An den Generalsekretär des ZK der KPdSU,

den Ministerpräsidenten der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken Durchschrift an:

1.   Den Ministerrat der Litauischen SSR

2.   Den Beauftragten des Rates für religiöse Angelegenheiten der Litauischen SSR

3.   Die Leiter der Bistümer Litauens

Das Strafgesetzbuch (Strafkodex) der Litauischen SSR enthält Bestimmun­gen über Ausweisungen (Art. 27), Verbannung (Art. 28) und Entzug des Rechtes auf Ausübung gewisser Tätigkeit (Art. 30). In bezug auf Ausweisung heißt es dort:

„Das Strafmaß als Grund- und Zusatzstrafe wird auf zwei bis fünf Jahre festgesetzt." Bei Verbannung beträgt das Strafmaß von einem bis zu fünf Jahren, bei Entzug des Rechtes zur Ausübung einer Tätigkeit ebenfalls von einem bis zu fünf Jahren. Außerdem heißt es in der Strafprozeßordnung (Strafprozeßkodex) der Litauischen SSR: „Die Rechtsprechung in Strafpro­zessen obliegt ausschließlich den Gerichten" (Art. 11).

Wie steht es eigentlich um diese Rechtsnormen, wenn man bedenkt, daß der Ordinarius des Erzbistums Vilnius, Bischof J. Steponavičius, bereits im 16. Jahre aus unbekannten Gründen, ohne Gerichtsurteil, amtsenthoben ist und weit außerhalb der Grenzen seines Bistums in Žagarė leben muß? Im Jahre 1970 richteten wir Priester der Erzdiözese Vilnius eine Petition an den Ministerrat der UdSSR mit der Bitte, den Bischof wieder in sein Amt als Ordinarius des Erzbistums Vilnius zurückkehren zu lassen. Die Petition war von 61 Priestern unterzeichnet. Im Jahre 1975 versandten wir eine von 66 Priestern unterzeichnete Erklärung an den Ministerrat der Litauischen SSR.

Als der Beauftragte für religiöse Angelegenheiten, K. Tumėnas, einigen der Unterzeichner eine negative Antwort wegen der Eingabe an den Minister­rat der Litauischen SSR erteilte, fragten ihn die Priester: „Worin besteht die Schuld des Bischofs J. Steponavičius?" Die Antwort des Beauftragten: „Ich weiß es nicht." Der Bischof ist demnach anscheinend schuldlos „schuldig". Niemand weiß von einem Vergehen — weder die Gläubigen noch die Priester, noch der Bischof selbst. Selbst der Beauftragte gibt vor, nichts zu wissen. Wo bleibt da die Logik? Wenn der Bischof keines Vergehens schuldig ist, warum befindet er sich dann in Zagare, warum darf er sein Amt nicht ausüben; ist er aber schuldig, warum wird seine Schuld sogar vor ihm selbst geheimgehalten?

Die Bischof Steponavičius gegenüber eingenommene Haltung der Sowjet­macht ist wahrlich erstaunlich. Seine Weihe war mit zivilen Organen der zivilen Obrigkeit abgestimmt, d. h. die Sowjetmacht war mit seiner Amts­führung einverstanden. Warum darf er seit nunmehr 16 Jahren rechtswidrig — ohne Gerichtsbeschluß oder Schuldbeweise amtsenthoben — seinen päpst­lichen Auftrag nicht erfüllen? Warum eigentlich zwingt ihn die zivile Obrig­keit dazu, nicht nach den Normen des kanonischen Rechts und seines Gewis­sens zu wirken, sondern dem Diktat der atheistischen Obrigkeit zu will­fahren?

Wir unterzeichneten Geistlichen ersuchen im Namen der Signatare der Ein­gabe an den Ministerrat der Litauischen SSR und im Namen aller Recht und Gerechtigkeit liebenden Menschen um Wiedereinsetzung des Bischofs J. Ste­ponavičius in sein früher wahrgenommenes Amt als Ordinarius der Erzdiö­zese Vilnius.

Litauen, 15. Februar 1976

gezeichnet von den Priestern

B. Laurinavičius

A. Petronis

K. Garuckas

S. Valiukėnas

A. Simonaitis