Priester Alfonsas Svarinskas schreibt:

»Die Zeit vergeht auch bei uns sehr schnell, es sind schon drei Jahre, und doch scheint es, als ob das alles erst gestern gewesen wäre. Die Zeit hat auf jedem von uns Spuren hinterlassen, auch ich bin schon 62 geworden. Es bleibt nicht mehr viel Zeit zu leben, und doch wären noch so viele gute Ideen im Geiste! Geistig werde ich nicht alt, sicher deswegen, weil ich körperlich gut beieinander bin.

Am Sonntag halte ich mich an die Ordnung von Viduklė. Mit jedem Tag nähern wir uns der Ewigkeit. Es ist aber wichtig, daß wir im Geiste reif werden und alles tun, was in unseren Kräften steht, damit wir nach uns eine schönere, bessere und gerechtere Welt hinterlassen können. Wir wollen uns an die Geschichte des Evangeliums von den Talenten erinnern. Wir müssen das Vertrauen Gottes zu uns rechtfertigen können. Ich freue mich, daß Sie Viduklė besuchen und auch meiner gedenken. Gewöhnlich sagt man doch: Aus den Augen — aus dem Sinn! Hier spielt sich aber das Gegenteil ab: Es sind doch immerhin drei Jahre. Auf diese Weise wachsen wir alle. (...) Der hl. Augustinus hat wirklich Recht gehabt, daß unsere Herzen nur im Gott ihre Ruhe finden können. Meine Hoffnung ist der Herrgott! Ich bin fröhlich, den »der Herr liebt einen fröhlichen Geber«, wie der hl. Lukas behauptet. Verzeiht mir, daß ich so kurz schreibe. Bald haben wir das heilige Osterfest, die Auferstehung Christi. Ich grüße alle, alle! Im Gebet und im Geiste immer mit Euch. Alleluja!«

Am 12. 3. 1986.

Aus den Briefen des Priesters Sigitas Tamkevičius:

»Schon das dritte heüige Osterfest, seit ich keine Orgel mehr höre und nicht mehr das jubelnde »Alleluja« aus Tausenden von Herzen, aber das

Fest der Auferstehung Christi überwindet alle Entfernungen und Hinder­nisse und läßt unsere Herzen fröhlich erbeben. Die österlichen Erlebnisse in mir sind mir so kostbar, daß sie weder durch die Zeit noch durch irgend­einen Schrecken verdrängt werden könnten ... Am Abend des Gründonners-tigs nahm ich in meinen Gedanken am Letzten Abendmahl teil. Nachher stand ich unter dem Kreuze Christi, und am Abend des Samstags erneuerte ich gemeinsam mit allen lebendigen Gliedern der Kirche das Taufgelübde. Der Osterfeiertag war arbeitsfrei, deswegen konnte ich ungehindert nach­denken und mit dem Herrn über Leben und Tod und mit allen, für die die Auferstehung Christi die große Wirklichkeit des Lebens ist, vereint sein. Am Abend des Karsamstags und an Ostern betete ich besonders für jene, die mir am nächsten stehen, damit ihr Leben, gezeichnet von der Auferstehung Christi, voll der Früchte des Geistes werde: Liebe, Freude, Friede, Geduld, Freund­lichkeit, Güte, Treue, Milde, Enthaltsamkeit (vergl. Gal. 5, 22).

Ich hoffe, daß sich in der Heimat auch für mich etliche Hände zum Gebet gefaltet haben, damit ich, der ich ehemals die anderen leben und leiden ge­lehrt habe, jetzt nicht »ein tönendes Metall oder eine klingende Schelle« werde.

Am dritten Ostertag las ich in der Zeitung »Argumenty i fakty« und wollte schier meinen Augen nicht glauben: Am 5. März ist Priester J. Zdebskis tragisch ums Leben gekommen. Ich las und las immer wieder, und es blieb kein Zweifel. Gottes Wille geschehe! Er weiß besser, wer noch zu arbeiten und wer zu leiden hat, und wer nach all den Plagen ausruhen darf. Zum ersten Mal bin ich Priester Juozas 1965 in Alytus begegnet. Er übernahm damals meine Stelle, und ich zog nach Lazdijai. Nach einigen Jahren brachte uns die Vorsehung bei einer gemeinsamen Arbeit bei der Flurbereinigung in Alytus zusammen. Man konnte von ihm immer Selbsthingabe, Ausdauer, Milde und geistige Tiefe lernen. Entlohne Ihn, Herr, für sein weites Herz und all das Gute, das er den anderen geschenkt hat, mit ewigem Leben und Ruhe an Deinem Herzen!«

Am 7. 4. 1986.

