Šlavantai

An den Staatsanwalt der Litauischen SSR Kopie an S. Exz., den Bischof L. Povilonis

Erklärung

von Priester J. Zdebskis

Anfang Dezember 1976 suchten mein Haus vier nicht weiter zu charakteri­sierende Bürger auf, darunter einer in Milizuniform. Ich war gerade ab­wesend, sie trafen nur meine Mutter und einige Gäste an. Ohne sich vorzustellen, durchstreiften sie sämtliche Zimmer meiner Wohnung, wobei sie einige bedrohliche und meine Gäste beleidigende Ausdrücke fallen ließen. Bei ihrem Fortgang hinterließen sie weder eine Order zur Legitimation dieser Haussuchung noch eine Haussuchungsakte.

 

Eine ähnliche Operation wurde vor wenigen Tagen wiederholt, jedoch in anderer Besetzung. Unter den Durchsuchungsbeamten befand sich diesmal auch der Direktor der Mittelschule von Šlavantai, J. Petrauskas. Ich bitte den Staatsanwalt, dieses Vorkommnis aufzuklären und besagten Personen die sowjetischen Gesetze ins Gedächtnis zu rufen.

Šlavantai, 20. Dezember 1976        J. Zdebskis

Pfarrer von Šlavantai

Stulgiai

Offener  Brief

Sehr geehrter Redakteur der Keimer Zeitung Komunistinis žodis (das Kommunistische Wort), M. Pikturna!

In Ihrem in der Komunistinis žodis veröffentlichten Artikel „Schau nicht, was ich mache, sondern mach, was ich dir sage" vom 29. Mai dieses Jahres schreiben Sie: „.. . Vor einiger Zeit hat der Pfarrer von Stulgiai, J. Pučins­kas, die im langjährigen Dienst der Kirche ergraute Žaludaitė aus der Arbeit davongejagt..."

In Ihrem Artikel werden indessen die Gründe verschwiegen, weshalb sie nicht mehr bei mir wohnt. So erwähnen Sie z. B. nicht, daß Žaludaitė in das Stulgiai-Dorf nicht als Bedienstete der Kirche gekommen war, sondern als ein obdachloser, zum eigenständigen Leben unfähiger Mensch dorthin gelangte. Daß sie zur Kirche in keinem Arbeitsverhältnis stand, sondern ihr nur ein Obdach gewährt wurde, kann die damals in Stulgiai wohnende Frau Mikutienė, die jetzt in dem Bezirk Kražiai wohnt, bezeugen. Weshalb verschweigen Sie in Ihrem Artikel, daß diese selbe Žaludaitė vor ungefähr 12 Jahren, zusammen mit dem damaligen Pfarrer A. Žukas, aus dem zur Kirche gehörenden Hause herausgeworfen wurde, und daß sie deswegen damals nicht mehr ein noch aus wußte. Wenn Sie richtig recher­chiert hätten, dann wäre Ihnen auch aufgefallen, daß ich Žaludaitė nach einer schweren Operation gar nicht mehr bei mir beschäftigen durfte, und zwar dies auf dringendes Anraten der Leiterin der Sanitätsstelle, Drazdo-vienė. Weshalb ignorieren Sie in Ihrem Artikel, daß ich es war, der Žaludaitė ein Haus einrichten ließ? Bestätigen können das die Männer, die mir bei dem Ausbau des Hauses geholfen haben: Vladas Garalevičius, wohnhaft im Dorf Stulgiai, Antanas Rudys, wohnhaft im Dorf Dvarvy-čiai, Antanas Kvietkus, wohnhaft im Dorf Vaidatoniai, Edmundas Bra­zauskas, wohnhaft im Dorf Stulgiai, und noch andere Männer aus der Umgebung. Allerdings, man hatte auch bei dem Kolchosvorsitzenden A. Navickas um Hilfe nachgefragt, er hatte jedoch eine solche abgelehnt. Daraufhin wandte ich mich an den Bezirksvorsitzenden S. Ačas, mit der Bitte, vier Eternitplatten für das Dach dieses Hauses zu spenden, und erhielt zur Antwort, daß er nicht wüßte, wie er die Abschreibung dieser Platten begründen solle. Sie hätten in Ihrem Artikel durchaus auch erwäh­nen können, daß ich der Žaludaitė das Bett samt Bettzeug gespendet habe. Darüber hätten Ihnen bereitwilligst die damals in Stulgiai wohnende Bronė Milašienė und andere Frauen aus der Nachbarschaft Auskunft geben können.

Sie schreiben: „ ... er jagte sie fort, ohne zu fragen, womit sie fortan ihren Unterhalt verdienen solle."

