Vilnius

Am 16. Mai 1974 hat der Oberdozent des Konservatoriums von Vilnius, Aloyzas Jurgutis, auf einer Reise durch Europa die Grenze Jugoslawien— Italien illegal überschritten. Zur Zeit wohnt er in den USA. Die Folge sei­ner Flucht war, daß seine Frau ihren Arbeitsplatz verlor, und zwar hat in der zweiten Septemberhälfte 1974 die stellvertretende Leiterin Lamachina von der Agitations- und Propagandaabteilung des ZK der KP Litauens den Vorsitzenden J. Nekrošius von Žinija (Das Wissen) angerufen und ihn aufgefordert, Frau Jurgutienė von der Arbeit zu entlassen; schon am 22. September mußte Frau Jurgutienė gehen.

Frau Jurgutienė wurde einige Male vom Sicherheitsdienst verhört. Die Si­cherheitsdienstbeamten haben von ihr gefordert, ihren Mann zu beeinflus­sen, der litauischen Emigrantentätigkeit fernzubleiben. Dafür wurde ihr mit Tochter Daina die Ausreise nach dem Ausland versprochen. Die Tochter Daina des Jurgutis wurde zweimal verhört. Der Fall Jurgutis wird im Sicherheitskomitee von Unteroberst Baltinis und

Major Kovaliev bearbeitet. Die Sicherheitsdienstbeamten setzen alles dar­an, Jurgutis bei den Gebildeten von Vilnius zu diffamieren, indem sie ihn als einen sittenlosen Menschen hinstellen.

Aus Rache wurde V. Jaugelis schwer geschlagen

Kaunas

In der Nacht vom 10. zum 11. Februar 1975 wurde Virgilijus Jaugelis im Lager Praveniškiai (Kaunas, 234251, 06.12/8) ganz schlimm zugerichtet; er war im Dezember 1974 verurteilt worden. Man hatte ihn der meistbe­rüchtigten Brigade von Kriminellen zugeteilt. Allgemein besteht die An­sicht, daß die körperliche Schädigung von V. Jaugelis kein Zufall, sondern die Rache des Sicherheitsdienstes für dessen tapfere Haltung während sei­nes Verhörs und der Gerichtsverhandlung war. V. Jaugelis wurde nach Vilnius transportiert und dort im Gefängniskrankenhaus untergebracht. Da sein Kopf in Gips lag, nimmt man an, daß durch die Schläge Schädelbrüche entstanden sind.

Frl. G. Žukauskaitė und ihre Schüler werden verhört

Ende Dezember 1974 wurde Genė Žukauskaitė zum Verhör vorgeladen. Von der Untersuchungsrichterin Venckūnienė wurde sie beschuldigt, die Kinder in Glaubenswahrheiten unterrichtet zu haben. Die Vernehmungs­beamtin fragte, wo Žukauskaitė die Kinder unterrichtet hätte, wie deren Namen lauteten, was sie unterrichtet hätte usw. Das Verhör hat zwei Stunden gedauert. Žukauskaitė erklärte, sie habe die Kinder nicht unter­richtet, sondern nur gefragt, ob sie zur ersten heiligen Kommunion vor­bereitet seien.

Die Funktionäre der Staatsanwaltschaft von Kaunas verhörten unter be­stellter Mitarbeit von Lehrern die Kinder, die nach Angabe der Verneh­mungsbeamten bei Žukauskaitė Religionswahrheiten gelernt haben könn­ten.

Dem K. Adomaitis hat die Inspektorin befohlen, keine religiösen Schulen und keine Kirchen zu besuchen.

Irma Adomaitytė mußte, von der Klassenleiterin aufgefordert, vor der ganzen Klasse erklären, ob sie an Gott glaube und die Kirche besuche. Das Mädchen hat bestätigt, daß es die Kirche besuche.

Die Mutter von M. Laurinaviciūtė, einer Schülerin der Klasse III c der 18. Mittelschule, wurde vom Direktor bearbeitet, sie solle doch das Mädchen nicht mehr zur Kirche mitnehmen. Das Mädchen Rasa und ihr Bruder wurden vom Direktor und von einem Sicherheitsdienstbeamten verhört.

Die Kinder wurden aufgefordert, Gebete zu sprechen, und daraufhin ver­höhnt.

