Vilnius

In dem geheimen »Informationsbulletin« Nr. 1, 1983, wurde die Rede des Sekretärs des ZK der KPL, P. Griškevičius, über aktuelle Fragen des Kamp­fes gegen den klerikalen Extremismus und über die Aufgaben der Partei­organisation in der atheistischen Erziehung der Einwohner der Republik abgedruckt.

Der Parteiführer gibt zu Beginn einen allgemeinen Überblick über die Kirche in Litauen. Er freut sich, daß sich viele Geistliche der Regierung ge­genüber loyal verhalten. Es gebe aber einen Teil, der extremistisch einge­stellt sei und sich bemühe, die anderen Priester, besonders die jungen, auf seine Seite zu ziehen. Den Ton für diese ideologischen Uneinigkeiten gebe wie üblich der Vatikan an.

Besonders griff der Parteisekretär Papst Johannes Paul II. an, weil er der litauischen Kirche gegenüber stets seine Gewogenheit zeigt. Er erinnerte daran, daß viele Priester aus dem Ausland kommen und versuchen, gegne­rische Literatur in Litauen einzuschmuggeln. Sie hätten auch den Priestern A. Svarinskas und S. Tamkevičius und anderen Personenautos gekauft.

Er sparte auch nicht mit bösen Worten über das Komitee der Katholiken zur Verteidigung der Rechte der Gläubigen. Es fordere angeblich die Leute auf, verschiedene Erklärungen zu schreiben und das Statut der religiösen Vereinigungen nicht einzuhalten.

»Die Priester der Diözese Telšiai haben erklärt, daß sie die sowjetischen Gesetze über die religiösen Kulte nicht einhalten könnten, weil sie dem Evangelium und dem Geiste der Beschlüsse des II. Vatikanischen Konzils widersprächen. Wir haben ausreichende Maßnahmen, um unsere Rechts­ordnung zu sichern! Hier wird es kein Entgegenkommen oder Zugeständ­nisse geben! Man muß nur die Organisatoren der Kollektivbriefe rechtzeitig entlarven!«

Der Parteiführer sprach viel über die Ablaßfeierlichkeiten, über die Pilger­märsche nach Šiluva, zum Berg der Kreuze und zu anderen heiligen Stätten und forderte dazu auf, irgendwelche neuerscheinenden Traditionen sofort zu beseitigen.

»Die geheime Priestervorbereitung darf nicht zur Gewohnheit werden; aus ihr gehen dann Leute hervor, die keine Erlaubnis haben und trotzdem das »Hirtenamt« betreiben. Solche sind als Schmarotzer zu betrachten!«

Er fordert dazu auf, die Priesterkomitees in den Diözesen (Priesterräte — Bern. d. Red.) dadurch aufzulösen, daß man sie als gesetzwidrig erklärt.

»Die Kontrolle der Predigten ist zu verstärken und gegen jene Priester, die Antikommunismus propagieren, sind Maßnahmen zu ergreifen. Wenn die verwarnten Priester keine Schlüsse daraus ziehen, sind strengere Maßnah­men anzuwenden: das Anmeldungszeugnis ist ihnen wegzunehmen.«

»In jedem Arbeitskollektiv ist eine Atmosphäre des Hasses gegen extre­mistisch gesinnte Priester zu schaffen. Es ist danach zu streben, daß auch die Gläubigen an den Predigten der antisowjetischen Priester Anstoß nehmen.«

Weiter beklagt sich der Redner: »Es ist direkt peinlich zu sehen, daß etwa 3000 Kinder in die aktive religiöse Tätigkeit einbezogen sind! Das ist ein ernstes Vergehen!« Der Parteichef gibt Anweisung, so streng wie nur mög­lich dagegen anzukämpfen, indem man sich Mühe gibt, die Kinder von den religiösen Andachten fernzuhalten.

Große Aufmerksamkeit schenkte P. Griškevičius der Frage der Klöster. Seiner Meinung nach gibt es in Litauen etwa 1500 Ordensfrauen, die un­umgänglich zu neutralisieren seien, damit sie keinen Einfluß auf ihre Um­gebung haben.

