Es ist schon vier Jahre her, seitdem der Aufruf von 17 000 litauischen Gläubigen über die Religionsverfolgung die ganze Welt aufhorchen ließ. Doch nach einiger Zeit beschäftigten andere Ereignisse die Gedanken der Menschen in der freien Welt und die Klage der litauischen Gläubigen ge­riet in Vergessenheit. Nur das KGB — das Staatssicherheitskomitee — ver­gaß dies nicht. Noch heute sucht es nach den Organisatoren der Klage­schrift, nach den Unterschriftensammlern, nach denen, die unterschrieben haben, um sie dementsprechend zu bestrafen.

Ende des Monats September 1975 erhielten Antanas Ruginis, Direktor des Blinden-Produktions- und Lehrkombinats Kaunas, Vaclovas Sma­lakys, Direktor des Kulturhauses des Blindenverbandes Kaunas, und Teo­doras Ignatavičius, Sekretär der Parteiorganisation des Blindenverbandes Kaunas, eine geheime Vorladung in das Parteikomitee der Stadt Kaunas. Der verantwortliche Beamte des Parteikomitees bemängelte, daß in der Blindengenossenschaft größte Unordnung herrsche — die ideologische Er­ziehung der Mitarbeiter würde vernachlässigt und die Religion zu lasch bekämpft. Die Orchestermusikanten des Blindenvereins gingen in die Kirche und spielten bei Beerdigungen und religiösen Feierlichkeiten. Dem Direktor des interrayonalen Kulturhauses des LAD (Blindenverein) Kau­nas, V. Smalakys, wurde angetragen, dem „Vergehen" der Musiker ein Ende zu setzen. Der Direktor des LAD Kaunas, A. Ruginis, erhielt den Befehl, den Zechenvorsteher des Plastmassekombinats, Juozas Menke-vičius, und den Zechenmeister Pranas Inokaitis zu entlassen. Beide sind praktizierende Katholiken und genießen bei den Arbeitern hohes An­sehen. Zur Zeit Stalins waren J. Menkevičius und P. Inokaitis nach Si­birien verbannt. P. Inokaitis war während der Unabhängigkeitszeit Of­fizier und ist jetzt vollkommen blind. Der Funktionär des Parteikomitees gab die Namen derjenigen bekannt, die die Petition der 17 000 Katho­liken unterschrieben hatte — J. Bogušienė, M. Misevičienė, A. Krušinskienė u. a. Für diese Personen müsse eine Atmosphäre der Unduldsam­keit geschaffen werden.

Der Parteifunktionär erklärte, daß in dem aus Moskau erhaltenen Schrei­ben angegeben sei, daß Interbezirksverwaltungsinspektor des LAD Kau­nas, Algimantas Šaltis, die Petition unterzeichnet und die Unterschriften­sammlung organisiert habe. Er müsse ohne Angabe der wahren Gründe entlassen werden.

Ende Oktober lud Direktor A. Ruginis den Zechenvorsteher des Plast­massekombinats, J. Menkevičius, vor und verlangte, daß dieser sein Amt freiwillig niederlege. Eine Begründung dafür gab er nicht, erklärte lediglich, dies sei ein Befehl von oben. J. Menkevičius wollte keinen Kon­flikt heraufbeschwören und unterschrieb die Rücktrittserklärung. Die Ar­beiter erfuhren diesen Vorfall und richteten am 28. Oktober 1975 an den Sekretär der KP Kaunas eine Bittschrift, in der eine Menge Verdienste und Belobigungen von J. Menkevičius enthalten waren, und baten darum, ihn als Vorgesetzten zu belassen. Obwohl 200 Arbeiter das Gesuch unter­schrieben hatten, wurde es abgelehnt. Der Sekretär der Parteiorganisa­tion des Kombinats und alle Spitzel waren nun bis zum Hals mit Arbeit eingedeckt; sie mußten herausfinden, wer die Petition geschrieben und die Unterschriften gesammelt hatte; zudem mußten sie verhindern, daß der Text der Petition „in falsche Hände geriet".

