Staaten und die an den Generalsekretär Gorbatschow wegen der Erlaubnis, den 16. Februar feiern zu dürfen, unterschrieben habe, wann und unter welchen Umstän­den er die genannten Erklärungen unterschrieben habe, ob er den Einwoh­ner der Stadt Vilnius Petras Cidzikas kenne ?

Nachdem er B. Poškus mit den Fragen der Vernehmung bekannt gemacht hatte, versuchte Pocevičus die Vernehmung als solche von Grund auf zu verharmlosen; nach seinen Worten sei das nicht eine Vernehmung oder ein Verhör, sondern eine einfache Klärung der von der Staatsanwaltschaft zugeschickten Fragen. „Wie soll man jetzt Ihre Sprache verstehen ?" wun­derte sich der Vorgeladene. „Ich bekam eine Aufforderung, eine spezielle Vorladung mit einem Stempel und einer Unterschrift eines Mitarbeiters des Sicherheitsdienstes, wo ganz klar in litauischer Sprache geschrieben steht, daß das Erscheinen unerläßlich ist, aus Ihren Worten könnte man aber entnehmen, daß ich freiwillig gekommen bin. Wenn es so steht, dann weigere ich mich irgendwas dazu freiwillig zu sagen", - sagte Poškus. Der Vorsteher Pocevičius verbesserte sich widerwillig, daß er ihn befragen müsse.

Auf die Frage, ob er die „Chronik d. L. K. K." gelesen habe, verweigerte R. Poškus eine direkte Antwort, denn das sei seine persönliche Angelegen­heit. Nach seiner festen Überzeugung schreibe die „Chronik" die Wahrheit, es sei nur schade darum, daß sie nicht alle von den Menschen erfahrene Leiden und Erlebnisse umfassen könne und vieles davon vollkommen unbekannt bleibe. Der Tschekist Pocevičius versuchte ihm zu erklären, daß den Gläubigen eine Möglichkeit gegeben worden sei, eine eigene Veröf­fentlichung herauszugeben, die Bischöfe hätten es aber ausgeschlagen. R. Poškus präzisierte, daß die Bischöfe durch dieses Ausschlagen nicht nur ihren eigenen Willen, sondern auch den Willen der Gläubigen zum Aus­druck gebracht haben: „Wir brauchen keine Veröffentlichung, die vom Staatssicherheitsdienst und von der Behörde des Bevollmächtigten des RfR kontrolliert wird, denn das wäre nur eine Propaganda für das Ausland. Lassen Sie doch die ,Chronik d. L. K. K.' ungehindert herauskommen", -forderte B. Poškus auf.

P. Poškus verneinte nicht, daß er die vorhin erwähnten Erklärungen unter­schrieben hatte. Auf die Frage, wer der Agitator gewesen sei, antwortete er, daß er kein Kind aus dem Kindergarten sei, und deswegen habe er auch keinen Agitator benötigt. Die Zeit, die Fakten, die Ereignisse hätten ihn herausgefordert zu unterschreiben, hauptsächlich aber die Abmachung zwischen Hitler und Stalin, die von Molotow und Ribbentrop am 23. Au­gust 1939 unterzeichnet worden sind.

Als der Untersuchungsbeamte herauszubekommen versuchte, wer die Unterschriften wann gesammelt hatte, legte R. Poškus ihm klar: „Ich unter­schreibe die Texte und verweigere meine Unterschrift nicht, aber wo, wann, und wer die Unterschriften gesammelt hat, bleibt bei mir". „Sagst du es mir nicht, dann wirst du es in der Staatsanwaltschaft in Vilnius sagen", -fuhr Pocevičius auf. Der Untersuchungsbeamte forderte B. Poškus auf, er solle zum Gedenken der 70 Jahre der Unabhängigkeit Litauens am 16. Februar nicht nach Vilnius fahren. B. Poškus erklärte darauf, er wäre nur in dem Falle einverstanden, nicht hinzufahren, wenn man erlauben würde, in Kretinga das Gedenken des 16. Februar öffentlich zu begehen. Der Vorsteher des Sicherheitsdienstes war mit diesem Vorschlag nicht ein­verstanden.

Pocevičius erkundigte sich bei dem Vernommenen, ob er sich wirklich nicht mehr politisch umorientieren könnte, und schlug ihm in diesem Falle vor, ins Ausland auszuwandern. Er erwähnte unter anderem, daß Nijolė Sadūnaitė und solche wie sie ebenfalls ungehindert ins Ausland auswan­dern dürfen. B. Poškus antwortete darauf, daß es nichts wird mit dem Sichumorientieren oder mit dem Sichumorientierenlassen; er könne die Freiheit nicht vergessen, obwohl er zu der Zeit erst 12 Jahre alt gewesen sei. Litauen aber, das ihm kostbarer als das eigene Leben sei, zu verlassen, beabsichtige er keinesfalls. Hier sei er geboren worden, hier groß gewor­den, hier wolle er auch sterben.

