Die Welle von Haussuchungen (Fortsetzung. Anfang in „Chronik d. LKK Nr. 8)

Am 19. November 1973 kehrte der Funktionär des Kaunaer Exekutiv­komitees, Vytautas Vaičiūnas, nachdem er auf Baustellen in der Stadt gewesen war, um 12 Uhr nach Hause zurück, um zu essen. Zu Hause (Hyppo-dromstr. 46) fand er seinen alten Bekannten, den ehemaligen Lehrer Povilas Petronis vor. Eine Viertelstunde später läutete ein Unbekannter. Kaum hatte der Hausherr die Tür geöffnet, stürzten sechs Männer über den Treppen­absatz ins Zimmer. Die Eindringlinge nannten nicht ihre Namen, wiesen keinerlei Beglaubigungen vor und nahmen Povilas Petronis mit sich. Es gingen aber nicht alle; drei blieben und warteten bis 18 Uhr, d. h. bis zum Beginn der Haussuchung. Die Haussuchung leitete der Mitarbeiter des Staats­sicherheitsdienstes, der Untersuchungsrichter in besonders wichtigen Ange­legenheiten, Major Limauskas. „Zeugen" waren Vladimir Gluševski und Vladimir Engelhard; gewöhnlich ziehen die Beauftragten vom Staatssicher­heitsdienst ihre eigenen Leute als Zeugen hinzu. Sie schafften es am 19. No­vember nicht, alles zu durchsuchen, deshalb entließ der Major Limauskas um 22 Uhr die Zeugen, fuhr selbst weg, beließ aber in der Wohnung des V. Vaičiūnas als Wache drei Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes. Einer von ihnen — Vilimas — verhörte später den Hausherrn. Am nächsten Morgen erschien der Major Limauskas mit anderen Mitarbeitern des Staatssicherheits­dienstes und anderen Zeugen. Die Durchsuchung wurde fortgesetzt. Nach einigen Stunden führten drei Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes die Frau des V. Vaičiūnas, Leonore, ins Gartenhäuschen und durchsuchten dieses. Nach der Durchsuchung brachten die Beamten die Ehefrau Vaičiūnas ins Kaunaer Staatssicherheitskomitee und unterwarfen sie dort einem Verhör, das etwa 9 Stunden dauerte. Tags darauf wurde sie nochmals sieben Stunden lang verhört.

Zu Beginn der Haussuchung verkündete der Major Limauskas einen Befehl vom 14. November zur Durchführung einer Haussuchung in der Woh­nung des V. Vaičiūnas und zur Beschlagnahme die Angelegenheit betreffen­der Gegenstände. Die Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes durchsuch­ten die ganze Wohnung, die Wirtschaftsnebenräume und den V. Vaičiūnas selbst. Die Haussuchung war um 16 Uhr beendet. Beschlagnahmt wurden:

1.       Mehrere Pakete mit religiösen und antialkoholischen Aufsätzen: „Grundlagen des katholischen Glaubens", „Daß die Flamme brenne!", „Wunder und Glaube", „Der Weg zum Glück", „Schnaps ist kein Honorar", „Der Pfad des Heils", „Das Beispiel der Väter", „Grund­lage des Glaubens", „Der Glaube schlief" usw., insgesamt etwa 70 Titel.

2.     Viele Bogen Papier mit allen möglichen Aufzeichnungen.

3.       Gebetbücher: „Hoch die Herzen" (3 Exemplare), „Jesus und ich" (4 Exempl.), „Am Altar" (4 Exempl.).

4.     Notizbücher mit unterschiedlichen Eintragungen.

5.     Zeitungsausschnitte.

6.     Viele Hefte mit religiösen und antialkoholischen Texten.

7.       Religiöse Zeitschriften aus der Vorkriegszeit: Draugija (1 Exempl.), Zaležečiu žinios (3 Exempl.), Žvaigždute(5 Exempl.).14

8.       Religiöse Bücher: Tikiu (Ich glaube), Raupsuotųjų Kunigas (Der Prie­ster der Aussätzigen), Teve mūsu (Vater unser), Auklėjimo menas (Die Kunst der Erziehung), Ka apie Dievą sako šinolaikiniai mokslinikai (Was heutige Gelehrte über Gott sagen), O vistik šv. rakstas teisusa (Und dennoch hat die Bibel recht) und andere, insgesamt etwa 60 Bücher.

