Am 5. Oktober 1983 wurde seine Exzellenz, der verbannte Bischof Julijonas Steponavičius, als Zeuge im Prozeß gegen Priester Sigitas Tamkevičius in das Komitee des Sicherheitsdienstes nach Vilnius zum Verhör vorgeladen. Bischof J. Steponavičius weigerte sich, während des Verhörs im Prozeß gegen Priester S. Tamkevičius als Zeuge aufzutreten und erklärte, daß er als Bischof nur stolz auf so einen Priester sein könne, aber keinesfalls imstande sei, ihn herabzuwürdigen.

Auf die Fragen, ob er die »Chronik« schon gesehen habe oder ob er nicht etwa gar beim Schreiben der Dokumente des Komitees der Katholiken zur Verteidigung der Rechte der Gläubigen mitgeholfen habe usw., verweigerte der Bischof die Aussage. Das Vernehmungsprotokoll unterschrieb Bischof J. Steponavičius nicht.

Als man den Bischof zur Mittagspause gehen ließ, behielt der Tschekist den Personalausweis des Bischofs J. Steponavičius und befahl ihm, um 15 Uhr wieder im Sicherheitsdienst zu erscheinen. Nach der Mittagspause machten der Untersuchungsbeamte und noch ein Tschekist dem Bischof J. Stepona­vičius Vorwürfe und belehrten ihn. Sie fragten, warum er Priester, Gläubige und sonstige Besucher bei sich empfange; sie tadelten ihn, daß er das Ko­mitee der Katholiken zur Verteidigung der Rechte der Gläubigen und die Untergrundveröffentlichung »Chronik« unterstütze, und wollten wissen, warum er kein ruhiges Leben führen wolle und warum er sich um Sachen kümmere, die ihn nichts angehen und ähnliches. So ein Gespräch dauerte eineinhalb Stunden lang.

Lazdijai

Der Pfarrer der Pfarrei Lazdijai, Priester Vincas Jalinskas, war am 8. August 1983 in den Sicherheitsdienst nach Vilnius zum Untersuchungsbeamten Marcinkevičius vorgeladen. Während des Verhörs wurden ihm folgende Fragen gestellt: Wie charakterisieren Sie den verhafteten Priester Sigitas Tamkevičius? Haben Sie seine Predigten gehört? Ist darin die sowjetische Ordnung nicht verleumdet worden? Haben Sie die Gelegenheit gehabt, am Weihnachtsbaumfest, das für die Kinder in der Kirche von Kybartą vor­bereitet wurde, teilzunehmen? Wer war der Weihnachtsmann? Der Unter­suchungsbeamte Marcinkevičius beschuldigte den Priester S. Tamkevičius der Nachrichtenübergabe ins Ausland, interessierte sich für die »Chronik der LKK«, erkundigte sich, wer die Veröffentlichung herausgebe und ob er nicht auch meine, daß Priester S. Tamkevičius Redakteur der »Chronik« gewesen sei. Der Priester V. Jalinskas machte klar, daß das Volk die »Chro­nik« schreibe, herausgebe, vervielfältige und verbreite. Anschuldigung des Untersuchungsbeamten, daß in der Kirche von Kybartai ein Eucharistischer Kongreß veranstaltet worden sei, wies Priester V. Jalinskas zurück, unter­strich aber, daß dies im Eucharistischen Jahr geschehen sei. Da habe der Priester S. Tamkevičius aber nur das getan, was die Kirche und die Bischöfe der Kirche von ihm verlangten. Wenn das bezeichnete »Verbrechen« wirklich schon ein Verbrechen sei, dann sollten sie nur gut achtgeben; denn dieses Jahr sei als Jahr der Güte proklamiert worden, deswegen könnten in man­chen Kirchen so ähnliche »Verbrechen« veranstaltet werden. So sprach der befragte Priester V. Jalinskas. Während des Verhörs forderte Priester V. Jalinskas die Freilassung des Priesters S. Tamkevičius, weil er kein Ver­gehen begangen habe. Auf die Frage des Untersuchungsbeamten Marcin­kevičius, wie man wohl reagieren würde, wenn man Priester S. Tamkevičius freiließe, antwortete er, daß dies eine der besten Alternativen wäre, weil die Priester und das gläubige Volk verärgert seien über eine derartige Tat der Regierung. Dem Priester A. Svarinskas wurden verlogenerweise die Nachkriegsjahre zur Last gelegt. Es ist nun interessant, was man dem Priester S. Tamkevičius alles in die Schuhe schieben werde. Er sei doch in einer Ar­beiterfamilie und erst nach dem Kriege geboren; er wuchs als Waisenkind auf, habe ihre, die sowjetische Schule abgeschlossen... »Wenn aber die Sache so steht, dann ist es immer möglich, daß man einen beliebigen anderen Priester, der gewissenhaft seine Pflichten erfüllt, genau so verhaften und verurteilen kann«, gab Priester V. Jalinskas während des Verhörs öfters zu bedenken.

