Priester Alfonsas Svarinskas schreibt:

»[...] Wir sind am Karsamstag gegen zwei Uhr morgens an dem neuen Ort eingetroffen. Zwei Wochen Quarantäne! Ich hoffe aber, daß ich meine neuen Freunde noch vor dem Weißen Sonntag zu Gesicht bekomme. Die Reise dauerte 15 Tage; tatsächlich unterwegs waren wir aber nur 6 Tage. 7 Tage verbrachten wir in Jaroslavl und zwei Tage in Perm im Gefängnis.

In der Heimat habe ich den Frühling lassen müssen, hier dagegen ist immer noch Winter mit viel Schnee. Gestern und heute habe ich freiwillig Schnee geschaufelt.

Die Reise war ziemlich beschwerlich. Was für ein Schmutz in den Gefäng­nissen und Waggons! Schlimmer aber ist der moralische Schmutz: die überaus häßlichen Fluchworte. 75% von dem, was da geredet wird, sind Flüche. Von Jaroslavl an war ich allein in einem Abteil; so konnte ich beten. Sowohl die Soldaten als auch die Gefangenen zeigten mir gegen­über eine gewisse Ehrfurcht, als sie erfahren hatten, daß ich Priester bin. Ich habe das niemals verheimlicht. Verwunderlich ist das nicht, denn die meisten von ihnen rühmen sich: „Ich bin ein Dieb" oder „Ich bin ein Rauschgiftsüchtiger"...

Die Eindrücke an dem neuen Bestimmungsort sind nicht schlecht. Ich habe zwei weiße Bettlaken, ein bezogenes Kopfkissen, eine saubere Decke und sogar einen Rundfunkempfänger bekommen. Da jetzt aber noch Karwoche ist, werde ich mich erst zu Ostern an der Musik erfreuen.

Ich bin gesund. Ich danke Gott und Euch allen, die Ihr mich stärkt durch Eure Briefe, Eure Gebete und Eure guten Worte. Möge der österliche Christus allen mit dem ewigen Leben vergelten!«

Am 14.4.1987.

*

„[...] Wenn ich mich anschicke, Ihnen zu schreiben, habe ich zweierlei Gefühle in meinem Herzen: Einerseits freut es mich, daß ich Sie wenig­stens mit einem Brieflein besuchen darf, aber andererseits bin ich auch traurig, daß ein Brief bis zu zwei Monaten unterwegs ist. Wie wenig doch die Zivilisation unserer Tage erreicht hat!

Ich arbeite nun schon seit zwei Wochen in der Küche: Ich schäle Kartof­feln, wische den Staub und bereite sogar das Abendessen. Die Arbeit ist nicht schwer, aber es bleibt sehr wenig Zeit für einen selber und für das Beten. Ich versuche mich wenigstens hin und wieder mit Gott zu vereinen. Ich tue, was ich kann, und hoffe, daß mich der Herr deswegen nicht schul­dig sprechen wird. Immer und überall bemühe ich mich, seinem heiligen Willen treu zu bleiben.

Sowohl die äußeren als auch die geistigen Gegebenheiten sind an meinem neuen Ort besser. Nur das Klima ist hier wesentlich schlechter (800 bis 900 m über dem Meer). Es gibt weniger Sauerstoff; darunter leidet das Herz. Die Beine fühlen sich an, als wären es nicht die eigenen, obwohl ich versuche, so viel wie nur möglich spazierenzugehen.

Für den morgigen Tag habe ich mir einen Rechen und einen Besen bestellt. Ich will das Gelände ringsum säubern."

Am 3.5.1987.

Priester Sigitas Tamkevičius schreibt:

»[...] Für einen Gefangenen ist ein Brief so wertvoll, wie für einen Hung­rigen eine Scheibe Brot. Außerdem sagt mir jeder Brief, daß es in Litauen Menschen gibt, die das Liebesgebot Christi leben: „Ich war im Gefängnis und ihr seid zu mir gekommen" (Mt. 25, 36). Das ist ein Zeichen der Lebendigkeit der Kirche.

Vor kurzem wurde uns die Anordnung vom 18. Juni bezüglich der Am­nestie bekanntgegeben. Meine noch verbliebene Strafzeit wurde um die Hälfte verkürzt. Ich werde mich also schon im nächsten Frühjahr, am 27. Mai, anschicken, Mordwinien zu verlassen, um ein paar Jahre in Sibirien herumzuspazieren. Ich bin darüber weder froh, noch traurig. Ich will nur, daß auch mein Aufenthalt dort dem Wohle der Kirche diene. Der Meister weiß am besten, wo wir gebraucht werden.

