Abschrift des Strafprozesses Akten-Nr. 1-68/1963

Urteil im Namen der Litauischen Sozialistischen Sowjetrepublik

Am 7. Mai 1963 hat das Volksgericht in Kėdainiai unter Vorsitz des Volks­richters Olšauskas und der Volksräte Čaplikienė und Žaludiene, in Anwesen­heit des Staatsanwaltes Leščinskas, der öffentlichen Ankläger A. Žukas und K. Ptašinskas, des Rechtsanwaltes Štarka und der Schreiberin Stanevičienė in der öffentlichen Gerichtsverhandlung in der Aula der 2. Mittelschule nach eingehender Uberprüfung der Strafprozeßakte, in der Algimantas-Anastazas Šaltis, Sohn des Vytautas, geb. am 2. April 1944 in der Stadt Kėdainiai der Litauischen SSR, Litauer, parteilos, 9-Klassen-Bildung, ledig, wehrpflichtig, nicht vorbestraft, arbeitslos (ging in die Abendschule für Arbeiterjugend in die 10. Klasse), Kind von Angestellten, wohnhaft in der Stadt Kėdainiai, Vil­nius g. Nr. 12, angeklagt ist nach Paragraph 144, 2 des Strafgesetzbuches der Litauischen SSR, nach eingehender Uberprüfung des Beweismaterials der Voruntersuchung und Gerichtsverhandlung, nach Befragen des Angeklagten und der Zeugen, nach Anhören der Plädoyers und der letzten Worte des Angeklagten, folgenden Beschluß gefaßt: Der Angeklagte Šaltis, Schüler der 10. Klasse der Mittelschule für Arbeiterjugend, der für die Allgemeinheit nicht nützlich arbeitete (obwohl physisch gesund und reif), hat ungeachtet dessen, daß er 1960 wegen seiner Anwerbung von Schülern in den sog. „lebenden Rosenkranz", d. h. für die Verkündung des Gottesglaubens und Unterweisung in den religiösen Riten von den Sicherheitsorganen verwarnt wurde, daraus nicht die notwendigen Konsequenzen gezogen und fährt mit seiner strafbaren Tätigkeit fort. So unterwies der Angeklagte Šaltis 1961 eine Schülergruppe in den religiösen Riten und bereitete sie auf die Kommunion vor. Nicht genug hiermit, organisierte der Angeklagte Šaltis im Sommer 1962 während der Schulferien, unter dem Vorwand das Wort Gottes zu ver­künden, im Rayon Kėdainiai, im Dorf Bubliai eine Gruppe von neun Schü­lern, darunter auch „Pioniere" und „Oktoberkinder" (litauisch „spailiukai", Kinderorganisation des Roten Oktober), und brachte ihnen den Katechismus und Gebete bei, verbreitete unter den Kindern religiöse Literatur, stand in Briefverbindung mit einer organisierten Gruppe, hielt einige Schüler dazu an, nicht der Pionierorganisation beizutreten und nicht dem Kommunismus zu glauben.