Bartininkai (Rayon Vilkaviškis)

Am 30. September 1983 war der Pfarrer der Pfarrei Bartininkai, Priester Antanas Liubšys, in das KGB von Vilnius zu dem Untersuchungsbeamten V. Baumila vorgeladen. Der Sicherheitsbeamte fragte ihn als Zeugen im Prozeß gegen Priester S. Tamkevičius aus. Auf die Frage, wie er den Priester

S. Tamkevičius als Menschen und als Priester einschätze, antwortete Priester A. Liubšys, daß er ein Mensch von besonders hoher Moral und großem Geiste sei und daß Litauen mehr solche Priester brauchte. Die Frage, ob die Leute den Priester S. Tamkevičius gern hätten und verehrten, bejahte der Befragte; alle Gläubigen und Priester, die den verhafteten Priester gekannt hätten, seien ihm sehr zugetan und schätzten ihn hoch.

Der Priester A. Liubšys weigerte sich, das Vernehmungsprotokoll zu unter­schreiben. Da wurde der Untersuchungsbeamte nervös und fragte ihn: »Warum wollen Sie nicht unterschreiben, Ihre Aussagen über den Priester S. Tamkevičius sind nur positiv und können bei der Gerichtsverhandlung nur zu seinen Gunsten ausfallen?« »Es gibt nichts, was zu seinen Gunsten ausfallen könnte, denn Sie stellen einen Unschuldigen vor Gericht und su­chen nicht nach Wahrheit. Hier werden weder meine positiven Aussagen, noch die der anderen Zeugen von Entscheidung sein«, sagte Priester A. Liubšys.

Nach dem Verhör kam ein Sicherheitsbeamter, der seinen Namen nicht sagte. Auch er wollte sich mit dem Priester A. Liubšys unterhalten. Der Tschekist sagte, er sei bei der Hausdurchsuchung dabei gewesen, die im April 1980 in der Stadt Kapsukas, 20-mečio g, Nr. 3, stattgefunden habe. Er kenne auch Lina Briliūtė, die als Wäscherin in der Kirche von Bartininkai arbeitet sowie ihre Schwester Birutė Briliūtė, die als Chorleiterin des Kir­chenchors von Kybartai tätig ist. Er bedauerte, daß so junge Menschen ins Kloster gehen; er interessierte sich dafür ob sich Lina nicht mit irgend­welchen verdächtigen Aktivitäten beschäftige, d. h. ob sie nicht Untergrund­veröffentlichungen vervielfältige und verbreite. Als der Priester A. Liubšys das alles verneinte, ermahnte ihn der Untersuchungsbeamte V. Baumila, daß er in der Zukunft vorsichtig sein solle, denn die Schwester von Lina, Birutė Briliūtė, sei, wie sie sich überzeugt hätten, gegen die sowjetische Regierung eingestellt und könnte auf ihre Schwester einen negativen Einfluß haben.

Das Verhör dauerte etwa drei Stunden.

Prienai

Der Vikar der Pfarrei Prienai, Priester Antanas Gražulis, wurde am 8. Sep­tember 1983 in die Staatsanwaltschaft des Rayons Prienai vorgeladen. Dort erwartete ihn der Staatsanwalt der LSSR, Bakučionis, mit einer Verwarnung. Darin wird dem Priester A. Gražulis Verletzung der Kultgesetze vorgewor­fen. Der Staatsanwalt Bakučionis trug Beweise vor, daß bei der Vorberei­tung des Weihnachtsbaumfestes auch Kinder miteinbezogen waren: Sie hätten Gedichte vorgetragen und religiöse Lieder gesungen, obwohl die Kirche von der Schule getrennt sei. Der Staatsanwalt behauptete, daß das

