1948 hat die Sowjetregierung die Pfarrgemeinden gezwungen, „Zwanziger­räte", Exekutivorgane zu wählen und mit den Exekutivkomitees der Gemeinden und Städte einseitige Verträge abzuschließen.

1975 wurde eine Aktion zur Erneuerung der Verträge gestartet, die bis heute andauert. Im vergangenen Jahr wurden wiederum die Verträge erneuert, sogar solche, die erst 1975 abgeschlossen waren.

Wir zitieren die Verfügung des Bevollmächtigten des Rates der Litauischen SSR, T. Tumėnas, an den Stellvertretenden Vorsitzenden des Exekutivkomitees des Rayon Vilkaviškis, Urbonas:

,,Da die Verträge der in Ihrem Rayon befindlichen Religionsgemeinschaften mit dem Exekutivkomitee des Deputiertenrates der Werktätigen veraltet sind, bitten wir, dieselben neu abzuschließen. Wir erinnern daran, daß der Vertrag in drei Exemplaren ausgefertigt werden muß: ein Exemplar wird dem Amt des Bevollmächtigten des Rates zugeschickt, das zweite verbleibt bei der Religionsgemeinschaft, das dritte — im Exekutivkomitee des Rayons. Wir bitten die Verträge bis zum 15. Dezember 1977 neu zu schließen.

22. April 1977 Bevollmächtigter des Rates, K.Tumėnas"

Wie werden solche neue Verträge geschlossen? Nehmen wir als Beispiel den Rayon Vilkaviškis. Nachdem der Stellvertretende Vorsitzende Urbonas die Verfügung des Bevollmächtigten K. Tumėnas erhalten hatte, nahm er die alten Vertragsformulare, strich die Worte: „...wenn nach der festgesetzten Ordnung die Schließung des Gebetshauses beschlossen wurde, dessen Nutzung durch diesen Vertrag erlaubt war", und schrieb, wie befohlen: „...wenn die Gemeinde nach der festgesetzten Ordnung abgemeldet ist". Einige Monate lagen diese Formulare in den Schubladen der Exekutivkomitees der Gemeinden und Städte, aber im Monat Oktober hat man mit der Durchführung der Verfügung begonnen. Die Durchführung war vom Abschluß der früheren Verträge wesentlich verschieden. Früher hat das Exekutivkomitee dem Pfarrer die Vertragsformulare gegeben, diesmal hat man aber darauf gesehen, daß die Pfarrer überhaupt nicht mehr hinzugezogen wurden.

Wir zitieren die Erklärung des Zwanzigerrates der Pfarrei Didvyžiai gegen­über dem Bevollmächtigten des Rates K.Tumėnas:

„Die Religionsgemeinschaft Didvyžiai hat den Vertrag mit dem Exekutiv­komitee der Gemeinde Augalai 1975 erneuert.

Ende Oktober 1977 hat der Vorsitzende des Exekutivkomitees der Gemeinde Klausučiai, Stasys Kundrotas, ein gewöhnliches Mitglied der Religions­gemeinschaft Didvyžiai, Albinas Radzevičius, beauftragt, einen neuen Vertrag abzuschließen. Weil die Mitglieder der Gemeinschaft von der benach­barten Pfarrei Alksnėnai gehört hatten, daß bei Nichtabschließen des Vertrages die Kirche geschlossen wird, haben sie den neuen Vertrag unterschrieben. „Nachdem wir alles in Ruhe überlegt haben, erklären wir, die Mitglieder der Religionsgemeinschaft Didvyžiai, daß wir uns von dem in diesem Jahr abgeschlossenen Vertrag lossagen..."

In den Pfarreien von Bartininkai, Gražišiai u.a. haben die Exekutivkomitees der Gemeinden die Unterschriften der Mitglieder der Gemeinschaft für die neuen Verträge eingesammelt, und zwar ohne Wissen der Ortspfarrer. In der Pfarrei Vištytis hat das Exekutivkomitee der Gemeinde selbst einen neuen Zwanzigerrat geschaffen. Dazu schreiben die rechtsmässigen Mitglieder des Zwanzigerrates folgendes:

„An den Bevollmächtigten des Rates für Religionsangelegenheiten, K. Tumėnas, Erklärung

des Komitees der Katholischen Pfarrei Vištytis

Wir, der Zwanzigerrat der Religionsgemeinschaft der Pfarreri Vištytis, sind sehr darüber erstaunt und empört, daß wir ohne jeden Grund von unseren Pflichten entbunden wurden, obwohl wir selbst das nicht gewünscht haben.

Als die Vertreter der Gemeinde Vištytis den Ukas aus dem Rayon erhielten, haben sie die Angestellten des Kontors des Sowchos und andere zu Hilfe gerufen, versammelten nach ihrem Gutdünken irgendwelche Personen, bildeten einen neuen Zwanzigerrat und erschlichen durch Lügen und Drohungen ihre Unterschriften für den neuen Vertrag.