Die Schülerin Nijolė Komisaraitytė der V. Klasse der 18. Mittelschule wur­de ebenfalls aufgefordert, die täglichen Gebete zu sagen. Die Schülerin Danguolė Banaitytė der IV. Klasse der 12. Mittelschule wur­de wegen Vorbereitung auf die Erstkommunion verhört. Als ihr Vater zur Schule zitiert wurde, hat er sowohl seine eigenen als auch die Rechte seiner Tochter mannhaft verteidigt.

Eine Reportage wird vorbereitet mit dem Zweck, die Chronik zu kompro­mittieren

Am 20. Dezember 1974 herrschte im Exekutivkomitee, in den Amtsräumen des Leiters von Großbauten zu Kaunas, schon am frühen Morgen große Aufregung — man bereitete sich auf irgendein Interview vor. Gegen 10 Uhr wurde der Ingenieur Vytautas Vaičiūnas zum Kabinett gebeten und vor das Objektiv der Kinokamera postiert. Es wurde ihm ein Zeitungsartikel der litauischen Emigranten zum Vorlesen gegeben, in dem geschildert war, wie bei ihm die Hausdurchsuchung vorgenommen wurde. Als Vaiciünas den Artikel vorgelesen hatte, fragte ihn der Reporter:

— Sind Sie zufrieden, daß reaktionäre Zeitungen über Sie so schreiben?

Vaičiūnas erklärte, in der Zeitung sei er ohne Rückfrage beschrieben wor­den . ..

Aber eine solche Antwort paßte dem Korrespondenten nicht.

— Schon gut, aber sind Sie mit dieser Beschreibung zufrieden oder nicht?

— Warum haben Sie sich an dieser Frage festgebissen? Hier ist doch wohl kein Verhör! — entgegnete Vaičiūnas.

Unter ständigem Surren der Kinokamera wurde Ingenieur Vaičiūnas wei­ter ausgefragt:

— Jetzt, nachdem Sie mit nüchternem Verstand die Sache überlegt haben, bereuen Sie Ihre Taten nicht?

— Ich bin immer nüchtern.

— Schon gut, aber ob Sie es bereuen oder nicht?

— Meine Handlungen stehen im Einklang mit meinem Gewissen. Ich habe niemandem etwas Schlechtes getan, keinem Schaden zugefügt, und ich habe ein ruhiges Gewissen; zu bereuen gibt es hier nichts...

Man nimmt an, daß hier eine Kinoreportage für ausländische Journalisten vorbereitet wurde, mit dem Zweck, die „Chronik der LKK" und die Tätig­keit der Katholiken im Untergrund zu kompromittieren.

Durchsuchung der Wohnung des verstorbenen Priesters Stasiulis 
Mazeikiai

Am 9. August 1974 starb plötzlich in Mažeikiai der Priester Stasiulis. 1928 hatte er das Buch Žemaitijos žiedai(Blüten des Zemaitenlandes) herausgege­ben. Bis 1944 hatte Hochw. Stasiulis in der Presse des Zemaitenlandes aktiv mitgearbeitet, unter dem Pseudonym Džiugas. In den Nachkriegsjahren mußte er ins Gefängnis. Zwölf Stunden lang hat man ihn im Leichenhaus eines Lagers unter den Leichen gelassen — in der Meinung, er sei schon tot. Als die Totengräber kamen, fanden sie Hochw. Stasiulis lebend. Auch in den schwersten Stunden seines Lebens hat Hochw. Stasiulis die Feder nicht aus der Hand gelegt. Kaum war er gestorben, kamen die Beamten des Sicherheitsdienstes und führten in seiner Wohnung eine gründliche Durch­suchung durch, wobei seinen Manuskripten eine besondere Aufmerksamkeit geschenkt wurde.

Um Hochw. Stasiulis zur Stätte der ewigen Ruhe zu geleiten, hatte sich eine große Menschenmenge eingefunden, darunter über 60 Geistliche.

M. Jurevičius verweigert die Sonntagsarbeit Šiauliai

Der 10. November 1974, ein Sonntag, war im Produktions- und Lehrkom­binat des Blindenvereins Litauens (LAD) in Šiauliai, wie auch in vielen an­deren Dienststellen und Fabriken, ein Arbeitstag. Der Arbeiter Jurevičius dieses Kombinats war zur Arbeit nicht erschienen. Am nächsten Tag fragte der Ingenieur Lukkas, warum Jurevičius nicht zur Arbeit gekommen sei. Der Arbeiter erklärte, daß gestern ein Sonntag gewesen wäre, und deshalb hätte er nicht gearbeitet. Daraufhin wollte der Ingenieur eine schriftliche Erklärung haben.

