Geheimdienst sucht Verräter großen Formats

Seine Exzellenz Bischof K. Paltarokas hatte den Gemeindepfarrer und Dekan von Utena, Jonas Kriščiūnas, als seinen Kanzler und Nachfolger im Bischofs­amt vorgesehen. Kaum war der Kanonikus nach Vilnius übergesiedelt, als er auch schon als Kaplan wieder in der Provinz verschwand. Er wurde später zum Gemeindepfarrer von Vyžuonai ernannt, wo er auch gestorben ist. Unter dem Siegel der Verschwiegenheit vertraute er mir an, was ihm damals in Vilnius wi­derfuhr.

Kaum angekommen, wurde er hier vom Geheimdienst überfallen und fünf Tage hindurch scharf vernommen. Man versuchte, ihn sogar mit kindlich naiven Ver­sprechungen zu ködern: »Ein Auto wirst du haben, fahren dürfen,wohin du willst, ins Ausland . . .« Man drohte ihm mit Furchtbarem, darunter als beson­ders schrecklich: »Heimgekehrt, kannst du dann in einem Kolchos dahinstin-ken . . .« Doch am bedeutungsvollsten waren wohl die Worte: »Kleine Halun­ken haben wir genug. Aber wir brauchen Helfer größeren Formats, die uns hel­fen auf internationalen Treffen, Friedenskonferenzen . . .« Kanonikus J. Kriš­čiūnas wollte nicht, daher wurde er aus Vilnius in eine Kaplanstelle vertrieben.

Blitz aus heiterem Himmel

Am 14. Juli 1960 wurde ich überraschend ins Paßamt Kazlų Rūda vorgeladen und gebeten, Ausweispapiere und Wehrpaß mitzubringen. Nichts Böses ah­nend, meldete ich mich dort bei einem kleinen Sergeanten, der mich einmal, zweimal von oben bis unten inspizierte und dann meinte:

 - »Aber wir haben Sie doch gar nicht vorgeladen!«

 - »Na, so was?« Ich war ehrlich erstaunt und sagte:

 - »Aber, bitte, hier ist doch die Vorladung!«

Der kleine Sergeant nahm das Papier entgegen, brummte etwas vor sich hin, be­äugte mich nochmals und verschwand mitsamt meinen Dokumenten. Als er wiederkam, fragte ich: »Sagen Sie, wer hat mich denn nun vorgeladen?«

—              »Werden Sie gleich selbst erfahren«, meinte er lächelnd und beäugte mich er­neut und neugierig. »Kommen Sie mit«, meinte er dann und geleitete mich ins zweite Stockwerk und öffnete dort eine gepolsterte Tür. Ich trat ein. An einem Tisch saß ein älterer Herr. An der Wand hingen Uniformstücke, auf dem Stuhl lag die Dienstmütze eines Geheimdienstbeamten. Man ersuchte mich, Platz zu nehmen, und ich setzte mich. Auf dem Tischkalender erkannte ich unter dem 14. Juli einen Eintrag in russischer Schrift — mein Name, Geburtsdatum, weite­re unleserliche Details. Der Tag war also im voraus für mich reserviert.

Die Befragung beginnt. Vorsichtig, taktvoll will man mir beweisen, daß ich, ein junger Mann, der Orgel spielt, wohl dem Fanatismus zuneige. Ich antwortete auf gestellte Fragen, verhalte mich jedoch sonst eher schweigsam. Schließlich werde ich gefragt, ob ich denn wirklich entschlossen sei, ins Priesterseminar ein­zutreten. Ich bejahe.

Er gibt mir die Ausweispapiere, den Wehrpaß zurück und murmelt etwas wie, die Paßabteilung hat ohnehin alles bereits erledigt, und läßt mich laufen. Auf dem Heimweg kann ich mich nicht genug wundern — was wollte dieser Geheim­dienstmensch eigentlich von mir?

Einige Tage später werde ich zur Ortsverwaltung Višakio Rūda gerufen. Man geleitet mich in ein Einzelzimmer, wo mich derselbe Geheimdienstbeamte, hin­ter einem Tisch sitzend, bereits erwartet. Er begrüßt mich freundlich und kommt ohne viel Umschweife gleich zur Sache:

—              »Na, haben Sie es sich immer noch nicht überlegt? Wollen Sie immer noch ins Seminar eintreten?«

»Das will ich wohl, habe auch das Examen bereits bestanden«, erwidere ich nicht ohne Stolz.

