Ein offener Brief an die Lehrerin der achtklassigen Schule in Pajieslys, Aldona Ilgūnienė.

Verehrte Lehrerin,

Ihr Artikel zu weltanschaulichen Fragen „Man darf dazu nicht schweigen", der in der Rayonszeitung von Kėdainiai Tarybinis Kelias (Der sowjetische Weg) vom 28. Juni 1976 erschienen war, wurde von den Gläubigen mit Ver­ärgerung aufgenommen.

Sie sind Atheistin, nicht schweigen zu wollen, ist Ihr gutes Recht, doch reden und schreiben sollte man stets die Wahrheit.

Ich bedauere es sehr, daß Sie die geistige Welt, in der Ihre Schüler leben, so wenig kennen. In die Kirche gehen nur diejenigen Kinder, welche an Gott glauben. Die Kirche ist kein Vergnügungsort. Die Eltern und ihre Kinder huldigen Gott in der Kirche und beten. Die gläubigen Kinder mißtrauen Ihnen und werden Ihnen niemals ihr Herz aufschließen. Uber hundert Kin­der und ihre Eltern sind gewillt, mit ihrer Unterschrift zu bezeugen, daß sie an Gott glauben und daß die Lehrerin Aldona Ilgūnienė die Unwahrheit sagt. Sie beabsichtigen sogar, deshalb vor Gericht zu gehen. Verärgert sind die Vertreter der Intelligenz, die Fachleute, welche in die Kirche von Pajieslys kommen. Sie fragen, wer die Lehrerin Ilgūnienė dazu berechtigt habe, sich in die Gewissenangelegenheiten anderer Leute einzu­mischen.

Sie schreiben: „Der Priester organisiert mit den Mädchen verschiedene Ver­anstaltungen und stattet Geburtstagsbesuche mit Geschenken ab." Der Prie­ster organisiert gar nichts, sondern erteilt den Gläubigen nur Ratschläge. Das ist die Pflicht eines jeden Priesters, und es ist nicht Ihre Aufgabe, dem Prie­ster Anweisungen zu erteilen, was er zu tun habe. Sie werden wütend bei dem Gedanken, daß zu Geburtstagen nicht Sie, sondern der Pfarrer eingeladen wird. Was soll's, er wird eben mehr verehrt und geliebt. Erwerben Sie sich eine solche Achtung, dann werden auch Sie eingeladen werden! Sie schreiben: „Für Geld begleitet der Priester auch einen Nichtkirchgänger mit allem Zeremoniell zur letzten Ruhe." Da irren Sie schmerzlich, Lehrerin! Weder für Geld, noch unentgeltlich habe ich jemals einen Atheisten beerdigt. Das verbieten die Kirchenkanons.

In Pajieslys leben einfache, arbeitsame und freundliche Leute, doch sie sind für Aufrichtigkeit und Gerechtigkeit. Wenn Sie immer die Wahrheit schrei­ben, werden Sie samt Ihrer Weltanschauung von jedermann geachtet werden.

 

Pajieslys, den 30. Juni 1975        Priester J. Vaicekauskas

Administrator der Kirche von Pajieslys

 

 

An den Vorsitzenden des Sicherheitskomitees der Litauischen SSR! Kopien: an die Bischöfe des Erzbistums Kaunas und des Bistums Vilkaviškis

 

Priester Sigitas Tamkevičius,

Pfarrvikar von Simnas,

wohnhaft: Rayon Alytus, Simnas, Kreivoji 3

 

 

Erklärung

Am 20. März 1974 haben vier Dienstausübende des Sicherheitskomitees bei

mir eine Haussuchung durchgeführt und hierbei beschlagnahmt:

10 Kassetten mit Bandaufzeichnungen von Predigten,

die Nummern 7 und 8 der „Chronik der LKK",

das Segment einer Schreibmaschine ohne Buchstaben,

ein Notizbüchlein, einen Predigtentwurf und einige Schriftstücke.

Seit der Haussuchung sind anderthalb Jahre vergangen, ohne daß mir die beschlagnahmten Gegenstände zurückgegeben worden sind. Nach Art. 114 des Strafgesetzbuches der Litauischen SSR müssen sämtliche Teilnehmer an einer Haussuchung in das Untersuchungsprotokoll eingetragen werden. Es wurde jedoch nur Hauptmann Pilelis eingetragen, die anderen Teilnehmer wurden unterschlagen. In das Haussuchungsprotokoll wurde gleichfalls nicht eingetragen, auf Grund welcher Akte die Haussuchung durchgeführt wurde. Hauptmann Pilelis nahm eine Leibesvisitation an mir vor, über die jedoch kein Protokoll erstellt worden ist. Angeführtes zeigt, daß die Dienstausführenden des Sicherheitskomitees eigenwillig vorgehen, indem sie sich die Unbewandertheit der Laien in juristischen Fragen zunutze machen.

Während zweier Verhöre unternahmen die Verhörer Pilelis und Rimkus den Versuch, mich mit unerlaubten Mitteln zu einer ihnen genehmen Aussage zu bewegen, obwohl Artikel 187 des Strafgesetzbuches der Litauischen SSR ein solches Vorgehen verbietet.

Da ich keinen Anlaß dazu sah, etwas zu bezeugen, wo kein Vergehen vorlag, habe ich die meisten Protokolle zum Verhör nicht unterschrieben. Ich halte die Verfolgung der Gläubigen wegen der „Chronik der LKK" für unrecht­mäßig, da die Allgemeine Deklaration der Menschenrechte einem jeden so­wjetischen Bürger das Recht zugesteht, Informationen, wenn sie richtig sind, zu verbreiten.

Um in Zukunft einem Verhör in ähnlichen Angelegenheiten vorzubeugen, erkläre ich von vornherein, daß ich zu keiner Zeugenaussage bereit bin. Ich bitte anzuordnen, daß die Dienstausführenden der Sicherheitskommission mirsämtliche bei der Haussuchung fortgenommenen Gegenstände und Schriftstücke zurückgeben.

 

Simnas, 28. September 1975        Priester S. Tamkevičius

 

Am 30. Oktober 1975 wurde Priester S. Tamkevičius zu dem Exekutivkomi­tee der Stadt Simnas bestellt, wo ihm von einem Alytusser Sicherheitsbeam­ten die aus Vilnius zugesandte Antwort des Sicherheitskomitees zur Einsicht vorgelegt wurde. Darin hieß es, über das Schicksal der bei der Haussuchung beschlagnahmten Sachen würde in einem anberaumten Untersuchungsver­fahren entschieden werden, die „Chronik der LKK" sei der Gerichtsakte bei­gefügt.

Im Oktober befahl der Bevollmächtigte des Rates für religiöse Angelegen­heiten, K. Tumėnas (der „rote Bischof", wie er in Litauen genannt wird), der Kurie, den Vikar S. Tamkevičius aus Simnas zu entfernen und ihn als Pfarrer der Pfarrgemeinden Kybartai und Virbalis einzusetzen. Die Gläubigen und Priester befürchten indes, daß Priester S. Tamkevičius an dem neuen Ort, wo ihn die Gemeindemitglieder noch nicht so gut kennen, ohne großes Auf­sehen arrestiert oder sogar physisch vernichtet werden könnte. Die große und fromme Pfarrgemeinde von Simnas ist unter der Obhut eines einzigen, alten Pfarrers belassen worden.