Weshalb verschweigen Sie, daß ich es war, der Žaludaitė zu einer Invali­denrente verholfen hat? Dies könnten Ihnen die Ärztinnen Kopkaitė aus Telšiai, Tamulionienė aus Kaunas und die Leiterin der Kaunaer Psychiatrischen Fürsorgestelle, Aganauskienė, bestätigen. Vorher hatte man sich etliche Male erfolglos an den Bezirkssowjet gewandt und dabei stets die Antwort erhalten: „Dazu fehlen uns die Mittel." Somit verdankt Žaludaitė ihre Rente meinem Einsatz.

Verehrter V. Pikturna! Man erzählt sich, in den Arbeitslagern gelte der ethische Grundsatz, daß ein am Boden liegender Gefesselter nicht mehr geschlagen werden dürfe. Wer sich an diesen Grundsatz nicht halte, der würde von den Mitgefangenen mit dem Tode bestraft. Sie haben ein leichtes Spiel, mich und damit auch andere Priester, in Ihrem Artikel zu verleum­den, da wir nicht in der Lage sind, der üblen Nachrede in Presse, Rundfunk und Fernsehen entgegenzutreten. Wenn ich nun meinerseits Ihnen gegen­über mir auch nur die kleinste Unwahrheit zuschulden kommen ließe, dann würden Sie mich sicherlich zur Verantwortung ziehen. Wenn Sie je­doch Falsches über mich in der Presse in Umlauf bringen, dann habe ich praktisch nicht die Möglichkeit, mich vermittels der gleichen Presse meiner Haut zu wehren, obwohl doch das Gesetz keine Ausnahmen für Geistliche und Gläubige vorsieht. Halten Sie es mit Ihrem atheistischen Gewissen für vereinbar, diesen Sachverhalt zu mißbrauchen? Sollte das Ehrgefühl eines Redakteurs nicht höher stehen als das der Strafgefangenen in den Arbeits­lagern?

Innerhalb der Zeit, seit ich in Stulgiai ansässig bin, wurden eine ganze Anzahl von Leuten aus ihrer Arbeit entlassen: Pranas Varanavičius aus seinem Amte als Brigadier, Vytautas Zubrickas aus der Viehfarm, die Lehrerinnen Zieringienė, Grigaitienė und Terapienė aus der Achtklassen-Schule von Stulgiai. Haben Sie über diese Entlassungen auch in Ihrer Zei­tung berichtet und dabei die Frage aufgeworfen, womit die Entlassenen nun ihren Unterhalt verdienen werden? Und an mich richten Sie eine solche Frage nur deshalb, weil ich Priester bin und Sie deshalb über mich sagen und schreiben können, was Ihnen einfällt, selbst wenn dies den einfachsten menschlichen Wahrheiten zuwiderspricht.

Des weiteren schreiben Sie in Ihrem Artikel: „ ... Zu Beginn dieses Jahres starb die hochbetagte Pranciška Butkutė einsam im Krankenhaus..." Sämtliche Einwohner des Stulgiai-Dorfes wissen, daß P. Butkutė im Pastulgis-Dorfe bei Sofija Kazdailavičienė eines plötzlichen Todes verstor­ben ist. Man fand sie eines Morgens tot auf. In das Krankenhaus von Keime geriet ihr Leichnam lediglich zur Feststellung der Todesursache. Es würde mich interessieren zu erfahren, weshalb die Tatsache mit Still­schweigen übergangen wird, daß in einer unter den Gläubigen veranstal­teten Spendensammlung zu ihrem Begräbnis 65 Rubel zusammenkamen. Das können bezeugen: Ona Jakutienė und Aleksas Volfas, beide wohnhaft in Stulgiai, Bronius Jakštas, wohnhaft in Dvarvyčiai, Povilas Kontrimas, wohnhaft in Žirnainiai u. a. an der Spende Beteiligten. Es wurde auch für den Sarg gesammelt. Die Gläubigen haben sich auch darum gekümmert. Wenn der Bezirkssowjet und die Kolchosverwaltung, wie Sie schreiben, Sarg und Zubehör gekauft haben, erhebt sich die Frage, wo der von den Gläubigen gesammelte Geldbetrag geblieben ist? Wofür könnte er wohl verwendet worden sein? Unwillkürlich drängt sich der Gedanke auf, der die Worte von Antanas Skinderis glaubhaft erscheinen läßt, daß nach dem Begräbnis von Pranciška Butkutė der Vorsitzende des Bezirkssowjets, S. Ačas, drei Tage lang getrunken hätte.