—              »Examen — ach, das bedeutet doch nichts« — welch ein Schlag gegen meine Eitelkeit —, »andere Dinge sind doch wichtiger!«

Nach kurzer Denkpause fügt er noch hinzu:

—              »Sicher, die Sowjetverfassung gewährt den Bürgern verschiedene Freiheiten. Es ist durchaus gestattet, ein Priesterseminar zu besuchen. Doch ist es kaum ein Geheimnis, daß es unter den Geistlichen viele Reaktionäre gibt, die nur darauf aus sind, der Sowjetmacht auf jede Weise zu schaden. Und solche gibt es im Se­minar . . .«

—              »Das wußte ich nicht«, war meine ehrliche Antwort.

—              »Wir aber wissen das«, klärt er mich auf und fügt nach kurzer Pause hinzu: »Also gut, nehmen wir an, Sie treten ins Seminar ein. Und plötzlich beginnt irgendein Professor bei irgendeiner Vorlesung gegen die Sowjetregierung zu hetzen. Was werden Sie dann tun?«

Ich denke nach — eine hinterhältige Frage* wie soll ich sie beantworten. Schließ­lich wage ich es:

—              »Nun, wenn einer offen gegen die Sowjetmacht agitiert — ich würde das Ihnen melden!«

—              »Gut, sehr gut! Hier, unterschreiben Sie dies da!« Und er schiebt mir irgend­einen Schriftsatz zu.

—              »Was? Unterschreiben? Warum denn?« — äußere ich sehr erstaunt.

—              »Nun, daß Sie mit uns zusammenarbeiten werden!«

—              »Was? Wollen Sie einen Spitzel aus mir machen?« — ich stehe auf.

—              »Wieso Spitzel, was heißt hier Spitzel!« Auch er ist aufgestanden. »Kein Mensch will Sie zu einem Spitzel machen! Wir wollen lediglich, daß Sie Ihrer Pflicht als Sowjetmensch nachkommen!«

—»Und das muß man ausdrücklich unterschreiben?« antworte ich, bereits in­nerlich empört. »Also bin ich kein Sowjetmensch? Die Schule, die Armee haben mir getraut. Sie aber trauen mir nicht? Wenn Sie eine Unterschrift fordern,be­deutet das doch, daß Sie bezweifeln, ob ich ein echter Sowjetmensch bin!« — sage ich, bereits wütend geworden.

—              »Natürlich wissen wir sehr gut, daß Ihnen die Schule, die Armee vertraut haben«, meint er jetzt beschwichtigend.

— »Also, einen Spion wollt Ihr aus mir machen, einen Spitzel« — antworte ich erregt.

— »Aber woher denn Spion«, erregt sich jetzt auch der Geheimdienstmensch und wird immer wütender, sobald ich das Wort Spion gebrauche. »Wir brau­chen weder Spione noch Spitzel! Unterschreiben Sie mir, daß Sie Ihre Pflicht als Sowjetbürger erfüllen wollen!«

— »Und allein deshalb habe ich zu unterschreiben?« — frage ich jetzt ernstlich erbost zurück. »Wieso hat niemand früher so etwas von mir verlangt? Alle ha­ben mir auch ohne Unterschrift vertraut!«

— »Wir aber nicht«, sagt er in strengem Ton. ». . . Übrigens möchte ich Ihnen noch etwas sagen. Wenn Sie sich weigern zu unterschreiben, werden Sie nicht eintreten . . . Unzuverlässige Leute lassen wir erst gar nicht zu . . .«

— »Müssen denn wirklich alle unterschreiben?«, frage ich ehrlich erstaunt zu­rück.

— »Nun, das ist unsere Angelegenheit. Ich will Ihnen mal was sagen — ich gebe Ihnen drei Tage Zeit zum Nachdenken. Kommen Sie dann zu mir nach Kazly Rūda, und jetzt sind Sie frei . . .«

