Aus einem Brief des Priesters Alfonsas Svarinskas:

»Das Wiedersehen wurde auf das kommende Jahr verschoben (es sollte am 9. September sein). So gefällt es Gott! Ich bin vergnügt und guter Laune. (Schon seit zwei Jahren ist weder ein langes noch ein kurzes Wiedersehen erlaubt worden). Ich bin aber am Leben und gesund. An Sonntagen ruhe ich mich aus; ich schlafe ein paar Stunden länger, lese und bete. Für alles bin ich unserem Herrgott dankbar. Das Leben meint es gut mit mir. Gebe Gott, daß wir alle uns im Himmel begegnen und mit allen Mächten des Himmels »hei­lig, heilig ...« singen.

Auf Liebe antworten die Menschen immer mit Liebe, besonders aber die Kinder und die Jugend. Liebe zu Gott und zu den Menschen — das ist die ewige Tugend, denn Glaube und Hoffnung hören an der Himmelspforte auf.

Am 7. September jährt sich der Todestag des Kardinals Josef (Slipyj). Viel­leicht könnten wir an dem Abend an ihn denken. Die Kinder könnten die Kreuzwegstationen begehen und der Hausherr für ihn beten.«

Am 14. 8. 1985.

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Aus den Briefen des Priesters Sigitas Tamkevičius:

»Am 6. Mai begann für mich das dritte Jahr der Unfreiheit. Durch die paar Jahre habe ich mich gut an die neuen Lebensbedingungen gewöhnt, wenn man auch sagt, daß man sich an Unfreiheit nicht gewöhnen kann. In meinem Leben gab es fast ununterbrochen solche oder ähnliche Strengheiten: 11 Jahre lang habe ich in der Mittelschule ständig die Glocke hören müssen, drei Jahre lang habe ich beim Militär nach Kommando mich hinlegen und auf­stehen müssen, fünf Jahre lang habe ich im Priesterseminar nicht nur Philo­sophie und Theologie studiert, sondern auch meine innere und äußere Dis­ziplin des Herzens und des Gewissens eingehalten. Danach folgten 21 Ar­beitsjahre, wo ich ebenfalls auf die Minute genau am Altar, auf der Kanzel oder im Beichtstuhl sein mußte. Das Glöcklein des Lebens rief und rief mich, entweder zu den Kranken oder zu Exerzitien, dann wieder zu anderen prie­sterlichen Verpflichtungen. Ich bin immer gelaufen, immer habe ich mich beeilt. Auch jetzt ruft das Glöcklein zur Arbeit, zum Ausruhen, zum Hin­legen und zum Aufstehen .. . Dieses Glöcklein ist für mich wie die Stimme des Herrn: Ich gehe dorthin, wohin er mich ruft und bin ruhig in meinem Herzen, denn ich weiß, daß der Herr immer mit mir ist, auch dann, wenn ich Seine Nähe manchmal vergesse. (...) Das Leben in der Nähe Gottes bringt Ruhe, Freude und Segen: Ob du aufstehst oder dich hinlegst, ob du arbeitest oder dich ausruhst, ob du gesund bist oder von der Krankheit geplagt, immer weißt du, daß der himmlische Vater mit dir ist, daß Er dich liebt, daß ohne Sein Wissen nicht einmal ein Haar von deinem Haupt her­unterfällt. Am meisten schädigen die Menschen ihre Nerven dadurch, daß sie versuchen, alle Sorgen des Lebens, alle Schwierigkeiten sich auf die eigenen schwachen Schultern zu laden und zu wenig Vertrauen auf Gott zu haben. Man muß zwar tatsächlich alles tun, was man tun kann, was du aber nicht vermagst, das überlasse Gott im Gebet, ohne dich zu grämen, Er möge alles richten und ordnen. Es gab eine Zeit, wo ich am Altar die Angelegenheiten der Lebenden und der Toten beim Herrn vertreten, predigen, die Sakramente spenden durfte, und jetzt ist meine Haupttätigkeit die einfachste Arbeit. Ist das vielleicht eine Tragödie? Keinesfalls. Es gibt nur eine Tragödie im menschlichen Leben — keinen Gott zu haben oder sich durch die Sünde von Ihm zu entfernen. Das ist das Furchtbare! (...) Wahrscheinlich braucht man im Leben nichts so sehr wie Geduld. Es mag geschehen, was geschehen mag — alles in Ruhe auf sich nehmen, alles ertragen und Gott als Opfer bringen! Ich scheue mich vor keiner Arbeit und Unbequemlichkeit, denn auch unser Meister arbeitete lange Jahre und heiligte durch Seine Arbeit unsere Arbeit und unsere Nöte .. . Man möchte in der Unfreiheit, daß die Zeit so schnell wie möglich verginge; ich denke mir aber oft, daß ich mir nicht ein schnelles und inhaltloses Verrinnen der Zeit wünschen sollte, sondern daß die Zeit sowohl für mich, als auch für die anderen, denen ich mein Leben gewidmet habe, nützlich sein sollte. Deswegen bringe ich jeden Tag Gott als Opfer dar, sowohl meine eigene Unfreiheit, als auch die Sehnsüchte meiner Näch­sten, alle Müdigkeit, wie auch alle körperlichen Unpäßlichkeiten, wenn sie vorkommen, und alles, was man nur als Opfer darbringen kann, damit der Herr mehr geliebt werde, damit die Menschen der ewigen Wahrheit und der Güte näher kommen (...)