Statut der religiösen Gemeinschaften die Besuche bei Pfarrangehörigen (zum Kalende-Einbringen) verbiete, Gražulis aber halte diese Vorschrift nicht ein und besuche die Pfarrangehörigen auch weiterhin. Der Priester A. Gražulis legte klar, daß das Kalende-Einbringen nur dann stattfinde, wenn Almosen angenommen werden. Er aber besuche nur die Pfarrange­hörigen und nehme keine Almosen an. Darauf reagierte der Staatsanwalt aber nicht. Priester A. Gražulis wurde der Unterschriftensammlung unter Protestschreiben wegen der Verhaftung der Priester Alfonsas Svarinskas und Sigitas Tamkevičius, wie auch ihrer Verteidigung beschuldigt. Der Staatsanwalt versuchte zu beweisen, daß es ein Vergehen sei, die verhafteten Priester zu verteidigen, weil sie, um mit seinen Worten zu reden, zu Recht als Verbrecher zur strafrechtlichen Veranwortung gezogen worden seien, er aber, der Priester A. Gražulis, untergrabe die Autorität des Staates, wenn er die Verhafteten verteidige.

Am 24. September 1983 druckte die Rayonzeitung von Prienai eine kurze Nachricht ab, in der man schreibt: ». ..Am 8. September 1983 wurde der Vikar der Kirche von Prienai, Priester A. Gražulis, wegen der systematischen Verletzung des Gesetzes für religiöse Kulte wie auch wegen unbegründeter Exzesse gegen die sowjetische Allgemeinheit verwarnt. Im Falle der Wieder­holung ähnlicher Aktivitäten, d. h. der Verletzung der Gesetze könnte er zur Verantwortung gezogen werden.«

 

Kybartai

Nach der Festnahme des Pfarrers von Kybartai, des Priesters Sigitas Tam­kevičius, begannen massenhafte Verhöre der Gläubigen von Kybartai, so­wohl von Kindern als auch von Erwachsenen. Beinahe alle wurden nach folgenden Fragen verhört: Worüber hat der Priester S. Tamkevičius in seinen Predigten gesprochen? Haben Sie wissentlich die Erklärung unterschrieben, die die Diskriminierung der gläubigen Jugend betrifft? Wer hat während der Weihnachtsfeiertage die Weihnachtsbaumfeier für die Kinder neben der Kirche organisiert? Was wissen Sie von dem Eucharistischen Kongreß, der im September 1981 in der Kirche zu Kybartai stattgefunden hat? Haben Sie daran teilgenommen? usw.

Soweit bis jetzt bekannt ist, wurden zum Prozeß gegen Priester S. Tamke­vičius folgende Gläubige der Pfarrei Kybartai vernommen: Am. 6. Juli die Mitarbeiterin der Niederlassung Kybartai der Autotransport-straßenverwaltung von Vilkaviškis, Matilda Mališkienė (vernommen am Ar­beitsplatz, Untersuchungsbeamter V. Baumila).

Am 13. Juli die Mitarbeiterin der Sparkasse von Kybartai, Nastutė Mačiu-laitienė (vernommen in den Räumen des Exekutivkomitees, Untersuchungs-bamter Marcinkevičius).

Am 13. Juli der Einwohner von Kybartai Urbonas (vernommen in der Mi­lizstation, Untersuchungsbeamter Marcinkevičius).

Am 13- Juli die Einwohnerin der Stadt Kybartai, Želvienė (von zu Hause in die Milizstation gebracht, der Untersuchungsbeamte sagte seinen Namen nicht).

Am 13- Juli, Terese Storaitienė (die Frau war krank, deswegen wurde sie zu Hause vernommen, Untersuchungsbeamter V. Baumila).

Am 14. Juli, die Einwohnerin der Darwinstraße, Česnienė.

Am 14. Juli, die Einwohnerin von Kybartai, Menčinskienė (in der Milizsta­tion).

Am 15. Juli, die Organistin der Pfarrei Kybartai, Birutė Briliūtė (vernom­men bei ihr zu Hause, Untersuchungsbeamter V. Baumila).

Am 20. Juli, die Reinigerin der Kirche von Kybartai, Ona Kavaliauskaitė (vernommen in der Milizstation, Untersuchungsbeamter Marcinkevičius).

Am. 20. Juli, Bernadeta Mališkaitė (in der Milizstation, Untersuchungsbe­amter V. Baumila).

Am 20. Juli, Asta und Edita Glaveckaitė und Daiva Sakalauskaitė.

Am 21. Juli, die Schülerin Aušra Karaliūtė (Untersuchungsbeamter Mar­cinkevičius).

Am 25. Juli, die Geschwister Sigita, Asta, Reda und Arvydas Počas.