Ich war aus allen Wolken gefallen. Niemand hatte mir jemals gesagt und nie­mals hätte ich geglaubt, daß so etwas unter unserer Staatsform möglich sei. Darauf war ich in keiner Weise vorbereitet. Ich hatte dem Geheimdienstmensch offenherzig ohne Hintergedanken oder Absichten geantwortet, gesagt, was ich dachte. Spitzel werden? Gott, das Vaterland verraten. Nein, niemals, niemals! Wie ließe sich auch Spitzeltum und Priesteramt miteinander vereinbaren? Damals konnte ich das alles nicht begreifen . . . hielt die Sowjetverfassung für eine Realität, glaubte an sowjetische Humanität. War ja kaum 23. Und wenn ich heute über die Sowjetmacht enttäuscht bin, sie geradezu hasse — so dank dieser Geheimdienstler, den wahren Beschützern der Sowjetregierung. Ihnen sei Dank. Aber Spion war ich nie und werde ich niemals sein. Als ich dann alles meinen Erziehern, den Priestern Kačergis und Žemaitis, erzählte, warfen die mir vor, ich hätte weniger heftig antworten, mehr Nachgiebigkeit zeigen und Schweigsamkeit üben sollen. Da wurde ich wütend auf die beiden. Wo waren sie früher? Warum habt ihr mich Schafskopf nicht gewarnt, daß sol­che Gespräche überhaupt möglich waren! Vielleicht hätte ich mich wirklich mehr beherrscht, mich weniger heißblütig herumgezankt. Aber unterschrieben

— nein, niemals . . .

Als ich dann drei Tage später nach Kazly Rūda fuhr, war die Unterhaltung dort ziemlich kurz.

— »Nun, wenn du eben nicht unterschreibst, mach,was du willst, ist deine Sa­che!« Das war alles, was der Geheimdienstler zu sagen hatte, und ich konnte ge­hen.

An diesem Tag war ich bei Algutis von der Braziūkas-Familie. Der Vater kam gerade von Kaunas zurück und erzählte, Algutis und mich hätten die Behörden gestrichen. Diese Nachricht setzte mich schon nicht mehr in Verwunderung.

»Was für eine Ehre«, sagte ich, »eine leibhaftige Großmacht — ihre Sputniks umfliegen den Mond, Raketen sausen durch die ganze Welt — und siehe da, man fürchtet meine Winzigkeit . . ., hat Angst, ich könnte diese Staatsform zerstören . . ., eigentlich lächerlich.«

Doch im Herzen war etwas zerbrochen, etwas dunkel geworden . . . Doch brachte ich die Kraft auf, Maria selbst dieses Opfer zu bringen ... Ich war der Gnade wohl nicht wert? ... Im nächsten Jahr, vielleicht später — oder würde ich nie ein Priester werden dürfen? . . . Vielleicht bin ich unwürdig. Auf dem Heimweg von Braziūkas schob ich mein Fahrrad vor mir her. Fahren konnte ich nicht. Ich mußte weinen, bitter weinen . . . Alle meine Hoffnungen hatten sich zerschlagen. Wie weiterleben, was tun, woran glauben . . .? Aber auch in den Jahren 1961, 1962, 1963 erschien mein Name nicht auf den Listen. Der Staat hatte befohlen, keinen auch nur zu erwähnen, dessen Name einmal gestrichen worden war. Wir hatten die Bearbeitung durch den Geheimdienst nicht geschafft — also, schert euch davon, liebe Leute . . .

 

Wieder der Geheimdienst

Stellt euch vor, selbst in Pabradė haben sie mich aufgestöbert. Erscheint da eines Tages im Pfarrhaus ein Zivilist und lädt mich ein, zum Stadt-Exekutiv­komitee zu kommen. Natürlich gehe ich mit, doch unten am Weg steht ein Pkw, an dem zwei Männer warten. Sie grüßen, sprechen mich mit meinem Vornamen an, dabei sehe ich sie zum ersten Mal in meinem Leben. Man fordert mich auf, im Wagen Platz zu nehmen. Ich steige ein, die beiden setzen sich zu beiden Sei­ten, das Fahrzeug fährt an.

Merkwürdig, wie lange das Auto sinn- und zwecklos alle möglichen Wege ent­langfährt, und wir reden und reden . . . Man erkundigt sich, wie es mir gehe. Gut! Natürlich gut. Ob ich mit dieser Art Leben wirklich zufrieden sei? Natür­lich bin ich das, und wie!

—              »Na, und willst du immer noch Priester werden?« fragt man plötzlich.

—              »Will ich, will ich nach wie vor, nur ihr laßt es nicht zu«, antworte ich leicht verärgert.

