An den Ministerrat der Litauischen SSR Abschriften an:

— den Bevollmächtigten des Rates für religiöse Angelegenheiten beim Mi­nisterrat der Litauischen SSR,

·         die Ordinariatsverwaltung der Bistümer Litauens,

·         Seine Exzellenz Bischof V. Sladkevičius,

·         Seine Exzellenz Bischof J. Stepanovičius.

Erklärung

von Priestern der Erzdiözese Vilnius

Seit Anbeginn der katholischen Kirche, seit den Zeiten der Apostel, leiten Bischöfe mit ihrem Oberhaupt, dem Heiligen Vater, das Leben der Kirche. Das Zweite Vatikanische Konzil hat diese Rolle der Bischöfe als Nachfolger der Apostel, als berufene Lehrer, Heilende und Ordner besonders herausge­stellt. In aller Welt, kürzlich gegründete afrikanische Staaten nicht ausge­schlossen, werden die Diözesen von Bischöfen geleitet, die vom Apostolischen Stuhl ernannt worden sind. Nur kurzfristig, nach Ableben oder Rücktritt eines alten bis zur Ernennung eines neuen Bischofes, sind vorläufige Admini­stratoren ohne volle bischöfliche Amtsgewalt vorgesehen. Die Bistümer Litauens wurden normalerweise stets von Bischöfen geleitet. Lediglich im 19. Jahrhundert, als der Zarismus beabsichtigte, den katholischen Glauben zu schwächen oder ganz auszurotten, waren die Bistümer von Vilnius und Žemaitija (Samogizia) längere Zeit ohne bischöflichen Oberhirten. Die Priesterschaft der Erzdiözese Vilnius, unsere Gläubigen und alle litau­ischen Katholiken bedrückt es schmerzlich, daß es seit 15 Jahren, d. h. seit Anfang des Jahres 1961, in Vilnius keinen katholischen Bischof mehr gibt. Der vom Apostolischen Stuhl eingesetzte Bischof Julijonas Stepanovičius wurde auf Anordnung der Staatsregierung in das entfernte Städtchen Žagare verbannt. Die Amtsausübung ist ihm verwehrt. Der Priesterschaft und den Gläubigen ist diese Entscheidung der Staatsorgane und die lange Dauer der Verbannung des Bischofs unbegreiflich. Wir kennen den Bischof Stepanovi­čius als ruhigen, gewissenhaften, fleißigen und loyalen Mitbürger. Weder zur bürgerlichen Zeit, noch während der Naziokkupation, noch unter der Sowjetmacht hat er jemals antisowjetische Erklärungen abgegeben oder sich sonst in antisowjetischem Sinne betätigt. Als Bischof sorgte er dafür, daß die Priester ihren kirchlichen Dienst ordnungsgemäß verrichteten. Es ist uns zwar bekannt, daß zwischen ihm und dem damaligen Beauftragten für religiöse Angelegenheiten das eine oder andere Mißverständnis auftrat, was aber auf die Kompetenzüberschreitung und die Einmischung in innerkirch­liche Belange seitens des Beauftragten zurückzuführen war, der versuchte, den Bischof dazu zu zwingen, Verfügungen zur Einschränkung des religiösen Lebens zu erlassen, die seine bischöfliche Autorität untergraben hätten. Man vernimmt, daß auch Gläubige anderer Länder empört sind über die Ver­bannung des Bischofs aus Vilnius ohne irgendein Verschulden seinerseits, nur wegen seiner Glaubenstreue und der Achtung vor seinem Amt. Man verweist darauf, daß der Apostolische Stuhl sich mit der Regierung über den inzwi­schen verstorbenen Bischof K. Paltarokas über die Kandidatur des Pfarrers Julijonas für das Bischofsamt geeinigt hätte, während die Außeramtsetzung ohne Konsultation oder Vorankündigung an den Heiligen Stuhl erfolgte. Die Sowjetpresse und der Rundfunk betonen in letzter Zeit mit Nachdruck, die Sowjetmacht beabsichtige keineswegs, sich in die inneren Angelegenheiten der Kirche einzumischen. Da wir selbst ebenfalls normale Beziehungen zwi­schen Staat und Kirche, Regierung und gläubigen Bürgern befürworten, er­suchen wir den Ministerrat der Sozialistischen Sowjetrepublik Litauen, dem Bischof Julijonas Stepanovičius die Rückkehr nach Vilnius und eine ord­nungsgemäße Ausübung seines bischöflichen Amtes zu gestatten.