In meinem Leben gibt es nichts Interessantes und Außergewöhnliches; man kann es in zwei Worten zusammenfassen: Arbeit und Gebet. Ich erinnere mich an meine Kindheit: Im Zimmer unseres Pfarrers sah ich ein großes Kreuz an der Wand und die Worte: „Ora et labora!" Es zeigt sich, daß man nach diesem Programm auch im Lager leben kann. Und noch etwas! Eines Tages gab mir Priester A. Skeltys das Buch „Der Glaube des Jugendlichen" zum Lesen. Darin fand ich die Buchstaben AMDG, was sie bedeuten und von wem sie stammen. „Alles zur größeren Ehre Gottes" -auch dieses Leitwort kann ich hier anwenden. Was brauche ich also noch mehr?! In meiner Freizeit gehe ich auf Ihnen wohlbekannten Pfaden spazieren. In Ermangelung eines Rosenkranzes biege ich meine Finger ab und denke an alle, die hier schon vor mir gewandelt sind, und auch an jene, die in der Heimat auf die eine oder andere Weise im Weinberg Christi tätig sind.

Ich habe in der „Tiesa" über eine Begegnung der Bischöfe und Dekane mit den Vertretern der Regierung im Präsidium des Obersten Sowjets gelesen. Anhand dieser kurzen Nachricht kann man sich wohl kaum ein Bild davon machen, wie weit sich die „Perestroika" auf die Beziehungen zwischen Kirche und Staat ausgewirkt hat. Mir scheint, daß die Instanz des Rates für Religionsangelegenheiten nach und nach grundsätzlich reformiert werden müßte. Das wäre nicht nur der Kirche, sondern auch dem Staat dienlich.

... In meinen täglichen Gebeten gedenke ich in der Nähe des Herrn beson­ders jener, denen Gott ein schweres, verantwortungsvolles Amt aufgebür­det hat...

Wir wollen in der Einheit des Gebetes verbleiben.« Am 28.9.1987.

 

An den Sekretär des ZK der KPL, L. Šepetys

Erklärung von Gintautas Iešmantas

Vor kurzem erfuhr ich, daß bei Durchsuchungen im vergangenen Jahr 1986 meine dichterischen Schöpfungen, die bei meiner Verhaftung am 17. März 1980 unangetastet blieben, jetzt in die Hände der Mitarbeiter des Sicher­heitsdienstes geraten sind. Sie umfassen meine Arbeiten aus den Jahren zwischen 1947 und 1979, machen also beinahe mein gesamtes bewußtes Leben aus, umfassen mein ganzes Wesen. Das Manuskript besteht aus fast 1000 Gedichten (die Sammlungen „Pavasario šalnos" - „Frühlingsfröste", „Esmės ieškojimas" - „Suche nach dem Wesentlichen", „Godos akimirksny" - „Augenblick des Nachdenkens" [Vierzeiler], „Peilis į širdi" - „Messer ins Herz", „Vilties properša" - „Angebot der Hoffnung", „Būties dovana" „Geschenk des Daseins", wie auch die Dichtung „Toks gyvenimas" „So ist das Leben" und anderes).

Im Gerichtsbeschluß vom 22. Dezember 1980 wurde die Auslegung meiner dichterischen Schöpfung bewußt verdreht und tendenziös dargelegt. Eine solche Art der politischen Bewertung einer Dichtung entsprach scheinbar dem damals herrschenden Geiste der Lüge. Jetzt aber wird es offensicht­lich, daß die in den Gedichten ausgedrückte Sicht der Realität die histori­schen Entwicklungen und die Notwendigkeit von Veränderungen im Leben der Gesellschaft, die jetzt in Angriff genommen wurden, exakt widerspie­gelte. Die Wahrheit führt meine Feder und nur der Wahrheit und dem Guten hat sie gedient. Deswegen ist die Verwahrung dieser Schöpfungen in den Panzerschränken des KGB mit nichts zu entschuldigen und wider­spricht auch dem Prozeß der Demokratisierung und dem internationalen Verständnis der Menschenrechte. Schöpferische Werke zu verfolgen, zu beschlagnahmen und manchmal auch zu vernichten, den Verfasser zu bestrafen, weil er geschrieben hat, was ihm sein Gewissen diktierte, gilt all­gemein als Verbrechen gegen die Menschlichkeit, gegen die Literatur und gegen die Kultur. Ja mehr noch: Es ist ein Verbrechen gegen die Vernunft und gegen den Sozialismus, den Sie propagieren.

