Vilnius. Am Abend des 15. Juli 1987 traf der philippinische Kardinal Jaime Sin, aus Riga kommend, in Vilnius ein. Obwohl seine Ankunft offiziell nicht im voraus angekündigt war, empfingen auf dem Kirchhof der St. Nikolai-Kirche mit Nationaltrachten geschmückte Jugendliche und eine zahlreiche Schar Gläubiger den Kardinal und seine Begleiter. Ein Mädchen überreichte dem Kirchenfürsten eine weiße Rose und erklärte ihm in Englisch, daß sie ein Geschenk von den verhafteten Priestern sei. Der Gast küßte ehrfürchtig den dornigen Stiel der Rose, und ein stürmischer Applaus der Versammelten setzte ein. Die Jugendlichen überreichten den Begleitern des Kardinals, den Geistlichen der Filipinos und den litauischen Geistlichen, Blumen. Etwa eine Stunde lang, solange sich die Gäste in der Kurie aufhielten, blieben auch die Gläubigen da. Auf dem Kirchhof der St. Nikolai-Kirche sangen die Jugendlichen die Lieder „Marija, Marija", „Lietuva brangi" („Mein teures Litauen"); es wurden auch die National­hymne „Lietuva, tėvyne mūsų" („Litauen, unser Heimatland") gesungen. Im Zeichen der Einheit der allumfassenden Katholischen Kirche beteten die Versammelten laut „Pater noster", „Ave, Maria", „Gloria Patri". Als Seine Eminenz mit seiner Begleitung wieder auf der Treppe erschien, begrüßten ihn die Gläubigen mit einem dreimaligen ehrenvollen Gruß „Mabuhai Kardinal!", was auf philippinisch (Tagalog) „Es lebe der Kar­dinal!" bedeutet, und mit dem Ruf „Vivat Lituania libera et catholica!" -„Es lebe das freie und katholische Litauen!" Der Gast segnete voll Ergrif­fenheit die auf dem Kirchhof Versammelten und ein ununterbrochenes Applaudieren begleitete Kardinal Jaime Sin noch lange.

Am nächsten Tag, dem 16. Juli, konzelebrierte der philippinische Kardinal um 12 Uhr die hl. Messe in der erzbischöflichen Basilika zu Kaunas. In seiner Predigt, die er mit Hilfe eines Dolmetschers gehalten hat, erinnerte er immer wieder an die Treue des litauischen Volkes zu Christus, die durch heldenhafte Opfer bewiesen wurde und bewiesen wird; er sprach von der Sorge des Papstes und der gesamten Kirche um unser Volk und bat die ver­sammelten Mütter, den Kuß des Heiligen Vaters Johannes Paul II. ihren Kindern nach Hause mitzubringen. Als der Kardinal nach der hl. Messe mit seiner Begleitung durch das lebende Spalier der Menschenmenge ging, knieten vier junge Männer mit Blumen in den Händen ihm zu Füßen nie­der, und einer von ihnen rief in deutscher Sprache: „Wir begrüßen Sie, Eminenz, im Namen der litauischen Jugend! Wir bitten Sie, sagen Sie es überall, daß unsere Priester gefangengehalten werden, daß viele unserer Kirchen geschlossen sind, daß die Katechese der Kinder durch ein Gesetz verboten ist! Sagen Sie das bitte allen!" Dem Kardinal wurde ein Päckchen mit den Bildern der inhaftierten Priester Sigitas Tamkevičius und Jonas-

Kastytis Matulionis, des verbannten Bischofs Julijonas Steponavičius, des verstorbenen Priesters Bronius Laurinavičius und des gleich nach dem Unfall fotografierten, verwundeten Priesters Juozas Zdebskis, wie auch Innen- und Außenaufnahmen der geschlossenen Kirchen überreicht, die die Wahrheit der letzten Worte bestätigen.

Tauragė. Am 5. August 1987 wurde der Pfarrer der Pfarrei Skaudvilė, Priester Jonas Kauneckas, in das Rayonexekutivkomitee des Volksdeputier­tenrates nach Tauragė eingeladen. Hier wurde ihm eine Verwarnung des Bevollmächtigten des RfR, P. Anilionis, wegen seiner Predigten während der Ablaßfeierlichkeiten dieses Jahres in Žemaičių Kalvarija vorgelesen. Priester J. Kauneckas wird beschuldigt, Predigten nicht-religiösen Inhalts gehalten zu haben und die Hartnäckigkeit der Niederlitauer, das Statut der religiösen Gemeinschaften nicht einzuhalten, geschürt zu haben. In der Verwarnung wird darauf hingewiesen, daß dies schon die sechste Verwar­nung sei und daß in Zukunft strengere Maßnahmen gegen ihn ergriffen würden. Priester J. Kauneckas erklärte schriftlich, daß die Verwarnung nicht rechtens sei, weil er in seinen Predigten über keine Gesetze, geschweige über ihre Nichteinhaltung gesprochen habe.