 

Dem Direktor des Produktions- und Lehrkombinats der LAD (Blinden-vereinigung Litauens) in Šiauliai

Erklärung

des Anstreichers Jurevičius

Hiermit erkläre ich, daß ich am 10. November d. J. deshalb nicht zur Arbeit gekommen bin, weil ich ein Katholik bin, und ein gläubiger Mensch muß den Sonntag heiligen. In Zukunft, wenn man sonntags oder an religiösen Feiertagen arbeiten muß, werde ich ebenfalls nicht zur Arbeit kommen. Die Tage, an denen ich nicht arbeiten werde, können Sie vom bezahlten Urlaub abziehen, oder ich kann dafür an Arbeitstagen zusätzlich arbeiten.

den 12. November 1974

Jurevičus

Šiauliai

Am 14. November wurde im Kombinat eine geschlossene Parteiversamm­lung einberufen. Daran hat auch ein Vertreter des Parteikomitees der Stadt Šiauliai teilgenommen und die Kombinatsleitung dafür ausgeschimpft, daß im Kombinat ein Kreuz hergestellt wurde, das einige Arbeiter auf dem Kreuzberg aufgestellt haben.

Der Direktor des Kombinats teilte mit, daß am 10. November der Arbeiter Jurevičius den Befehl des Ministers übertreten habe und nicht zur Arbeit gekommen sei. Daraufhin erklärte der Vertreter des Parteikomitees, daß in der Litauischen SSR Religionsfreiheit herrsche und der Arbeiter das Recht gehabt hätte, nicht zu arbeiten. Entscheidend sei, daß er die anderen nicht aufgewiegelt habe.

Kurz darauf hat der Kombinatsdirektor befohlen:

„Dem Reparaturwerker der Abteilung der Wirtschaftsgebäude, M. Jurevi­čius, ist für eine bewußte Verletzung der Arbeitsdisziplin (am 10. November ist er ohne rechtfertigenden Grund nicht zur Arbeit gekommen) ein Verweis zu erteilen."

Jurevičius hat einen Protest eingereicht: „Ich protestiere gegen Ihren Befehl. In meiner Erklärung, geschrieben am 12. November 1974, habe ich eine klare Ursache genannt, warum ich nicht zur Arbeit gekommen bin — ich bin ein Katholik und erfülle meine Pflichten. Am nächsten religiösen Feier­tag (25. Dezember) komme ich ebenfalls nicht zur Arbeit. Die Religions­freiheit wird durch § 124 des Grundgesetzes der UdSSR garantiert." Als Jurevičius erfahren hatte, daß der 8. Dezember, ein Sonntag, wieder ein Arbeitstag sein werde, teilte er dem Kombinatsdirektor schriftlich mit, daß er nicht zur Arbeit kommen werde. Die stellvertretende Direktorin Maminskienė machte dem Jurevičius klar, er handle nicht recht, wenn er im voraus mitteile, daß er der Arbeit fernbliebe, und hat ihm geraten, diese Angelegenheit etwas anders zu regeln — im voraus zu arbeiten oder ähn­lich. Als Jurevičius, von der Stellvertreterin ermuntert, sich an den Inge­nieur Lukšas wandte, erklärte dieser, er könne keinen Arbeiter von der Sonntagsarbeit befreien. Arbeitsfrei könne Jurevičius an einem beliebigen Wochentag bekommen, nur nicht am Sonntag ...

Für Kirchenreparatur 25 Rubel Strafe 
Varena

Die Kirche in Akmenis war repariert worden. Die Rayonbeamten, die zur Uberprüfung der Kirchenreparatur gekommen waren, haben den Repara-turwerkern Juozas Mazgelis und Aleksas Lubas erklärt, daß sie durch ihre Arbeiten an der Kirche die sowjetischen Gesetze verletzt hätten und dafür fünf Jahre Gefängnis bekämen. Da sie sich aber zum ersten Mal vergangen hätten und wenn sie das Versprechen abgeben würden, in Zukunft keine Kirchen mehr zu reparieren, würde ihnen die Strafe erlassen und beschränke sich auf eine Geldbuße. Und tatsächlich, am 8. Januar hat die Kommission der administrativen Strafen des Rayons Varena unter Vorsitz des Chefs der Milizstation, Rečkus, die genannten Arbeiter mit einer Geldstrafe von je 25 Rubel belegt.

Ihre Strafe haben die Bestraften bezahlt, aber für sie ist es trotzdem un­durchsichtig geblieben, gegen welches Gesetz sie eigentlich verstoßen haben sollen.