Und weshalb ist der Bitte der Gläubigen nicht nachgekommen worden, die Verstorbene kirchlich zu bestatten? An dem Begräbnis nahmen doch, mit Ausnahme von S. Ačas und dem Parteisekretär A. Šniolis, nur Gläubige teil. Können die Aussagen von zwei Personen die von zwanzig anderen aufwiegen? Geschah das etwa nur deshalb, weil man auf die Gläubigen keine Rücksicht zu nehmen braucht?

Sie schreiben: „ . .. Da gab es Teilnehmer, die, während man den Sarg trug, das Friedhofsgatter zubanden ..."

 

Unter den Teilnehmern an dem Trauerzug hat niemand ein angeblich verschlossenes Friedhofstor bemerkt. Die Männer, welche den Sarg trugen, kamen ohne Behinderung in den Friedhof. Von einem zugebundenen Fried­hofsgatter sahen weder die Friedhofswächterin Ona Jakutienė, noch die Frauen: Sofija Druktenytė, Ona Sungailienė, Stasė Vitkienė u. a. etwas. Als Viktoras Garalevičius auf einem Abschiedsabend zu Ehren seiner in den Ruhestand tretenden Frau den Bezirksvorsitzenden A. Ačas fragte, warum er sich denn diese Geschichte ausgeheckt hätte, erwiderte dieser: „Ich habe gelogen, weil ich was anderes nicht sagen durfte." Verehrter Redakteur V. Pikturna, ich erlaube mir, Sie zu fragen, worauf Sie Ihre Aussage stützen, wenn Sie behaupten, daß ich in meiner Predigt gesagt hätte, man müsse Kränze flechten und die begrabene Butkutė noch einmal bestatten?

Von den 150 bis 200 Kirchgängern, die an Sonntagen an dem Gottesdienst teilnehmen, hat kein einziger eine solche Aufforderung von mir gehört, weil sie gar nicht hören konnten, was ich nicht gesagt habe. Als ich am 5. März dieses Jahres in den Bezirkssowjet zu dem stellvertretenden Vor­sitzenden Pažarauskas gerufen wurde, habe ich ihm gegenüber das Bestehen einer solchen Tatsache strikt verneint. Was wäre einfacher gewesen, als sich bei dem oder jenem Gläubigen zu erkundigen, ob das auch stimmt, was man mir vorwirft. Sie haben doch alle Möglichkeiten hierzu. Niemand in Stulgiai hat an dem Tage, als die Totenmesse für Butkutė gehalten wurde, etwas von einer Prozession gesehen: weder Kreuz und Kirchenfahnen wurden getragen, noch folgte ein Priester mit den kirch­lichen Attributen. Ich habe das Grab geweiht und gebetet, und was ist denn dabei? Das ist doch am Grabe eines gläubigen Menschen geschehen und nicht am Grabe eines Atheisten. Die Verstorbene war ihr ganzes Leben lang gläubig und hat auch vor ihrem Tode niemanden anvertraut, es nun nicht mehr zu sein. Wo ist das Gesetz, welches verbietet, Blumen und Krän­ze auf ein Grab zu legen? Vielleicht ist das nur deshalb so anstößig, weil die Gläubigen dies im Beisein eines Priesters taten?

Auf dem Wege von der Schule nach Stulgiai steht eine Tafel mit dem Aufruf: „Zur guten Erholung gehört ein gepflegtes Anwesen". Heutzutage wird in Presse und Fernsehen immer öfter dazu aufgerufen, in den Siedlun­gen nicht nur Wohnhäuser, sondern wieder Anwesen (Wohnhäuser mit Wirtschaftsgebäuden) entstehen zu lassen.

Mir ist unverständlich, was Sie damit ausdrücken wollen, wenn Sie schreiben, daß ich in einem gepflegten Anwesen wohne, auf dem eine Garage stehe und in ihr ein vor Lack glänzender Pkw „Ziguli".

Tatsächlich steht auf dem Hofe ein Gebäude, es ist zwar keine Garage, son­dern ein Wirtschaftsgebäude, gebaut nach dem Typenmuster 408. Die An­bauten und das Wirtschaftsgebäude sind nach vorheriger Absprache mit dem Rayon-Architekten und mit Einwilligung und Genehmigung des Exekutiv­komitees errichtet worden. Uber Herkunft und Beschaffensweise des „Ži­guli" kann die Autoinspektion Auskunft geben.