Am 10. 5. 1985

Priester Jonas-Kąstytis Matulionis schreibt:

»(...) Ich danke für die Gebete, die mich überall begleiten, und diesmal während der ganzen zweimonatigen Reise von Vilnius, der Stadt des Tores der Morgenröte, bis ins Lager in Sibirien, sechstausend Kilometer von der Heimat entfernt. In diesen Gegenden Sibiriens hat es viele verbannte Li­tauer gegeben. Am 8. September morgens haben sie mich ins Lager ge­bracht. Zu der Zeit war in der Heimat noch tiefe Nacht, weil es einen Zeit­unterschied von sechs Stunden gibt. Mein großer Begleiter auf dieser ganzen Reise war das Gebet, besonders aber an diesem Morgen — Beginn der Ablaßfeier von Šiluva, Tag der Geburt der Muttergottes, ein Feiertag unserer Heimat. Ich gedenke aller, aller in meinem Gebet: derer in der Heimat, wie auch derer im Lager, derer auf dem Krankenbett, wie auch jener, die am Arbeitsplatz ihrer Beschäftigung nachgehen. Die sechs Tage in Vilnius, in der Heimat, haben allen Freude gebracht. Ich danke Gott immer für dieses Geschenk. Und wenn sie mich wieder festgenommen haben — es ist der Wille Gottes — ich danke dafür. Es gibt nichts Schöneres, als Seinen Willen zu erfüllen. Ich bitte Ihn in meinem Gebet und bitte Euch, mir auch in Euren Gebeten Ihn darum bitten zu helfen, daß ich das erfülle, was Gott von mir erwartet. Wie ich das aber machen soll, wird Er mir zeigen. Was immer auch geschieht und wo immer ich sein werde — ich weiß, daß Gott mit mir ist. Er gab mir alles — Er gab mir das Priestertum. Ich danke Ihm dafür und bitte darum, mich dieser Gabe würdig zu erweisen. Helfen auch Sie mir bei diesem Bitten. Und die guten Menschen, waren sie denn nicht vom Herrn geschickt? Gottes Hand hat mich während der zweimonatigen Reise durch sechs Gefängnisse — Vilnius, Smolensk, Woronesch, Tschel-jabinsk, Irkutsk, Tschita — über den Ural bis in die Tiefen Sibiriens wun­derbar geführt und beschützt. Hier gab es Stunden, wo ich mich freuen, aber auch solche, wo ich Buße tun konnte. Völlig Unbekannte kamen mir so entgegen, als ob ihnen schon jemand vorher mitgeteilt hätte, daß ein Priester kommt. Überall begegneten mir Menschen, die das Priestertum ehren, un­geachtet dessen, ob sie an Gott glauben oder nicht. Sie zeigten ihre Ver­ehrung und teilten mit mir das Nötigste. Nur Gott allein sorgt so um den Menschen, den Er geschaffen hat. Christus hat uns gelehrt: »Bittet, und es wird euch gegeben werden, sucht, und ihr werdet finden, klopft an, und es wird euch aufgetan werden.« Es gab auch verletzende Worte, aber die muß es auch geben. Wenn Christus beleidigt wurde, kann es dann vielleicht Seinen Streitern — den Priestern — anders ergehen? Dieser Weg, diese Reise in einem Stolypin-Waggon (mit Liegegelegenheit aus Brettern — Anm. d. Übers.) würde auch vielen unserer Mitbrüder im Priesteramt nicht scha­den; dann würde es nämlich mehr Opfergeist und mehr Liebe zu Gott, zur Heimat und zu den Menschen geben ...

Auch in diesem Lager ist es, wie schon in früheren, nur in russischer Sprache erlaubt, Briefe zu schreiben und zu empfangen. (...)

Ubermitteln Sie meine Grüße an alle, die sich an mich erinnern, für mich beten, sich nach mir erkundigen. Ich bete für alle. Im Gebet mit allen, im Gebet für alle.«

Am 14. 9. 1985

Die Adresse des Priester Jonas-Kąstytis Matulionis:

674470 Čitinskaja obl. Aginskij r-on p. Nowo-Orlowsk učr. Lja-jag-14-11

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Aus dem Brief von Vladas Lapienis:

»(...) Sie haben mich am 19. April aus Vilnius weggebracht und brachten mich erst am 28. Mai ins Lager. Die Reise hat länger als fünf Wohen d. h. 39 Tage gedauert.

Im Gefängnis von Pskow mußte ich vom 20. April bis 5. Mai in einer Zelle mit Kriminellen verbringen. In anderen Durchgangsgefängnissen habe ich kürzere Zeit verbracht. In diesem Lager gibt es keinen Gefangenen meines Alters. Alle sind wesentlich jünger als ich. Viele fragen mich: Warum ver­haftet der Sicherheitsdienst Ihrer Republik solche alte Menschen wie Sie, verhört sie und übergibt sie den Gerichten, wo doch in keiner anderen so­wjetischen oder autonomen Republik Menschen in diesem Alter verurteilt oder ins Lager gebracht werden? Ähnliche Fragen stellten nicht nur die Gefangenen auf der Etappe oder in den Durchgangsgefänignissen, sondern auch manche Bedienstete der Gefänignisverwaltung. Ich wußte keine Ant­wort auf ihre Fragen.

Die Worte unserem Herrn Jesus Christus gehen in Erfüllung: »Ihr werdet gehaßt um meines Namens willen. Wer aber ausharrt bis ans Ende, wird gerettet werden.«

(...) Wir wollen überall und immer der Güte, der Geduld und der Weisheit Gottes vertrauen. Wir wollen nicht murren wegen der von Gott geschickten Prüfungen. Denen, die ihn lieben, gereicht alles zum Guten. Unsere größte Sendung ist, zu leiden mit den Leidenden. (...)

Mit Jesus zu leiden ist nicht schwer. Er geht immer voraus, ich folge Ihm nur nach.«

Am 21. 6. 1985