 

Die Vernommenen bezeugten, daß der Priester S. Tamkevičius ihrer tiefsten Überzeugung nach von den Gläubigen geliebt und verehrt wurde und daß er nichts getan habe, weswegen er bestraft werden mußte. Im Gegenteil, er diente den Gläubigen eifrig; durch sein Verdienst ist heute die Kirche von Kybartai verschönert, der Kirchhof in Ordnung gebracht und verschönert, und viele Kinder und Jegendliche besuchen die Kirche. Die Leute behaup­teten, daß der Priester in seinen Predigten nur Gutes gewollt habe: Er lehrte sie, gewissenhaft zu leben und zu arbeiten und nicht zu heucheln. Viele Gläu­bige gaben während des Verhörs eine ganze Reihe erlebter Beispiele der Diskriminierung wegen religiöser Uberzeugungen an, aber keiner dieser Fälle wurde in das Vernehmungsprotokoll aufgenommen. Beinahe alle Verhörten weigerten sich, das Protokoll zu unterschreiben.

Die Untersuchungsbeamten versuchten die Menschen zu überzeugen, daß der Priester S. Tamkevičius rechtmäßig festgenommen worden sei; er sei angeblich der sowjetischen Regierung gegenüber feindlich gesinnt, und als Beispiel seiner verbrecherischen Aktivität nannten sie die Haltung der Gläu­bigen während des Verhörs, von denen niemand das Vernehmungsprotokoll unterschrieb, obwohl es nach den Worten der Untersuchungsbeamten etwa 200 Personen waren, angefangen von den Dreizehnjährigen bis zum Greis, die vernommen worden sind. Sie bemühten sich, die Leute zu überzeugen, daß sie mit der Verweigerung ihrer Unterschrift dem verhafteten Pfarrer nur schadeten. Die Sicherheitsbeamten verglichen die Gläubigen Litauens mit den Gläubigen Polens, wiesen darauf hin, daß auch in Polen alles mit dem Rosenkranz begonnen habe, und daß der ganzen Geschichte ein Ende gemacht werden müsse. Auf die Erklärungen mancher der Verhörten, daß sie nur dann unterschreiben würden, wenn sie vor Gericht ihre Aussage machen müßten, erwiderten die Untersuchungsbeamten scharf, daß solche Zeugen, wie sie es seien, vom Gericht gar nicht benötigt würden.

Am 20. Juli kamen die Mitarbeiter des KGB aus Vilnius und Vilkaviškis nach Kybartai in die Ostrovski-Straße Nr. 9, um gläubige Jugendliche, den Schüler der elften Klasse, Romas, und die Schüler der zehnten Klasse, Ar­vydas und Edmundas Žemaitis, zu verhören. An der Eingangstür empfing die Mutter der Burschen, Birutė Žemaitienė, die Sicherheitsbeamten. Als sie erfuhr, was die Tschekisten wollten, erklärte sie: »Meine Kinder haben nichts Böses getan, und es besteht keinerlei Grund, sie zu verhören. Jagt nach richtigen Verbrechern! Ich habe meine Kinder großgezogen, und ich trage für sie auch die Verantwortung. Warum habt Ihr damals die Kinder nicht vermißt, als sie noch klein waren und uns die Not gedrückt hat? Warum hat sich damals kein Regierungsbeamter um sie gekümmert? Sind sie vielleicht schon deswegen Verbrecher, weil sie an Gott glauben? Muß man sie des­wegen verhören?! Ich lasse es nicht zu, daß Ihr meine Kinder verhört!« Und sie bat die Sicherheitsbeamten, ihr Haus zu verlassen. Noch am Abend des­selben Tages brachte ein Milizbeamter nochmals die Vorladung zum Verhör. Aber auch diesmal erlaubte die Mutter nicht, ihre Kinder zu verhören. Etwas später übergab ein Milizbeamter für Birutė Žemaitienė selbst eine Vorla­dung, derzufolge sie am 25. Juli um 10 Uhr in der Abteilung für innere Angelegenheiten von Vilkaviškis bei dem Vernehmungsbeamten der Miliz, Antanas Bilbokas, erscheinen mußte.

In der Miliz schimpften sie Frau B. Žemaitienė und bezeichneten sie als frech und antisowjetisch gesinnt. Man drohte ihr mit Arrest und brachte sie vor das Volksgericht von Vilkaviškis, nachdem man ihr gesagt hatte, daß ihre Kinder so oder so verhört würden. Es wurde ihr eine Geldstrafe von 35 Rubel auferlegt und hinzugefügt, daß dieses Urteil endgültig und nicht einklagbar sei. Die Richter erklärten Frau B. Žemaitienė, daß sie für ihre Kinder nicht nur Geldstrafen zahlen müsse, sondern auch Arrest bekommen könne. Nach diesem Vorfall versuchten die Sicherheitsbeamten noch einige Male, die Söhne von B. Žemaitienė zu finden, diese aber nützten die Zeit der Sommerferien aus und fuhren von zu Hause weg.

