Aus den Briefen von Antanas Janulis:

»Schade, aber nicht alle meine Briefe erreichen die Verwandten und andere Adressaten. Man findet in meinen Briefen das, was es überhaupt nicht gibt, und behält sie zurück. Vielleicht will man mich einfach nur schikanieren.. .

... Ich danke Dir für alle Deine Briefe. .. auch für jene, die Du schreiben möchtest (und sie in Deinen Gedanken schreibst), wo aber die Bedingungen und die Lage es nicht erlauben, daß ich sie bekomme. Ich arbeite. Nur die Normen, die Taugenichtse, steigen immer höher, daß es unmöglich ist, sie zu erreichen.«

»Wenn jemand also meine Briefe nicht bekommt oder wenn ich von irgend­jemand keine bekomme, dann hat es keinen Wert, sich deswegen aufzu­regen. Eher muß man sich freuen, wie auch für alles, was Gott uns gibt und wegnimmt.

Ich bitte Gott, daß sich möglichst viele Träger des Lichtes Christi finden. Unser Volk und das Vaterland brauchen das Licht Christi, damit die Nach­kommenschaft des Landes der Kreuze, damit die Kinder des Landes der Pūpintojėliai (der Sorgenvollen), die Söhne und Töchter des Landes Mariens

—        wir alle — uns nicht als Heilige betrachten, denn wir sind alle sündig. Wir brauchen das Licht, um uns nicht in der Sklaverei der Freiheit zu rühmen. Auch folgender Gedanke ist mir nicht fremd, der sich manchmal in ein stilles Gebet wandelt: »Oh Gott unserer Väter, wenn das Opfer meines eigenen Lebens Dir mehr zur Ehre gereichen würde, wenn es dem Wohle meiner Heimat und der Erlösung meiner Seele und aller meiner Volksgenossen mehr dienen würde, — hier bin ich, nimm es.« Bislang aber halte ich fest den von der Vorsehung mir überreichten Kelch und bin bereit, ihn bis zur Neige auszutrinken.«

Vytautas Vaičiūnas schreibt:

»Im Juli habe ich eine Erklärung an die litauische Presse geschrieben, am 20. September aber teilten sie mir mit, daß mein Antrag verworfen wurde. Am 21. September schrieb ich eine Erklärung etwa folgenden Inhalts: »Dieses Verbot betrachte ich als Aberkennung des Rechts, in der litauischen Muttersprache lesen zu dürfen. Deswegen bitte ich, meiner Frau zu erlauben, über die sowjetische Presse mir litauische Zeitschriften und Journale bestellen zu dürfen. Die Verfügung des Staatsanwaltes von Satka wegen des Emp­fangs von litauischen Zeitschriften und Journalen halte ich für unberechtigt, weil die Zeitschriften und Journale über die sowjetische Presse bestellt waren. Die Gesetze, mit denen er das Verbot der Presse begründete, ver­pflichten die Verwaltung, dafür Sorge zu tragen, daß die Gefangenen nicht ohne Presse bleiben. Ein Verbot, die Zeitschriften und Journale in der Muttersprache zu lesen, ist ein Akt der Diskriminierung...

Die Briefe erreichen mich sehr unregelmäßig. Bis sie nach Bakal ankommen, liegen sie einen Monat im Safe des Stabes, und nachher werden sie nach Litauen zurückgeschickt. Dort werden sie, wieder nicht zu kurz, zurück­behalten und erreichen mich nach einer Reise von 9000 Kilometern in zwei Monaten — wenn ich Glück habe.

Ich danke für die Gebete, dank denen der vom Herrn gebrachte Frieden mich begleitet. Dieser Frieden ärgert die Ordnungshüter unseres Lebens, er ist aber nicht aus dieser Welt und die Welt kann ihn uns nicht nehmen.

Am 27. 10. 1982«

Am 29. Oktober 1982 hatte Vytautas Vaičiūnas ein Wiedersehen mit seiner Frau. Die Gefängnisverwaltung sagte, daß sie Vytautas Vaičiūnas schon entlassen könnte, er wolle aber selbst nicht — weil er sich nicht für schuldig bekenne.