Jene, die dieses Verbrechen begehen, versuchen ihre Taten demagogisch damit zu rechtfertigen, daß sie angeblich den Staat, die Gesellschaft, die öffentliche Ordnung und ähnliches verteidigen. Wenn die Verblendung und der Taumel des Wahnsinns aber vorüber sind, zeigt es sich immer und überall, daß solches Tun eben diesem Staat und eben derselben Ordnung irreparablen Schaden zugefügt hat und jenen, die die schöpferischen Anstrengungen verfolgt haben, nur Verurteilung und Schande einbringt, ganz abgesehen einmal von den künstlerischen Erfolgen, die man hätte erzielen können. Eine Gesellschaft, in der der Sicherheitsdienst (oder die Geheimpolizei) das Recht hat, sich in die Angelegenheiten der Kultur, der Literatur oder der Kunst einzumischen, ist nur zu bedauern. Niemand fürchtet sich mehr vor der Öffentlichkeit, vor dem Licht, als die Organe des Sicherheitsdienstes. Ich hoffe, Sie verstehen, warum.

Ich bin weit davon entfernt, die Bedeutung meiner langjährigen Mühe überzubewerten. Das bedeutet aber nicht, daß ich deswegen schweigen und mich mit jenen Taten, die den positiven Prozessen in der Gesellschaft entgegenstehen, abfinden müßte. Deswegen wende ich mich mit der Bitte an Sie, entschlossene Maßnahmen einzuleiten, daß mir die erwähnten Früchte meiner schöpferischen Bemühungen unverzüglich zurückgegeben werden. Ich denke dabei nicht nur an die hier schon genannten Werke. Es wurden mir auch jene Sachen abgenommen, die ich während meiner Untersuchungsisolationshaft beim Komitee des Staatssicherheitsdienstes (etwa 270 Gedichte und die Dichtung „Kelias" [„Der Weg"] geschrieben habe, wie auch jene, die im Lager BC-389/35, wo ich von 1981 bis 1985 war, entstanden sind. Davon habe ich in meinem Brief an den Obersten Sowjet der LSSR geschrieben (eine Kopie ging auch an das Büro des ZK der KPL). Heute werden die abgenommenen Sachen zweifellos im Staats­sicherheitskomitee aufbewahrt. Viele Werke befinden sich auch in der Staatsanwaltschaft der LSSR (eine Sammlung von mehr als 150 Dreizeilern, Gedichte, Prosa und andere Dichtungen). Auch jene Gedichte müssen mir zurückgegeben werden, die 1979 von Mitarbeitern des Staatssicherheits­dienstes bei der Durchsuchung meiner Wohnung am 4. September 1979 mitgenommen wurden.

Ich möchte hoffen, daß Sie mich verstehen können. Sie sind ja auch in irgendeiner Weise ein kreativer Mensch. Wenn ich mir um die Zukunft meines eigenen Lebens Sorgen mache, so ist dies zugleich die Sorge um die Zukunft der demokratischen Veränderungen. Ich möchte hoffen, daß letztere die richtigen sind und der Wind der Veränderungen auch an Litauen nicht vorbeiweht. Bisher aber sticht nur ein schreiendes Paradoxon ins Auge: Man verlangt nach Wahrheit, nach kritischen Werken; jene aber, die es schon gibt, werden aufgrund ihrer Bestimmungen und ungeachtet der drohenden Gefahren in den Kasematten des Sicherheitsdienstes ver­schlossen und ihre Verfasser verfolgt. Von welcher Umgestaltung kann da schon die Rede sein?

Die Wahrheit und die Gerechtigkeit müssen siegen. Kann es denn sein, daß Sie, die Sie heute die Regierung und die Macht in Händen haben, nicht zumindest jetzt bestrebt sind, die Ungerechtigkeiten zu beseitigen und Lüge und Unrecht zurückzuweisen, die den neuen Gegebenheiten ent­gegenstehen?

am 11. August 1987.