Es wird verlangt, aus der Kirche eine Statue zu entfernen 
Jurbarkas

Der in Jurbarkas ansässige Künstler Verbickas, ein ehemaliger Lehrer, jetzt Pensionär, hat 1972 für den neuen Altar der Kirche in Jurbarkas eine Marienstatue aus Holz geschnitzt. Bei der Einweihung der Statue hat Hochw. V. Byla in seiner Predigt Freude über die Schönheit der Marien­statue geäußert. Sofort nach der Predigt wurde eine Kommission unter der Leitung der stellvertretenden Vorsitzenden des Exekutivkomitees des Rayons Jurbarkas beim Pfarrer von Jurbarkas, M. Buožius, vorstellig und verlangte, die ohne Erlaubnis aufgestellte Statue aus der Kirche zu entfer­nen. Der Pfarrer erklärte, daß zur Innenausschmückung der Kirche keine Erlaubnis nötig sei, und außerdem habe Verbickas die Statue geschenkt, und deshalb werde er sie aus der Kirche nicht entfernen. Darauf hat die Kom­mission verlangt, Verbickas solle selbst die Statue aus der Kirche zurück­nehmen. Der Künstler erklärte, daß er seinen Eltern versprochen habe, eine Statue für die Kirche herzustellen und sie in Erfüllung ihres Willens angefertigt habe und sie auf keinen Fall aus der Kirche zurücknehmen wer­de. Die Kommission sagte, sie werde den Pfarrer dazu zwingen, die Statue aus der Kirche zu entfernen.

Kürzlich hat der Künstler Verbickas für die Kirche in Jurbarkas eine Herz-Jesu-Statue angefertigt. Das Exekutivkomitee schweigt vorläufig noch.

Zum Osterfest 1974 war die Kirche von Jurbarkas überfüllt. Viele waren aus dem Gebiet des heutigen Kaliningrad gekommen, in dem es keine ein­zige geöffnete Kirche gibt. Die Vorsitzende des Exekutivkomitees der Stadt Jurbarkas und der Instrukteur der Propaganda- und Agitationsabteilung des Parteikomitees des Rayons spazierten demonstrativ durch die Kirche, beobachteten alle und alles, begleiteten sogar die Prozession. Die Vorsit­zende des Exekutivkomitees der Stadt ist sogar auf die Orgelbühne gestie­gen. Sicherlich hat sie Interesse an den Choristen gehabt, und außerdem kann man von der Orgelbühne besser sehen, was in der Kirche geschieht. Der Pfarrer von Jurbarkas hat öfters die Regierungsbeamten um Erlaubnis gebeten, einen Brunnen auf dem Kirchplatz graben zu dürfen, aber er er­hielt keine Genehmigung. 1973 hat der Pfarrer ohne Erlaubnis den Brun­nen gegraben. Eine Kommission des Exekutivkomitees des Rayons, unter der Leitung der Stellvertreterin Tamošiūnienė, verlangte, den Brunnen zu­zuschütten und dazu eine Erklärung zu schreiben. Der Pfarrer hat die Er­klärung geschrieben, aber den Brunnen nicht zugeschüttet.

Glocken läuten darf man nur zur Frühmesse und zum Hochamt

Im ehemaligen Pfarrhaus der katholischen Gemeinde Jurbarkas ist ein Kin­dergarten eingerichtet. Wenn die Glocken läuteten, haben die Kinder die Er­zieherinnen gebeten, sie doch zur Kirche zu führen. Vor zehn Jahren hat der Ministerrat das Glockenläuten verboten, damit die „Kinder nicht im Schlaf gestört würden".

1974 wandten sich der Pfarrer von Jurbarkas, M. Buožius, und der Vor­sitzende des Kirchenkomitees, Zinkevičius, an den Bevollmächtigten des Ra­tes für religiöse Angelegenheiten, Tumėnas, mit der Bitte, das Glockenläuten zu erlauben. Nach zehn Jahren wurde das Glockenläuten erlaubt — man darf an Sonntagen zur Frühmesse und zum Hochamt läuten.

Šlavantai

Am Abend des 14. Januar 1975 wurde ein Attentat auf den Priester J. Zdebskis verübt. Als er zwischen Meteliai und Sirijai (Rayon Lazdijai) mit einem Auto unterwegs war, versuchten zwei von Sicherheitsdienstbeamten gesteuerte Autos, ihn in einen Unfall zu verwickeln. Es entstand nur Sach­schaden.