Sehr geehrter Redakteur V. Pikturna, ich weiß nicht, was Sie zur Ab­fassung dieses Lügen verbreitenden Artikels und zur Irreführung der Leser verleitet hat? Wahrscheinlich wollen Sie auf diese Weise der Athe­ismuspropaganda in Ihrem Rayon einen Dienst erweisen. Doch auch den Atheisten sind allgemeine Normen der Ethik gesteckt.

Sie haben so offensichtliche Lügenmärchen unter die Leute, die sehr wohl über die wahren Sachverhalte Bescheid wissen, gebracht, daß man daraus den Schluß ziehen könnte, Ihre gesamte Atheismusarbeit ist auf Lügen gebaut. Erniedrigen Sie nicht mit solchen Schreiberzeugnissen den ehren­haften Namen eines Redakteurs? Ich bin mir nicht sicher, ob Sie, der Sie die Dreistigkeit besaßen, schlichte Lügen aufzutischen, nun soviel Willens­stärke aufbringen werden, diese zu widerrufen. Nur ein charaktervoller Mensch ist fähig, einen von ihm begangenen Fehler offen einzugestehen. Wir leben im 20. Jahrhundert, unter den Aufrufen zur Gleichheit und Brüderlichkeit. Ist es da nicht an der Zeit, endlich damit aufzuhören, uns Priester mit einer atheistischen Lügenpropaganda verunglimpfen zu wollen. Es wäre zu begrüßen, wenn Sie genügend Mut und Ehrgefühl aufbringen würden, um die gegen mich gerichteten und den Einwohnern in der Umgebung von Stulgiai sowieso bekannten Verleumdungen zu berichtigen oder wenn Sie wenigstens dafür sorgen würden, daß das „Kommunistische Wort" meinen offenen Brief im vollen Wortlaut abdruckte.

Ich sende Abschriften dieses offenen Briefes:

1.      Seiner Exzellenz, dem Diözese-Verwalter von Telšiai, A. Vaitys

2.      an den Beauftragten des Rates für Religionsangelegenheiten

3.      an die Redaktion der Rayonzeitung von Kelmė Kommunistinis žodis

Stulgiai, den 8. Juni 1976

Priester J. Bučinskas Pfarrer von Stulgiai

Telšiai

An das Bildungsministerium der Litauischen SSR Eingabe

der Bürgerin Aldona Šeduikienė, Tochter des Feliksas, wohnhaft in Telšiai, Pionierių 51—1

Im August 1976 hatte ich mich an den Direktor der Kinder-Musikschule in Telšiai, A. Šulcas, mit der Bitte gewandt, mich in der von ihm geleiteten Institution einzustellen. Dem schriftlichen Gesuch war das Abschlußdiplom 2371 des Staatlichen Konservatoriums der Litauischen SSR, Ausstellungs­datum — 2. Juli 1972, beigefügt, aus dem hervorgeht, daß ich das Spezial­fach einer Chordirigentin erworben habe. Der Direktor sagte mir, daß die Schule keinen Bedarf an Chordirigenten habe, es sei jedoch der Posten eines Akkompagnators frei. Der Direktor behielt mein Gesuch und die Urkunde zurück und bat mich wegen der endgültigen Antwort nach der in einigen Tagen stattfindenden Sitzung des Pädagogengremiums nochmal vorzu­sprechen. Als ich zu dem vereinbarten Termin wiederkam, erkundigte sich der Direktor zu allererst nach der Arbeitsstelle meines Mannes, als er hörte, daß mein Mann Organist an der Kathedrale von Telšiai sei, erhielt ich den Bescheid, daß er nicht das Recht hätte, mich einzustellen und daß der Zweite Sekretär der KP des Rayons Telšiai zu einem Gespräch mit mir bereit wäre, wenn mir noch etwas unklar sei. Sollte dort diese Angelegenheit geregelt werden, sagte mir der Direktor und gab mir meine Unterlagen zurück, dann sollte ich mich direkt an das Bildungsamt wenden. Die Vizedirektorin der Kinder-Musikschule begleitete mich zu dem Zweiten Parteisekretär des Rayons, V. Duoba, und blieb während des anschließen­den Gesprächs zugegen. Der Zweite Parteisekretär erkundigte sich nach meinen Uberzeugungen und denen meines Mannes, und als er erfuhr, daß wir beide religiös seien, lehnte er es ab, mir die Genehmigung zur Arbeit an der Musikschule zu erteilen.