Auf ähnliche Weise verwarnte der Bevollmächtigte P. Anilionis auch den Vikar der St. Georg-Kirche von Šiauliai, Priester Kazimieras Gražulis, wegen seiner in Žemaičių Kalvarija gehaltenen Predigten.

 

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Vilnius. Am 28. Juli 1987 veröffentlichte die „Valstiečių laikraštis" („Die Zeitung der Landbewohner") den Artikel „\ darbą kultūros ugdytojai" („An die Arbeit, ihr Pfleger der Kultur") von dem Stellvertreter des Vör-standsvorsitzenden des Kulturfonds Litauens, D. Valatkevičius. Darin steht geschrieben, daß die Erzdiözese Vilnius für den sowjetischen Kulturfond Litauens 10000 Rubel zugesprochen habe. Es wäre wirklich lobenswert, wenn der Kulturfond diese Gelder für die Restaurierung der Kirchen, der Kulturdenkmäler verwenden würde, aber, wie der Verfasser dieses Artikels schreibt, werden diese Gelder in erster Linie verwendet:

- Zur Herrichtung des Anwesens und des Grabes des Freidenkers M. Kat­kus (im Rayon Kėdainiai, Dorf Ažytėnai);

- Für die Verewigung der historischen Orte, die in Verbindung mit revolu­tionären Geschehnissen stehen und an sozialistische Ideen erinnern;

- Für die Bemühungen, die Heldentaten des Großen Vaterländischen Krie­ges und die Taten der 16. litauischen Division zu verewigen, soweit dies nicht schon geschehen ist.

Deltuva (Rayon Ukmergė). Im Journal „Tarybinė moteris" („Die sowje­tische Frau"), Nr. 8, wurde im Monat August der Artikel der Journalistin Mockuvienė „Klebonas liepia skirtis" („Der Pfarrer verlangt die Schei­dung") abgedruckt, in dem durch verschiedenste Erdichtungen der Pfarrer von Deltuva, Priester Eugenijus Bartulis, verleumdet und verhöhnt wird. Über ein derartiges Verhalten der Mockuvienė entsetzt, setzten die Gläu­bigen der Pfarrei Deltuva ein Protestschreiben auf, das 311 Personen unter­schrieben. Die Bürger von Deltuva verlangten, daß ihr Schreiben in der nächsten Nummer des Journals „Tarybinė moteris" veröffentlicht wird. Eine Gruppe der Gläubigen ging in dieser Angelegenheit auch zu Mocku­vienė selbst, aber auf ihre Forderung, den wirklich minderwertigen, den Namen eines Journalisten entwürdigenden Artikel zu widerrufen oder wenigstens ihr Protestschreiben zu veröffentlichen, hat niemand geachtet.

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Adakavas (Rayon Raseiniai). Die Einwohnerin des Dorfes Adakavas, Monika Gavėnaitė, wurde am 13 Februar 1987 zu dem Ortsvorsitzenden von Skaudvilė, J. Mikašauskas, vorgeladen. Als sie erschien, bat J. Mika-šauskas sie, ihren Ausweis vorzuzeigen. Der Vorsitzende nahm ihn ihr ab, übergab ihn der Bediensteten der Einwohnermeldestelle und verlangte, daß M. Gavėnaitė unverzüglich abgemeldet werden solle. Die Begründung der Abmeldung ist absurd: Ehemalige Haushälterin des inhaftierten Priesters Alfonsas Svarinskas.

M. Gavėnaitė versuchte sich bei ihren Bekannten, die in Šiluva wohnen, anzumelden, aber auch hier waren die Bediensteten der Einwohnermelde­stelle nicht bereit, sie anzumelden. Am 16. April wurde eine Versammlung des Rayonexekutivkomitees einberufen, bei der die Verantwortlichen den Beschluß Nr. 136 gefaßt haben. In diesem Beschluß wird M. Gavėnaitė beschuldigt, daß sie seit 13. Februar unangemeldet lebe und keinen ständi­gen Wohnsitz habe. Wegen der Nichteinhaltung der Meldebestimmungen der Einwohnermeldebehörde werde M. Gavėnaitė mit einer Administrativ­strafe belegt - sie wurde aufgefordert, „sich innerhalb eines Monats anzu­melden".