9.     Naujasis Testamentos (Das Neue Testament) 2 Exempl.

10.   Viele Lichtbilder und Fotos religiöser Bilder.

11.           Ein Briefumschlag mit der Adresse „Dem sehr zu verehrenden Povilas Petronis".15

12.   Tonbänder (2 Stck.).

13.   Einige litauische Landkarten mit darauf angestrichenen Ortsnamen.

14.   Ein Gummistempel „Med. F. P. Petronis".18

V. Vaičiūnas erklärte den Beamten des Staatssicherheitsdienstes (KGB), daß die gefundenen Gegenstände dem P. Petronis gehörten. Die Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes fanden weiter Teile einer Papierschneidemaschine, Papierblätter mit unterschiedlichen Details von Chemata, die technische Beschreibung der Hochspannungsschaltung „Era-M-150" u. a. V. Vaičiūnas wurde vier Tage lang verhört. Die Verhöre dauerten 5 bis 11 Stunden.

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Am 19. November 1973 durchsuchten die Mitarbeiter des Staatssicher­heitsdienstes das Haus und die wirtschaftlichen Nebenräume des Kasimir Gudas, wohnhaft im Bezirk Kaunas, der Apylinke17 Samil, dem Dorf Šlenava. Während der Haussuchung wurden beschlagnahmt: 2500 unge­bundene Gebetbücher, ein in Heimarbeit hergestelltes, nicht in Betrieb befindliches Vervielfältigungsgerät für Druckerzeugnisse „Era" u. a. Wäh­rend der Untersuchung wurde mehrfach geschlagen.

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Am 20. November hielten zwei Kraftwagen des Staatssicherheitsdienstes am Hof des Einwohners Parturbavičius im Flecken Ežerėlis. Ein Teil der Beamten begab sich zu seinem Nachbarn Zaveckasis, bei dem ebenfalls eine


14        Draugija (Kameradschaft); Žaležečin žinios (Salesianernachrichten); Zwaigždute (Sternchen).

15        Übliche Höflichkeitsformel.

l6 Offenbar: Medizinischer Feldscher oder Medfeldscher.

17 Eine in Sowjetlitauen angenommene territorialadministrative Einheit.

 

Haussuchung erfolgte. Die Beamten durchwühlten sogar einen auf dem Hof aufgeschütteten Kieshaufen.

Bei Parturbavicius fand man eine Schreibmaschine und einen elektrogra-fischen Kopierapparat „Eva". Nach den Behauptungen der Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes wurde hier die „Chronik der Litauischen Katholischen Kirche" vervielfältigt. Im Fortfahren mit ihrer Beute verhafteten die Beam­ten den Hausherrn. Die Familienangehörigen wurden verhört.

 

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Am 19. November 1973 erfolgte eine Haussuchung bei Janina Lumbiene, wohnhaft in Kaunas, Marxstraße 13, Wohnung 4. Während der Haus­suchung wurden beschlagnahmt: eine Schreibmaschine, Gedichte über R. Kalanta und eine Kopie der 17 000 Unterschriften unter einem Memo­randum für den Generalsekretär der UNO. Während der Durchsuchung wurde die Lumbiene ohnmächtig. Man rief den ärztlichen Notdienst. Nach der Haussuchung begannen die Vernehmungen.

 

Am Abend des 19. November 1973 durchsuchten Mitarbeiter der Staats­sicherheitsorgane (KGB) die Wohnung des N. mit Wohnsitz in Kaunas, Barsauskas-Straße 9. Bei der Haussuchung fand man 280 kg Druckschriften zur Vorbereitung des Buches „Die Weltanschauung der Jugend" und für das Gebetbuch „Höher die Herzen!", zwei Koffer mit Literatur, eine kleine automatische Druckpresse, das Feldscherdiplom des P. Petronis und seine Mopedfahrerlaubnis. Die Beamten befahlen dem Hausherrn zu drucken und fotografierten diesen Vorgang. Nach der Durchsuchung begann das Verhör.

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Am 20. November 1973 wurde durch den Staatssicherheitsbeamten Major Eismuntas eine Haussuchung bei Juosas Turauskas durchgeführt (siehe „Chronik der Litauischen Katholischen Kirche", Nr. 8. S. 8; da bringen wir genauere Angaben — Anmerk. d. Redaktion), wohnhaft in Kaunas, 50-Jahre-UdSSR-Straße 12, Wohnung 28. Durchsucht wurde die Wohnung, der Abstellraum und der Arbeitsplatz in der Fabrik Ragutis. Bei der Haus­suchung wurden beschlagnahmt: die religiösen Bücher Liturgika (Liturgie), Jaunuolio kovos (Kampf der Jugend),Jaunos sielos religinis auklejima (Die religiöse Erziehung der jungen Seele), Gedichte, ein Notizbuch, ein Blatt

Papier mit einer Farbkomposition in Gelb, Grün und Rot,18 mehrere Gebet­bücher „Jesus und ich" u. a. m.

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Am 20. November erfolgte eine Haussuchung bei N., wohnhaft in Kaunas, Biliuno-Allee 67, Wohnung 8. Bei der Haussuchung wurden beschlagnahmt: 1000 noch ungebundene Gebetbücher Augstyn sirdis (Höher die Herzen), zwei Rollen Kunstleder und Gerät zum Papierschneiden. Den Wohnungs-inhaber verhörte am 20. und am 21. November der Major Glusov. Im Dezember wurde er ins Wilnaer Komitee für Staatssicherheit zum Unter­suchungsrichter Markiavičius bestellt.