Nach einiger Zeit, Anfang September, ging ich in das Amt für Volks­bildung der Stadt Telšiai, zu dessen Leiter V. Motūza, und bat ihn, mir zu erklären, auf Grund welcher Argumente mir die Arbeit an der Kinder-Musikschule verwehrt würde. Der Leiter antwortete darauf, daß dies auf Grund des Dekretes der Sowjetregierung geschehe, laut dem die Kirche vom Staate und die Schule von der Kirche getrennt seien. Deshalb müßten religiös eingestellte Lehrer, sobald dies in Erfahrung gebracht würde, aus dem Bildungssystem entfernt werden.

In dem Wissen, daß die sowjetische Verfassung allen Bürgern der UdSSR die Gewissensfreiheit garantiert und daß die Verweigerung, Bürger wegen ihres Glaubensbekenntnisses mit Arbeit zu versorgen, gegen das Gesetz von der Trennung der Kirche von Staat und Schule verstößt und deshalb laut Artikel 145 des Strafgesetzbuches der Litauischen SSR geahndet wer­den muß, halte ich es für meine Pflicht, mich mit dieser Eingabe an Sie zu wenden.

Bitte erklären Sie mir, weshalb von der Abteilung für Volksbildung der Stadt Telšiai die sowjetischen Gesetze übertreten worden sind und wann dieser Tatbestand wieder rückgängig gemacht wird? Ich bitte nicht um einen Sonderstatus, sondern fordere das mir zustehende Recht, im Bil­dungsbereich, nicht nur als Akkompagnatorin, sondern in den Musik­disziplinen als Lehrerin meines Faches arbeiten zu dürfen.

Telšiai, den 14. Januar 1977        A. Šeduikienė

VERTRÄGE DER RELIGIONSGEMEINSCHAFTEN

Im Jahre 1948 wurde von der Regierung angeordnet, an allen Kirchen ein „Zwanzigergremium" der Gläubigen zu bilden, denen nach einem von der Regierung aufgestellten „Vertrag" erlaubt wurde, die von der Regierung enteigneten Kirchen zu mieten. Bei Weigerung seitens dieses Zwanzigergremiums den Vertrag zu unterzeichnen, wurde mit der Schlie­ßung der Kirche gedroht. Niemand zweifelte daran, daß Stalin seine Drohung auch wahrmachen werde. Das Land stand unter Terror — die Leute wurden nach Sibirien deportiert, Gefängnisse und Kellerverließe waren vollgepfropft mit unschuldigen Menschen, auf den Plätzen der Städte wurden die geschändeten Leichen der Freischärler ausgestellt, ein Drittel der Priester beschritt den Weg der „Gulag". Der einzige in Litauen verbliebene Bischof, Kazimieras Paltarokas, hat, um Priester und Gläubige zu schützen, niemals ernsthaften Widerstand gegen die Unterzeichnung die­ser aufgezwungenen „Verträge" geleistet.

 

Nachfolgend der Wortlaut dieses den Gläubigen Litauens aufgezwungenen „Vertrages":

„1. Wir, die Unterzeichner, verpflichten uns, das uns übergebene Gebethaus samt dem zu ihm gehörenden Besitz pfleglich zu verwalten und ohne Ausnahme lediglich zweckentsprechend zu nutzen. Wir übernehmen die Verantwortung für die Erhaltung und den Schutz des uns anvertrauten Gutes und für die Einhaltung sämtlicher durch den Vertrag entstandener Verpflichtungen.

2. Wir verpflichten uns, das Gebäude lediglich zu religiösen Kultzwecken zu nutzen, indem wir dieses Recht auch allen anderen Personen dieses Glaubensbekenntnisses zugestehen, und nicht zulassen, daß die religiösen Zeremonien von nicht in dem Rat für Religiöse Kultangelegenheiten bei dem Beauftragten des Ministerrates der UdSSR für die Litauische Sowjet­republik gemeldeten Kultdienern vorgenommen werden.

3.      Wir verpflichten uns, alles zu tun, damit der uns übergebene Besitz niemals zu anderen als zu den in Punkt 1 und 2 des Vertrages vorgesehenen Zwecken genutzt wird.

4.      Wir verpflichten uns, mit eigenen Mitteln sämtliche Ausgaben zur In­standhaltung der Gebethäuser zu bestreiten, desgleichen sämtliche Aus­gaben zur Renovierung der Gebäude, ihrer Beheizung, Versicherung, Be­wachung, Entrichtung der örtlichen Steuerabgaben und dergleichen.

5.      Wir verpflichten uns, ein Verzeichnis des Kultinventares zu führen, in dem sämtliche durch Spenden oder auf andere Weise neuangeschafften Kulturgegenstände, soweit sie nicht persönliches Eigentum darstellen, ein­zutragen sind.

