Viktoras Petkus schreibt:

»Am 23. August wird die Summe der von mir im Gefängnis verbrachten Jahre rund und solid — zwanzig. In den zwanzig in Häusern der Unfreiheit verbrachten Jahren gelang es mir immer noch nicht, einen Landsmann zu sehen, der Weihnachten oder Ostern nicht gefeiert hätte. Es ist wahr, an Weihnachten gab es keinen Weihnachtsbaum, wir hatten aber einen aus dem

Journal »Blumenzucht« ausgeschnittenen, schön geschmückten Tannenbaum auf dem Tisch. Die »šližikai« (eine litauische Mehlspeise, die für den Hl. Abend zubereitet wird) habe ich aus zerschnittenen getrockneten Kringeln zubereitet, und die weiße Oblate fehlte ebenfalls nicht. So gesehen, scheint alles in Ordnung zu sein .. ., aber zum ersten Mal weiß ich nicht, wann der Fasching beginnt und wann es Ostern wird.

Das Leben ist eintönig. Zeitschriften oder Journale zu bekommen, ist in unserem Obdach sehr schwierig. Sie behaupten, daß uns die periodische Presse dreimal in der Woche zugestellt werde. So sagt man; in Wirklichkeit hat es aber Wochen gegeben, wo es keine Zeitschriften gegeben hat. Und wenn sie auch Zeitschriften bringen, dann bringen sie diese nur ein einziges Mal in der Woche. Deswegen gibt es dann einen ganzen Haufen auf einmal. Hier heißt es aber, daß jeder Gefangene nur fünf Einheiten bei sich in der Zelle haben darf, gleichgültig, ob das Bücher, Broschüren oder Zeitungen sind, alles andere muß man aber im Lager abgeben. »Ihr könnt sie wieder holen«, sagt man, »wenn ihr sie braucht.« Theoretisch sieht das gar nicht schlecht aus, praktisch aber braucht man die ganze Woche zum Betteln, damit sie dich ins Lager führen. Auf diese Weise fühlt man sich wie in einem Teufelskreis. Noch schlimmer ist es mit den Büchern. Das Erhalten irgendwelcher Bücher von zu Hause ist streng untersagt. Die Buchhand­lungen haben kein Interesse, uns die von uns bestellten Bücher zu senden, weil sie dem Absender sehr oft zurückgeschickt werden, d. h. zurück an die Buchhandlung, und auf diese Weise sind wir keine ernsten Kunden in ihren Augen.

Durchaus nicht beneidenswert ist die Lage mit den Briefen. In den Anord­nungen steht geschrieben, daß die Gefängnisleitung die abgehenden und ankommenden Briefe nicht länger als drei Tage aufhalten darf. Die drei Tage sind auch in den anderen Gefängnissen schon verlängert worden, aber es wurde wenigstens nach Möglichkeit versucht, diese Regel einzuhalten. Hier wird von dieser Ordnung überhaupt nicht geredet; es ist, als ob es sie überhaupt nicht geben würde. Früher haben sie wenigstens noch über einen Teil der konfiszierten angekommenen Briefe eine Nachricht gegeben, jetzt wird aber nicht einmal mehr das gemacht. Die Verwandten der anderen Gefangenen versuchen ihre Briefe durch die örtlichen oder die sowjetischen Staatsanwaltschaften zu senden. Einige auf diesem Weg geschickten Briefe kommen an. Es hat aber weder einer das Telegramm über abgeschicktes Geld gebracht, noch Nachricht gegeben, daß das Geld angekommen ist. Etwa sechs Mal in der Woche essen wir zu Mittag ein Kohlgericht aus er­frorenen und faulenden Kohlköpfen. Auf die Beschwerden, daß die Kohl­köpfe verdorben sind, antworten die Beamten: »Woher sollen wir andere bekommen? Außerdem, sagt der Arzt, daß sie noch genießbar sind...« (In diesen Gegenden können die Leute kein Sauerkraut zubereiten; des­wegen lassen sie die Kohlköpfe in der Kälte stehen, was dem Einfrieren gleichkommt. Dieses Jahr ist aber der Winter unwahrscheinlich warm, mit Tauwetter. Deswegen faulen auch die armen Kohlköpfe). In der Luft bleiben wir nicht länger als eine Stunde am Tag, aber unsere Aufseher versuchen, auch die Stunde noch einmal abzukürzen, damit sie nur so kurz wie möglich um uns Spazierende herumzuhocken brauchen. Damit so etwas nicht vor­kommt, hängen in anderen Gefängnissen in den Gängen die Uhren. Wir haben auch hier um dasselbe gebeten. Sie erwiderten, daß »für Euch«, d. h. für uns, die Zeit stehen geblieben sei. Später haben sie doch eine klapprige Uhr aufgehängt, nachher aber haben sie es sich doch überlegt und ließen sie wieder irgendwo verschwinden. Im ganzen Gefängnis gibt es keine einzige Uhr; wenn man einen Aufseher fragt, wie spät es ist, gibt dieser ebenfalls keine Antwort, deswegen ist es auch bei der Arbeit sehr schlimm, wenn man die Zeit nicht weiß. Vielleicht habe ich wieder einen zu langen Brief geschrieben, und man muß wieder bangen, daß der Brief wegen der Länge »stecken bleiben« könnte. Viele Grüße und beste Wüsche an alle.«

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Im Frühjahr dieses Jahres ist Elena Terleckienė zu ihrem verbannten Mann Antanas Terleckas nach dem Fernen Osten, in die Gegend von Magadan gefahren. Am Verbannungsort angekommen, fühlte sich E. Terleckienė sehr schlecht. Die Ortschaft befindet sich sehr hoch über dem Meeresspiegel, und es mangelt an Sauerstoff. Ihren Mann fand sie sehr krank. Wegen der schwe­ren Lebensbedingungen sind seine Beine angeschwollen, und die Gesundheit hat sich verschlechtert.