 Der Angeklagte Šaltis unterrichtete die oben erwähnte Gruppe ungefähr zwei Wochen lang und nahm für den Unterricht Geld im Wert von je ein bis zwei Rubel. Auf Befragen in der Gerichtsverhandlung bekannte sich der Angeklagte Šaltis für nicht schuldig und erklärte, daß er zwar die 9-Per-sonen-Gruppe examiniert, sie Gebete gelehrt und sie auf die Kommunion vorbereitet, aber kein Geld von den Schülern genommen habe, und daß man einer solchen Tätigkeit nicht nachgehen dürfe, habe er nicht gewußt. 1960 wurde er von den Sicherheitsorganen wegen der Unterweisung der Kinder in religiösem Aberglauben und Riten gewarnt, doch auch dort war er un­schuldig. Das Volksgericht steht jedoch den Ausführungen des Angeklagten bzgl. seiner Unschuld kritisch gegenüber, denn sie entsprechen nicht mehr der Realität und den Zeugenaussagen und dem Strafprozeßmaterial. Die Zeugen N. Sinkevičius, C. Kupčinskas, A. Zubrickaite, V. Argustaitė, V. Mimonskaitė, B. Argustas, J. Trinkauskas, J. Argustas, Z. Vyšniauskas be­stätigten, daß der Angeklagte Šaltis sie im Sommer 1962 examinierte, in den religiösen Riten unterwies und ihnen Religionsunterricht erteilte. Dies be­stätigten auch die Eltern der oben erwähnten Schüler. Daß der Angeklagte diese strafbare Tätigkeit noch 1960 und 1961 ausübte, bestätigen das Doku­ment des Bevollmächtigten der inneren Abteilung im Ministerrat des Rayons Kėdainiai und die Zeugen Vase Mimonskaite und Bronius Argustas. Der An­geklagte Šaltis bestätigte selbst, daß er diese Tätigkeit unter Einfluß der Diener des religiösen Kultes (Pfarrer und Priester) Labonis und Braknis aus­geübt habe und von ihnen und von Priester Paškevičius religiöse Literatur erhalten habe, die beim Angeklagten Šaltis während der Hausdurchsuchung gefunden wurde: 144 religiöse Bücher, 2 Hefte, 69 Blätter verschiedener Auf­zeichnungen, 6 Notizbücher, 85 Fotografien. Die oben erwähnten Indizien­beweise zeigen, daß der Angeklagte Šaltis daraus die religiösen Informatio­nen bezog, die er unter den Schülern verbreitete und daß er engen Kon­takt mit den Priestern pflegte. Die Ausführungen des Angeklagten bzgl. seiner Unschuld können auf Grund der von ihm gemachten Aussagen in der Vorverhandlung nicht widerlegt werden. Am 16. Februar 1963 zeigte der Angeklagte Šaltis auf Grund seiner eigenständigen Aussage, daß er im Sommer 1962 auf Bitten der Frau Argustienė und irgendeiner anderen Frau, im Dorf Bubliai die Kinder über Gott belehrte, Gebete lehrte u. ä. (Akte I, 32-33). Analoge Aussagen machte er am 27. Februar 1963 (Akte 139-41). Šaltis erklärte, daß er den Kindern Gebete zu lernen aufgab und sie beim nächsten Mal abhörte, und ihr Wissen entsprechend benotete. Dieser Unter­richt dauerte ungefähr zwei Wochen. Am letzten Unterrichtstag brachten ihm die Kinder je einige Rubel, im ganzen bekam er zehn Rubel. Diese Aussagen des Angeklagten Šaltis stimmen mit dem anderen Aktenmaterial überein und im wesentlichen mit allen Zeugenaussagen der von Šaltis unterrichteten Kin­der. Die Unterweisung der Kinder im religiösen Aberglauben bezeugen die von Šaltis an B. Argustas, B. Zubrickaitė, J. Argustas, V. Argustaitė. A. Zu­brickaitė, N. Sinkevičius, Z. Vyšniauskas und C. Kupčinskas geschickten Briefe. In diesen Briefen regt er an und lehrt die Kinder, jeden Morgen und Abend mit schön gefalteten Händchen zu Gott zu beten, daß er ihnen Kraft und Stärke verleihe, daß sie dabei auch für Šaltis, ihren ehemaligen Lehrer, beten sollten. Er erklärt den Kindern, daß, falls Unklarheiten oder Fragen über den Glauben auftauchten, sie sich an ihn wenden sollten, er würde ihnen antworten (Akte 1.10). Daraus ist zu ersehen, daß der Angeklagte Šaltis die Kindergruppe nicht nur unterrichtete, sondern daß er ihnen Scha­den zufügte und sie irreführte, sich aktiv auch nach der Unterweisung dieser Gruppe betätigte. Šaltis fügte und fügt weiterhin der erwähnten Schüler­gruppe großen moralischen Schaden zu, ihren Uberzeugungen und Rechten, der Bildung ihrer materialistischen Weltanschauung. Unwahr ist auch die Er­klärung von Šaltis in jenem Teil seiner Aussage, in dem er behauptet, daß er die Kinder auf Wunsch ihrer Mütter unterrichtet habe. Beim Volksgerichts­prozeß haben jedoch nur Vlada Argustienė und B. Kupčinskienė bestätigt, Šaltis gebeten zu haben, daß jener ihre Kinder Gebete lernen und sie zur ersten Kommunion vorbereiten solle, alle anderen Väter und Mütter nebst Kindern haben den Angeklagten Šaltis nicht darum gebeten und haben kein diesbezügliches Verlangen geäußert. Der Angeklagte Šaltis tat dies alles von sich aus. Alle vernommenen Kinder haben im wesentlichen vor dem Volksgericht erklärt, daß sie überhaupt nicht gewünscht und gewollt haben, daß Šaltis sie lehre und irreführe. In der Voruntersuchung bestätigte der Zeuge C. Kapčinskas, daß Šaltis ihn angewiesen habe, nicht an den Kommu­nismus zu glauben (Akte 1. 17-18), und H. Sinkevičius und A. Zubrickaitė nebst Kupčinskas sagten aus, daß Šaltis ihnen befohlen habe, nicht den Pio­nieren beizutreten (Akte 1.15-16/23-24). Während der Strafprozeßverhand­lung haben die erwähnten Zeugen auf Drängen und Bitten der Mutter des