Während der Vernehmung ist man auch auf das Thema der Nachkriegszei­ten gekommen. Pocevičius versuchte ihn zu überzeugen, daß die Verban­nung der Bürger Litauens nach Sibirien nur eine Antwort auf den bewaff­neten Widerstand gewesen sei. „Ich erinnere mich noch sehr gut an die erste Besetzung. Damals hat es überhaupt keinen bewaffneten Widerstand gegeben, wieviele wurden aber nach Rußland verbannt, wieviele in Litauen ermordet?! Heute ist es kein Geheimnis mehr. Ich erinnere mich noch sehr genau an die Schmerzenstage. Jeder Litauer jener Zeiten weiß es noch, zu welch schmerzlichem Preis die Kolchosen gegründet wurden", -sagte B. Poškus und wies gleich auf eine ganze Reihe konkreter Fälle hin. Es ist schmerzlich und gleichzeitig auch grausam, daß man auch heute noch nicht die Wahrheit und die Gerechtigkeit vollkommen herstellen will.

B. Poškus erhob die Frage der Rechtlosigkeit der Gläubigen, sprach sich gegen die Verbannung des Bischofs Julijonas Steponavičius aus Vil­nius aus und verlangte, das dem Bischof und den Gläubigen zugefügte Unrecht wiedergutzumachen, wenn es auch kaum mehr möglich ist. Er erinnerte an die eingekerkerten Priester A. Svarinskas und S. Tamkevičius, die zu Unrecht in Lagern der Sowjetunion gefangengehalten werden; er verlangte, die entweihten, zu Lagern und Museen umfunktionierten Kir­chen zurückzugeben usw.

Die Vernehmung dauerte etwa zwei Stunden. Pocevičius forderte den Ver­nommenen B. Poškus auf, das Vernehmungsprotokoll durchzulesen und zu unterschreiben, widrigenfalls drohte er wieder mit der Staatsanwaltschaft von Vilnius. B. Poškus weigerte sich kategorisch, das Protokoll zu lesen und zu unterschreiben. Am Ende der Vernehmung fühlte sich B. Poškus nervlich stark erschüttert. Als er nach Hause kam, mußte er von einem hergerufenen Krankenwagen ins Krankenhaus nach Kretinga gebracht wer­den, wo er 12 Tage verbringen mußte.

Am 8. Februar wurde B. Poškus wiederholt beim Sicherheitsdienst vorge­laden. Er erschien nicht. Als er nicht erschien, suchten ihn die Beamten der Miliz sogar einige Male zu Hause. B. Poškus nahm die Vorladungen nicht an und unterschrieb sie auch nicht; er bat die Beamten nur, dem Vorsteher des Sicherheitsdienstes, Pocevičius, seine Worte zu übermitteln: „Freiwillig werde ich im Sicherheitsdienst nicht mehr erscheinen. Wenn ich benötigt werde, dann legen Sie mir die Handschellen an und bringen mich hin."

Kaunas. In der Fastenzeit 1988 (am Passionssonntag) wurden bei der Basilika zu Kaunas Unterschriften für die Freigabe der Kathedrale von Vil­nius gesammelt. Ein russischer Sicherheitsbeamter nahm Frau Kazimiera Tūbinė, die ebenfalls Unterschriften sammelte, eine Erklärung mit etwa 300 Unterschriften ab und führte sie selber zur Vernehmung in den Sicher­heitsdienst. Die Frau bat, sie laufen zu lassen, der Tschekist rechtfertigte sich aber, er würde sie gerne laufen lassen, wenn er nicht von einem ande­ren Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes verfolgt würde.

Šiauliai. Der Bürger der Stadt Šiauliai, Vincas Danielius, wurde am 13. Mai 1988 zu einer gewöhnliche „Gehirnwäsche" zum Sicherheitsdienst der Stadt Šiauliai vorgeladen. Der Tschekist Benjaminas Slankauskas betrachtete V. Danielius als die Hauptperson bei der Unterschriftensamm­lung zur Befreiung von Petras Gražulis. V. Danielius verneinte dies. Der Sicherheitsbeamte traute sich sogar zu behaupten, daß P. Gražulis nach seinen Worten „des Geldes wegen ins Gefängnis gegangen ist". Als V. Danielius ihm klar machte, daß die Freiheit für kein Geld verkauft wer­den kann, begann der Tschekist B. Slankauskas daran zu zweifeln.

B. Slankauskas riet V. Danielius, sich Gedanken über die Zukunft zu machen, keine Beziehungen mit Leuten wie R. Teresiūtė, M. Jurevičius, Petkevičius und anderen zu unterhalten.

V. Danielius, wurde etwa eine Stunde im Sicherheitsdienst festgehalten.