Slabadai ist ein sich weit ausdehnendes Wohngebiet am Ufer der Šešupė, mit ständigem Zuwachs an neuen Häusern. Hier gibt es eine Schule, ein Kulturhaus, Verkaufsläden und das Wirtschaftszentrum. Auch eine Ka­pelle findet sich dort, die früher zur Gemeinde Kudirkos Naumiestis ge­hörte. In nächster Nähe wohnte der Pfarrer, der die umliegenden Gläubi­gen betreute. In der Nachkriegszeit kümmerten sich wegen des Priester­mangels die Priester der Ortschaft K. Naumiestis um Slabadai. Später kam aufgrund der Interventionen der Sowjetregierung der Pfarrer nur noch zu Begräbnissen. Als Slabadai an den Rayon Vilkaviškis ange­schlossen wurde, versorgte der Pfarrer der Gemeinde Didvyžiai die Ein­wohner. Pfarrer P. Perkaitis hielt ab und zu den Gottesdienst für die Ver­storbenen, unterließ es jedoch, als er vom Vizedechanten in Sakiai verwarnt wurde, daß er durch sein Verhalten die Lage verschlechtern könne und dann die Regierung nicht einmal die Toten beerdigen ließe. Nach Ankunft des neuen Gemeindepfarrers, A. Lukošaitis, in Didvyžiai verbot der stellvertretende Vorsitzende des Exekutivkomitees des Rayons Vilka­viskis, J. Urbonas, im Oktober dieses Jahres sogar, in der Kirche in Sla­badai während der Begräbnisfeierlichkeiten die hl. Messe zu zelebrieren. Nach Meinung des Stellvertreters dürfe keine Messe gehalten werden, da die Gläubigen in Slabadai nicht einmal ein Pfarrkomitee gewählt hätten. Als die Gläubigen in Slabadai dies erfuhren, bildeten sie sofort eine Gruppe von 20 Leuten, wählten ein Exekutivkomitee und meldeten das Wahlergebnis zur Bestätigung an den Rat für Religionsangelegenheiten. Einen Monat warteten die Gläubigen auf die Antwort. Der stellvertre­tende Vorsitzende des Exekutivkomitees des Rayons Vilkaviškis, J. Ur­bonas, versuchte unterdessen das Kirchenkomitee von Slabadai aufzu­lösen. In einer geschlossenen Sitzung der örtlichen Parteiorganisation wurde der Kolchosbauer Girdauskas gezwungen, aus dem Pfarrkomitee auszutreten.

Am 27. Oktober wurde der Vorsitzende des Pfarrkomitees von Slabadai, J. Bušauskas, zum Stellvertreter J. Urbonas vorgeladen. Letzterer erkun­digte sich nach der Tochter Julija Bušauskaitė, die er der Milizkommission für Minderjährige übergeben hatte, weil das Mädchen auf Bitten der El­tern einigen Leuten eines von den Gemeindedokumenten zur Unter­schrift gebracht hatte. Das Mädchen wurde in der Schule terrorisiert, und nur das energische Eingreifen der Mutter Bušauskienė veranlaßten J. Ur­bonas und die Schulleitung, ihren Beschluß aufzuheben und J. Bušaus­kaitė aus der Oberaufsicht der Milizbehörde zu entlassen. Der Stellvertreter J. Urbonas verlangte von J. Bušauskas, ein Schrift­stück zu unterzeichnen, in dem fixiert war, daß bei der Bildung des Exe­kutivkomitees keine öffentliche Versammlung stattgefunden habe. Hätte J. Bušauskas unterschrieben, dann hätte die Rayonverwaltung verkün­det, daß die Wahl des Exekutivkomitees unrechtmäßig gewesen sei. J. Bušauskas durchschaute die Tücke und unterschrieb das von J. Ur­bonas redigierte Schriftstück nicht. Der Vorsitzende J. Bušauskas wurde nun getadelt, daß das Pfarrkomitee die Dokumente über die Sitzung, die Bildung des Exekutivkomitees und den Antrag auf Erlaubnis bezüglich Aufnahme des Wirkens der Gemeinde Slabadai direkt nach Vilnius ge­sandt habe. Nach Meinung des Stellvertreters J. Urbonas hätte all dies zuerst mit ihm besprochen werden müssen. Anscheinend war J. Urbonas von den Funktionären des Rates für Religionsangelegenheiten gerügt wor­den, daß er durch sein falsches taktisches Verhalten bei den Gläubigen erst den Wunsch hervorgerufen habe, eine rechtliche religiöse Gemeinde zu bilden.