Arn 6. September kam aus Vilnius der Mitarbeiter des KGB, V. Baumila, in die K.-Donelaitis-Schule in Kybartai und verhörte im Arbeitszimmer des Direktors den Schüler der elften Klasse, Romas Žemaitis. Es folgten die gewohnten, den verhafteten Priester Sigitas Tamkevičius betreffenden Fra­gen. Der Junge unterschrieb das Protokoll nicht. Am selben Tag ließ der Sicherheitsbeamte V. Baumila auch den Bruder des Romas Žemaitis, den Zehntkläßler Arvydas in das Arbeitszimmer des Direktors kommen, aber es gelang ihm nicht mehr, ihn ganz zu verhören, weil die Mutter des Jungen in das Arbeitszimmer des Direktors gekommen war. B. Žemaitienė war sehr verärgert über ein derartiges Benehmen des Sicherheitsdienstes, denn bevor sie im Sommer aus Kybartai wegfuhren, hatten sie ihr versprochen, daß sie die Kinder ohne Wissen der Eltern nicht zum Verhör vorladen wür­den. V. Baumila hieß die Mutter, hinauszugehen. Diese aber erklärte, daß sie nur zusammen mit ihren Kindern gehen werde.

*

 

Am 25. Juli 1983 rief ein Milizbeamter in der Werkstatt für Handelsein­richtungen zu Kybartai telefonisch an, ließ Frau O. Griškaitienė ans Telefon rufen und ließ sie wissen, daß ihre Tochter Stasė Griškaitytė am 26. Juli um 15 Uhr in der Milizstation zu einem Verhör zu erscheinen habe. Die Mutter erklärte, daß sie ihre Tochter nicht allein hingehen lassen werde, weil sie noch nicht volljährig sei. Nach einer halben Stunde kam der Miliz­beamte von Kybartai, Gintas Kereišis, zu O. Griškaitienė an den Arbeits­platz und verlangte von der Mutter, sie solle eine Vorladung zum Verhör unterschreiben, die auf den Namen S. Griškaitytė ausgestellt war. Die Frau war damit nicht einverstanden. Da beschimpfte der erzürnte Beamte Frau O. Griškaitienė als Strolch und drohte ihr mit Arrest. Am Abend desselben Tages noch wurde Frau O. Griškaitienė eine Vorladung zugestellt, derzu-folge sie am 26. Juli um 13 Uhr in der Abteilung für innere Angelegenheiten in Vilkaviškis zu einem Verhör zu erscheinen habe.

Am nächsten Tag kam morgens um 9 Uhr der Milizbeamte G. Kereišis an die Arbeitsstätte und bot Frau O Griškaitienė an, sie selbst in die Abteilung für innere Angelegenheiten nach Vilkaviškis zu bringen. Die Frau erklärte, daß sie laut Vorladung um 13 Uhr dort sein müsse. Dem Beamten blieb nichts anderes übrig, als die Zeit auf 10 Uhr umzuschreiben. Juozas Micke­vičius, der zu der Zeit den Leiter der Werkzeugabteilung vertrat, setzte sich für die zu Unrecht angegriffene Frau ein: »Sie haben kein Recht, sie mitzu­nehmen und sie zu bestrafen, denn sie hat etwas Böses weder getan noch gesagt, wir haben das alles gehört.« Der Beamte erwiderte, daß er keinen Anlaß sehe, sich zu rechtfertigen, und sagte, wenn was unklar sein sollte, dann sollten die Leute mit ihm in die Abteilung für innere Angelegenheiten fahren. Juozas Mickevičius tat es auch. Aber in der Miliz hörte man weder Frau O. Griškaitienė noch J. Mickevičius ernsthaft an. Auf alle Versuche, die Wahrheit zu finden, v/urde mit boshaftem Spott und mit Drohungen reagiert. Schließlich machten sie noch Bemerkungen, daß man überhaupt »ganz Kybartai in die Luft sprengen sollte, daß kein Fleck mehr davon bleibt«.

Nach einer halben Stunde landete O. Griškaitienė vor dem Volksgericht der Stadt Vilkaviškis, wo sie wegen geringfügigen Rowdytums mit einer Geld­strafe von 40 Rubel belegt wurde. Die Frau, die O. Griškaitienė verurteilte und weder ihren Rang noch Namen gesagt hatte, fügte hinzu, daß der Ge­richtsbeschluß endgültig und uneinklagbar sei.