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Am 21. November 1973 führten die Mitarbeiter des Staatssicherheitsdien­stes eine Durchsuchung bei Marije Vilkutė durch, wohnhaft in Kaunas, Straße XIV Krantas19 Nr. 23. Zeugen waren P. Vilkas und Grajauskas. Beschlagnahmt wurde ein Koffer mit Büchern und verschiedenen Papieren.

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Am frühen Morgen des 20. November 1973 begannen die Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes eine Haussuchung in der Wohnung des Jonas Gudelis (Kaunas, Vyšnios-Straße 5). Fünf Stunden lang durchsuchten die Beamten die Wohnung, den Dachboden, Abstellkammern. Sie suchten „Waf­fen"! Beschlagnahmt wurde religiöse Literatur, „Die Chronik der Litaui­schen Katholischen Kirche". Nach der Haussuchung wurde Gudelis in den Staatssicherheitskomitees in Kaunas und Vilnius verhört.

 

Verhöre

Am 18. Januar 1974 wurde der Geistliche Virgilijus Jaugelis ins Wilnaer Staatssicherheitskomitee bestellt. Der Untersuchungsrichter Lazarevičius wollte erfahren, von wem Virgilijus einen Korb mit Rotationskopierpapier erhalten habe. V. Jaugelis erklärte, daß nach seiner Meinung die erfolgte Haussuchung ein Delikt gewesen sei, da die Freiheit der Presse von der Verfassung garantiert werde und die Personen, die die Haussuchung durch­geführt hätten, Verbrecher seien. Einer der Untersuchenden äußerte die


18 Die Farben der Nationalflagge des unabhängigen Litauen.

19 Krantas (Ufer).

Meinung, daß man V. Jaugelis in eine psychiatrische Klinik einweisen und dort seine Gesundheit überprüfen lassen müsse.

Am nächsten Tage wurde V. Jaugelis erneut verhört. Man ermittelte, ob er Petronis, Pliuira, den Geistlichen Zdebskis und andere Personen kenne. Man nahm von ihm Fingerabdrücke und Handschriftproben.

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Am 25. Februar wurde der Geistliche J. Buliauskas ins Wilnaer Staatssicher­heitskomitee bestellt; er weigerte sich aber, auf die Fragen der Ermittler zu antworten und begründete seine Weigerung damit, daß man nicht das Recht habe, ihn über religiöse Angelegenheiten zu befragen.

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Im Januar 1974 wurde Arimantas Raškinis, ein Kandidat der technischen Wissenschaften, ins Wilnaer Staatssicherheitskomitee zum Verhör bestellt. Seine Frau, Kandidatin der physik.-mathemat. Wissenschaften, arbeitet an der Staatsuniversität von Wilna (benannt nach V. Kasukas) als „ältere" Dozentin und in der Abendabteilung der Phys.-math.-Fakultät in Kaunas. Man drohte ihm, daß sie beide wegen ihrer religiösen Uberzeugung ihren Arbeitsplatz verlieren könnten.

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Am Aschermittwoch, dem Mittwoch in der ersten Woche der Großen Fasten, wurde der Geistliche J. Zdebskis zum Verhör von KGB bestellt. Nach Ansicht der Beamten des Staatssicherheitsdienstes ist er ein „General", steht also an der Spitze der antisowjetischen Bewegung. Das Verhör dauerte bis zum späten Abend des nächsten Tages.

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Verhören im Wilnaer Staatssicherheitskomitee wurden noch viele weitere Personen unterworfen, so K. Tarutis, A. Pliuriene, N. Stašaitile u. a. Das Hauptinteresse der Staatssicherheitsleute richtet sich auf die Bekanntschaft mit Eingeschlossenen und anderen Personen. Über die Untersuchungen gegen die Inhaftierten P. Pliuira, P. Petronis, J. Stašaitis gibt es keine An­gaben. Einer der Sicherheitsbeamten äußerte, daß die Untersuchung sich wohl über ein Jahr hinziehen würde, wie das „jetzt so Mode ist". Ein Ein­geschlossener aber sagte über die jetzigen Untersuchungsverfahren: „Wenn man die Untersuchungen von 1958 mit den jetzigen vergleicht, so unter­scheiden sie sich wie der Himmel von der Hölle." Die Gläubigen Litauens, die die physischen Leiden der Verhafteten zu hindern nicht in der Lage sind, gedenken ihrer täglich in ihren Gebeten. Viele sprechen davon, daß man bemüht sei, während der Untersuchung einige Personen als Agenten des KGB anzuwerben.