*

Priester Jonas-Kastytis Matulionis schreibt:

» ... Meine sinnvollsten Tage waren nicht jene, an denen man mir in den Konzertsälen von Moskau oder Vilnius Beifall klatschte und auch nicht jene, an denen schon die Nennung meines Namens brausenden Applaus hervorrief (Priester J. K. Matulionis hat am Musikkonservatorium zu Vilnius studiert und wurde wegen Singens in den Kirchen hinausgeschmissen. Anm. der Red.). Sinnvoll sind meine Tage erst durch das Priestertum geworden, durch das Hingerissensein bei der Feier der Hl. Messe, durch das Mitweinen mit dem reuigen Sünder, durch die Erfahrungen bei der Predigt, durch das Trösten der Kranken, durch die Taufgespräche mit den Eltern mit der Bitte, doch ihrem Kind das Beispiel eines guten Lebens zu geben .. . durch all das, was zum Priesteramt gehört. Nehmen wir alles an, was uns der Herr schickt! Geben wir Ihm dort die Ehre, wo wir nach Seinem Willen sind und wo Er von uns geehrt werden will! Wohin unser Weg auch führt, in welchem Land wir auch ausgesetzt werden und unter welchen Menschen wir leben müssen — es ist unsere Pflicht, seinen Willen zu erfüllen, ihn anzunehmen und dankbar zu sein, wenn es auch die Hölle auf Erden wäre — dennoch! Immer, mit Gott!«

*

Povüas Pečeliūnas schreibt:

» ... Ach, diese Gesundheit! Wie nötig man sie braucht! Leider steht es mit ihr am schlimmsten. Ich würde lieber über mich selbst schweigen — aber die Luft! Man könnte meinen, daß die Luft nicht gekauft und verkauft werden muß und daß man sie nicht zu wiegen braucht... Es scheint leider, daß auch der Sauerstoff genau bemessen wird. Leuten wie mir ist anscheinend auch nur das Minimum an Sauerstoff zugeteilt... Wenn man aber an mein Alter und meine Gesundheit denkt, dann genügt es bei weitem nicht. Der Mensch kann deswegen überhaupt nichts Genaues sagen, ob er gesund oder krank ist. In der Früh steht man auf mit einem Gefühl, als ob man gerade seine Arbeit hinter sich gebracht hätte und sich anschicken wolle, sich auszuruhen. Und so Tag für Tag. Je länger das dauert, desto schlimmer wird es. Es ist schade, daß ich nicht weiß, nach welchem »Paragrafen« das Quantum von Sauerstoff rationiert wird ... Also, wie Sie sehen, die Nöte aller sind beinahe dieselben. Nur wegen meiner Wohnung brauche ich nicht mehr zu jammern. Sie ist mir einfach weggenommen worden. Wenn ich eines Tages zurück­komme, dann wird ganz Litauen meine »Wohnung« sein. Das ist viel wich­tiger als die vier Wände. Außerdem, je weniger der Mensch hat, desto glück­licher ist er. Es ist direkt widerlich, denen zuzuschauen, die sich wegen der materiellen »Güter« von früh bis spät abplagen. Sie erniedrigen sich langsam selber, verlieren die Fähigkeit zu denken, und wenn sie sich auch mit den Federn eines Pfaues bedecken, von einem Gewissen kann überhaupt keine Rede sein. Wenn sich der Mensch um die materiellen Güter keine Sorgen macht, dann fürchtet er sich vor nichts. Er trägt alles mit sich selbst. Und jene, die ihn brechen wollen, werden machtlos ihm gegenüber, denn sie haben kein Mittel, um ihn einzuschüchtern oder ihm Angst einzujagen. Ich besitze zur Zeit überhaupt nichts, deswegen kann ich vieles mit einem Lächeln betrachten.«

1986.

Aus den Briefen von Vladas Lapienis:

»O großer Gott und teurer Vater, stärke den Menschen, den kleinen und schwachen, 's ist schon so eingerichtet, daß nur der Himmel wird seinen grenzlosen Wünschen genügen.

(Maironis)

»Nehmen Sie mit größten Freuden alle Erprobungen auf sich, weil sie, wie es in der heiligen Schrift heißt, den Glauben stärken, uns prüfen, die Geduld und die Vollkommenheit festigen. Mir ist die Ehre zuteil geworden, daß ich in dieser Zone an Jahren älter bin als alle hier anwesenden Gefangenen, und nach den Worten mancher Gefangenen bin ich quasi ihr Vater. Obwohl ich in der Unfreiheit lebe, passe ich doch mein Leben mehr und mehr dem Leben Jesu an und verstehe die Worte des Herrn besser. Jubeln kann ich in meiner notvollen Lage nicht gerade, weil die Herzschmerzen immer wieder kommen, und trotzdem bin ich vergnügt und freue mich, denn der Herr hat gesagt: »Freut euch und frohlocket, denn euer Lohn ist groß im Himmel« ... wes­wegen sollten wir dann traurig sein? Wir wollen immer und überall auch in den von Gott geschickten Erprobungen vertrauen, denn jenen, die Ihn lieben, gereicht alles zum Guten (...) Die Ewigkeit naht sich, der Christ muß immer in der Zukunft leben (...) Vielen Menschen bleibt das Evan­gelium fremd, weil sie sich nicht von seiner Lebendigkeit begeistern lassen. (...) Oft will ich weder lesen noch etwas hören, denn ich finde in Gott alles, was ich nur möchte, was ich nur brauche. Ich erinnere mich an die Worte des Verfassers der »Nachfolge Christi«, Thomas von Kempen: »Wenn ich auch die ganze Wissenschaft der Welt beherrschen würde, hätte aber keine Liebe, was würde mir das helfen vor dem Angesicht Gottes, der mich nach meinen Taten beurteilen wird. Noch so viele Worte sättigen die Seele nicht. . . nur ein heiliges Leben, ein reines Gewissen und das Vertrauen auf Gott bringen die wahre Zufriedenheit des Herzens.«

1985.