—        Die Freiheit ist mir sehr kostbar, aber bei Euch werde ich nicht um Gnade bitten, und für schuldig werde ich mich schon gar nicht bekennen.

Ich habe schon so lange ausgehalten, so werde ich auch die restliche Ge­fängniszeit aushalten. Diese Jahre der Unfreiheit widme ich als Opfer für mein Volk — so Vytautas Vaičiūnas.

Der Gesundheitszustand von Vytautas Vaičiūnas hat sich etwas gebessert: die Ernährung ist besser geworden — zum ersten Mal während seiner Ge­fängniszeit wurde in dem Gefängnisladen Fett angeliefert.

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Viktoras Petkus widmete die ganze von der Zwangsarbeit übriggebliebene Zeit den Büchern und der schöpferischen Arbeit. Es sind viele Notizen, Artikel, Auszüge zusammengekommen. Am Palmsonntag 1982 wurde in der Zelle von Viktoras Petkus eine Durchsuchung gemacht und das ganze zu­sammengetragene Material beschlagnahmt. Am Ostermorgen wurde seine ganze Habe und das während der Durchsuchung beschlagnahmte Material vernichtet. Derartig einen Gefangenen zu verhöhnen und ihm so viele mo­ralische Qualen zu bereiten, das könnte nicht jeder. Dazu braucht man die Bolschewiken-Dscherschinskiknechte!

Im Herbst 1981 hat seine Frau während eines Wiedersehens für Viktor 15 kg Lebensmittel zurückgelassen. Nach zehn Tagen wurde dem Gefangenen ein kleines Döschen Kaffee übergeben und nach einem Monat 3 kg Speck. Alles andere landete im Magen des Wachhabenden Leutnants Gatin.

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Im Dezember 1981 entstand im Gesicht von Viktoras Petkus eine offene eitrige Wunde. Ein halbes Jahr leistete ihm niemand medizinische Hilfe. Erst im Juni 1982 wurde er in ein Krankenhaus überwiesen. Die eineinhalb Monate waren für Viktoras wie eine Urlaubszeit. Nach fünf Jahren sah er das erste Mal wieder den Sommer. Der Chirurg, der Viktoras operierte, sagte, daß die Wunde krebsartig sei, aber das Gesicht ist nach der Operation verheilt.

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Anfang Juni wurde Viktoras Petkus ein Wiedersehen mit bereits vor dem Lager angekommenen Verwandten nicht erlaubt: angeblich wegen der Nichteinhaltung der Gefängnisordnung. Auf die Frage nach der Gesundheit des Gefangenen wurde geantwortet, daß alles normal sei, daß Viktoras aber im Krankenhaus liegt — davon kein Wort!

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Im Oktober 1982 hat seine Frau Natalija Viktoras besucht. Etwa zwei Stunden lang mußte der Gefangene während der Kontrolle bei einer Kälte von —15 Grad Celsius mit einer sommerlichen Gefängnisbluse warten. Nach dem Wiedersehen hat Leutnant Gatin keine Winter-Kleider, nicht einmal ein Stückchen Brot für Viktoras übergeben. Alles wurde weggenom­men. Auf einer Wand des Gefängnisses steht stolz eine Aufschrift: »Der Mensch ist dem Menschen — ein Bruder, einer Vertrauter, ein Freund« ...

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Aus Anlaß des Tages des politischen Gefangenen der Sowjetunion (30. 10. 1981).

Anastazas Janulis und Vytautas Skuodis kündeten für diesen Tag einen Hungerstreik an; sie haben eine dementsprechende Erklärung an den Generalstaatsanwalt der Sowjetunion geschrieben. Mit einer kurzen Er­klärung informierten sie darüber den Vorsteher des örtlichen Lagers. Den Hungerstreik wiederholten Anastazas Janulis und Vytautas Skuodis auch am 30. 10. 1982.