Aus Rom erreichte uns die Nachricht, daß Bischof Dr. Matulaitis-Labukas die Römische Kurie um eine Einladung zur Regelung litauischer kirchlicher Angelegenheiten gebeten habe. Es ist anzunehmen, daß es sich hierbei um die Neuernennung von Bischöfen handelt. In der Tat, die kirchlichen Ange­legenheiten in Litauen sind alles weniger als normal. So wird z. Z. kein einziges litauisches Bistum von einem eigenen bischöflichen Ordinarius ver­waltet. Der Mehrzahl der Diözesen stehen nicht Bischöfe, sondern Bistums­verwalter vor, und zwei der Bischöfe — J. Steponavičius und V. Sladkevi­čius — sind bereits seit über 15 Jahren ohne Gerichtsverfahren aus ihren Diözesen verbannt. Kann man es denn noch als normal bezeichnen, daß die Katholiken in Litauen weder mit Gebetbüchern noch Katechismen versorgt sind, daß den Jugendlichen der Atheismus aufgezwungen wird? Als unhaltbarer Zustand kann gelten, daß Dr. V. Butkus, dessen schlechter Ruf weit über die Grenzen unseres Vaterlandes reicht, die Führung des Priesterseminares übertragen wurde.

Die „Chronik der LKK" fühlt sich als einziges freies Organ der Gläubigen und der Geistlichkeit zu der Äußerung berechtigt, daß Litauen keine neuen Bischöfe, sondern neue Priester braucht. Bischöfe nehmen in dem sowjeti­schen System keine stärkere Position zur Wahrnehmung der kirchlichen

Angelegenheiten ein als gewöhnliche Priester — Bistumsverwalter. Bereits litauische Kinder wissen, daß die Priester nicht von den Bischöfen oder Bistumsverwaltern, sondern von dem Atheisten K. Tumėnas, einem getreuen Werkzeug des Staatssicherheitsdienstes, in die Pfarreien eingewiesen wer­den. Die Behauptung ist nicht übertrieben, daß zur Weihung der wenigen Kleriker und des Weihöles in Litauen ausreichend Bischöfe zur Verfügung stehen. Die Zukunft der Kirche Litauens hängt nicht von der Anzahl ihrer Bischöfe oder Bistumsverwalter ab, sondern von der seelsorgerischen Tätig­keit einfacher Priester, die sich dieser Aufgabe voll und ganz widmen. Mit dem Bischofs-Violett versucht die gottlose Regierung zur Zeit nur die Tragödie der katholischen Kirche Litauens vor der Weltöffentlichkeit zu verschleiern. So wie die Lage zum jetzigen Zeitpunkt aussieht, wird Moskau sogar schon bei mittelmäßigen, ganz zu schweigen von guten Kandidaten, von seinem Vetorecht für das Amt eines Bischofes Gebrauch machen. Die Neuernennung von Bischöfen ist demnach für die Kirche vollkommen belanglos.

Die „Chronik der LKK" wendet sich um Beistand an alle diejenigen, denen die Verfolgung der Kirche zu Herzen geht: warnt den Apostolischen Stuhl vor den Machenschaften der Atheisten. Das ist eine für die katho­lische Kirche Litauens lebenswichtige Angelegenheit.

Das Augenmerk vieler Menschen guten Willens ist mit wachsendem Unmut auf das Priesterseminar in Kaunas gerichtet: zu deutlich wird sein Nieder­gang durch die Atheisten unter der Regie Moskaus. Die durch das Ableben von Priestern entstehenden Freiplätze können nicht mehr besetzt werden. Im Jahre 1966 starben 25 Priester und lediglich 9 neue Priester beendeten das Seminar. Seit acht Jahren beschwert man sich in der Weltöffentlichkeit über die Atheisten, die junge Männer an dem Eintritt ins Seminar durch Begrenzung der Studienplätze hindern und dergleichen mehr. Nennen wir doch die Atheisten mit ihrem richtigen Namen: ZK der KPdSU und das KGB —Partei und die Sicherheitsbehörde. Um einen Teil der aufkommen­den Gewitterwolken abzuwenden, wurde von diesen „Schutzpatronen" die Zahl der Neueintritte in das Seminar von 5 auf 10, und etwas später von 10 auf 19 erhöht. Damit keine Zweifel an der Gutwilligkeit der Atheisten aufkommen, werden Gerüchte über eine in Zukunft noch größere Zahl von Studienplätzen am Seminar in Umlauf gebracht.

Die Manöver des Sicherheitsdienstes erfüllen denjenigen mit Sorge, der die Taktiken der KPdSU und der KGB-Organe durchschaut: sollte die Anzahl der Seminaristen erhöht werden, so wird eben auf andere Weise der Untergang des Priesterseminares eingeleitet. Es ist doch wohl nicht ganz zufällig, daß die im Sommer 1976 in das Priesterseminar Eingetretenen so eifrig zu Spitzeldiensten — demnach zu Hilfeleistungen für die Feinde der Kirche — geworben wurden. Manche der Kandidaten wurden von den Sicherheitsorganen sogar bis zu sechs Mal zu „Gesprächen" vorgeladen.

Die Anwerbung der Kleriker als Agenten der „Tscheka" illustriert ein­drucksvoll, wie das Gesetz der Trennung von Kirche und Staat in der Praxis der Sowjetunion funktioniert. Man darf hier Priester, sogar Bischof sein, wenn man gleichzeitig auch ein Mann des Sicherheitsdienstes ist; die Sowjet­macht verschafft einem die beste Pfarrstelle, wenn man bereit ist, dafür die Jugend vom Kirchgang fernzuhalten; nach Amerika zu einer Besuchsreise bekommt man die Erlaubnis, wenn man als Gegenleistung dort von der angeblich in der Sowjetunion herrschenden Glaubensfreiheit berichtet oder doch wenigstens den Mund hält; und wer mithilft, die sowjetischen Pläne zum Untergang der Kirche zu verwirklichen, dem sind auch nähere Bezie­hungen zum Hl. Stuhl nicht verwehrt.

