In der letzten Zeit konfisziert der Sicherheitsdienst massenweise Briefe, die an die Gefangenen und Verbannten adressiert sind.

Man bekommt auch sehr selten die Briefe aus den Lagern: vom Priester A. Svarinskas kamen nur einige Briefe an.

Julius Sasnauskas und auch andere in der Verbannung bekommen keine Briefe. Auch Briefe, die sie nach Litauen schicken, erreichen die Adressaten nicht.

Einmal verplapperten sich die Sicherheitsbeamten vor einem jungen Mäd­chen, das vernommen werden sollte, daß die Briefe in die Lager angeblich die Umerziehung der Gefangenen verzögern.

Hier geben wir einen Ausschnitt eines Briefes von Viktoras Petkus wieder, der uns erreicht hat:

»Der Mensch eroberte wahrhaftig die Natur, nahm den ganzen Planeten in Besitz und schlug ein Fenster ins Weltall hinaus. Ist er aber deswegen glück­licher geworden? Der Mensch selbst erzeugte Energien, die er schon nicht mehr bändigen kann. Haben also die Befürworter des Fortschritts einen zu großen Bogen zur Seite gemacht, haben sie nicht die wahren geistigen Werte verachtet?

 Den Kern des Wissens der Menschheit konnten sie nicht ergrün­den und haben wohl auch nicht ernsthaft danach gesucht; vielmehr begnügten sie sich mit der Technik. Und das Ergebnis: Tn der Technik wurden große Errungenschaften erreicht. Wie steht es aber mit dem Menschen? Der eine Mensch unterscheidet sich doch vom anderen in erster Linie in der Zusam­mensetzung seiner Werte, seiner Ziele, seiner Ideale, aber nicht darin, wie er mit der einen oder der anderen Technik manipuliert. Wie konnten die Rationalisten ahnen, was für ein stürmisches 20. Jahrhundert hereinbrechen würde, das nicht nur gedankliche Höhenflüge der Wissenschaft, sondern auch einen unvorstellbaren Fortschritt der Technik mit sich bringen werde, wodurch, wenn man das Alltägliche in die Dimension der Ewigkeit versetzt, das Tragische des menschlichen Daseins, die ewige Begegnung zwischen Leben und Tod immer deutlicher wird. Wenn wir unsere irdischen Sorgen, Freuden und Leiden aus dem Gesichtspunkt der Ewigkeit betrachten, dann werden wir einen Berg aufgeschichteter vielfältiger Sinnlosigkeit vor uns haben und dann zeigt sich, daß alle diese anscheinend furchtbar wichtigen Sachen, um deretwillen sich die Lebenden zu allen Zeiten grämten und für die sie kämpften, verblassen im Angesichte der Ewigkeit. Es bleibt nur eine immerwährende Reihe der Generationen, die uns an die Monotonie des Meeres erinnert, an das ewig Zyklische. Aber gibt uns denn das das Recht, das Leben des Menschen herabzuwürdigen? Unter keinen Umständen! Denn Wert und Würde des Menschen sind unermeßlich. Auch wir dürfen keines­wegs so unserem Vaterlande wie auch dem Schicksal der Menschheit gegen­über gleichgültig bleiben. Deswegen fragt man sich: Was wartet auf uns? Wie soll man in dieser entscheidenden Situation leben? Wo soll man nach den wesentlichen Werten suchen.

»Ich denke immer öfter darüber nach, welche Menschen es wohl mehr auf der Welt gibt — wirklich Gebildete oder Funktionäre? Wie tief halten sich die Wurzeln der Absurdität im Menschen versteckt? Welche denkbaren Möglichkeit gibt es für den Menschen, er selbst zu werden? Wo ist das mutige, argumentierte Auftreten des Menschen geblieben? Ist es möglich, daß der Mensch die eigenen Schranken nicht mehr zu überwinden vermag?

Der Mensch wird immer und immer mehr zu einem Funktionär, wenn er Dinge, wie Pflicht, Aufopferung für die anderen, Kampf gegen Zwang und Unwahrheit vergißt. Er verdrängt das Drama unseres Lebens und will es nicht wahrnehmen. Den Problemen weicht er aus. Ihn zieht mehr die Bana­lität des alltäglichen Leben, die unkonkrete, unpersönliche, unschöpferische Tätigkeit an. Was ist das — Mangel an Willenskraft, Unwissenheit, Unfähig­keit, die Wahrheit von der Lüge und Unvermögen, sich selbst von den an­deren zu unterscheiden?« Im Jahre 1983