Aus den Briefen des Priesters Alfonsas Svarinskas:

». . .Heute ist der zweite Sonntag der großen Fastenzeit. Für uns, die Li­tauer, der Vorabend eines uns teuren Festes — St. Casimir.

Es ist früh am Morgen, ich habe gebetet und jetzt möchte ich Ihnen schreiben. Im allgemeinen geht es mir sowohl körperlich, als auch geistig bisweilen gut, immer noch nicht meinem Alter — 60 Jahre — entsprechend. Wir wollen fest daran glauben, daß Gott uns helfen wird. Man möchte vieles erzählen, aber das Papier erlaubt es nicht (die Gefängniszensoren lassen es nicht durch — Bern. d. Red.).

Wir müssen alles so tun, damit wir uns im Himmel begegnen. Es geht auf der Erde doch alles so schnell vorbei. Eine ganze Woche habe ich die Grippe gehabt und bin nicht in die Arbeit gegangen. Jetzt habe ich noch einen Husten, aber auch die Hoffnung, daß der Frühling und die Sonne alles heilen werden.

Ich bemühe mich während der großen Fastenzeit um Sammlung. Ich bete mehr und bringe, wenn auch nur kleine freiwillige Opfer, und das alles für den Erfolg der Exerzitien, damit wir alle größer werden und geistig wieder­geboren dem heiligen Osterfest entgegengehen. Nur in meinem Geiste werde ich das fröhliche österliche Alleluja hören dürfen, es wird aber keine Trau­rigkeit oder Verzweiflung deswegen in meinem Herzen geben. Ganz und gar nicht, denn ich weiß, daß ich Seinen Willen erfülle, und das ist für mich das Wichtigste.

Ich gratuliere allen, allen, wie auch allen Ortschaften, in denen ich mehr oder weniger gewirkt habe, zum hl. Osterfest. Allen, allen wünsche ich see­lische Freude und Frieden untereinander und mit Gott.

Ich bete für alle und das Heimatland. Am 3. 3. 1985.«

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Ein Telegramm an Priester A. Svarinskas ins Lager zu seinem 60. Geburts­tag:

»Sonntag. Kälte in Viduklė — 14 Grad. Die Sonne schien ganz klar. Die Kirche war voll mit Menschen. Die Stimmung bei allen prächtig. Alle, mit dem Hausherrn (Pfarrer — Bern. d. Red.) voran, beteten wir zum Allmäch­tigen und gratulierten Dir, geistiger Vater, zu Deinem ehrenvollen 60. Ge­burtstag. Alle, alle Menschen guten Willens gratulieren Dir mit Sehnsucht und küssen Dich viele, viele Male und wünschen Dir Gottes Segen und reich­lichen Schutz Mariens!

Deine Schwester Janina und Dein Patenkind Vytautas.«

Bemerkung: Dieses Gratulationstelegramm hat Priester A. Svarinskas er­halten.

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An Priester Alfonsas Svarinskas

Die Stürme brechen nur die Äste ab und werfen morsche Bäume um, die Eichen aber bleiben stehen. Wenn auch voll Wundnarben, wenn auch die Rinde voll Risse ist, sie stehen abgehärtet, allen Wirbelstürmen und jedem Wetter zum Trotz. Sie hochverehrter Priester Alfonsas, sind erst 60. Im Namen der Landsleute wünschen wir Ihnen, daß Sie das 100jährige Jubiläum erreichen und wir sind davon überzeugt, daß Sie in unseren Herzen immer Platz haben werden:

Die Scheidewege der großen Straßen haben uns getrennt. Wen segnest Du jetzt mit Deiner Hand? Wie lange bleibst Du hinter den Bergen, den Wäldern, Du abgetrennter Zweig des Marienlandes?

Wer wird uns die Wahrheit sagen, wer wird uns trösten, betend auf Knien am Tag des heiligen Ablasses? Ich höre, wie ein Gebet zum Himmel empordringt, das Eis wird durchbrochen, die Tore der Lager.

Wir erinnern uns Deiner und hören die Stimme und Du bist mit uns jetzt genau wie vorher. Wenn zu Gott die Herzen der Unterdrückten rufen, erklingt Dir ein Lied im Lande Mariens.

 

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Dozent Vytautas Skuodis schreibt:

»In dankbarer Erinnerung an Euch weile ich an diesem heiligen Abend der Besinnung im Geiste bei Euch. Und wieder ist Weihnachten! Und wieder ist Neujahr, diesmal das Jahr 1985! Was es Euch und uns bringen wird, wird die Zeit zeigen. Wir wollen Gott vertrauen, und Er wird uns nicht ent­täuschen.