Ein Teil dieser Personengruppe sind nichtpraktizierende Katholiken oder gar Menschen mit einem unrühmlichen Leben. Wir protestieren gegen diese grobe Einmischung der Ortsregierung in die inneren Angelegenheiten unserer Pfarrei. Wir bitten, diesen Vorfall aufzuklären und anzuordnen, daß die Regierungsbeamten in unserer Gemeinde nicht die Gesetze verletzen und daß wir unsere Pflichten erfüllen können.

Dezember 1977".

Nachdem diese Beschwerde an K. Tumėnas abgeschickt war, ließ der Stell­vertretende Vorsitzende des Exekutivkomitees des Rayons, J. Urbonas, die Personen, die die Beschwerde unterschrieben hatten, und auch andere, zu einer Versammlung laden. Er machte ihnen den Vorwurf, sie hätten unschuldige

Menschen verleumdet. Den durcheinandergebrachten und eingeschüchterten Leutchen ist es nicht eingefallen, dem Rayonbeamten zu sagen, daß die Gemeinde kein Recht hat, den Zwanzigerrat einer Pfarrei aufzustellen. Die Ereignisse in Vištytis erinnern alle Priester Litauens daran, aufzupassen, daß die Versuche der Regierung, Zwanzigerräte und Exekutivorgane der Pfarreien nach eigenem Gutdünken aufzustellen, nicht zur Tradition werden.

In der Pfarrei Pejevonys hat sich auch die sehr eifrige Gemeindevorsitzende übernommen, indem sie in das Gremium des Zwanzigerrates die von ihr selbst ausgesuchten Personen eingetragen hatte, die sie später gezwungen war zu streichen.

Die Mitglieder des Zwanzigerrates der Pfarrei Kybartai wurden ohne Wissen des Pfarrers zum Exekutivkomitee der Stadt vorgeladen, und als der Stell­vertretende Vorsitzende Urbonas eingetroffen war, befahl er, den neuen Vertrag zu unterschreiben. Als die Leute von Kybartai sich weigerten das zu tun, erklärte J. Urbonas den Vorsitzenden des Exekutivorgans der Pfarrei für amtsenthoben und verlangte von ihnen den Vertrag bis zum 1. November, zu unterschreiben, da sonst die Schließung der Kirche vorgenommen werde. Am 31. Oktober überbrachten einige Mitglieder des Zwanzigerrates der Pfarrei Kybartai folgende Erklärung nach Vilnius an K.Tumėnas. „Am 28. Oktober d.J. hat das Exekutivkomitee der Stadt Kybartai uns, die Mitglieder der Religionsgemeinschaft Kybartai, in die Amtsräume vorgeladen und der aus dem Rayon eingetroffene Stellvertretende Vorsitzende Urbonas zwang uns, einen Vertrag zu unterschreiben, der dem ähnlich war, den wir 1975 unterschrieben hatten. Der Unterschied ist dieser: in dem jetzigen Vertrag ist mit schwarzer Tinte der Satz durchgestrichen: „Dieser Vertrag kann aufgelöst werden, wenn die Schließung des Gebetshauses, dessen Nutzung durch diesen Vertrag erlaubt war, nach der festgesetzten Ordnung beschlossen wurde,"

Stattdessen wurde mit Schreibmaschinenschrift folgender Satz eingefügt: „Dieser Vertrag kann aufgelöst werden, wenn die Gemeinde nach der fest­gesetzten Ordnung abgemeldet ist.

Wir haben uns geweigert, einen solchen zusammengestrichenen Vertrag zu unterschreiben, denn in Litauen wird in keinem anderen Rayon außer im Rayon von Vilkaviškis, verlangt, einen solchen Vertrag zu unterschreiben. Wir als Katholiken werden niemals damit einverstanden sein, daß unsere Religionsgemeinschaft abgemeldet wird. Auch hatten wir gehört, daß Sie als Bevollmächtigter einen solchen Vertrag nicht verlangen. Als wir die Unterschrift des Vertrages abgelehnt hatten, erklärte uns der Stellvertreter Urbonas, daß er unseren Vorsitzenden, Vitas Paulauskas, von seinem Amt entfernt habe, weil er sich geweigert hatte, den neuen Vertrag abzuschließen. Urbonas hat uns vorgeschlagen, an Ort und Stelle einen neuen Vorsitzenden des Exekutivkomitees zu wählen, was wir selbst­verständlich nicht taten. Es wurde uns befohlen, bis zum 1. November einen neuen Vertrag abzuschließen, wenn nicht, dann verfahre man nach dem Gesetz, d.h. unsere Religionsgemeinschaft werde abgemeldet. Am 4. September 1977, nachdem der ehemalige Vorsitzende unserer Ge­meinschaft sein Amt niedergelegt hatte, haben wir an seiner Stelle V.Paulauskas gewählt und sofort das Exekutivkomitee des Rayons Vilkaviškis darüber informiert, das für ihn die Wahrnehmung der Pflichten bis zum 28. Oktober 1977 erlaubt hat. Die Amtsenthebung unseres Vorsitzenden halten wir für gesetzwidrig, denn er hat die sowjetischen Gesetze nicht übertreten. Wenn unser Vorsitzender entgegen unseren Willen verlangt hätte, den neuen Vertrag abzuschließen, wir hätten nicht unterschrieben. Solange das Exe­kutivkomitee des Rayons uns kein begründetes Schreiben wegen der Ent­lassung des Vorsitzenden zuschickt, solange werden wir keinen neuen wählen, denn wir haben gewählt.