Mit dem Zechenmeister Inokaitis verfuhr man weit unauffälliger; auf Befehl des Direktors wurde Inokaitis als Heimarbeiter versetzt. Normaler­weise werden nur jene Kombinatsmitglieder mit Heimarbeit beauftragt, die weit weg vom Arbeitsplatz wohnen.

Der Vorsitzende der Interbezirksverwaltung des LAD Kaunas, Kostas Bankauskas, war sehr beunruhigt, als er hörte, daß er A. Šaltis entlassen müsse: „Er arbeitet hier schon so lange, kennt sich wunderbar aus, und nun diese plötzliche Entlassung." Doch bald wurde Bankauskas (Mitglied der KPdSU) zum gehorsamsten Helfer der Partei.

Am 30. Oktober 1975 kam aus Vilnius der Vorsitzende der LAD-Zentral-verwaltung, M. Poznanskas, und tadelte den Vorsitzenden der Inter­bezirksverwaltung, K. Bankauskas, heftig, warum dieser die Entlassung des A. Šaltis so lange hinauszögere. M. Poznanskas befahl Bankauskas zuzusehen, daß A. Šaltis noch heute eine Erklärung schreibe, daß er frei­willig kündige. Am gleichen Tag rief Bankauskas A. Šaltis zu sich und er­klärte in Anwesenheit der Buchhalterin Petronėlė Kaupienė (Verwaltungs­spitzel), daß dieser nicht mehr in der Verwaltung tätig sein könne und innerhalb von 12 Tagen die Arbeitsstelle verlassen müsse. A. Šaltis er­kundigte sich nach den Gründen und auf wessen Befehl hin er entlassen werde. Als K. Bankauskas sich weigerte, irgend etwas zu erklären, fragte A. Šaltis, welche Vorwürfe der Vorgesetzte ihm in bezug auf seine Pflicht­erfüllung als Inspektor zu machen habe. K. Bankauskas antwortete, daß er ihm bezüglich der Arbeit nichts vorzuwerfen hätte.Darauf weigerte sich A. Šaltis, irgendwelche Erklärungen zu schreiben oder zu kündigen, denn dies sei eine Verletzung jeglicher Rechtsordnung. „Na, überleg' es dir noch bis zum Montag. Du wirst hier sowieso nicht arbeiten können", meinte K. Bankauskas.

Die Nachricht über die Entlassung des A. Šaltis verbreitete sich in Windes­eile im ganzen Kombinat. Die blinden Arbeiter waren ob solcher Un­gerechtigkeit höchst empört.

Am 3. November sollte K. Bankauskas A. Šaltis wiederum zwingen, eine Erklärung zwecks freiwilliger Arbeitsniederlegung zu schreiben, andern­falls würde man sein Arbeitsbuch besudeln und er würde nirgends mehr eine Arbeit bekommen. Falls er freiwillig ausscheiden würde, versprach K. Bankauskas ihm eine Stelle bei der Radioherstellung zu vermitteln. A. Šaltis verbat sich unter Protest, ihn derart zu verhöhnen, wie man es zur Zeit des Faschismus mit Kriegsgefangenen getan hätte: eine Kartoffel wurde auf den Boden geworfen und der Gefangene mußte sie mit der Nase herumrollen und dabei grunzen. Wenn man ihn entlassen wolle, so solle man ins Arbeitsbuch den Vermerk hineinschreiben, daß dies aus Glaubensgründen geschähe. K. Bankauskas bemerkte, man werde ihn im Zusammenhang mit den Etatkürzungen entlassen.

Am 8. November wurde A. Šaltis beim Vorsitzenden der Zentralverwal­tung, Poznanskas, in Vilnius vorstellig.

„Herr Vorsitzender, können Sie mir bitte die Gründe für meine Ent­lassung nennen? K. Bankauskas befahl mir, eine Erklärung zu schreiben und die Arbeitsstelle zu verlassen", fragte A. Šaltis.