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Am 5. November 1983 legte der Bevollmächtigte des RfR, P. Anilionis, dem Vikar der Kirche von N. Vilnia, Priester Stanislovas Puidokas, eine

 

Verwarnung folgenden Inhalts vor: »Der Vikar zu Vilnius, Priester St. Puidokas, hat am 30. Oktober 1983 in der Kapelle »Aušros vartai« (»Mor­genröte«) Gottesdienst abgehalten, eine unreligiöse Predigt gehalten, die Gläubigen desinformiert und damit den Artikel 19 des Statuts der religiösen Gemeinschaften verletzt (»Das Tätigkeitsgebiet der Kultusdiener wird durch den Wohnort der Mitglieder der von ihm bedienten religiösen Gemeinschaft und der dazugehörenden Gebetshäuser begrenzt«).

Deswegen wird er gewarnt, daß er in der Zukunft wegen der Verletzungen der Vorschriften dementsprechend bestraft wird.« Die Verwarnung unter­zeichnete der Bevollmächtigte des RfR, P. Anilionis.

Priester S. Puidokas unterschrieb die Verwarnung nicht, weil die Kapelle der Morgenröte ein Heiligtum ganz Litauens ist und dort alle die Hl. Messe zelebrieren dürfen; die Predigt ist ein untrennbarer Bestandteil der Hl.

Messe.

In der Predigt waren einige Gedanken aus dem Artikel »Verurteilt wegen der Verletzung der Gesetze« aus der Zeitung »Tiesa« (»Die Wahrheit«) vom 7. 5. 1983 über die Gerichtsverhandlung des Priesters A. Svarinskas zitiert worden.

Der Bevollmächtigte betrachtet das als ein großes Vergehen.

Plateliai (Rayon Plungė)

In der Nacht des 7. Oktober 1983 drangen unbekannte Übeltäter in die Kirche von Plateliai ein und raubten die Tabernakel der zwei Seitenaltäre aus; sie versuchten auch den Tabernakel am Hauptaltar zu plündern, konn­ten es aber nicht, weil er mit einem Stahlblech beschlagen ist. Die Eindring­linge nahmen ein altes, kunstvolles, vergoldetes Reliquiar von einem Seiten­altar mit.

Švenčionėliai (Rayon Švenčionys)

Am 26. November 1983 wurde um 19 Uhr in der Kirche von Švenčionėliai für die Verstorbenen der Pfarrei und für den Priester Bronius Laurinavičius (am zweiten Jahrestag seines Todes) gebetet. Die Rayonverwaltung legte schon im voraus Wert darauf, daß des Jahrestages des Todes von Priester B. Laurinavičius nicht gedacht werden sollte. Die Priester und die Gläu­bigen kamen an diesem Tag in der Kirche von Švenčionėliai uneingeladen zusammen. Die konzelebrierte Hl. Messe feierten Priester Kazimieras Gailius, Pfarrer von Švenčionys, Priester Kazimieras Žemėnas und Priester Aldas Čeponis. Die Predigt hielt Priester Jonas Lauriūnas. Gleich nach den Feierlichkeiten wurde der Pfarrer der Pfarrei, Priester K. Gailius, nn die Rayon­verwaltung beordert. Hier wurden ihm Vorwürfe gemacht, weil er die »Ver­einbarung« nicht eingehalten habe; man beschuldigte ihn, daß er die Priester eingeladen habe, fragte ihn aus, woher die Mädchen in Nationaltrachten gekommen seien und warum er Priester Jonas Boruta, der illegal das Prie­sterseminar abgeschlossen hat, die Hl. Messe feiern ließ (Priester J. Boruta feierte die Hl. Messe erst, als der Gottesdienst schon zu Ende war und als die Gläubigen schon beinahe alle weg waren.