Unsere Religionsgemeinschaft wurde 1948 registriert und hat die ganze Zeit ordnungsgemäß von den ihr anvertrauten Gütern Gebrauch gemacht und immer die Steuern für die Kirche, den Grund u.a. gezahlt. Unsere Gemeinschaft hat 1975 mit dem Exekutivkomitee der Stadt einen Vertrag abgeschlossen und die Gültigkeitsfrist dieses Vertrages ist noch nicht ab­gelaufen. Wir sehen keinen Grund, einen neuen Vertrag abzuschließen, und die vom Stellvertretenden Vorsitzenden des Exekutivkomitees des Rayons gemachten Einschüchterungen halten wir als Vergehen gegen die neue Verfassung der UdSSR.

Deshalb bitten wir Sie, Genosse Bevollmächtigter, uns zu helfen, damit die Menschen nicht aufgewiegelt werden, die Arbeit nicht gestört wird, und daß wir uns nicht als Verfolgte fühlen müssen.

Wir sind überzeugt, daß wir uns zur Verteidigung unserer Rechte nirgendwo anders hinwenden müssen.

Kybartai, den 30. November 1977 17 Unterschriften

der Mitglieder der Religionsgemeinschaft Kybartai

Der Bevollmächtigte des Rates für religiöse Angelegenheiten, hat den angereisten Kybartern erklärt, daß niemand die Kirche schließen wird und die neuen Verträge nicht nötig sind. Welch eine Heuchlerei! Der Bevoll­mächtigte selbst gibt den Ukas, und wenn bei dessen Durchführung Lärm

entsteht, dann ist daran irgendein unter ihm stehender Beamter schuld, z.B. der Stellvertretende Vorsitzende des Rayon, Urbonas. In der Pfarrei Virbalis hat der Gemeindevorsitzende persönlich versucht, die Unterschriften des Zwanzigerrates für den neuen Vetrag zu sammeln, aber der Betrug ist nur bei einigen Mitgliedern gelungen. Später haben die Betrogenen dem Vorsitzenden so hart zugesetzt, daß er den Pfarrer gebeten hat, die Leute zu beruhigen, da es für ihn (den Vorsitzenden) böse ausgehen könne.

Anfang November wurde der Abschluß der neuen Verträge im Rayon Vilkaviškis gestoppt.

In einigen Rayons, z.B. Molėtai, hat man ebenfalls versucht, die neu redigierten Verträge abzuschließen.

Wozu braucht die sowjetische Regierung die neuen Verträge? Möglich, daß man die Religionsgemeinschaften daran gewöhnen will, die Verträge oft zu erneuern, damit die sowjetische Regierung jedes Mal die für sie nützlichen Korrekturen und Ergänzungen einbringen kann. Vielleicht war das ein Experiment, inwiefern die Zwanzigerräte und Exekutivorgane der Pfarreien „mündig" sind, und ohne Wissen ihres Pfarrers aktiv werden. Wenn das so ist, dann konnte die Regierung sich überzeugen, daß in Litauen nur wenige Gläubige zu finden sind, die irgendwelche Verträge unterschreiben würden, ohne ihren Pfarrer zu fragen.

Daraus wird die Bemühung der Regierung erkennbar, den Pfarrer von den Angelegenheiten der Pfarrei auszuschließen, die Exekutivorgane der Pfarreien zu überzeugen, daß sie die Haupt verantwortlichen seien und sie ans Handeln zu gewöhnen, ohne den Pfarrer zu fragen, zu verständigen und so allmählich die „sowjetischen Katholiken" in die Gremien der Exekutivorgane der Pfarreien, einzubringen, die blind gehorchen und alle Direktiven der Regierung ausführen. Anscheinend bedarf es noch vieler Jahre, bis diese erwartungen der Regierung in Erfüllung gehen, wenn sie sich in Litauen überhaupt erfüllen werden. Das wird in erster Linie von der Wachsamkeit der Priester abhängen.