Kaunas

Am 24. August 1983 wurde die Mutter des verstorbenen Priesters Virgilijus J augelis, Monika Jaugelienė, in den Sicherheitsdienst der Stadt Kaunas zu einem Verhör vorgeladen. Es verhörte der Untersuchungsbeamte des KGB der Stadt Vilnius, Vidmantas Baumila. Er fragte sie aus, ob sie den Priester Sigitas Tamkevičius gekannt, wann sie ihn näher kennengelernt, ob sie seine Predigten gehört und worüber der Priester in seinen Predigten meistens gesprochen habe. Der Untersuchungsbeamte interessierte sich für ihren ver­storbenen Sohn, den Priester V. Jaugelis. Er fragte, warum er in Kybartai und ausgerechnet noch unter dem Turm der Kirche beigesetzt worden sei und erkundigte sich, ob nicht der Priester S. Tamkevičius hinter all dem stecke.

Am 5. September verhörte ein Sicherheitsbeamter in den Räumen des KGB zu Kaunas Frau M. Jaugelienė noch einmal. Dieses Mal erkundigte er sich, wo ihr Sohn gewohnt habe, als er in Kybartai war; wo er gearbeitet habe; warum er sich, als er krank wurde, nicht in den Krankenhäusern von Kybartai oder Vilkaviškis habe behandeln lassen; wo er behandelt worden sei und wer ihn behandelt habe, wo er gewohnt habe, bevor er starb; ob der Pfarrer von Kybartai, Priester S. Tamkevičius, ihren kranken Sohn nicht besucht habe, wie lange die Besuche bei dem Kranken gedauert hätten, worüber sie sich unterhalten hätten und ähnliches.

Garliava (Rayon Kaunas)

Am 5. September 1983 wurde der Einwohner von Garliava im Rayon Kaunas (Pažangos 11), Saulius Kalpšas, um 12 Uhr zum Verhör in die Unterabtei­lung des KGB der Stadt Kaunas zum Untersuchungsbeamten V. Baumila vorgeladen. Der Sicherheitsbeamte interessierte sich, ob der Vorgeladene den Priester Sigitas Tamkevičius persönlich gekannt oder ob er nicht an dem Eucharistischen Kongreß teilgenommen habe, der in Kybartai stattgefunden hätte. Er legte eine Unterlage vor, auf der die Nummer des Autos von S. Kelpšas notiert war. Der Untersuchungsrichter behauptete, daß sie in Ky­bartai festgestellt worden sei. Als Antwort darauf erklärte der Junge, daß die Nummer jeder überall und zu jeder Zeit notieren kann, und deswegen sei dies noch kein Beweis. V. Baumila stellte ein Protokoll zusammen und verlangte, daß S. Kelpšas es unterschreiben solle. Dieser aber verweigerte es mit der Begründung, daß er den sowjetischen Beamten nicht mehr traue, weil sie Tatsachen und Protokolle verfälschen usw. Als Beispiel brachte er vor, daß er während der Gerichtsverhandlung gegen Priester Alfonsas Sva­rinskas zur Zahlung von 50 Rubel bestraft worden sei, weil der Milizbeamte lügenhaft ins Protokoll geschrieben habe, daß er, also S. Kelpšas, angeblich auf dem Leninprospekt Radau gemacht, geschrien und gesungen habe. Der Befragte fragte den Untersuchungsbeamten V. Baumila: »Was meinen Sie, wo sie mich hingebracht hätten, wenn ich mich wirklich so benommen hätte — vors Gericht oder in das psychiatrische Krankenhaus?« Der Unter­suchungsbeamte bestätigte, daß er in einem solchen Falle eher im Kranken­haus als vor Gericht landen würde. »Jetzt aber«, fuhr der Befragte fort, »wird dieses Dokument als rechtmäßig betrachtet und bei jeder erdenklichen Gelegenheit gegen mich angewendet werden«. Der Sicherheitsbeamte gab zu, daß ein Dokument wirklich ein Dokument bleibe, und fügte hinzu, daß die Milizmänner »sich übernommen« hätten, aber eine Änderung sei nicht mehr möglich.