Vilnius, 25. September 1975 Unterschrieben von:

K. Garuckas, A. Mačiulis, V. Černiauskas, A. Simonaitis, J. Kardelis, J. Bal­tušis, A. Ulickas, A. Kanišauskas, A. Keina, J. Budrevičius, N. Pakalka, K. Gajaumsas, B. Jaura, B. Šakėnas, K. Molis, M. Petravičius, K. Pukėnas, Dr. S. Malachovski, N. Jaura, S. Kakarieka, B. Stonys, A. Lachovič, Dr. K. Kulak, J. Saulius, C. Taraškevičius, R. Blažys, V. Navicki, P. Daunoras, D. Valančiauskas, N. Norkūnas, J. Kukta, D. Valiukonis, K. Valeikis, J. Siė nus, L. Lauriūnas, S. Valiukėnas, I. Jakutis, S. Tunaitis, A. Merkys, D. Pui­dokas, A. Petronis, K. Vaičionis, K. Žeminas, J. Balčiūnas, B. Laurinavičius,

H.        Kitauskas, J. Vaitonis, A. Andriuškevičius, A. Čiūras, K. Gailius, V.
Aliulis, V. Zavadskis, A. Tamulaitis, V. Velimanski, I. Ivančik, J. Obrem-
ski, J. Charukievič, P. Jankus, S. Toporek, J. Grigaitis, A. Dziekan, A. Tru-
sevič, J. Tunaitis, M. Žemaitis, S. Markevičius, L. Lavcevič.

An den Generalsekretär des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Sowjetunion, Leonid Brežnev

 

Abschriften an:

I.        den Bevollmächtigten des Rates für religiöse Angelegenheiten beim Mi-
nisterrat der UdSSR,

2.     das Präsidium des Obersten Sowjets der Litauischen SSR,

3.             den Bevollmächtigten des Rates für religiöse Angelegenheiten beim Mi­nisterrates der Litauischen SSR,

4.     den Apostolischen Administrator des Erzbistums Vilnius.

Erklärung

des Pfarrers Vladislovas Černiauskas aus Mielagėnai, Kreis Ignalina

Am 14. November 1974 übersandte ich eine Erklärung an den Generalsekre­tär des Zentralkomitees der KPdSU. Abschriften wurden an das Präsidium des Obersten Sowjets der Litauischen SSR, an den Bevollmächtigten des Rates für religiöse Angelegenheiten beim Ministerrat der UdSSR sowie an den Apostolischen Administrator des Erzbistums Vilnius gesandt. In dieser Eingabe schilderte ich die den Gläubigen der Kirchspiele Mielagėnai und Trakai seitens der Atheisten zugefügten Schäden. Von keiner der genannten Stellen habe ich jemals eine Antwort erhalten. Doch wurde ich am 26. De­zember 1974 vom stellvertretenden Vorsitzenden des Exekutivkomitees im Rayon Ignalina, A. Vaitonis, aufgefordert, mich beim Amt des Exekutiv­komitees des Rates der Werktätigendeputierten Mielagėnai zu melden und wurde zum 20. Januar 1975 vom Bevollmächtigten des Rates für religiöse Angelegenheiten der Litauischen SSR, K. Tumėnas, nach Vilnius vorgeladen. Der Bevollmächtigte Tuminas erklärte mir unzufrieden: „Warum schreiben Sie Erklärungen nach Moskau? Eingaben zu machen ist Sache des Kirchen­komitees, nicht des Gemeindepfarrers." Er sagte, die Beschwerde sei unbe­gründet und in Zukunft werde er solche Schreiben ganz ignorieren. „Eine schriftliche Antwort wird prinzipiell nicht erteilt. Würde ich solch schriftliche Anworten geben, so wäre sofort alles in den ausländischen Sendern zu hören." Dasselbe sagte mir auch A. Vaitonis: „Sie müssen wissen, daß Ihre Beschwerden an uns übersandt werden. Wegen solcher Nichtigkeit kommt sicher nicht gleich jemand aus Moskau zur Untersuchung. Sie haben von nie­mandem eine Antwort bekommen und werden auch keine erhalten." Am 26. Dezember zeigte mir A. Vaitonis die Genehmigungen für die Repa­ratur der Kirche, von deren Existenz weder ich noch das Gemeindekomitee etwas gewußt haben. Diese Papiere seien dem Rat der Werktätigendeputier­ten in Mielagėnai übersandt worden, doch brauche der Gemeindepfarrer da­von nichts zu wissen. Ich ersuchte daraufhin um die Vorweisung des Schrift­satzes über das Verbot von Reparaturarbeiten an unserer Kirche, den ich im Mai 1974 zusammen mit dem Vorsitzenden des Kirchenkomitees, J. Bajoriū-nas, hatte unterschreiben müssen. Statt dieses Schreibens zeigte man mir einen Schriftsatz völlig anderen Inhalts. Welche Infamie! Außerdem, erklärte Vaitonis, dürfe sich ein Priester nicht um die Kirchen­reparatur kümmern: „Allen, die es wagen oder künftig wagen sollten, Füh­rungsinitiativen zu entwickeln, werden wir die Hörner schon brechen und ihnen die Genehmigung entziehen, als Priester tätig zu sein. Und sollte je­mand Priesterpflichten mit irgendeiner Führerrolle verbinden, so werden wir ihn zwingen, dieses zu unterlassen."