6.      Wir verpflichten uns, den vom Stadt-Exekutivkomitee beauftragten Personen und dem Beauftragten des Rates für Religiöse Kultangelegen­heiten die Möglichkeit zu bieten, den verwalteten Besitz außerhalb der für den Kultdienst vorgesehenen Zeit zu überprüfen und zu besichtigen.

7.      Für das Abhandenkommen und die Beschädigung des uns übergebenen Besitzes haften wir gemeinsam in Höhe des verursachten Schadenwertes.

8.      Der Besitz muß im Falle seiner Rückgabe sich in dem gleichen Zustand befinden, in dem er zur Nutzung und Bewahrung übergeben worden ist.

9.      Für das Nichteinhalten der in dem Vertrage aufgestellten Regelung tragen wir vor dem Gesetz die volle Verantwortung und außerdem hat das Stadt-Exekutivkomitee das Recht, die Gültigkeit des Vertrages aufzu­heben.

10.        Sollte der Fall eintreten, daß wir es für nötig halten, den Vertrag zu kündigen, so muß das Stadt-Exekutivkomitee davon schriftlich in Kenntnis gesetzt werden. Außerdem erlischt unsere im Vertrage vorgesehene Verantwortung für das Vermögen erst nach Ablauf einer Woche nach Einreichung der Erklärung, und während dieser Zeit haften wir voll für die Einhaltung des Vertrages.

Wir verpflichten uns gleichfalls, innerhalb dieser Zeit den Besitz in ordent­lichem Zustand abzuliefern.

11.        Ein jeder von uns, die wir diesen Vertrag unterzeichnet haben, kann sich aus dem Gremium zurückziehen, indem er dies schriftlich dem KreisExekutivkomitee kundtut. Dies entbindet jedoch den Zurücktretenden nicht von seiner Verantwortung für die dem Gebethaus sowie dem anderen übernommenen Besitz zugefügten Schäden während der Zeit, in der der Austretende dem Vermögensverwaltungsgremium angehört hat.

12. Keines der Gremiumsmitglieder im einzelnen sowie das Gremium als solches darf einem dem gleichen Glaubensbekenntnisse angehörenden Bürger verweigern, diesen Vertrag noch zu einem späteren Zeitpunkt zu unter­zeichnen und zusammen mit den anderen Vertragsunterzeichnern das Vermögen uneingeschränkt zu verwalten, solange ihm dieses Recht nicht gerichtlich aberkannt worden ist."

Die sowjetische Propaganda verurteilt fortwährend die sich unrechtmäßig an fremdem Gut bereichernden Kapitalisten. Wo in der Welt gibt es noch einen Kapitalisten, der einem Menschen alles fortnimmt und dann die fortgenommenen Sachen an ihn zurückvermietet, indem er ihm für die Benutzung Steuern abverlangt, und der das von dem Mieter neuerworbene oder ihm geschenkte Gut mit Beschlag belegt? Dieser Mieter ist so rechtlos, daß er stets bereit sein muß, dem Kapitalisten seine sämtliche Habe zu überlassen. Der Mieter darf in seinen Bereich keine dem Kapitalisten nicht genehme Person einlassen, dem Kapitalisten selber muß er dagegen stets Einlaß gewähren, damit dieser seinen Raub überprüfen kann. Solche Aus­beuter und Ausgebeuteten findet man nirgends in der Welt, außer in der Sowjetunion.

 

Die gottlose Regierung rühmt sich dessen, daß sie den Gläubigen die Kirchen kostenlos überließe. Das ist eine Lüge! Der 4. Art. des Vertrages verpflichtet die Gläubigen zur Zahlung der Versicherungsgebühren sowie der Ortssteuer und einer sechsmal höheren Stromrechnung — 25 Kop. pro kWh — als üblicherweise verlangt wird. Die Steuerabgaben bringen der Regierung Riesenbeträge ein.

 

In diesem Vertrag wird einzig und allein der Mieter verpflichtet, der „Eigner" — die Sowjetregierung —verpflichtet sich zu keiner Gegenleistung. Ein solch einseitiger „Vertrag" demütigt und beraubt die Gläubigen. Die Gläubigen wären gerne zu einem menschlicheren beidseitig verpflichtenden Vertrag bereit, ein solcher ist jedoch undenkbar. In letzter Zeit strebt die Regierung ein noch strengeres Vertragsregime an. So versucht sie, bereits seit fünf Jahren, den Pfarreiausschüssen die Unterzeichnung eines neuen Vertrages aufzuzwingen. Der neue Vertragstext wurde weder mit der Kirchenobrigkeit, noch mit den Gläubigen ausgehandelt. Es ist bedauerlich, daß die Kirchenobrigkeit sich nicht viel deutlicher gegen einen solchen unge­rechten und menschenunwürdigen Vertrag zur Wehr gesetzt hat. Da die Regierung sich ihres Unredites bewußt war und eine heftige Reaktion befürchtete, wurde die Unterzeichnung der neuen Verträge mehrere Jahre hinausgezögert. Die Regierung versucht, bildhaft gesprochen, die Pfarrei­ausschüsse einzeln an die ausgeworfenen Angelhaken zu bekommen: die einen durch Drohung mit einer Kirchenschließung, die anderen durch Uber-listung, die dritten durch Mithilfe willfähriger Pfarrer, die Unterzeichnung des Vertrages in die Wege zu leiten.