Garliava (Rayon Kaunas)

Am Sonntag, dem 30. Oktober 1983, wurde während des Hochamtes in der Kirche zu Garliava für die vor einem Jahr verhaftete und zur Zeit im Ge­fängnis gehaltene Einwohnerin von Garliava, Jadvyga Bieliauskiene, gebetet. Am Vorabend meldeten sich bei Mgr. Andrius Gustaitis telefonisch angeb­liche Milizbeamte und erklärten, daß sie erfahren hätten, daß eine Zusam­menkunft organisiert werde. Gleichzeitig wunderten sie sich sehr, wie man für eine noch lebende Person eine Hl. Messe feiern könne. Die Predigt während der Hl. Messe hat Mgr. A. Gustaitis gehalten. Nach dem Gottes­dienst betete die ganze Kirche gemeinsam mit dem Priester Jonas Boruta für die Gefangenen einen Teil des Rosenkranzes.

Pagramantis (Rayon Tauragė)

Am 15. August 1983 wurde in der Kirche von Pagramantis schon das zweite Jahr ein Fürbitt- und Sühnegottesdienst wegen der Schändung des Aller-heiligsten Sakramentes abgehalten. Noch ziemlich lange vor den Feierlich­keiten lud die Stellvertreterin des Vorsitzenden des Rayonexekutivkomitees von Tauragė den Vorsitzenden des Kirchenkomitees von Pagramantis ein, damit dieser das Versprechen unterschreibe, daß der Vikar von Tauragė, Priester A. Beniušis, Predigtverbot bekomme.

Zu Beginn des Fürbittgottesdienstes wurden zwei Teile des Rosenkranzes für die gefangenen Priester Alfonsas Svarinskas und Sigitas Tamkevičius gebetet. Den dritten Teil des Rosenkranzes beteten die Gläubigen in einer Prozession auf den Knien, angefangen vom Tor des Kirchhofes bis zum Hauptaltar in der Kirche. Die Prozession, an der auch die Jugend und die Kinder zahlreich beteiligt waren, dauerte etwa 45 Minuten. Nachher wurde um 17 Uhr die Hl. Messe gefeiert. Der Dekan von Tauragė, Priester Puzaras, forderte in seiner Predigt die Gläubigen auf, fleißig ihre Pflichten zu er­füllen und ihre Rechte zu verteidigen; die Eltern baten, ihre Kinder religiös zu erziehen und mehr für einander zu beten. Nach der Hl. Messe fand auf dem Kirchhof eine Fürbittprozession mit dem Allerheiligsten statt. Der Gottesdienst wurde mit dem Lied »Maria, Maria« beendet.

Meškuičiai (Rayon Šiauliai)

Im Oktober 1983 wurde eines Nachts ein Schmerzensmann (in Litauen »der Sorgenvolle« genannt), der fünf Meter hoch war, auf den Berg der Kreuze gebracht. Er trug die Inschrift: »Kehre heim, mein Sorgenvoller, am Weg­rand zu trauern, die welke Raute unter'm Kreuze grünt dann wieder schön. Die tränenüberströmten Wangen Litauens werden voll mit Freuden, und das heilige Land Mariens wird Auferstehung feiern.« (eine freie Über­setzung).

Wegen Zeitmangels und weil Arbeitskräfte fehlten, konnte die Statue aber über Nacht nicht aufgestellt werden; zum Aufstellen hätte man 8 Männer gebraucht.

Als man am 19. Oktober 1983 auf den Berg kam, fand man den »Sorgen­vollen« nicht mehr. Er war inzwischen zersägt und irgendwohin weggefahren worden. Die Stifter der Statue legten an der Stelle Blumen und ein kleines Kreuz nieder. Es war mit einem Band umwunden, worauf stand: »An dieser Stelle haben böse Hände einen »Sorgenvollen« zersägt. Herr, vergib ihnen.«

Utena

Am 14. August 1983 wurde in der Kirche zu Utena das Sakrament der Firmung gespendet. Schon frühmorgens war die Kirche mit Menschen ge­füllt, die Firmlinge allein machten schon beinahe 2000 aus. Nur die verschie­denen Beamten, die vom Rayonexekutivkomitee zum Schnüffeln in die Kirche geschickt worden waren, störten die Andacht. Auf dem Kirchhof entstand ein Krawall, als die Beamten die Devotionalienhändler angriffen: Sie nahmen ihnen heilige Bildchen, Rosenkränze und Kreuzchen weg, drehten ihre Hände herum und führten sie mit Gewalt in die Milizabteilung.