»Nun, alles hängt doch von dir selbst ab . . . Sollst nur nicht so eigensinnig sein. Wir sind ja gar nicht dagegen« — werde ich freundlich belehrt. Ich schweige. Da meldet sich der andere:

—              »In Višakio Rūda wohnst du anscheinend bei Marianer? Da weißt du sicher einiges über das Marianerkloster . . .«

—              »Klar, eine ganze Menge«, behaupte ich kühn. In Wirklichkeit kümmerten mich die inneren Angelegenheiten des Klosters herzlich wenig, und ich wußte auch sonst wenig davon. Doch es machte mir richtig Spaß, etwas anzugeben.

—              »Ich meine, wir würden schon eine gemeinsame Sprache finden«, ließ sich jetzt der erste wieder vernehmen. »Übrigens, haben Sie nicht einen Brief aus der Kurie in Vilnius erhalten?« fragt man plötzlich.

— »Von der Kurie?« Ich war ehrlich erstaunt, denn ich kannte dort doch nie­mand.

»Schon gut, schon gut«, beruhigte man mich, bringt mich nach Hause, rät mir nachzudenken und mich nach zwei Tagen beim städtischen Exekutivkomi­tee zu melden. Sie würden mich dort erwarten.

Natürlich habe ich die ganze Sache sofort Kytukas und Nikodemas erzählt. Die warnten: »Jonas, o Jonas, spiele nicht mit dem Feuer!« Doch mir machte die ganze Sache Spaß. Wie romantisch! Ich beschloß, unbedingt zu dem Treffen zu gehen. Doch noch am selben Tage kommt ein Brief. Handschrift unbekannt. Pfarrer S. Mažeika, Kanzler des Bistums Vilnius, lädt mich ein, ihn zu besu­chen.

Erstaunlich, ich kenne ihn doch gar nicht! Auch Bedenken kommen auf, Kanz­ler der Kurie befassen sich wohl mehr mit dem Lebenswandel der Geistlichen, nicht der Organisten. Aber die Neugier, kaum auszuhalten! Ich fahre also zum Besuch der Kurie nach Vilnius. Es empfängt mich ein hoch­gewachsener, ergrauter Priester. Es ist Pfarrer Mažeika. Er fragt mich viel über das Seminar. Wolle alles tun, damit ich dort aufgenom­men werde. Und bemerkt wiederholt, wie unter anderem, ich solle doch nicht so störrisch sein. Auf dem Heimweg begreife ich trotz angestrengtem Nachdenken nicht recht, warum mich der Kanzler eigentlich vorgeladen hatte. Sieht fast so aus, als wolle er mich in das Seminar regelrecht einschmuggeln. Na, so was! Ich begab mich dann zu dem Treffen mit den Beamten des Geheimdienstes. Ko­misch, die wußten bereits alles von meinem Besuch bei Pfarrer Mažeika, ob er mir gefalle, was er mir angeboten und sonst noch erzählt habe. Plötzlich platzt einer der beiden heraus: »Siehst du wohl, auch der hat dir geraten, nicht so stör­risch zu sein!«

Unser Gespräch in dem Zimmer wird dauernd von Außenseitern gestört. Die Beamten des Geheimdienstes bedauern das sehr. Schließlich schlägt einer vor:

— »Kannst du nicht selbst zu uns nach Vilnius kommen? Für die Fahrtkosten kommen wir auf!«

— »Warum eigentlich nicht? Wie soll ich euch aber finden?« frage ich.

— »Sagen wir Mittwoch. Am Kino Pergalė (Der Sieg), genau um eins. Warte bei der Reklamewand, gerollte Zeitung in der linken Hand.«

— »Gut! Werde bestimmt erscheinen«, sage ich zu.

Hier erwacht wieder die Romantik. Stellt euch nur vor — Jonas, fast ein Film­held. Spaziert da herum, Zeitungsrolle, in der Hand, wird von irgendwem be­merkt, irgendwo hingeführt! Wie romantisch! Prachtvoll das Ganze! Nur Vytukas und Nikodemas fauchen schon: »Jonas, Menschenskind, stecke nicht noch selbst den Kopf in die Schlinge! . . .« Trotzdem, am verabredeten Tage, zur bewußten Zeit, spaziere ich vor dem Kino Pergalė herum, Zeitungs­rolle in der linken Hand. Nur wenig Passanten. Ich schaue dauernd um mich, passe auf, von woher irgendein mir bekannter Typ wohl kommen mag, wie er wohl aussieht. Doch, nichts Auffälliges zu bemerken. Einen Augenblick vertiefe ich mich in die Reklame, da ist auch schon irgendein Kerl an mich herangetreten und sagt halblaut:

