An den Generalsekretär des ZK der PKSU Abschrift: an den Ersten Sekretär des ZK der KPL
Erklärung
der Priester der SSR Litauen
Noch vor 30 Jahren und noch früher, in den Zeiten des Personenkults, meinten manche führende Persönlichkeiten der Sowjetunion, daß man den Kommunismus ohne Anwendung von Zwang und Drohung unmöglich verwirklichen werde. Die XX. Vollversammlung der KPSU machte dieser schändlichen Taktik ein Ende: Die Lager wurden leerer, viele von ihnen wurden sogar geschlossen, die Verbannten kehrten in ihre Heimat zurück, die auseinandergerissenen Familien vereinigten sich wieder — und das Kultur- und Wirtschaftsleben wurde davon kein bißchen schlechter, sondern im Gegenteil: es ging bergauf.
Es ist sehr bedauerlich, daß nicht alle Anomalien aus den Zeiten des Personenkults beseitigt wurden; manche von ihnen existieren auch heute noch. Eine von diesen Anomalien ist die Einschränkung der Gewissens- und Religionsfreiheit, die Herabwürdigung der Religion und die zwangsmäßige Atheisierung. Daß das alles wahrhaftig Anomalien sind, zeigt deutlich das Leben selbst. Heuzutage gibt es in Europa eine ganze Reihe sozialistischer Staaten, in denen solche Anomalien kaum spürbar sind? Die Gläubigen werden weder in den Schulen noch auf ihrem Arbeitsplatz diskriminiert, religiöse Literatur wird ausreichend herausgegeben, und trotzdem geht es im Kultur- und Wirtschaftsleben nicht langsamer voran als bei uns. So ist es beispielsweise in der Deutschen Demokratischen Republik. Dort gibt es etwa genauso viele Katholiken wie in Litauen, und der St. Benno Verlag gab innerhalb von 20 Jahren über 2000 (zweitausend!) Titel von Büchern religiösen Inhalts heraus, durchschnittlich also zwei Bücher in der Woche.
In Litauen dagegen durften, wie die » Valstiečių laikraštis« (»Zeitung der Landbewohner«), Nr. 56, 1983, schreibt, innerhalb der letzten 28 Jahre lediglich 23 Veröffentlichungen gedruckt werden, und davon war der größere Teil in einer kleinen Auflage nur für die Priester bestimmt. Dort wird der Religionsunterricht in den Kirchen und in den zu den Kirchen gehörenden Räumen nicht verboten; dort verspottet niemand die Kinder in der Schule wegen ihrer religiösen Anschauungen, und niemand zwingt sie, antireligiöse Aufsätze zu schreiben und antireligiöse Gedichte vorzutragen; die Lehrer werden nicht gezwungen, antireligiöse Propaganda zu treiben und gegen ihre eigenen Überzeugungen zu reden. Dort arbeiten die Klöster, die Zahl der Seminaristen an den Priesterseminaren wird von der Staatsregierung nicht eingeschränkt, dort werden religiöse Wallfahrten nicht verboten. Und siehe da! Dieses Deutschland, das im letzten Krieg am meisten zerschlagen wurde, nimmt heute in wirtschaftlicher Hinsicht unter den sozialistischen Staaten eine der ersten Stellen ein! Die Religionsfreiheit hat ihm nicht geschadet, hat das wirtschaftliche und kulturelle Wachstum nicht beeinträchtigt.
Aus menschlicher und juristischer Hinsicht kann man die Diskriminierung der Gläubigen und die Einschränkung der Religion mit nichts rechtfertigen. Die aufgezwungene Atheisierung rechtfertigte sich selbst nicht: Wenn die Atheisten behaupten, daß der Einfluß der Religion im Volke immer geringer wird, dann zeigt die Wirklichkeit des Lebens, daß der Alkoholismus sich immer mehr verbreitet, daß die Zahl der Ehescheidungen größer wird, der moralische Zerfall im gesellschaftlichen Leben wächst, und die Gläubigen werden dadurch gegen die Atheisten selber eingestellt.