Vilkaviškis

Am 6. September 1983 übergab der Sicherheitsbeamte von Vilkaviškis, Ma­salskis, der Einwohnerin von Vilkaviškis, Dana Kelmelienė, wohnhaft in Statybininkų 4-3, eine Vorladung zum Verhör. Am 7. September wurde sie in den Räumen des Sicherheitsdienstes von Vilkaviškis von dem Unter­suchungsbeamten des KGB aus Vilnius, Oberleutnant V. Baumila, verhört. Wegen ihrer schlechten Gesundheit wurde D. Kelmelienė von ihrem Mann Antanas Kelmelis begleitet. Die Sicherheitsbeamten ließen A. Kelmelis aber nicht an dem Verhör teilnehmen; er mußte unter Aufsicht der Sicherheits­beamten von Vilkaviškis in einem anderen Arbeitszimmer warten. Die Sicherheitsbeamten wunderten sich, wie A. Kelmelis derartige Anschau­ungen vertreten könne und daß er, der selbst aus einer kommunistischen Familie stamme, das sowjetische System schlecht mache. »Daß ich in einer Familie echter Kommunisten geboren und aufgewachsen bin, das stimmt.

und gerade deswegen könnt ihr mir nichts vormachen oder etwas Neues er­zählen«, sagte A. Kelmelis.

D. Kelmelienė wurde beim Verhör über die in der Erklärung der Jugend genannten Fälle von Diskriminierung der gläubigen Jugend ausgefragt. Sie fragten, ob es zutreffe, daß der Sicherheitsdienst und die Miliz die Jugend­lichen, die in ihrer Wohnung anläßlich einer Geburtstagsfeier versammelt gewesen seien, festgenommen und in die Milizstation von Vilkaviškis ge­bracht habe. Außerdem wollte man wissen, ob sie den Text der Erklärung bewußt unterschrieben habe. D. Kelmelienė bestätigte dies als Tatsache.

Der Untersuchungsbeamte V. Baumila befragte die Vorgeladene weiter, ob sie die »Chronik der LKK« lese und ob sie wisse, wer sie vervielfältige und ins Ausland übergebe. Die Frau erwiderte, daß sie davon nichts wisse. D. Kelmelienė unterschrieb das Protokoll nicht. Das Verhör dauerte etwa eine Stunde lang

Vilnius

J. Sadūnas wird in der letzten Zeit wieder verhört. Die Sicherheitsbeamten drohten ihm, daß seine Schwester Nijole Sadūnaite zu langen Jahren Ge­fangenschaft verurteilt werde, sobald man sie gefunden habe.

 

*

Am 22. Juli 1983 kamen zwei Mitarbeiter des KGB in die Poliklinik der Industriebetriebe zu Vilnius, wo sie dem Oberarzt der Poliklinik, Bagdonas, erklärten, daß sie die Ärztin Marija Sadūniene unverzüglich zu einem Ver­hör zum Amtssitz des Sicherheitsdienstes bringen müßten. Die Tschekisten waren sehr erstaunt, als die vorgeladene M. Sadūniene verlangte, das Doku­ment vorzuzeigen, auf Grund dessen sie in das Komitee des Staatssicher­heitsdienstes zum Verhör gebracht werden solle. Als M. Sadūniene den Sicherheitsbeamten, mit dem sie fahren sollte, bat, seinen Personalausweis vorzuzeigen, wollte letzterer anonym bleiben. Er zeigte seinen Ausweis nur aus der Ferne und sagte, daß er für das Verhör keine schriftliche Unter­lage habe. Obwohl in der Poliklinik kein anderer Augenarzt mehr anwesend war, wurde M. Sadūniene zum Sicherheitsdienst gebracht.

Außer den zwei schon erwähnten Tschekisten kam zum Verhör noch ein dritter hinzu. Als M. Sadūniene von ihm, der wohl das Verhör führen werde, verlangte, er möge sich vorstellen, erklärte dieser dritte Tschekist ironisch: »Die Zeiten sind schon vorbei, als wir jedem Verhörten klarmachten, wer verhört, warum er verhört usw.«

