Am 16. Oktober 1975 wurde Eugenija Žukauskaitė zu der Vorsitzenden des Exekutivkomitees von Kaunas, Tamašauskienė, bestellt. E. Žukauskaitė wird vorgeworfen, daß sie unverbesserlich in den Sommermonaten Kinder in Glaubenswahrheiten unterrichtet hätte, obwohl bereits ihr Fall in einer Fabriksitzung zur Sprache gekommen sei.

E. Žukauskaitė entgegnete, daß sie sich in der sowjetischen Schule und auf der Straße ihre Kinder nicht zusammengesucht hätte. „Wenn mich ein Mensch darum bittet, weshalb sollte ich ihm denn dann nicht etwas über den Glauben erklären. Ich habe da ein ganz reines Gewissen."

„Sieh mal an, ein reines Gewissen? Wo Sie doch haufenweise Kinder unter­richtet haben!", staunte die Vorsitzende des Exekutivkomitees. Daraufhin erwiderte E. Žukauskaitė, daß die Verfassung der Sowjetunion Gewissenfreiheit garantiere. Außerdem hätte die Sowjetunion die Deklara­tion über allgemeine Menschenrechte unterzeichnet, die für Religionsfreiheit eintritt. Aus der Zeitung hätte sie erfahren, daß der Verwalter des Erzbis­tums von Vilnius, Č. Krivaitis, bei seinem Besuch in Amerika behauptet hätte, daß in Litauen der Glaube nicht eingeengt würde. Sie sei sich keiner Schuld bewußt, auch wenn sie irgendwem etwas über Glaubenssachen erzählt hätte.

Die Vorsitzende Tamašauskienė machte Žukauskaitė zum Vorwurf, daß sie die Kinder verderbe und bemerkte hierzu, daß Kinder bis zu 18 Jahren nicht beeinflußt werden dürften.

 

Nach Abschluß der Vernehmung wurde von der Vorsitzenden ein Protokoll angefertigt und E. Žukauskaitė zur Unterschrift vorgelegt. Am 22. Oktober solle, wie die Vorsitzende erklärte, in einer Sitzung der Administrations­kommission des Exekutivkomitees die Akte gegen E. Žukauskaitė behandelt werden.

Zur Sitzung der Administrationskommission am 22. Oktober hatten sich nicht wenige Leute eingefunden, das Verfahren gegen E. Žukauskaitė fand jedoch in einem gesonderten Raum ohne Zeugen statt. Das Verhör wurde von einem Milizionär in Uniform vorgenommen.

Weshalb sie die Kinder unterrichtet habe, wurde sie von dem Dienstausüben­den gefragt.

 

„Ich habe keine Schule gegründet und keine Kinder von der Straße aufge­lesen. Wenn ich Schuld habe, dann bestraft mich. Doch euch bringt das keinen Ruhm ein", erwiderte E. Žukauskaitė streng. „Wir werden dich mit einer Geldstrafe von 50 Rubeln belegen." „Diebe und Rowdys müssen bestraft werden. Ich fühle mich unschuldig. Nach den sowjetischen Gesetzen herrscht doch Religionsfreiheit in unserem Land", gab die Angeklagte zur Antwort.

„Ist denn die Verführung von Kindern kein schuldhaftes Vergehen", rügte sie der Milizionär. „Geh doch in deine Kirche, schleif dir die Knie ab, doch laß die Kinder in Ruhe."

Die Vorsitzende Tamašauskienė erklärte, daß sie die Erziehung der Kinder durch Žukauskaitė nicht dulden werde. Sollten bei ihr auch nur drei Kinder angetroffen werden, würde dies eine weit strengere Strafe als die einer Geld­buße nach sich ziehen.

Als festgestellt worden war, daß der Verdienst von E. Žukauskaitė 80 Rubel beträgt, erhob die Adiministrationskommission eine Geldbuße von 40 Ru­beln.

Beschluß

zu dem Administrationsverfahren Nr. 1113 vom 22. Oktober 1975

Die Administrationskommission bei dem Exekutivkomitee des Požėla-Ra-yons von Kaunas (Vorsitzender: Stasiulynas, Sekretär: Simelevičienė, Mit­glieder: Kaune, Tamoliūnienė, Čivas) ist nach Behandlung des Administra­tionsverfahrens Nr. 1113 in einer öffentlichen Sitzung zu der Feststellung ge­kommen, daß die Bürgerin Žukauskaitė, Eugenija, Tochter des Leonas (Wohnsitz: Sedos g. Nr. 7-1, Arbeitsplatz: das Zibertas-Seide-Industrie-kombinat), Kindern Katechismus-Unterricht erteilt und damit gegen den Er­laß des Präsidiums des Obersten Sowjets der Litauischen SSR vom 12. Mai 1966 verstoßen hat.

Die Administrationskommission faßte den Beschluß, der Bürgerin E. Žukaus­kaitė ein Bußgeld von 40 Rubeln aufzuerlegen. Das Bußgeld muß in die Filiale der Staatsbank in Kaunas eingezahlt werden, und zwar innerhalb einer Frist von 15 Tagen nach Einhändigung der Kopie dieses Beschlusses. „Zahl das Bußgeld ein und zeig dann die Quittung vor", mahnte sie die Vorsitzende Tamašauskienė.

„Ich wundere mich, daß ich in dem allerdemokratischsten Land der Welt wegen meines Glaubens verhört und bestraft werde", mit diesen Worten ver­ließ Žukauskaitė den Sitzungssaal und die entrüsteten Kommissionsmitglie­der.