Die Verfassung der Sowjetunion garantiert allen die Gewissens- und die Religionsfreiheit: Jeder Mensch hat das Recht, eine Religion zu bekennen oder Atheist zu sein; deswegen haben die Atheisten kein Recht, mit Zwang oder Einschüchterungen die anderen zu zwingen, Atheisten zu werden. Sie haben kein Recht, die Gläubigen zu benachteiligen, ihnen das elementarste Recht abzuerkennen, frei ihren Glauben zu bekennen und die Religion auszuüben, ihre Kinder nach den eigenen religiösen Überzeugungen zu unterrichten und zu erziehen wie auch die dazu nötige Literatur zu erwerben. Eingedenk ihrer Verpflichtungen den internationalen Deklarationen gegenüber muß die Staatsregierung den Eltern helfen, diese ihre Rechte zu verwirklichen und darf sie zumindest nicht an deren Verwirklichung hindern. Die Schule bei uns hingegen, die dem Willen der religiösen Eltern widerspricht und das Ansehen der Eltern untergräbt, zwingt die Kinder mit Gewalt, Atheisten zu werden. Wir würden es alle als eine unnormale Sache betrachten, wenn die Kinder der Atheisten ohne Wissen und Einverständnis der Eltern zwangsweise in einer religiösen Organisation eingeschrieben würden. Es würde den größten Krach geben! Aber gerade so machen es bei uns die Lehrer mit den gläubigen Kindern der gläubigen Eltem, indem sie sie zwangsweise bei den Spaliukai (Oktobristen) oder bei den Jungen Pionieren einschreiben; ähnlich werden auch die gläubigen Schüler und Studenten gezwungen, der Kommunistischen Jugend beizutreten.
Die sowjetische Presse schreibt, daß die sowjetischen Gesetze für alle gleich sind. Manche Gesetze oder Instruktionen (sogar geheime) sind aber leider speziell gegen die Gläubigen gerichtet, und mit ihrer Hilfe wollen die Atheisten das religiöse Leben regeln. Es wäre interessant zu erfahren, was die Atheisten sagen würden, wenn die Gläubigen mit ähnlichen Maßnahmen das öffentliche und private Leben der Atheisten regeln wollten?
Die sowjetische Presse behauptet, daß die Regierungsorgane der Sowjetunion sich in die inneren Angelegenheiten der Kirche nicht einmischen. In Wirklichkeit aber bestimmen gerade sie endgültig, wer im Priesterseminar studieren und wer das Amt eines Priesters ausüben darf, sie bestimmen die Grenze der Alumnenzahl im Priesterseminar, sie erlauben den Bischöfen nicht, selbständig zu arbeiten, sie hindern den Papst, neue für die Kirche geeignete Bischöfe zu ernennen.
Gerade gegen diese Anomalitäten haben die Priester und die Gläubigen ihre Stimmen erhoben sowie auch das Komitee der Katholiken zur Verteidigung der Rechte der Gläubigen, zu dem auch die Priester Alfonsas Svarinskas und Sigitas Tamkevičius gehörten. Sie alle forderten jene Meinungs-, Gewissensund Religionsfreiheit, über welche die internationalen Deklarationen sprechen, die von den anderen Staaten und von der Sowjetunion unterzeichnet wurden.
Wir lesen in der sowjetischen Presse über so viele Fakten des Mißbrauchs der sowjetischen Ordnung und über die Gewissenslosigkeit der Mißstände. Auch das Komitee der Katholiken zur Verteidigung der Rechte der Gläubigen hat diesbezüglich nicht mehr gesagt — es hat auch nur die Mißstände öffentlich hervorgehoben, die in den Bereichen der Sittlichkeit und Gerechtigkeit und in den Beziehungen zwischen Staat und Kirche immer wieder vorkommen; aber diese seine Kritik bezeichnete die sowjetische Presse gleich als Anschwärzung und Verleumdung und hat sie als Vergehen verurteilt. Bei dieser unserer Erklärung berufen wir uns nur auf die Nachrichten der Presse über die Gerichtsverhandlung gegen den Priester Alfonsas Svarinskas und auf die konkrete eigene Erfahrung, weil keiner der mitarbeitenden Priester oder daran interessierten Gläubigen in den Gerichtssaal eingelassen wurde, als die Verhandlung stattfand.