—              »Folge mir in einigem Abstand!« Und marschiert schon los, ohne mich rich­tig angesehen zu haben. Ich hinterdrein. Wie spannend, wie äußerst interessant! Wir gehen am Dsersinski-Klub vorbei, biegen in den Hof eines mehrstöckigen Gebäudes ein. Hier dreht er sich plötzlich um, lacht, streckt mir die Hand hin und sagt freundlich:

—              »Grüß dich, Jonas! Bravo, daß du gekommen bist!«

Auch diesen freundlichen Menschen sehe ich zum ersten Mal in meinem Leben. Es war keineswegs einer der beiden aus Pabradė. Er geleitet mich in den zweiten Stock. Dort stellt er sich selbst und mich einem im Zimmer sitzenden soliden Mann vor. Sein Name ist mir entfallen, jedenfalls war er im Rang eines Majors. Der Name meines Begleiters übrigens war Sprindis, Rang nicht mehr in Erinne­rung. Wir begrüßen uns, setzen uns. Es folgt wieder ein ähnliches Gespräch. Meist redet der Major.

—              »Warum nur wollen Sie so sehr Priester werden? Sie haben die Mittelschule doch mit ganz gutem Erfolg abgeschlossen und könnten jede beliebige Hoch­schule besuchen«, meint der Major.

—              »Nun, ich will es nun mal so und fertig«, antworte ich.

—              »Gehen Sie doch z. B. auf eine Universität, dort gibt es alle beliebigen Spe­zialfächer.«

—              »Nun, ich werde die Aufnahmeprüfung vielleicht erst gar nicht bestehen, habe schon soviel vergessen. Außerdem ist es jetzt schon zu spät, die Aufnah­meprüfungen sind längst vorüber.«

—              »Nun, darum sorgen Sie sich bitte nicht. Wir werden schon helfen.« Er lächelt noch freundlicher.

—              »Womit verdiene ich eigentlich so viel Wohlwollen?«

—              »Sie brauchen doch nicht für die Kirche zu arbeiten. Sie tun uns einfach leid. Na, und überhaupt, ein junger Mensch gehört doch nicht in die Kirche«, klärt er mich auf.

—              »Aber ich will nichts anderes werden als Priester. Mein ganzes Leben lang habe ich an nichts anderes gedacht«, gestehe ich offen.

—              »Sicher, man kann auch Priester sein«, seufzt der Major. »Aber in diesem Falle müssen wir schon wissen,ob wir Ihnen trauen können.«

—              »Bisher haben mir als Sowjetbürger alle vertraut«, rühme ich mich.

—              »Uns genügt das nicht«, mischt sich mein Begleiter ein. »Sie verstehen doch, woran wir dabei denken?«

—              »Spion zu werden, beabsichtige ich aber keinesfalls«, platze ich heraus.

—              »Kein Mensch fordert Sie auf, zu spionieren«, erklärt der Major. »Sie sollen ja nur mit uns zusammenarbeiten . . . Mag sein, daß wir Ihnen gelegentlich auch einen Auftrag geben. Sie legen dann Ihren Bericht an verabredeter Stelle für uns nieder — und das ist alles. Kein Mensch wird auch nur ahnen, daß wir zusammenarbeiten. Sie brauchen weder mit Ihrem Namen noch Vornamen zu unterschreiben, sondern mit sagen wir z. B. Bijūnas (Päonie).«

— »Warum nicht Jurginas (Dahlie)«, frage ich naiv zurück.

— »Einen Jurginas haben wir schon«, lautet die ruhige Antwort. So ist das also.

Im Blumenstrauß des Geheimdienstes fehlt noch ein Bijūnas. Einen Jurginas hat man schon, vermutlich auch eineNarzisse, sicher, selbstverständlich und knallrot dazu.