Nach Erhalt dieses Beschlusses schrieb M. Gavėnaitė eine Erklärung an den Obersten Staatsanwalt nach Moskau, in der sie alle obengenannten Tatsachen schilderte und darauf hinwies, daß sie allein deswegen diskrimi­niert werde, weil sie die Haushälterin des Priesters A. Svarinskas gewesen sei.

Am 21. Mai 1987 wurde M. Gavėnaitė endlich in Šiluva angemeldet.

Panevėžys. Am 22. Mai 1987 wurde in Panevėžys die Lehrerin der XV. Mittelschule von Panevėžys, G. Petrauskienė, mit religiösen Zeremonien beigesetzt. Am Vorabend der Beisetzung versuchten der Direktor der Mit­telschule Kulvinskas und seine Stellvertreterin Pranskaitienė die Mutter der Verstorbenen, Frau Miežanskienė, zu überreden, ihre Tochter ohne die Kir­che zu beerdigen. Die Mutter war damit nicht einverstanden: „Sie ohne die Kirche zu beerdigen, erlaubt mir mein Gewissen nicht". Daraufhin fingen die Gäste an, ihr zu drohen, daß eine derartige Unnachgiebigkeit spätere Folgen in der Tätigkeit der Frau Miežanskienė und im Leben wie auch beim Schulbesuch des Töchterchens der Verstorbenen G. Petrauskienė in der Zukunft haben werde.

Als es ihnen nicht gelang, die Verwandten der Verstorbenen einzuschüch­tern, untersagte Direktor Kulvinskas den Schülern, an der Beisetzung der Lehrerin G. Petrauskienė teilzunehmen.

Palėvenėlė (Rayon Kupiškis). Die Gläubigen von Palėvenėlė richteten am 13. Juni 1987 an der Wegkreuzung Palėvenėlė - Alizavas ein neues höl­zernes Kreuz an der Stelle eines altes auf. Nicht lange durften sich die Leute über ihr neues Kreuz freuen. Der Stellvertreter des Vorsitzenden des Rayonexekutivkomitees, Mečislovas Gudonis, befahl der Vorsitzenden des Exekutivkomitees der Ortschaft Alizavas, Danutė Paliulionytė, das Kreuz zu vernichten. Freiwillige, die das Kreuz vernichten könnten, gab es nicht. Am Abend des 27. Juni kam der Stellvertreter des Vorsitzenden des Rayon­exekutivkomitees, Mečislovas Gudonis, und sägte zusammen mit der Orts­vorsitzenden D. Paliulionytė das Kreuz ab und warf die Trümmer in ein Gebüsch in der Nähe der Mittelschule von Palėvenėlė.

Šiaudinė (Rayon Šiauliai). In der Pfarrei Šiaudinė befindet sich der Alt­friedhof von Kairiškiai, der von den Ortseinwohnern „Friedhof der Gelöb­nisse" genannt wird. Hier haben die Leute schon seit alten Zeiten Kreuze aufgestellt und gebetet. Auch jetzt noch versammeln sich die Gläubigen oft in der auf diesem Friedhof stehenden Kapelle zum gemeinsamen Gebet. So fand auch in diesem Jubiläumsjahr in der Kapelle auf dem Altfriedhof von Kairiškiai ein Gottesdienst statt, und danach wurde als Dank an Gott für erhaltene Gaben ein Kreuz errichtet und eingeweiht. An dem Gottes­dienst und der Weihe des Kreuzes nahmen die Gläubigen und der Pfarrer der Pfarrei Papilė, Priester J. Paulauskas, wie auch der Pfarrer der Pfarrei Viekšniai, Priester V. Gauronskis, teil.

Als nach diesem Fest bereits einige Zeit vergangen war, wurden Juozas Dapšys und Albina Kuodytė in die Kolchose von Kairiškai vorgeladen. Die Direktorin der Kolchose Žamarienė, die Sekretärin der Parteiorganisation Bučiūtė und ein Vertreter des Rayonexekutivkomitees „belehrten" die Gläubigen. Die Verwaltungsvertreter beschimpften J. Dapšys, spotteten über seine Überzeugungen und machten ihm klar, daß es verboten sei, Kreuze aufzustellen. Zuletzt wurde ihnen eine Mitteilung überreicht, wonach sich J. Dapšys und A. Kuodytė zwecks einer Rechtfertigung beim Rayonexekutivkomitee einzufinden hätten.

Am 30. Juni 1987 wurden J. Dapšys und A. Kuodytė im Rayonexekutiv­komitee ausgeschimpft. J. Dapšys und A. Kuodytė mußten wegen der Errichtung des Kreuzes eine Strafe von 30 Rubel bezahlen, und es wurde ihnen befohlen, das Kreuz wieder herauszureißen, und wenn sie es nicht täten, werde die Verwaltung das Kreuz auf ihre Kosten ausreißen.

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