„Du selber kannst es dir nicht denken? Erinnere dich doch daran, was während der soziologischen Untersuchungen geschah?" (1969 fuhr eine Forschungsgruppe der LAD durch Litauen und stellte Nachforschungen über die Blinden an. In seiner Freizeit ging A. Šaltis in die Kirche und betete, während die anderen sich unterdessen mit Alkohol vergnügten. Der Berichterstatter der soziologischen Untersuchung, V. Dubinskas, be­richtete darauf der Verwaltung, daß Šaltis in die Kirche gehe und auch andere zum Beten anhalte. Red.)

„Das ist ganz allein meine Angelegenheit, wenn ich in meiner Freizeit in die Kirche gehe und bete", antwortete Šaltis.

„Ich bin Atheist und möchte, daß alle Menschen atheistisch sind. Sie aber sind gläubig. Folglich — Poznanskas breitete bedauernd die Arme aus — passen unsere Meinungen nicht zusammen. Sie stören die atheistische Ar­beit."

„Zeigen Sie mir wenigstens ein Faktum auf, wo ich die atheistische Arbeit störte."

„Sie stören durch ihr Beispiel. Die offizielle Regierungsideologie ist der Atheismus. Zur Zeit werden große Anforderungen gestellt. Sie haben kein Recht, eine führende Stellung einzunehmen, d. h. mit Menschen zu arbeiten. Wir bemühen uns zwar, Sie umzuerziehen, doch es ist uns nicht gelungen. Also müssen Sie sich eine andere Arbeit suchen. Wenn du wo­anders tätig bist, darfst du, je nach Belieben, in die Kirche gehen, dir die Architektur anschauen oder beten."

„Daraus ergibt sich die Folgerung, daß die Gläubigen in die Wüste oder in die Wälder fliehen müssen, denn es gibt keine Arbeit, die nicht kollek­tiv wäre."

„Ich sage dir nicht, daß du in die Wüste oder in die Wälder gehen sollst. Wenn du willst, kannst du im Kombinat Haarnadeln zurechtschneiden." (Die Sowjetregierung bemüht sich, die Gläubigen nur die niedrigsten Ar­beiten verrichten zu lassen, um so einer gläubigen Intelligenz entgegenzu­arbeiten, damit man sich dann über sie lustig machen kann: Nur Ungebildete und Obskuranten glauben an Gott. Red.)

„Wenn ich als Gläubiger nicht das Amt eines Inspektors ausüben kann, bedeutet dies, daß in der Sowjetunion die Gläubigen diskriminiert werden." „Bitte machen Sie uns hier keine Auslandspropaganda", murrte Poz-nanskas, da er keine Antwort mehr wußte. A. Šaltis erklärte, daß er nicht lehramtlich tätig sei, weshalb müßten sie ihn dann entlassen. „Wir haben, solange wir konnten, gewartet. Auch an uns werden Anfor­derungen gestellt. Der ideologische Kampf wurde verstärkt", verteidigte sich Poznanskas.

„Es ist nicht unsere Schuld", unterstützte den Vorsitzenden Betriebs­obmann M. Martusevičius (Sicherheitsagent, Red.) „Wir müssen nur die Suppe auslöffeln, da kann man nichts machen."

Am Ende des Gesprächs verlangte Poznanskas, daß A. Šaltis möglichst schnell seine Erklärung schreiben und die Arbeit verlassen solle. K. Bankauskas begann im Kombinat das Gerücht zu verbreiten, daß A. Šaltis nicht wegen Glaubens entlassen werde, sondern für das Unter­schreiben des Memorandums der 17 000 Katholiken, ferner sei A. Šaltis im Untergrund tätig, und deshalb müsse man seine Mitarbeit meiden. Am 10. November befahl Bankauskas A. Šaltis, wiederum die Erklärung zu schreiben, und als dieser sich weigerte, drohte er ihm: „Gut, gut. Wir wollten mit dir menschlich verhandeln, doch du willst es nicht. Nun wer­den wir andere Seiten aufziehen. Wolltest es nicht im guten — so ver­suchen wir's im bösen."