Am 1. November fuhren Frau Bušauskienė und Frau Anelė Bacevičienė zum Stellvertreter Urbonas, um die Erlaubnis zu erlangen, daß der Pfarrer von Didvyžiai zu Allerheiligen eine Trauermesse halten dürfe. Die Frauen legten eine Bittschrift vor, die von 29 Gläubigen unterschrieben war. Doch ohne Einverständnis von Vilnius erlaubte der Stellvertreter dies nicht.

Bei dieser Gelegenheit holte der Stellvertreter die Akte des Pfarrers von Didvyžiai hervor und begann den Frauen daraus vorzulesen. Diese jedoch unterbrachen ihn mit dem Hinweis, daß sie nicht gekommen wären, um etwas über den Pfarrer zu hören, sondern die Erlaubnis für die Messe einzuholen. Daraufhin versuchte der Stellvertreter die Frauen zu über­zeugen, daß nicht die Leute, sondern der Pfarrer die Messe brauchte. Am 9. November wurde verkündet, daß Regierungsfunktionäre nach Slabadai kämen, deshalb versammelte sich eine Menge Leute vor der Kapelle. Den ganzen Tag lang warteten sie vergebens. Anscheinend woll­ten die Funktionäre eine Menschenansammlung vermeiden und erschienen erst am Nachmittag des darauffolgenden Tages. Am 10. November, eben­falls nachmittags, kam der Stellvertreter J. Urbonas mit dem Delegaten des Rates für Religionsangelegenheiten, Raslanas. Sie trafen auf die vor der Kirche versammelten Gläubigen, die verlangten, daß der Gottesdienst genehmigt würde. Die Kolchosarbeiterin Julė Morkevičienė erklärte, daß die Leute nach den arbeitsreichen Tagen vollkommen erschöpft seien und sonntags nicht noch 10 km zur Kirche laufen könnten, deshalb for­derten sie den Gottesdienst in Slabadai. Alle Versammelten verteidigten einstimmig ihr Recht, nicht anderswo, sondern in ihrer eigenen Kapelle zu beten.

Die Regierungsvertreter begutachteten die Kapelle, die festlich geschmückt war. Sie warfen den Gläubigen vor, daß sie früher keine Kirche gebraucht hätten, sondern erst jetzt. Bei der Abfahrt erklärten die Funktionäre, sie führen jetzt zum Pfarrer von Divyžiai, und wenn dieser sie gut bewirten würde, dann würden sie den Gottesdienst genehmigen.

Kurz darauf klopften die Regierungsfunktionäre an die Tür des Pfarr­hauses. Der Stellvertreter J. Urbonas und der Referent des Rates für Re­ligionsangelegenheiten, Raslinas, bezichtigten den Pfarrer, das Volk auf­gewiegelt zu haben, den Gottesdienst zu fordern und ein Exekutivkomitee zu bilden. Ruhig erklärte der Pfarrer, nicht er habe das Volk aufgehetzt, sondern Urbonas selbst hätte die Unzufriedenheit der Leute und ihren Wunsch, eine offizielle religiöse Gemeinde zu bilden, hervorgerufen. Die Regierungsfunktionäre versuchten den Pfarrer zu überzeugen, daß Slabadai keines Komitees bedürfe, ihre Angelegenheiten könne auch das Exekutivkomitee der Gemeinde Didvyžiai regeln. Schließlich erteilten sie die Erlaubnis, in Slabadai die Messe zu zelebrieren, die religiösen Feste zu feiern, und versprachen, die schriftliche Genehmigung in zwei Wochen zu schicken.

Ungeduldig warteten indessen die Gläubigen in Slabadai auf die Regie­rungsantwort. Hocherfreut hörten sie die Nachricht, daß der Gottesdienst erlaubt worden war.

Der Pfarrer beschloß, mit den Gottesdiensten am 1. Adventssonntag zu beginnen. Am 23. November 1976 erlaubte der Stellvertreter J. Urbonas, an allen Adventssonntagen die Messe zu zelebrieren, verbot jedoch, Pfar­rer aus den anderen Rayons, sogar aus der Nachbargemeinde Kudirkos Naumiestis, als Hilfe einzuladen.