 

Wie sich aus diesen Erklärungen unserer zivilisierten atheistischen Obrigkeit ergibt, sind Reparaturen an Kirchengebäuden verboten — Schädigungen sind jedoch gestattet. In der Nacht vom 16. zum 17. Juli 1974 schändete ein Einbrecher in der Kirche zu Mielagėnai das Allerheiligste, und während des Gottesdienstes am 7. April 1975 wurde die Kirche in Brand gesteckt. Die Miliz des Rayons begnügte sich mit einer Inspektion des Tatortes, nach den Tätern wurde gar nicht erst gesucht. Den Umständen nach ist anzunehmen, daß die Täter in den Kreisen der hiesigen Atheisten zu suchen sind, deren Taten die Miliz zuzustimmen scheint.

Aus obigen Darlegungen und der dem Generalsekretär des ZK der KPdSU übersandten Erklärung vom 14. November 1974 ist deutlich ersichtlich, daß die katholische Kirche im sowjetischen Litauen brutal verfolgt wird und die Gläubigen diskriminiert werden.

Der Generalsekretär des ZK der KPdSU wird hiermit ersucht, den Katho­liken Litauens das Recht auf Inanspruchnahme der Religionsfreiheit zu garantieren, welches in der Verfassung und der allgemeinen Deklaration der Menschenrechte verkündet wird.

Pfarrer A. Černiauskas Administrator der Kirche zu Mielagėnai

Mielagėnai, 23. Juni 1975

 

 

 

An die

Intellektuellen Europas und der Sowjetunion:

H. Boll, G. Grass, L. Kolakovski, E. Jonescu, A. Siniavski, A. Solzenicyn und A. Sacharov

 

Das litauische Volk wurde erneut von einem schmerzlichen Verlust betrof­fen: am 5. November kam unter den Rädern eines Zuges der talentierte Schriftsteller und Wissenschaftler Mindaugas Tamonis ums Leben. Wieder hat die geheimnisvolle Hand des KGB das Leben eines kaum 35jährigen, schaffensfrohen und edelmütigen Menschen vernichtet.

 

Im vergangenen Jahr erhob M. Tamonis, Oberingenieur des Institutes für Denkmalskonservierung und Kanditat der Technischen Wissenschaften, in einem offenen Brief scharfen Protest gegen die Unterdrückung des litauischen Volkes und verlangte das Einhalten der elementaren Grundrechte. Wegen dieser mutigen Protestaktion wurde M. Tamonis in die Psychiatrische Klinik Vilnius, Vasarosstraße 5, eingeliefert und vier Monate lang festgehalten. Am 25. Juni d. J. wandte sich M. Tamonis mit einem Brief an das ZK Litauens, in dem er Befürchtungen über eine neostalinistische Gefahr äußerte und gegen die Unterdrückung der litauischen Kultur protestierte. Am 27. Juni wurde er erneut gewaltsam ins Irrenhaus gebracht. Aus Gram über das Unglück ihres Sohnes starb am 29. Juni seine Mutter an einem Herz­schlag.