Möge Gottes Segen und Seine Gnade Euch immer begleiten. Euer Vytautas. Am 24. 12. 1984.«

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Der Verbannte Povilas Pečeliūnas schreibt:

»Ich habe niemanden um eine Unterstützung gebeten. Es finden sich aber immer noch Menschen, und siehe da — eine Benachrichtigung, daß bei der

Post ein Paket oder ein Päckchen liegt... Ich schreibe an alle, daß sie mir nichts schicken sollen, daß es nicht nötig ist, aber auf mich hört ja niemand. Auch Sie sind darunter. Was soll icht aber tun? Mir bleibt ja nichts anderes übrig, als mich nur zu bedanken und noch einmal daran zu erinnern, daß man mir nichts zu schicken braucht. Es gibt doch so viele andere, für di eine Unterstützung wesentlich wichtiger ist. Ich kann mich noch bewegen und bin in der Lage, etwas zu verdienen. Mit einem Wort, zur Zeit bin ich weder hungrig noch erfroren und auch nicht so krank, daß ich mich um mich selbst nicht sorgen könnte. Ich denke immer daran, daß es die anderen we­sentlich schlimmer haben, und dieser Gedanke hilft mir, allerlei Schwierig­keiten leichter zu ertragen. Fleischsachen schaden meistens dem Magen, aber nicht deswegen, weil es Fleischsachen sind, sondern deswegen, weil ich keine Zähne mehr habe (wahrscheinlich nicht wegen meines Alters, sondern mehr wegen der Parodomose). In der oberen Reihe habe ich schon seit drei oder vier Jahren keine mehr, aber auch in der unteren wackelt schon das letzte »Brücklein«. Hier liegt auch das nicht geringe »Problem«.

In Ingrim gibt es nicht nur ein Poliklinikum, sondern auch ein Krankenhaus und sogar eine zahnärztliche Praxis, aber... Mein ganzes Glück, daß ich noch nie ernsthaft krank geworden bin . . . Das könnte ganz schön tragisch ausgehen, denn ich könnte nicht so wegfahren, wie die anderen, und mich behandeln lassen.

(...) Was mir fehlt, das wird mir niemand herschicken können: Das ist die Heimat und die elementarste Sache — die Luft. Das Klima, das in Ingrim herrscht, wirkt grundsätzlich ganz negativ auf mich, macht mich träge und kraftlos, und verschärft dazu noch die früheren Unpäßlichkeiten. (...) Was sollen aber alle diese Kleinigkeiten! Die Heimat ist wichtiger! Alles andere bedeutet nichts!

Am 4. 3. 1985.«

Vilnius

Am 29. Dezember 1984 ist die Strafe für Jonas Sadūnas zu Freiheitsentzug auf Bewährung mit Arbeitsverpflichtung zu Ende gegangen. Gemäß § 58, Teil 1, Punkt 2 des StGB der LSSR müßte er als nicht vorbestraft gelten; die Wirklichkeit aber sieht anders aus.

Als sich Joias Sadūnas in Jonava in der Spezialkommandantur seine Papiere für die Entlassung aus dem Lager besorgte, sagte ihm eine Beamtin, die im Lager verantwortungsvolle Posten innehat, daß die Mitarbeiter des KGB alle Mühe aufgewendet hätten, ihm einen neuen Strafprozeß anzuhängen, doch sei es ihnen nicht gelungen, weil er, Jonas Sadūnas, beispielhaft ge­arbeitet habe. Die Vorsteherin der 3. Gruppe, Milizhauptmann Irena Krai-nowa, verplapperte sich beim Abschied von Sadūnas: »In der Freiheit wirst du es viel schwerer haben als bei uns in der Spezialkommandantur!«

