Am 2. Februar 1982 übernahm die Rayonzeitung von Prienai »Naujas gyvenimas« (»Das neue Leben«) aus »Tiesa« (»Die Wahrheit«) einen Ar­tikel vom 26. 1. 1982 »Lüge von der Kanzel«, der gegen den Vikar von Šilalė, Priester Vytautas Skiparis, gerichtet war, und fügte folgenden Kom­mentar hinzu: »Der Vikar der Kirche von Prienai Antanas Gražulis, wie auch der Pfarrer von Užuguostis Zenonas Navickas (Bruder der wegen der

Vervielfältigung der »Chronik der LKK« Inhaftierten, — Red.) wenden dieselben Methoden an, um die Lehrer, Kommunisten und alle Atheisten in Augen der Gläubigen diskreditieren zu können, wie der in der Zeitung er­wähnte Vikar der Kirche von Šilalė Vytautas Skiparis.«

Die Gläubigen der Pfarrei Prienai schickten an die Regierungsorgane ein strenges Protestschreiben mit 1500 Unterschriften.

In dem Schreiben wird erklärt, daß die Zeitung auf ungerechte Weise ihren Vikar Antanas Gražulis anschuldigt.

Am 3. Februar 1982 wurde Priester Antanas Gražulis bestraft, weil er in der Ausübung seines priesterlichen Amtes die Häuser der Gläubigen besucht hat.

1485 Gläubige von Prienai unterzeichneten ein Protestschreiben, das an den efsten Sekretär des ZK der KP Litauens Griškevičius gerichtet wurde. Hier liegt der Protest in abgekürzter Form:

»Am 3. Februar bestrafte die Administrativkommission des Rayons Prienai den Vikar unserer Pfarrei Priester Antanas Gražulis zu 50 Rubel Strafe, weil er im Laufe des Monats Januar 1982 unsere Familien in der Stadt Prienai besucht hat. Auf diese Weise verletzte er die Anordnung des Obersten Rates der LSSR vom 12. 5. 1966, die wir noch nie in der Zeitung verkündet ge­funden haben. Wir haben nicht einmal gewußt, daß ein solches Verbot mit Gesetzen begründet, und nicht nur irgendwelches atheistisches Verbot ist.

Priester Antanas Gražulis betrachtete die Bestrafung durch die Admini­strativkommission als ungerecht und beklagte sich beim Volksgericht Rayon Prienai. Leider betrachtete das Gericht diese Angelegenheit nur als Form­sache. Es ist auch klar, daß der Priester vor einem sowjetischen, atheistischen Gericht gegen das Exekutivkomitee nicht siegen konnte. Deswegen erklären wir, nachdem wir das Urteil des Volksgerichts Rayon Prienai angehört haben, daß Priester Antanas Gražulis die sowjetischen Gesetze nicht verletzte; son­dern erfüllte als Priester seine direkten Aufgaben:

Die Kanones des Kirchenrechts und der Beschluß der Synode der Diözese Vilkaviškis verlangen, daß der Priester seine Gläubigen jedes Jahr be­suchen soll.

Verantwortliche sowjetische Regierungsbeamte deklarierten nicht nur einmal in der Presse und durch Fernsehen, daß die sowjetische Regierung sich in die inneren Angelegenheiten der Kirche nicht einmischt.

Die Allgemeine Deklaration der Menschenrechte besagt: »Jeder Mensch hat das Recht auf Meinungs-, Gewissens- und Religionsfreiheit; diese Freiheit umfaßt die Freiheit, eigene Religion, wie auch Uberzeugung zu ändern, und die Freiheit, die eigene Religion, und Überzeugung allein wie auch in der Gemeinschaft mit anderen, öffentlich oder privat zu lehren und durch Teil­nähme an Gottesdiensten und in der Ausübung der religiösen Kulte zu be­kennen« (Art. 18).

In der Schlußakte von Helsinki wird unterstrichen, daß »alle teilnehmenden Staaten werden die persönliche Freiheit, eine Religion oder einen Glauben als einzelne Person oder in der Gemeinschaft mit anderen, nach eigenem Gewissen zu bekennen, anerkennen und achten.. .« (Teil 7).

Dasselbe bekräftigt auch die Deklaration über die Religionsfreiheit, die auch die Sowjetunion während der Generalversammlung der Vereinten Na­tionen voriges Jahr unterschrieben hat.