Povilas Pečeliūnas schreibt:

»Auf die vielen Fragen werde ich antworten. Über das Wetter und die Gesundheit zu schreiben, hat keinen Sinn.

Zuerst das Wichtigste...

Warum habe ich die Möglichkeit nicht genutzt, schon Ende Januar nach Litauen zurückzukommen?

Ja, eine solche „Möglichkeit" hat es gegeben. Aber um welchen Preis! Um den Preis der Prinzipienlosigkeit und Kompromisse. Schon bei der soge­nannten „Gerichtsverhandlung" habe ich unterstrichen, daß ich niemals Kompromisse mit meinem Gewissen eingegangen bin, daß ich seit Beginn meines bewußten Lebens tief davon überzeugt bin, daß Kompromisse und Prinzipienlosigkeit mit der menschlichen Persönlichkeit unvereinbar sind, daß der Mensch nur in der Wahrheit frei sein kann und nichts als die Wahr­heit ihn frei macht. Man kann in einem Konzentrationslager, in einem Kar­zer sein oder sich auf der schrecklichsten Etappe befinden, und trotzdem frei sein. Man kann in Limousinen herumkutschieren, auf der Treppe der Karriere hinaufklettern, in materiellem Reichtum leben und trotzdem unfrei sein. Eine derartige „Freiheit" ist nur eine scheinbare. Prinzipien­losigkeit und Kompromißbereitschaft, sind - wie immer man sie auch in­terpretieren mag - nicht Zeichen einer Persönlichkeit, sondern ein Zeichen eines degradierenden oder schon degradierten Menschen. Für meinen Geist ist das etwas Wesensfremdes.

Die Worte „Ich verspreche, die Gesetze nicht zu verletzen", sind, obwohl sie nicht direkt das Eingeständnis einer Schuld bedeuten, doch eine absurde Sache und widersprechen der Logik der gesunden Vernunft. Wenn ein Mensch unschuldig ist, warum muß er sich dann „verpflichten", „die Gesetze nicht zu verletzen"? Er hat sie doch noch niemals verletzt. Das ist das erste. Mehr noch! Er hat gerade umgekehrt gehandelt: Er hat nicht nur selbst die Gesetze nicht verletzt, sondern auch Sorge dafür getragen, daß auch die anderen sie nicht verletzen, daß alle sie nicht nur mit Worten, sondern auch mit ihren Taten einhalten. Ein solcher Mensch mußte alle Grausamkeiten der Verhöre, der Lager, der Etappen, des Karzers erleiden, weil er seinerzeit, als alle geschwiegen haben, seine Stimme erhob - weil er kein Feigling war und die Wahrheit gesagt hat, wenn sie auch bitter war. Und siehe da, jetzt wird von solchen Menschen verlangt, Versprechungen abzugeben, daß sie die Gesetze einhalten werden. Ist das nicht absurd?

Mehr noch: Wer verlangt das von ihnen? Gerade diejenigen, die die Gesetze verletzt haben oder die, die für deren Einhaltung verantwortlich waren! Schaut nur, zu was für einer Paradoxie wir es gebracht haben! Alles, was ich hier geschrieben habe, habe ich auch geradeheraus und offen zu den KGB-Leuten wie auch zu den Vertretern der Staatsanwalt­schaft gesagt, die zu mir kamen, um mich auf diese absurde Weise zu „befreien".

Was soll das sein? Ein Versuch, jene zu rechtfertigen, für die Gesetze keinerlei Geltung hatten oder haben? Oder will man auf indirekte Weise überzeugen, daß solche wie ich es bin, doch irgendwie schuldig sind? Wahrscheinlich ist es so! Was für bedauerliche Anstrengungen!

Mit einem Wort: Sie sind an die falsche Adresse geraten, was ich ihnen auch unmißverständlich gesagt habe. Dabei wäre die Adresse sehr wohl bekannt: Sie sollen sich doch an jene wenden, die solche „Anklagen" und solche „Gerichtsprozesse" organisiert haben, wie es der war, der vom 15. bis 22. Dezember 1980 stattgefunden hat.

Wer den Weg der Wahrheit wählt, muß ihn gehen bis zum Ende, was immer ihm auch begegnen mag.

Selbstverständlich ist es nicht mein Verdienst. Priester Jakštas hat recht, wenn er sagt: „Wir strahlen nicht mit unserem Licht..." Ohne den Segen Gottes wären wir machtlos.