Die ersten Schwierigkeiten traten schon bei der Anmeldung auf. Am 3. Ja­nuar 1985 füllte der Vorsitzende der Kooperative Nr. 9/9, P. Žiupsnys, die für die Anmeldung erforderlichen Formulare aus: die Frau von Jonas Sa­dūnas, Marytė, schrieb eine Erklärung an den Vorsteher der Paßabteilung, daß sie einverstanden sei, ihren Mann bei sich aufzunehmen und das Kriegs-kommisariat gab ihm am selben Tag sein Soldbuch zurück. Am 7. Januar teilte ihm die Sachbearbeiterin der Paßabteilung, Eitschkowa, mit, daß zur Anmeldung außer den Personalausweisen von J. Sadūnas, seiner Frau und seiner Schwester Nijolė Sadūnaitė auch noch die Geburtsurkunden von J. Sadūnas und N. Sadūnaitė nötig seien. Die Paßabteilung verlangte sogar drei Unterschriften von Sadūnaitė. Immer wieder fehlte den Sachbearbeitern etwas: Entweder hatte der Vorsitzende der Kooperative die Anmeldungs­formulare falsch ausgefüllt oder es fehlte wieder eine Unterschrift. Das aus­gefüllte Anmeldungsformular Nr. 15 wies die Sachbearbeiterin der Paßab­teilung ab, holte ein frisches, füllte es eigenhändig aus und verlangte auch eine Unterschrift von N. Sadūnaitė darauf. Dieses von der Sachbearbeiterin mitgegebene Formular Nr. 15 hat J. Sadūnas unbeabsichtigt beschädigt. Er erhielt ein neues und füllte es eigenhändig aus. Als er dann die ausgefüllten und unterzeichneten Anmeldungsunterlagen in der Paßabteilung vorlegte, schrie die Sachbearbeiterin der Paßabteilung Bitschkowa, warum das For­mular nicht von ihr ausgefüllt sei und wollte das Dokument schon gar nicht annehmen. Nachdem sie aber hinausgegangen war und sich mit jemandem beraten hatte, nahm sie die Unterlagen doch ganz ruhig an, gab aber den Personalausweis von N. Sadūnaitė nicht zurück, sondern verlangte, daß Nijolė selber in die Paßabteilung kommen und neue Aufnahmen zum Ein­kleben in den Personalausweis mitbringen solle.

Drei Wochen brauchte Sadūnas für seine Anmeldung.

Genauso ging es auch mit der Arbeit. Solange jemand nicht angemeldet ist, bekommt er auch keine Arbeit. Am 25. Januar um 22.30 Uhr kam der Mi­lizoberleutnant Trokanow zu Sadūnas in die Wohnung und griff ohne ein Wort der Begrüßung den Hausherrn an, warum dieser noch keine Arbeit habe. J. Sadūnas stellte in aller Ruhe klar, daß er sich nach den Gesetzen innerhalb von drei Monaten eine Arbeit besorgt haben müsse. Der Miliz­mann konnte sich nicht beherrschen und begann zu schreien: »Wir werden dir schon zeigen, was es bedeutet, wenn man nicht arbeitet!«

Als man nach einer Arbeit zu suchen begann, stellte sich heraus, daß zu einem Arbeitsplatz, der seiner Ausbildung entspricht, der Weg versperrt ist. Bei der Post Nr. 43 fand sich ein Anschlag, aus dem hervorging, daß man

Briefträger suche. J. Sadūnas wandte sich an die Vorsteherin dieser Post. Sie nahm seine Unterlagen an und bat ihn, nach zwei Tagen wieder vorbeizu­kommen. Als J. Sadūnas zur ausgemachten Zeit bei der Vorsteherin erschien, erschrak sie, als sie ihn sah und sagte, daß sie ihn nicht einstellen könne, weil keine freien Stellen vorhanden seien, obwohl noch am Abend desselben Tages die »Vakarinės naujienos« (»Abendnachrichten«) von Vilnius die Bekanntmachung brachten, daß die Postabteilungen Briefträger benötigen Schließlich wandte sich J. Sadūnas an das Arbeitsvermittlungsbüro der Ein­wohner von Vilnius, aber dort gab es die gleiche Geschichte: Bei keiner der Adressen, die man ihm gegeben hatte, bekam er Arbeit.

Das ist noch nicht alles: Es ist Familie Sadūnas verboten, aus dem Ausland Briefe zu bekommen. Sie hat von ihren ausländischen Freunden seit 1981 keine Briefe mehr erhalten. Für N. Sadūnaitė sind von 1981 bis 1985 nur zwei Briefe aus dem Ausland eingetroffen: Einer aus Mailand und einer aus Gisena (oder Cisena). Der Brief aus Gisena (?) ist am 9. November 1984 abgeschickt worden; auf der anderen Seite trägt er die Nummer 885; der Brief aus Mailand wurde am 19. November abgeschickt und hat die Nummer 989.

Die Beamten bemühen sich bei jeder Gelegenheit zu erfahren, wo sich N. Sadūnaitė aufhält. Als J. Sadūnas bei seiner Anmeldung nach seiner Schwester gefragt wurde, antwortete er, sie sei zu Hause. Die Beamten sagten kein Wort.