Wir hören im Rundfunk, daß die Sowjetunion die Katholiken des irischen Volkes verteidigt. Warum lernen dann die Atheisten des Rayons Prienai von ihren höheren Beamten nicht? Die Gesetzbücher des inneren Rechts jener Staaten, die die internationalen Dokumente unterschrieben haben, dürfen den oben genannten internationalen Verpflichtungen nicht wider­sprechen. Die Anordnungen des Obersten Rates der LSSR (vom 12. 5. 1966 und 28. 7. 1976) dürfen nicht gegen die internationalen Vereinbarungen und den Artikel 50 der Verfassung der LSSR sein.

Aus unserer Erfahrung sehen wir, daß die Atheisten Litauens, die nur eine Minderheit ausmachen, bis jetzt nicht im Stande gewesen sind, mit ideologi­schen Waffen, wie Lenin gelehrt hat, gegen die Religion zu kämpfen. Sie sind nur mit groben Maßnahmen der Gewalt zu kämpfen fähig.

Wir behaupten, daß solche Methoden des Kampfes der Gottlosen gegen die Religion Gott aus dem Herzen der Litauer nicht herausreißen, sondern nur das wahre Gesicht der Gottlosen zeigen wird.

Die Strafe für Priester Antanas Gražulis ist gleichzeitig eine Strafe für uns. Oder ist das vielleicht eine Belohnung für unsere gewissenhafte Arbeit in der Industrie und in der Landwirtschaft?

Wir haben die Priester unserer Pfarrei immer zu uns eingeladen, und werden auch weiter einladen, damit sie unsere Heime einweihen wie auch unsere Familien besuchen. Wir lieben und verehren unsere Priester, wir erhalten sie und beten für sie.

Im Angesicht dieser groben Tatsache bringen wir unseren schärfsten Protest zum Ausdruck.«

Der Prozeß gegen den Priester Antanas Gražulis fand nicht im Gerichtssaal, sondern in einem kleinen Kabinett statt, in dem nur einige Personen Platz hatten. Die anderen Gläubigen von Prienai standen im Korridor des Ge­richts.

Die Richterin versuchte zu beweisen, daß es einem Priester nicht verboten ist, die Gläubigen zu besuchen, aber einen solchen Besuch eines Priesters von Haus zu Haus, und das noch gleich nach Weihnachten, betrachten die so­wjetischen Gesetze als Einzug der Kaiende. Die Richterin gab sich nicht die

Mühe zu erklären, welche sowjetischen Gesetze es sind, die den Einzug der Kaiende so verstehen. In Wirklichkeit existieren solche Gesetze nicht.

Der Priester Antanas Gražulis führte Beweise vor dem Gericht vor, daß die Administrativkommission von Prienai ihn zu Unrecht bestraft habe, weil er während des Besuches von den Gläubigen keine Almosen genommen hat. Außerdem besuchte er nur jene Gläubigen, die danach verlangt haben. Prie­ster Gražulis fragte das Gericht: »Seit wann darf ein sowjetischer Bürger einen anderen sowjetischen Bürger nicht besuchen, wenn dieser danach verlangt?«

Man muß darauf aufmerksam machen, daß die Administrativkommission des Exekutivkomitees der Stadt Prienai, wie auch das Volksgericht große Unkenntnis zeigten. Denn der Priester Antanas Gražulis wurde auf Grund der Anordnung des Präsidiums des Obersten Rates der LSSR vom 12. Mai 1966 bestraft, in der nicht die geringste Erwähnung der Einzüge der Kaiende ist. Von dem Verbot der Einzüge der Kaiende wird erst in den Vorschriften der religiösen Vereinbarungen gesprochen, die das Präsidium des Obersten Rates der LSSR am 28. Juli 1976 bekräftigte. Aber auch in den Vorschriften steht nicht erklärt, wie man das Einziehen der Kaiende verstehen muß. Den Ausdruck »Kaiende einziehen« verstehen in Litauen alle so, wie er im »Wör­terbuch der derzeitigen litauischen Sprache« erläutert ist, d. h. »Abgaben einsammeln«. Der Priester Antanas Gražulis sammelte aber während seines Besuches bei den Gläubigen keine Almosen. Deswegen rief der Gerichts­beschluß, den Beschluß der Administrativkommission bestehen zu lassen, bei den Gläubigen ein großes Ärgernis hervor. »Da ist eine Regierung, reden die Einwohner von Prienai, die einen Priester wegen eines Besuches bei uns mit 50 Rubel Strafe bestraft!«