Angeklagten Šaltis, teilweise ihre Aussagen geändert. Daß Elena Šakienė die­sen Einfluß ausübte und die Schüler bat, ihre Aussagen zu ändern, bezeugt der Zeuge Jonas Trinkauskas. Unter diesen Umständen glaubt das Volks­gericht den Aussagen der Zeugen (Kinder), die in der Vorverhandlung ab­gegeben wurden. Alle vernommenen Kinder wurden in der Vorverhandlung im Beisein eines Pädagogen und der Lehrerin dieser Kinder, A. Atkečiūnaite, befragt, die bestätigte, daß das Verhör objektiv durchgeführt wurde. Der Angeklagte Šaltis hat ein für die Allgemeinheit gefährliches Verbrechen be­gangen. Seine verbrecherische Tätigkeit stellt besonders für die junge Gene­ration eine Gefahr dar, auf sie übt Šaltis einen großen Einfluß aus, versucht sie irrezuführen und auf den unrechten Weg zu weisen. Die Gefährlichkeit des Šaltis für die Öffentlichkeit bestätigen seine fanatischen Überzeugungen, die er auch vor dem Volksgericht äußerte. Da Šaltis den Grad seiner Gefähr­lichkeit nicht einsieht, sich trotz Erziehung nicht entsprechend verhält (es wurde in der Schule viel mit ihm gearbeitet, er wurde in der Presse und auch von Kollektivmitgliedern kritisiert, wurde von den Sicherheitsorganen ver­warnt usw.) und nicht die notwendigen Konsequenzen zieht, deshalb muß Šaltis von der Öffentlichkeit isoliert werden, und zwar so lange, daß er er­zogen werden kann.

Auf Grund der obigen Darlegung wird das Volksgericht die Paragraphen 331, 333 des Strafgesetzbuches der Litauischen SSR anwenden und verkündet folgenden Gerichtsbeschluß:

Algimantas-Anastazas Šaltis, Sohn des Vytautas, geb. 1944, wird nach Para­graph 144, 1 der Strafgesetzordnung für schuldig befunden und mit einer Strafe von zwei (2) Jahren Freiheitsentzug ohne zusätzliche Strafe belegt und zur Straf verbüßung in die Besserungsarbeitskolonie des gemeinsamen Regimes gebracht. Die Sicherheitsmaßnahmen bzgl. des Verurteilten werden durch Haft ersetzt und dieser im Verhandlungssaal festgenommen. Der Strafbeginn wird vom 7. Mai 1963 ab gerechnet. Die Indizienbeweise (die bei der Hausdurchsuchung bei Šaltis gefundene Literatur, Aufzeichnungen und Fotos) werden vernichtet. Gegen dieses Urteil kann beim Obersten Ge­richthof innerhalb von sieben Tagen vom Ergehen der Urteilsverkündung durch das Volksgericht Einspruch erhoben werden.

Volksrichter (unterschrieben) Olšauskas,

Volksräte (unterschrieben) Čaplikienė und Žaludienė

Echtheit der Abschrift: (Unterschrift)