Der stellvertretende Vorsitzende des Rayons versprach, am 24. November nach Slabadai zu kommen und mit dem Gemeindevorstand von Juodu-pėnai, Gerhard Holbach, die Kapelle zu besichtigen und falls notwendig, auch die Zuteilung für das zur Instandsetzung benötigte Material auszu­stellen.

Doch schon bald wehte ein ganz anderer Wind. Am 24. November be­orderte der Stellvertreter J. Urbonas den Vorsitzenden des Gemeinde­exekutivkomitees von Slabadai, Jonas Bušauskas, zu sich und verbot den ständigen Gottesdienst in der Kapelle. Jedes Mal, wenn die Gläubigen in ihrer Kapelle eine Messe abhalten wollten, müßten sie erst um Erlaub­nis des Rayonvertretefs nachsuchen. Diese neue Verordnung begründete der Stellvertreter damit, daß eine von der Regierung beauftragte Person stets die Anzahl der am Gottesdienst Teilnehmenden feststellen, die Tätig­keit des Pfarrers beobachten und die Predigt anhören müsse. Bei jedem Gottesdienst müsse der Gemeindevorstand von Juodupėnai, G. Holbach, anwesend sein und den Pfarrer beaufsichtigen. Nun kann der kommuni­stische Gemeindevorstand furchtlos in die Kirche gehen und beten, mein­ten lachend die Einwohner von Slabadai.

Das Slabadener Pfarrkomitee versuchte, den Stellvertreter telefonisch über einen bevorstehenden Gottesdienst zu unterrichten, dieser verlangte je­doch, daß die Gläubigen persönlich bei ihm vorstellig würden. Er ver­suchte, den Vorsitzenden des Exekutivkomitees, J. Bušauskas, zu über­reden, das Amt des Vorsitzenden niederzulegen und machte ihm den Vor­schlag, in das Kirchenkomitee der Didvyžiai-Gemeinde einzutreten. Letz­teres Gemeindekomitee kann nur mit Erlaubnis von J. Urbonas ergänzt werden. Der Stellvertreter will selbst die Kandidaten für das Gemeinde­exekutivkomitee auswählen. Auf diese Art und Weise „erfüllt" er das Gesetz der Trennung der Kirche vom Staat.

Am 27. November fuhr der Vorsitzende J. Bušauskas mit Frau Anelė Bacevičienė zum Stellvertreter J. Urbonas mit der Eingabe, dem Priester die Erlaubnis für den Gottesdienst zu erteilen. Der Stellvertreter wies die Eingabe ab, der Text sei nicht gut. Der Vorsitzende bot an, die Eingabe umzuschreiben. Darauf antwortete der Stellvertreter mit erhobener Stim­me, die Eingabe hätte schon vor zwei Wochen geschrieben werden müs­sen mit genauer Angabe des Datums, der Stunde und des Namens des Priesters, der den Gottesdienst halten solle. J. Urbonas empfahl den Leu­ten, weniger herumzufahren, denn in Slabadai gäbe es überhaupt keine Religionsgemeinde, nicht einmal eine Kirche, und die Religionsgemeinde könne nicht registriert werden. Mutig fragte der Vorsitzende Bušauskas: „Warum hintergeht und quält ihr uns? Vilnius und Sie haben uns den Gottesdienst genehmigt, und nun beeinträchtigt ihr uns schon wieder.' Wir werden nach Vilnius fahren!" Daraufhin bemerkte der Stellvertreter, daß hier nicht Amerika sei. Das heißt, bemüht euch nicht, denn was ihr wollt, das werdet ihr doch nicht bekommen.

Die Atheisten in Slabadai verhöhnen nur die Bestrebungen der Gläubigen, die Genehmigung zu erwirken, in ihrer Kapelle die Messe halten zu dürfen. Sie sagen, sie werden es dem Priester nie erlauben, dort zu zele­brieren.

Es besteht die begründete Meinung, daß dieser plötzliche Widerruf der erteilten Genehmigung nicht zufällig ist. Höchstwahrscheinlich hat der Bevollmächtigte des Rates für religiöse Angelegenheiten den Rat in Moskau informiert, und nun werden die erhaltenen Instruktionen, auf alle erdenkliche Weise die Aufnahme des Gottesdienstes zu stören, be­folgt. Hat man je gehört, daß die Sowjetregierung erlaubt hätte, eine Kirche oder Kapelle einzuweihen? Sie vermag diese nur zu schließen.