Als der sogenannte „Gerichtsprozeß" stattfand, hatte ich bei meinem „Letzten Wort" Gelegenheit, die Worte der Schrift zu zitieren: „Wer mich vor den Menschen verleugnet, den werde auch ich vor meinem Vater ver­leugnen... (und umgekehrt). Nach dem Prozeß hat mich nichts so gefreut, wie die Tatsache, daß ich diese im Evangelium stehenden Worte gesagt habe. Ich habe weder an die grauenhafte Etappe, noch an das Lager gedacht; ich freute mich darüber, daß ich grundsatztreu geblieben bin und mich in einem solchen Moment öffentlich zu Christus bekannt habe. Das allein schon war es wert, in ein Lager zu gehen.

Wenn Prinzipientreue zur grundsätzlichen Einstellung eines Menschen wird, die tief in seinem Herzen wurzelt, dann wird sie in verantwortungs­vollen Momenten auch nach außen sichtbar. Selbstverständlich ist auch das nicht mein Verdienst, sondern ein Geschenk der göttlichen Vorsehung, die uns überall begleitet.

Aus diesen wenigen Worten werden Sie gut begreifen, warum ich nicht anders handeln konnte. Wenn ich mich von der angeblichen „Freiheit" hätte verführen lassen, hätte ich die wahre Freiheit verloren, die nur in der Wahrheit sein kann.

Dies sind keine bedeutungslosen Worte, sondern Fundament und Inhalt meines Lebens. Dies alles preiszugeben, würde bedeuten, aufzuhören, ein Mensch zu sein. Mir kommen jene Menschen sehr bedauernswert vor, die gegen die Wahrheit kämpfen und versuchen, sie zu vertuschen und zu verdrehen... Welch bedauerliche Anstrengungen!

„Die Wahrheit wird euch frei machen" - sind ebenfalls Worte des Evange­liums, die ich aus tiefer Überzeugung bei meinem „Letzten Wort" vor Gericht wiederholt habe. Deswegen können uns weder der KGB, noch die Staatsanwaltschaft, noch sonst irgendwelche Beamte „befreien" und auch keine absurden Unterschriften, sondern nur die Wahrheit allein. Außerdem bin ich noch nie unfrei gewesen.

Was nun die Heimat berifft: Ich habe mich noch nie von ihr entfernt! Unsere Heimat Litauen, die mir niemand wegnehmen konnte, war immer mit mir. Sie war in meinem Herzen. Vielleicht ist sie deswegen so kostbar. Entfernungen spielen da keine Rolle.

Bis jetzt bin ich immer noch ein „besonders gefährlicher Staatsver­brecher..." Warum ein „gefährlicher" - und dazu noch „besonders"? Für wen „gefährlich"? Nur für jene, die sich vor der Wahrheit fürchten, die immer noch glauben, daß man die Wahrheit in einen Käfig einsperren, ein­kerkern oder so verheimlichen kann, daß niemand etwas von ihr erfährt. Aber leider ist die Wahrheit mächtiger als alles andere. Auch die Maßnah­men, die Wahrheit zu verheimlichen, wie Drohungen und Zwang, sind nur bedauernswert... Und wieder leider, leider...! Das Leben zeigt, daß diese Maßnahmen, mit denen man versucht, die Wahrheit einzukerkern, nur vor­läufige „Ergebnisse" bringen... Die Pläne Gottes sind uns verborgen! Aber wehe dem, der sich ihnen widersetzt...

Ich denke, ich habe Ihnen nun klargemacht, warum ich mich so und nicht anders verhalten habe. Nur soviel ohne Zusammenhang. Seid in der Heimat tapfer und geduldig bis zum Ende. Der gütige Gott segne Euch!

Am 15.8. 1987.

P. S. Noch wegen meiner Mutter! Ja, ich habe jeden Tag auf ein Telegramm gewartet. Sie hat alle diese Jahre (fast 8 Jahre) Tag und Nacht vor dem Fenster sitzend auf mich gewartet. Als sie aber vor 3 Jahren bettlägerig wurde und nicht mehr aufstehen konnte, dachte sie Tag und Nacht an mich und betete für mich. Nicht ihre physischen Kräfte haben sie am Leben erhalten, sondern der unendliche Wunsch, mich noch einmal zu sehen... Aber diese Kräfte werden nicht ausreichen; der Herr wird sie früher zu sich rufen, und sie wird so ein Opfer darbringen, das nicht geringer sein wird als das unsere.