Alle, die in den Gerichtssaal gelangen wollten, wurden vor dem Gerichtspalast oder sogar schon auf dem Leninprospekt von der Miliz angehalten, in die Wälder einige Zig-Kilometer von Vilnius entfernt hinausgefahren und dort gezwungen, einzeln auszusteigen. Manche wurden mit einer Strafe von 50 Rubel belegt, die anderen wieder mit 10 Tagen Arrest. In einem Fall sind mehr als ein Dutzend Priester angehalten und ohne Grund einige Stunden lang in der Miliz festgehalten worden.
Aus dem ganzen ergibt sich die Folgerung: Man sollte nicht die Menschen wegen Kritik in die Gefängnisse stecken, sondern die internationalen Rechte verwirklichen, die die ganze Kulturwelt einhält und die einzuhalten auch die Sowjetunion sich verpflichtet hat. Nach der tiefsten Überzeugung der Priester und der Gläubigen ist die Verurteilung des Priesters A. Svarinskas und die Festnahme des Priester S. Tamkevičius ein großer Irrtum. (Wir bezeugen durch eine mit 70 000 Unterschriften versehene Erklärung an Sie und andere Behörden, daß sie unschuldig sind). Deswegen bitten wir Sie, das Urteil des Obersten Gerichts zu annullieren und diese beiden Priester unverzüglich freizulassen.
Unterschrieben haben folgende Priester der Erzdiözese Vilnius:
Vaclovas Aliulis Antanas Andriuškevičius Julius Baltušis Danielius Baužys Romualdas Blažys Jonas Charukevič Aldas Čeponis Vladas Černiauskas Petras Daunoras Antanas Dilys Antonis Dzieken Kazimieras Gailius Konstantinas Gajauskas Ignas Jakutis Pijus Jankus Bronius Jaura Stanislovas Kakarieka Aleksandras Kaškevičius Algis Kazlauskas Algimantas Keina Kazimieras Kindurys Tadeušas Kondrusevičius Jonas Kukta Jonas Lauriūnas Stasys Lidys Silvestras Malachovski Stasys Markevičius Alfonsas Merkys
Konstantinas Molis Juzefas Obremski Nikodemas Pakalka Zenonas Patiejūnas Edmundas Paulionis Mykolas Petravičius Alfonsas Petronis Juozas Puidokas Stanislovas Puidokas Kazimieras Pukėnas Vytautas Pūkas Bronius Sakavičius Justinas Saulius Leonas Savickas Marijonas Savickas Antanas Simonaitis Martynas Stonys Jordanas Slėnys Alfonsas Tamulaitis Česlovas Taraškevičius Petras Tarvydas Adolfas Trusevič Juozas Tunaitis Steponas Tunaitis Albertas Ulickas Jonas Vaitonis Domas Valančiauskas Kazimieras Valeikis
Stanislovas Valiukėnas Donatas Valiukonis Kazimieras Vasiliauskas Vaclovas Verikas Antonis Zaman Kazimieras Žemėnas Leonidas Nestiukas
Es weigerten sich zu unterschreiben:
Henrikas Blaževič Ričardas Černiauskas Vytautas Jeskelevičius Jonas Kardelis Napoleonas Norkūnas Juozas Norkūnas Ignas Paberžis
Anton Pilipčik Mykolas Žemaitis Petras Purlys Kazys Meilus Jonas Boruta Kazimieras Žilys (Diözese Kaišiadorys)
Juozas Poškus Vytautas Rūkas Juozas Urbonas Kazimieras Vaičionis Vladislovas Velymanski Edmundas Kulvietis Jonas Grigaitis
An die restlichen Priester hat man sich nicht gewandt.