worin unterscneiaet sicn nun aer neue Vertrag von dem der Stalinzeit?

Wir, die dieses Schriftstück unterzeichnenden Personen, wohnhaft in        , zugehörig zu der        Religionsgemeinschaft, die ordnungsmäßig am        19 ... registriert wurde, im nachfolgenden als „PERSONEN" bezeichnet, und das Rayon/Stadt-Exekutivkomitee des Sowjets der Werktätigendeputierten von        , vertreten durch den Bevollmächtigten , im nachfolgenden als „EXEKUTIVKOMITEE" bezeichnet, haben nachstehenden Vertrag abgeschlossen:

1.        Das „Exekutivkomitee" überläßt und die „Personen" übernehmen zur
unentgeltlichen Nutzung folgenden Besitz:

a)        ein Kultgebäude, aus Stein, aus Holz (Zutreffendes unterstreichen), befindlich in         (Adresse), umgeben von einer Mauer, Holzzaun (Zutreffendes unterstreichen);

b.      Kultgegenstände nach beifolgendem Inventarverzeichnis        ;

c.      Wohnhäuser, befindlich in        (genaue Adresse), mit einer Nutz­fläche von        qm, sowie andere Baulichkeiten (aufzählen)        ;

d.      anderen Besitz (aufzählen)        ;

2.        Die den Vertrag unterzeichnenden „Personen" verpflichten sich:

a.      das der Religionsgemeinschaft übergebene Kultgebäude und anderen Besitz pfleglich zu behandeln und zu bewahren;

b.      das Kultgebäude instandzusetzen, ebenfalls aus eigenen Mitteln die entsprechenden Gebühren — Heizkosten, Versicherungs-, Schutz- und andere Gebühren — zu entrichten, die mit der Nutzung und Wartung des Besitzes verbunden sind;

c.      die dem Staate entstehenden Verluste bei Beschädigung und Abhanden­kommen dieser Vermögenswerte zu ersetzen;

d.      das Kultgebäude und die anderen Gegenstände lediglich zu Kult-zwecken zu nutzen;

e.      ein Verzeichnis (Buch) des übergebenen Besitzes anzulegen, in dem sämtliche neuerworbenen Kultgegenstände (durch Kauf, Spenden, Übergabe aus anderen Gebethäusern u. ä.) einzutragen sind, mit Ausnahme per­sönlichen Eigentums.

3.        Die „Personen" verpflichten sich, den Vertretern des Rayon-(Stadt-) Exekutivkomitees periodisch zu beliebigen Tageszeiten, außer denen des Gottesdienstes, Einsicht in den Vermögensstand zu gewähren, damit festgestellt werden kann, ob die Religionsgemeinschaft das ihr übergebene Gut richtig verwaltet und um Angaben zu erhalten, die zur Besteuerung der Kultdiener und anderer Personen nötig sind.

4.        Der Vertrag kann autgehoben werden:

a.      falls die Gläubigen die Nutzung des Kultgebäudes von sich aus kündigen;

b.      falls die Religionsgemeinschaft sich nicht an die Vertragsbedingungen hält,

c.      falls nach bestehender Ordnung beschlossen wird, das Gebethaus (Kult­gebäude), dessen Nutzung durch den Vertrag erlaubt wurde, zu schließen.

5.        Der Vertrag liegt in dreifacher Ausfertigung von: 1 Expl. in den        

Akten des        Exekutivkomitees des Sowjets der Werktätigendeputier-

ten, das 2. Expl. in den Akten der        Religionsgemeinschaft, das

3. Expl. in den Akten des Rates für Religiöse Angelegenheiten bei dem Beauftragten des Ministerrates der UdSSR für die Litauische SSR.