Wegen der Briefe! Ich schreibe an alle, die auch mir schreiben und beant­worte alle Briefe. Wenn mir jemand schreibt und keine Antwort bekommt, heißt das, daß ich entweder nichts bekommen habe oder mein Brief nicht ankommt. Ich glaube, ich habe über alle wichtigen Fragen geschrieben.«

Frau Pečeliūnienė konnte ihren Sohn nicht mehr erwarten; sie starb im August P. Pečeliūnas wurde gestattet, an der Beisetzung am 21. August teilzunehmen.

An den Staatsanwalt der LSSR, A. A. Nowikow

Verehrter Staatsanwalt! Ein Artikel von R Anilionis, der am 11. Oktober d. J. in der „Valstiečių laikraštis" („Zeitung der Landbewohner") veröffentlicht wurde, hat mich bewogen, an Sie zu schreiben. Mit der Absicht, die Gegenstandslosigkeit der Behauptungen und sogar Drohungen dieses Verfassers zu beweisen, lege ich mein Schreiben bei, das ich am 22. April 1984 an das Zentralkomitee der KPL geschrieben habe. Ihre Behörde hat sich damals geweigert, es an den Adressaten zu übergeben, und es mir zurückgeschickt.

Wenn all das als „Antisowjetismus" betrachtet wird, was tatsächlich der Sowjetunion als Staat schadet, dann müßte man den Verfasser des genann­ten Artikels zu den wirklichen Gegnern der Sowjetunion zählen.

1.     R Anilionis interpretiert den Artikel 50 der Verfassung der LSSR wissentlich falsch, wenn er behauptet, daß „die Trennung von Schule und Kirche (...) als Verbot verstanden werden muß, die Kinder in Religion zu unterrichten".

2.     R Anilionis lehnt in Fragen des Religionsunterrichts den Artikel 19 des Gesetzes „über den Ministerrat der UdSSR" ab, in dem von der „Ein­haltung der internationalen Vereinbarungen durch die UdSSR die Rede ist.

3.     R Anilionis ignoriert indirekt die von der sowjetischen Regierung ange­nommenen Artikel 26 und 27 der Konferenz von Wien bezüglich der inter­nationalen Abkommen und die Deklaration über das internationale Recht, betreffend die freundschaftlichen Beziehungen und die Zusammenarbeit zwischen den Staaten in Übereinklang mit den Richtlinien der Vereinten Nationen.

4. P. Anilionis hat durch sein antisowjetisches Schreiben gezeigt, daß er nicht anerkennt: a) den Artikel 18 der Allgemeinen Deklaration der Menschenrechte; b) den 4. Teil des Artikels 18 des internationalen Über­einkommens über die bürgerlichen und politischen Rechte; c) den Teil der Schlußakte von Helsinki, in dem von den Verpflichtungen der Teilnehmer­staaten in Fragen der Menschenrechte und Grundfreiheiten die Rede ist; d) den Teil der Schlußakte von Helsinki, der die Verpflichtung, die Gesetze und administrativen Vorschriften auf dem Gebiet der Menschenrechte und Grundfreiheiten zu verbessern, enthält.

Alle oben erwähnten Dokumente sind das Fundament der Vervollkomm­nung der Gesetze des Staates UdSSR oder haben schon gültige juridische Kraft in der UdSSR. Deswegen sind alle diese tendenziösen Auslegungen von Petras Anilionis rein subjektiv. Sie besitzen keine juridische Grund­lage, weil das von ihm genannte Statut der religiösen Gemeinschaften nicht nur den von der UdSSR anerkannten und bestätigten obengenannten internationalen Rechtsnormen widerspricht, sondern auch der Verfassung der UdSSR selbst. Daß es wirklich so ist, beweist die Beilage zu diesem Brief.

Ich möchte Sie daran erinnern, daß auf dem XXVII. Kongreß der KPdSU bemerkt wurde und in der Zentralpresse auch jetzt noch geschrieben wird, daß viele solcher Bestimmungen, Anweisungen, Direktiven, Verordnungen, Instruktionen, Zirkulare und andere administrativen „Gesetze" dieser Art um sich greifen, die keine richtigen Rechtsgrundlagen haben oder sogar der Verfassung der UdSSR widersprechen. Ein solches „Gesetz" ist das Statut der religiösen Gemeinschaften, das jetzt, zur Zeit der Umgestaltung des Landes, unverzüglich widerrufen oder mindestens öffentlich für ungültig erklärt werden muß. Das muß unbedingt jetzt getan werden, da in der Konferenz der 35 Staaten in Wien auch der Frage der Verteidigung der Rechte der Gläubigen große Aufmerksamkeit gewidmet wird.