Plötzlich änderte sich das Verhalten des Bankauskas und seiner Anhänger

— alle wurden sehr zuvorkommend und es schien, alles würde sich zum Guten wenden. Jedoch geändert hatte sich einzig die Taktik. Man hatte beschlossen, die Vorwände für die Entlassung A. Šaltis' in seiner Pflicht­erfüllung zu suchen, Verweise zu erteilen und ihn als schlechten Arbeiter loszuwerden. Sofort begann die wohlüberlegte Störung, und am 10. De­zember kam es zum ersten Verweis „wegen Arbeitspflichtverletzung". Der Verweis war anonym, ohne jegliche juridische Norm. Den zweiten Verweis schrieb Bankauskas am 17. Dezember ein, wegen „Nichterfüllung der Befehle", obwohl A. Šaltis völlig unschuldig war. Der Betriebsobmann der LAD, Martusevičius, warnte Bankauskas, nicht so viele Verweise zu schreiben, denn man würde dahinter einen Druck vermuten. Drei Monate lang dauerten die verschiedensten Bedrängungen an. Man behinderte A. Šaltis, auf Dienstreisen zu gehen, tadelte ihn, schrie ihn so­gar wegen nichtbegangener Übertretungen an, setzte ihm die Prämien herab, die Sozialunterstützung wurde gestrichen, Gerüchte wurden ver­breitet, daß A. Šaltis ein schlechter Arbeiter sei, obwohl er während seiner 7jährigen Tätigkeit nur Belobigungen erhalten hatte, hintertrieb ein Zu­sammentreffen mit den Arbeitern des Kombinats und bemühte sich, den Eindruck zu erwecken, A. Šaltis arbeite nicht, sondern laufe grundlos herum. Bei dieser Hetzjagd des Vorgesetzten Bankauskas gegen A. Šaltis halfen besonders eifrig die Buchhalterin Kaupienė und die Komsomolzin­nen Kamorūnaitė und Bankauskaitė. Die beiden Mitglieder des kommu­nistischen Jugendverbandes verleumdeten und verhöhnten Šaltis, um Bankauskas zu schmeicheln.

 

Am 2. Februar sprach A. Šaltis mit dem Betriebsobmann Martusevičius in Vilnius; dieser ließ verlauten, daß die Anweisung, A. Šaltis zu ent­lassen, aus jenem Hause stamme, dem alle Untertan seien. Was ist das für ein Haus in der Sowjetunion — so mächtig und doch so furchtsam? Mäch­tig, weil jeder sein Gebot befolgt, und furchtsam, weil es seinen eigenen Namen hinter den von Bankauskas, Martusevičius usw. versteckt. Das ist das KGB.

Am 29. März berief Bankauskas A. Šaltis in sein Kabinett und sagte: „Alle deine Kündigungstermine sind bereits abgelaufen. Der letzte Termin war der 15. März, heute haben wir bereits den 29." „Ich höre zum ersten Mal etwas über Termine", wunderte sich Šaltis. „Wenn man dir nichts sagt, so heißt es noch lange nicht, daß man mir nichts sagt", dozierte Bankauskas. „Schreib die Erklärung, sonst wird es dir schlecht ergehen. Wir werden dich als schlechten Arbeiter entlassen." Am 30. März sagte der Vorsitzende der Zentralverwaltung, Poznanskas, zu Bankauskas: „Wisse, wenn du Šaltis nicht entläßt, dann verlierst du deine Arbeit."

Am 12. April erhielt Šaltis den dritten Verweis „wegen Nachlässigkeit bei der Arbeit". Über den Verweis vermerkte Šaltis: „Ich halte den Verweis tür eine von vornherein wohlüberlegte Provokation, mich vorsätzlich zu entlassen." Tatsächlich wurde Šaltis völlig unrechtmäßig beschuldigt, die Eingabe der Invalidin Balčiūtė verschlampt zu haben, was in Wirklichkeit Bankauskas selber getan hatte.