Der bevollmächtigte Vertreter des „Exekutivkomitees" des Sowjets der Werktätigendeputierten (Unterschrift) die „Personen" (Name, Vorname, Vatername, Adresse, Unterschrift)

Das Recht zur Unterzeichnung dieses Vertrages über die Nutzung des Kultgebäudes und des anderen Besitzes haben sämtliche Gläubigen der entsprechenden Religionszugehörigkeit auch zu einem späteren Zeitpunkt, wenn die zum Kult benötigten Immobilien und Gegenstände bereits ausge­liefert sind, die späteren Vertragsunterzeichner sind gleichberechtigte Nutz­nießer und ebenso an der Verwaltung beteiligt wie auch diejenigen Perso­nen, welche den Vertrag schon früher unterzeichnet haben. Jeder der Vertragsunterzeichner hat das Recht, seine Unterschrift zurück­zuziehen, indem er eine entsprechende Eingabe bei dem Rayon-(Stadt-) Exekutivkomitee des Sowjets der Werktätigendeputierten einreicht. Dies entbindet ihn jedoch nicht von seiner Verantwortung für die Pflege und Sicherheit der Vermögenswerte bis zu dem Termin der Einreichung seiner Eingabe.

den        19 ....

In dem neuen Vertrag ist der Ausschuß der Religionsgemeinschaft ver­pflichtet, den Finanzbehörden mitzuteilen, wieviel der Priester für seine religiösen Dienstleistungen an Spenden einnimmt. Kein Zweifel, die Regie­rung möchte die gleiche Ordnung auch in Litauen einführen, die bereits in Rußland besteht. Die Eltern, z. B., die ein Kind taufen lassen wollen, wenden sich dort nicht an den Geistlichen, sondern an die Kassierer der Religionsgemeinschaft. Die Eltern machen eine schriftliche Eingabe, in der sie den Willen zur Taufe ihres Kindes bekunden, zeigen ihre Pässe vor, es wird eine Taufurkunde ausgestellt und die Zahlung der Taufgebühren quittiert. Mit dieser Quittung gehen sie dann zum Geistlichen, der die Taufe vornimmt. Die Regierung ist nicht nur daran interessiert, die Ein­künfte der Priester in Erfahrung zu bringen, sondern auch, wer die religiösen Dienstleistungen in Anspruch nimmt. Wie können die Gewissens­angelegenheiten der Leute geheim bleiben, wenn sie vor allerlei Kassierern und Vorsitzenden vorgetragen werden müssen, in deren Ämter die Regie­rung gerne ihr wohlgesinnte Personen einschleust. Nach Verordnung der Sitzung des Obersten Sowjets, Artikel 14, vom 28. Juli 1976 wird den Exekutivkomitees die Befugnis zugestanden, aus dem Gremium der Reli­gionsgemeinschaft jede der Regierung nicht genehme Person zu entfernen. Durch den Zwang zur Unterzeichnung dieses neuen Vertrages werden die Gläubigen von der Regierung verpflichtet, anzuerkennen, daß „nach beste­hender Ordnung" die Kirche auch geschlossen werden kann. Dieses „nach bestehender Ordnung" sind unbekannte und sogar erst in Zukunft fest­zulegende, von der Sowjetregierung diktierte Bedingungen. Wer kann schon sagen, ob die Regierung nicht auch uns dazu zwingt, wie es bereits in Weißrußland geschieht, vor die Kirchenportale Vertreter der Religionsge­meinschaften zu stellen, die dafür zu sorgen haben, daß die Kirche nicht von Schülern und Jugendlichen bis zu 18 Jahren betreten wird, anderenfalls die Kirche „nach bestehender Ordnung" geschlossen werde. Der Zwang zur Unterzeichnung eines solchen Vertrages kommt dem Zwange, sich selber die Schlinge um den Hals zu ziehen, gleich. Nach dem neuen Vertrag sowie der neuen Verordnung des Obersten Sowjets, müssen die Gläubigen im Falle der Schließung einer Kirche alles an die Regierung abliefern, sogar die heiligen liturgischen Gefäße, die dann als Anschauungsobjekt in atheistischen Museen oder zu sonstigen profanen Zwecken dienen. Kann man denn die Gläubigen noch tiefer demütigen und kränken? Als die Regierung in vergangenen Jahren die Bauern zum Eintritt in den Kolchosen zwang und nach Sibirien zwangsverschickte, wurde dies auch als freiwilliger Zusammenschluß der Kolchosbauern und als Übersiedlung in die Region Krasnojarsk auf eigenen Wunsch deklariert. Ebenso „freiwillig" geschieht nun die Unterzeichnung durch das Zwanzigergremium. Die Be­schlüsse von Helsinki sind in der Sowjetregierung nur papierene Heuche­leien.