Es ist unehrenhaft und unvorteilhaft für die Sowjetunion, der einzige Staat der Welt zu sein (abgesehen von Albanien und einigen anderen unent­wickelten Staaten), in dem man entschlossen ist, mit staatlichen Mitteln den Glauben bis zur Vernichtung zu unterdrücken. Mit einem derartigen Programm wird die UdSSR niemals das Vertrauen der Gesellschaft der Welt und der Staaten gewinnen können. Eine solche Politik und die von ihr diktierte atheistische und kirchenfeindliche Aktivität kompromittiert die UdSSR als Staat, senkt ihr internationales Ansehen und schwächt die Fundamente des Staates selbst. Deswegen sollen sich P. Anilionis und auch andere seiner Gesinnungsgenossen nicht beleidigt fühlen, wenn man in dieser Hinsicht gerade sie alle als gefährliche Antisowjetler betrachtet, die durch ihre Taten den sowjetischen Staat schädigen.

Ein Kampf gegen den Glauben mit solchen Mitteln, wie Petras Anilionis sie in seinem Artikel erwähnt, ist auch eine Verspottung des Leninismus und eine offensichtliche Ignorierung Wladimir Iljitsch Lenins und seiner Lehre. Lenin selbst möge weiter reden, um zu zeigen, daß es wirklich so ist: „Von allen europäischen Staaten gibt es nur noch in der UdSSR so beschämende Gesetze, die den Glauben direkt verbieten, die auch verbie­ten, ihn zu verbreiten und die Gläubigen ihrer Rechte berauben. Alle diese Gesetze verbieten nicht nur eine bestimmte Religion, sondern die Religion überhaupt. Kein Mensch darf das Recht haben, den anderen auf seinen Glauben hin auszufragen. Das ist eine Gewissenssache, in die sich keiner einmischen darf." (V. Lenin, Polnoe sobr., t. VII. 1976 g. str. 173). Man muß trotzdem bemerken, daß es nicht einmal zu Zeiten des Zaren in Litauen solche „schändlichen Gesetze" gab, die mit Strafen wegen der Unterrich­tung der Kinder in den Religionswahrheiten gedroht hätten. Es gab Reli­gionsunterricht an den Schulen.

Eine Frage an Sie, verehrter Staatsanwalt: Darf die Staatsanwaltschaft der LSSR auch weiterhin gleichgültig bleiben, wenn die Atheisten prak­tisch die Kirche Litauens wie auch die anderen religiösen Gemeinschaften verwalten, die Verfassung der UdSSR und alle anderen internationalen Ver­pflichtungen auf dem Gebiet der Menschenrechte und Grundfreiheiten ignorieren oder verdrehen, um ihre Ziele zu erreichen? Eine derartige Gleichgültigkeit der Staatsorgane, besonders auf dem Gebiet der Religion und des Glaubens, dient ebenfalls nicht der Stärkung der Staatlichkeit der UdSSR und der Vervollkommnung und Erweiterung der Demokratie.

Bei der Gelegenheit teile ich Ihnen ebenfalls mit, daß ich meinen Protest­hungerstreik, über den in der Beilage berichtet wird und den ich am 7. März 1984 begann, durchgeführt habe. (Unter diesen Bedingungen war es nicht leicht: Drei Mal habe ich Schwächeanfälle gehabt, ein Mal sogar bis zum Verlust des Bewußtseins.) Ich werde meinen Hungerstreik an mei­nem letzten Anwesenheitstag im Lager abbrechen.

Von Ihrem Antwortschreiben Nr. 13/4279 - 80 vom 28. Oktober d. J. wurde ich in Kenntnis gesetzt. Ich danke dafür, weil es mein Wissen und meine Folgerungen über das Einhalten der sowjetischen Gesetze in der Praxis der Rechtsüberwachung ergänzt.

V. Skuodis - Benedict Scott.

Mordowien, Baraschewo, am 10. Dezember 1986 - Internationaler Tag der Menschenrechte.