Die Unterwanderung der Geistlichkeit durch den Staatssicherheitsdienst, um die Zerstörung der Kirche von innen her zu betreiben, sollte als grobes Vergehen gegen die KSZE-Beschlüsse von Helsinki auf der in Belgrad stattfindenden Folgekonferenz angeprangert werden.

Eine nicht minder verabscheuungswürdige gegen das Priesterseminar gerich­tete Tat des KGB ist die ständige negative Auslese der Seminaranwärter. Den Plänen des KGB zufolge sollten nur solche Kleriker in dem Seminar Aufnahme finden, die entweder sich dem KGB als Agenten zur Verfügung gestellt haben oder körperlich und geistig unvermögend sind sowie zweifel­hafte moralische Grundsätze vertreten. So soll sich ein aus Vilnius stammen­der, im Sommer 1976 in das Seminar eingetretener Kleriker geäußert haben: „Oh, wenn ich erst mal Priester bin, dann werde ich mich so richtig betrinken!" (Die „Chronik der LKK" möchte vorerst seinen Namen nicht nennen, in der Erwartung, daß er von sich aus bald das Priesterseminar verlassen wird.) Manchmal schlüpft auch ein Kandidat mit guten Eigen­schaften durch den engen Maschendraht des KGB, was so viel heißen soll, wie— seht doch, der Sicherheitsdienst mischt sich ja gar nicht in die Ange­legenheiten der Seminaristenauswahl ein!

Man müßte doch meinen, die Sicherheitsdienstbeamten könnten sich mit dem Erreichten zufriedengeben: die Seminaristen sind eingeschüchtert, sie trauen einander nicht und sie bewältigen nur mühsam das Studium der Philosophie und Theologie und auch das nur unter ständiger Einnahme von Medikamenten und Einlage längerer Ruhepausen. Aber nein, der Appetit der Sicherheitsleute ist damit noch immer nicht gestillt. Vincas Kudirka dichtete vor hundert Jahren:

„Eigener Druck und eigene Schrift sind uns untersagt, Litauen soll ersticken in Unwissenheit und Nacht."

Durchtränkt von dem gleichen zaristischen Geiste sorgen die Funktionäre des KGB dafür, daß die Seminaristen ihre ganze Aufmerksamkeit dem Sport, Trinkgelagen, Verstößen gegen die Seminardisziplin sowie einer übertriebenen Fürsorge gegenüber dem eigenen Wohlbefinden schenken.

Damit die Seminarzöglinge nicht durch Mitgefühl mit den Sorgen der Kirche und des Vaterlandes von ihren leiblichen Interessen abgelenkt würden, war dem Sicherheitsdienst daran gelegen, sogar die Anhörung von Sendungen des Vatikans im Priesterseminar zu verbieten. Den Seminaristen ist der Besitz von Transistorradios und die Lektüre der „Chronik der LKK" sowie von Neuerscheinungen religiösen Inhaltes, die durch Eigeninitative verlegt und verbreitet werden, untersagt. Selbst das Anstecken eines Kreuz­chens an den Jackenrevers wurde den Klerikern in diesem Lehrjahr verbo­ten, es könnte doch ein Ärgernis für einen zufällig vorbeikommenden Vertreter der sowjetischen Jugend sein!

Jetzt endlich müßte doch der Tatendrang der Funktionäre des KGB gestillt sein? Mitnichten! Es genügt ihnen nicht, daß die geistige Nahrung der Seminaristen mit der kommunistschen Zetung „Tiesa" (die Wahrheit) und „Sportas" bestritten wird, andere Druckerzeugnisse sind in dem Semi­nar nicht anzutreffen. Die Sicherheitsleute plagt der Zweifel, ob es nicht doch vielleicht unter den Klerikern „Zurückgebliebene" gibt, die den kom­munistischen „Wahrheiten" nicht die gebührende Aufmerksamkeit schenken. Deshalb wurden 1976 im Priesterseminar Politinformations-Vorträge ein­geführt, wie sie auch beim Militär oder in den Lagern gehalten werden. Am 4. Dezember 1976 — dem Tag der Verfassung — fand im Seminar eine Gedächtnisfeier statt, in welcher der Seminarrektor Dr. V. Butkus in seiner Ansprache die großen Verdienste der UdSSR in allen Lebensbereichen hervorhob und die sowjetische Konstitution als die allerdemokratischste der Welt bezeichnete. Anschließend wurde den Klerikern ein Lektor des Vereins zur Popularisierung von Politik und WissenschaftŽinija. (Das Wissen) vorgestellt: er würde „nun öfters in unserem Kreise erscheinen und einen ganzen Zyklus von politischen Vorträgen halten". Der Vortrag, den der Lektor von Žinija dann am 16. Dezember auch tatsächlich vorlas, hieß „Die internationale Lage der UdSSR, ihre Beziehungen zu anderen Ländern und über die wachsende Bedeutung des sozialistischen Blockes". Hierbei ließ es sich der Lektor nicht nehmen, Akademiemitglied Sacharow zu diffamie­ren, der, obzwar ein großer Mensch, so doch in ideologischer Hinsicht ein wenig gefestigter Wirrkopf sei.