 

Nach einem Monat wurde M. Tamonis aus der Klinik entlassen, erhielt aber für den 5. November eine erneute Aufforderung, sich in der Klinik zu melden, der er jedoch nicht nachkam.

 

Nach seiner zweiten Entlassung aus dem Krankenhaus wurde Tamonis auf jede erdenkliche Art und Weise ignoriert und verfolgt.

Seine Familie, zwei Kinder und deren Mutter, blieben ohne Ernährer, unser Volk verlor einen idealistischen Patrioten, begabten Schriftsteller und Wis­senschaftler. Ein paar Dutzend Zeilen mutiger Worte kosteten M. Tamonis das Leben.

Anderen Litauern ist es ähnlich ergangen.

 

Am 5. November 1969 starb der talentierte Graphiker Arūnas Tarabiida an einem Insult nach permanentem Ringen um das Recht, ein gewissenhafter Künstler und Patriot zu sein. Dieser 35jährige Künstler wurde seinerzeit ebenfalls polizeilich vernommen, dann als Rekrut in eine Panzereinheit ge­steckt, wo man ihn starker radioaktiver Bestrahlung aussetzte. So erloschen die Verse eines Liedes, das seiner Heimat galt.

 

Unter sehr mysteriösen Umständen kam im Herbst 1970 der begabte Lin­guist und Professor für litauische Sprachlehre an der Universität Vilnius, Dr. J. Kazlauskas, ums Leben. Erst 40 Jahre alt, war dieser fortschrittliche und aktive Forscher wegen seiner mutigen wissenschaftlichen Theorien auf dem Gebiet der Baltistik bei der Sowjetmacht bereits in Ungnade gefallen. Zahlreiche ähnliche Fälle könnte man nennen.

 

Im heutigen Litauen sind die talentiertesten und schaffensfreudigsten Per­sönlichkeiten, die die Verbindung zu ihrem Volk aufrechterhalten, zum Schweigen verurteilt. Wer das Schweigen bricht und seinem Volk gar eine bessere Zukunft wünscht, muß mit großen Unannehmlichkeiten rechnen, und so mancher Lebensweg endet unerwartet.

Unter solchen Bedingungen der Unterdrückung und des Konformismus ist es unendlich schwer, schöpferische und edelmütige Persönlichkeiten zu erzie­hen und zur Reife zu bringen. Ihr Verlust wird wie ein Vernichtungsschlag gegen die ganze Nation empfunden. Heutzutage ist physischer Völkermord nicht mehr durchführbar. Alles konzentriert sich daher in raffinierter, hin­terhältiger und systematischer Art und Weise auf die Vernichtung schöpfe­rischer Einzelpersönlichkeiten unseres Volkes. Das zeigen die Ereignisse der letzten Zeit, das beweist auch von neuem das Schicksal von M. Tamonis. Und doch wird man das litauische Volk, das auf Jahrhunderte der Eigen­staatlichkeit zurückblickt, mit seiner eigenständigen Kultur und dem be­achtlichen geistigen Erbe, nicht dem Prozeß der Willkür preisgeben dürfen. Dieses Volk ist gewillt, am Fortschritt des Lebens teilzunehmen und bean­sprucht die Rechte und Freiheiten wie jedes andere Volk auch.

Liebe Freunde Litauens! Eure talentierten Werke, voll humanistischen Gei­stes, sind auch in Litauen wohlbekannt. Eure Ideen haben auch in den Herzen vieler Litauer ein Echo und lebhafte Zustimmung gefunden. Eure Namen nennt man hier mit Liebe und Ehrfurcht.

 

Unsere Bitte lautet: Helft uns in unserem heiligen Kampf für die Freiheit Litauens, für lichtvollere Tage unseres Volkes, helft bei der Verwirklichung elementarster Menschenrechte.

Wir bitten Euch, erhebt auch Ihr Protest gegen das uns zugefügte Leid, gegen die Unterdrückung und raffinierten Vernichtungsversuche unserer Intellek­tuellen, wie im Falle Tamonis und der übrigen.

Litauer. . .

November 1975