Auch nach diesem dritten Verweis wurde Šaltis immer noch nicht ent­lassen. Bankauskas ließ auch weiterhin keine Gelegenheit aus, A. Šaltis zu kompromittieren und zu beschimpfen; der Vorgesetzte war wütend, daß er mit seinem Untergebenen nicht so fertig wurde, wie es das KGB forderte. Die Forderung lautete: baldmöglichste Entlassung und solange er noch arbeite, ihn vom Kollektiv zu isolieren und in den Augen der Ar­beiter zu kompromittieren. Bankauskas versuchte auf verlogene Weise im Kombinat den Eindruck zu erwecken, daß A. Šaltis pflichtlos, ungehorsam und ähnliches sei. In Hörnähe von anderen begann er jedesmal auf Šaltis zu schimpfen, als ob dieser wirklich etwas Schlechtes begangen hätte. Am 14. Mai schrieb er A. Šaltis den vierten Verweis ein, da dieser zu Ostern nicht zur Arbeit gekommen war.

Die Verfolgung des A. Šaltis dauert an. Seine Gesundheit hat sich sehr verschlechtert.

Die Verfolgung des A. Šaltis begann Ende 1974, als das LAD-Mitglied, der Invalide Krušinskas, seine Ehefrau beim Sicherheitsdienst anzeigte. Dabei verriet der Anzeiger, daß Petras Pliura, V. Jaugelis, A. Šaltis und andere in sein Haus gekommen wären und sich dort wegen der Unter­schriftensammlung unter das Memorandum der 17 000 Gläubigen beraten hätten. Nach diesem Verrat verfolgte der Sicherheitsdienst A. Šaltis ein Jahr lang und befahl dann den Leitern des LAD, Šaltis' Angelegenheit zu Ende zu bringen.

Bereits das zweite Jahr wird täglich ein Mensch terrorisiert, dessen einzige Schuld sein Glaube ist. Um ihn moralisch und physisch zu brechen, organi­siert das KGB viele Leute, vom Genossenschaftsvorsitzenden an bis hin zu gewöhnlichen Komsomolzen, und zwingen diese, sich direkt oder in­direkt zu vernichten und wie Raubtiere im Dschungel um ihre nichts­würdige Existenz zu kämpfen. All diesen gedankenlosen Vollstreckern der Wünsche des KGB wollen wir die Worte der Ehefrau von Bankauskas mit­teilen: „Kostai, Kostai bedenke, dir wird es im Leben nicht Wohlergehen für die Verfolgung eines Unschuldigen. Begreifst du denn nicht, was du machst? Du unterstützt alle möglichen Trinker und Taugenichtse und ver­folgst einen Menschen wegen seines Edelmutes! Gott wird dies nicht seg­nen, denk daran! Wirf die Arbeit hin, schreib eine Erklärung und geh' weg, dann hast du ein ruhiges Gewissen. Schämst du dich denn nicht, du Karrierist. Du fürchtest darum, deinen Posten zu verlieren, und bist sogar bereit, aus Angst irgendwas zu tun ..."