Doch hier wurde ich schwankend ... Ich erinnerte mich plötzlich des unlängst gehörten Ausspruchs eines Geistlichen: »Selbst wenn man denen eine Unter­schrift leistet, so ist das noch lange kein Verbrechen. Kein Mensch wird einen Kriegsgefangenen verurteilen, wenn er, um zu den Seinen zurückzukehren, die Uniform des Feindes anzieht . . . Denn er bleibt ja sich selber treu . . .« So dachte auch ich mir: »Vielleicht wird mich dafür wirklich niemand verurtei­len, vielleicht ist es wirklich kein Verbrechen? Wie gern möchte ich Priester wer­den —, und im Herzen werde ich niemals ein Verräter sein! Es ist wirklich nur eine Verkleidung, vorübergehendes Anlegen der gegnerischen Uniform . . .«

— »Hier ist Papier, schreiben Sie!« schlägt der Major vor.

— »Was soll ich denn schreiben?« frage ich zurück.

— »Nun, schreiben Sie — ich, der und der, verpflichte mich zur Zusammen­arbeit . . .«

Ich griff nach dem Füllhalter und begann zu schreiben:

»Ich, Jonas Rakas, Sohn des Jonas, um in das Priesterseminar aufgenommen zu werden . . .«

»Nein, nein! So darf man nicht schreiben«, unterbricht mich der Major, der meiner Schreiberei über die Schulter zugeschaut hat. »Erwähnen Sie nichts von Seminar! Ist nicht nötig!«

— »Wieso, nicht nötig? Zu diesem Zweck schreibe ich doch überhaupt!« — äußere ich erstaunt.

— »Mir ist gleich, wenn auch zu diesem Zweck, aber schreiben darf man das nicht.«

Mein begonnener Schriftsatz wandert in den Papierkorb, mein Begleiter schiebt mir rasch einen neuen unbeschriebenen Bogen Papier zu. Hier kam ich wieder zur Besinnung. Jonas, Jonas, was tust du da? War ich wirklich bereit, mich zu verkaufen? Haben die mich wirklich schon eingelullt? Tatsächlich? Mich ekelte vor mir selber.

— »Nun schreiben Sie noch mal von vorn!« — man schiebt mir ein weiteres Blatt Papier zu.

— »Nichts werde ich mehr schreiben«, sage ich mit Festigkeit.

— »Nun, mit Gewalt werden wir Sie nicht zwingen« — beruhigt mich der Major ziemlich freundlich. »Wir bemühen uns nur in Ihrem eigenen Interesse.«

— »Eine Priesterschaft erkauft um solchen Preis macht mich nicht froh!«

— »Nun, bitte, überlegen Sie sich das noch mal . . .«

Sie bieten mir Reisegeld an. Ich lehne ab. Man schlägt mir ein weiteres Treffen vor. Ich schweige. Beim Hinausgehen meint der Major noch beiläufig: — »Gehen Sie jetzt noch mal zur Kurie, zu Pfarrer Mažeika. Er möchte mit Ihnen sprechen. Ihr beide seid doch miteinander bekannt.« Er lächelt. Ich ging davon, schämte mich unsäglich vor mir selbst, wegen dieses Moments der Willensschwäche. Ich ging zur Kurie. Pfarrer Mažeika wartete schon. . . . Und wieder war ich sehr erstaunt. Pfarrer Mažeika sagte mir genau dassel­be, wie die Beamten des Geheimdienstes. Nur eines betonte er dauernd und be­sonders:

»Wir brauchen dringend mehr Priester, gute Priester. Wir müssen uns bemü­hen, so viele Priester zu haben wie nur möglich, um jeden Preis. Und du willst doch so gern Priester werden, würdest ein guter Geistlicher abgeben . . . Nur, deine Eitelkeit und deinen Eigensinn müßte man zurechtbiegen im Interesse der Allgemeinheit . . .«

Es traf mich wie ein Schlag. Verstand ich doch sehr wohl, was dieser Kirchen­beamte damit sagen wollte. Ich begriff, erschrak wortlos und schwieg . . . Weitere Treffen mit den Beamten des Geheimdienstes oder Pfarrer Mažeika ha­ben nicht stattgefunden. Ich bekam noch einen Brief von ihm, in dem er mich einlud, ihn zu besuchen, fuhr aber nicht hin. Schämte mich vor mir selbst. Doch bin ich noch einmal ins Seminar gefahren. Man hat mir gesagt, mein Na­me erscheine nicht einmal mehr in den Listen. Trotz Bemühungen des Geheim­dienstes und des Kanzlers des Bistums Vilnius blieben mir die Pforten des Prie­sterseminars auch diesmal verschlossen.

(Auszug aus dem autobiographischen Buch »Warum ich nicht Priester wurde« von Jonas Kidulaitis-Rakas.)