Nun wurde der Vorgeladenen erklärt, sie habe nach vorliegenden Berichten am 3. oder 4. Juli einige Exemplare verbotener Untergrundliteratur bekom­men. Die Tschekisten wollten wissen, wo sich die genannte Literatur jetzt befinde, wem sie sie zum Lesen gegeben habe usw. M. Sadūniene erklärte, daß nichts dergleichen geschehen sei, sie habe keine Untergrundveröffent­lichungen bekommen und sie sei erstaunt darüber, daß sie, nachdem sie einen Monat geduldig gewartet hätten, sie ausgerechnet heute so eilig sogar von der Arbeit weg zum Verhör gebracht hätten. »Wir werden dich noch öfter von der Arbeit weg zum Verhör holen, wenn es notwendig ist«, stellte der Tschekist klar. »Wir wissen gut, daß Du das Vertrauen der Freunde der Nijolė Sadūnaitė gewonnen hast. Paß aber auf, daß mit Dir nicht dasselbe geschieht wie mit Jonas Sadūnas!« Später wiederholte er sogar einige Male: »Du arbeitest bis jetzt noch in der Poliklinik! In wessen Namen habt Ihr denn die kooperative Wohnung bekommen? Denken Sie über Ihre Zukunft nach — Sie sind nicht mehr so jung! Wozu brauchen Sie den ganzen Unter­grundplunder? Wenn Sie nicht sagen, wo Sie die Untergrundliteratur hingetan haben, dann werden wir Eure Wohnung durchsuchen, und wir werden sie schon finden.« Der Tschekist, der M. Sadūnienė in den Sicherheitsdienst gebracht hatte, erklärte in diesem Moment, daß es im Augenblick keine ver­botene Undergrundliteratur in der Wohnung der M. Sadūnienė gebe; aber er begriff sofort, daß er sich verplappert hatte und verbesserte: »Im Augen­blick gibt es wahrscheinlich keine Untergrundliteratur dort.« (Der Sicher­heitsdienst führt nicht selten Durchsuchungen geheim durch, d. h. in Ab­wesenheit der Wohnungsinhaber — Bern. d. Red.) Die Tschekisten proto­kollierten das Verhör nicht. Außerdem verlangten sie, M. Sadūnienė solle unterschreiben, daß sie am 3. und 4. Juli keine antisowjetische Literatur bekommen habe. Das Verhör dauerte etwa eine Stunde lang.

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Am 22. September 1983 wurde Petras Cizikas auf der Straße angehalten und bekam einen Durchsuchungsbefehl überreicht. Auf seine Erkundigung, aus welchem Grund bei ihm eine Durchsuchung gemacht wurde, antwortete die Untersuchungsbeamtin Kubiliauskyte: »Wir werden nach Reproduk­tionen von Rembrandt und nach anderen Bildern suchen.« Während der Durchsuchung (in Vilnius, Gvazdiky I-ji Nr. 2) wurde in den kleinsten Schubläden, in Kleidern, im Kühlschrank und anderswo nach Bildern »ge­sucht«, wo solche Dinge überhaupt nicht sein können. Mitgenommen wurde: »Bausmė be nusikatimo« (»Strafe ohne Vergehen«) von Andriukaitis, der Text der Rede des Kardinals Slipyi, Aufnahmen der Priester A. Svarinskas und S. Tamkevičius, kleine Medaillen mit der Abbildung Christi, kleine Bilder und Gebetetexte. Während der Durchsuchung verschwand ein Artikel über das Leben von Vydūnas.

Nach der Durchsuchung ließen sie eine Vorladung in die Milizverwaltung zu einem Verhör zurück. Da die Vorladung ohne Stempel war, ging P. Cizikas nicht zu dem Verhör.

Am 7. Oktober wurde im Briefkasten eine Vorladung zum Verhör ohne Stempel für den 3. Oktober gefunden.

Kaunas

Am 20. Juli 1983 wurde in der Wohnung der Einwohnerin von Kaunas, Stefanija Jašmontaitė (Piliakalnio 9-67), eine Durchsuchung gemacht mit dem angeblichen Ziel, gestohlene Sachen, und zwar ein Messer, mit dem Verbrechen begangen worden sein sollen, Personaldokumente wie auch andere für Prozeßakten wichtige Dokumente zu finden und mitzunehmen. Die Durchsuchung leitete der Stellvertreter des Leiters für Kriminalfahndung der Abteilung für innere Angelegenheiten des Rayons Požėla der Stadt Kaunas, Skaudickas, die Zeugen waren: Bačkaitienė Romutė, Tochter des Vaclovas (Piliakalnio 9-64) und Naikauskienė Nijolė, Tochter des Vladas (Piliakalnio 9-62). Bei der Durchsuchung wurden mitgenommen: die Unter­grundveröffentlichungen »Chronik der LKK« Nr. 58, »Aušra« (»Die Mor­genröte«) Nr. 28, eine Schreibmaschine Marke »Continental«, ein Notiz­büchlein mit handschriftlichen Eintragungen, 18 Magnetophonbänder mit Aufnahmen von Predigten und Liedern, die Bücher »Swarbiausias aki­mirksnis« (»Der wichtigste Augenblick«) von A. M. Weigl und »Vienuolijų vaidmuo dorovinio gyvenimo ugdyme« (»Die Rolle der Klöster in der Ent­faltung des sittlichen Lebens«). Die Durchsuchung dauerte etwa drei Stunden.