A. Šaltis hatte bereits versucht, ins Priesterseminar einzutreten. Als der Rektor des Seminars, V. Butkus, erfuhr, daß A. Šaltis 1963 wegen Ka­techismusunterrichts irür Kinder vor Gericht gestanden habe, erklärte er, daß dieser an das Seminar nicht einmal denken solle. Prälat Telksnys meinte: „Um der Gerechtigkeit willen müßten Sie ein Vorrecht haben, die Aufnahme ins Seminar wird jedoch vom Bevollmächtigten des Rates für Religionsangelegenheiten entschieden, und wir sind machtlos." Die Verfolgung des A. Šaltis wegen seines Glaubens begann bereits in der Schule. Die Direktorin der Mittelschule in Kėdainiai, S. Laurinaitienė, schalt A. Šaltis viele Male im Lehrerzimmer, drohte ihm mit Schulverweis und befahl ihm, ein Versprechen zu schreiben, daß er nicht mehr zur Kirche gehen werde. Šaltis wurde in Wandzeitungen kritisiert, und in spe­ziell einberufenen Sitzungen des Pädagogischen Ausschusses wurde über ihn beraten. Während einer Sitzung mußte sich A. Šaltis auf Befehl der Direktorin schriftlich verantworten, warum er an Gott glaube. Danach wurde er in den Wandzeitungen als Hinterwäldler und Nichtswisser ver­schrien. Die Direktorin hatte auch anderen Lehrern befohlen, A. Šaltis zu verfolgen. Viele Lehrer ignorierten den Befehl der Direktorin, es fehlte jedoch auch nicht an Fanatikern, wie Lehrer Aleknavičius, Gumbrevičius und Tvarionavičius, die auf alle erdenkliche Weise dem gläubigen Schüler nachstellten: sie beleidigten ihn, setzten die Noten herab usw. Die Direktorin S. Laurinaitienė beauftragte die Eltern von Šaltis, ihren Sohn nicht mehr in die Kirche zu lassen. „Soll er sich zu Hause ein so großes Kreuz wie auf dem Friedhof aufstellen, und soll er dort beten, aber er darf nicht in die Kirche gehen."

Der eingeschüchterte Vater und die Direktorin terrorisierten den Jungen so, daß er im Herbst 1962 die I. Mittelschule verließ und in die Abend­schule in Kėdainiai eintrat. Der Vater, vom Sicherheitsdienst verängstigt, wies sogar seinen Sohn aus dem Haus. Da A. Šaltis den Schülern die Glaubenswahrheiten erklärte, wurde ihm die Betragensnote auf 2 (= 5) gekürzt und er von der Abendschule verwiesen. Die „Chronik der LKK" berichtete über die Verurteilung von A. Šaltis zu einem Jahr Gefängnis wegen Katechisierens der Kinder. Das Gericht beschloß, A. Šaltis als un­verbesserlichen „Verbrecher" mit Räubern, Mördern und moralisch Ver­kommenen einzusperren und die bei der Durchsuchung beschlagnahmte religiöse Literatur: 144 Bücher und verschiedene Aufzeichnungen, zu ver­nichten. Der Prozeß von A. Šaltis fand im Saal der II. Mittelschule in Kėdainiai statt, in den man die Schüler hineingetrieben hatte, damit sie sehen könnten, welches Schicksal jene erwarte, die sich der atheistischen Diktatur widersetzten. Als jedoch die Schüler laut ihre Unzufriedenheit kundtaten, führte man sie aufs schnellste wieder hinaus und verbot ihnen sogar, draußen vor der Schule zu stehen.

Nach seiner Rückkehr aus dem Lager, arbeitete A. Šaltis als Mesner in der Gemeinde Skaruliai, aber auch dort ließ man ihn nicht in Ruhe: ohne Unterlaß verleumdeten die Regierungsfunktionäre A. Šaltis, und der Be­vollmächtigte des Rates für Religionsangelegenheiten, Rugienis, befahl dem Gemeindepfarrer von Skaruliai, Jokūbauskas, ihn als Mesner zu ent­lassen. Dies geschah jedoch nicht. Rugienis kam nach Jonava und verbot Priester Jokūbauskas, sein Amt als Priester zu versehen, und dem Vorsit­zenden des Kirchenkomitees von Skaruliai befahl er, die Kirchentür zu versperren und weder den Priester noch den Mesner einzulassen. Die Regierungsfunktionäre gingen durch die Dörfer und sammelten Nach­richten über das Wirken von A. Šaltis, aber es gelang ihnen nicht, einen neuen Prozeß anzustrengen.