Am 12. September 1981 sind vier junge Männer aus Estland nach Šiluva gekommen, um zu beten: Ants Tomson, Tanne Kelam, Tonis Arro und Runno Vissak.

Die Miliz hielt sie an der Kirche an und verhörte sie. Allein deswegen, weil er nach Šiluva gereist ist, wurde einer von ihnen, der Student Runno Vissak, von der Universität in Tartu (Dorpat) verwiesen.

Der siebzehnjährige Schüler des Technikums für Hydromelioration zu Panevėžys, Kęstutis Variakojis, kam am 25. Oktober 1981 nach Raseiniai mit der Absicht, von hier aus weiter nach Šiluva zu fahren, um dort in der Kirche beten zu können. Da an der Busstation in Raseiniai eine Bekanntmachung angeschlagen war, daß die Busse am Freitag, Sonnabend und Sonntag (23., 24. und 25. Oktober) nach Šiluva nicht fahren würden, beschloß der Bursche, die Reise weiter zu Fuß fortzusetzen. Auf der Straße sausten die Milizautos eines nach dem anderen, deswegen ging er auf Pfaden durch den Wald. Als er in der Nähe von Šiluva wieder auf die Hauptstraße heraustrat, kam sofort ein Milizauto herbeigefahren, einige Milizmänner sprangen heraus und be­fahlen ihm streng, in ihr Auto zwecks »Aufklärung« einzusteigen. Kęstutis erkundigte sich, weshalb er angehalten werde, die Milizmänner aber erwi­derten darauf zornig:

»Steig rasch in das Auto, sonst schmeißen wir dich selber hinein und du bekommst noch 10 Tage dazu!«

In Šiluva führten sie den Jungen in die Milizabteilung, wo ihn Uniformierte und Nichtuniformierte (Tschekisten) zu verhören begannen: »Wo kommst Du her? Wann bist Du geboren? Wo wohnst Du? Warum bist Du nach Šiluva gegangen?«

Einer der Milizbeamten, der die Taschen von K. Variakojis durchgesucht und ihm die Geldbörse sowie den Rosenkranz abgenommen hatte, setzte das Verhör fort:

»Wo hast Du den Rosenkranz herbekommen? Wo gehst Du zur Schule? Wo wohnen und arbeiten Deine Eltern?«

Ein Untersuchungsbeamter, der etwas später hinzukam, legte eine Akte an, daß der K. Variakojis den Mitarbeitern der Miliz Widerstand geleistet habe. (Als »Widerstand« wurde die Erkundigung des Kęstutis nach der Ursache seiner Festnahme betrachtet). Der Untersuchungsbeamte fragte ihn aus, warum der Junge in die Kirche gegangen sei, warum gerade in die von Šiluva und nicht in eine andere?. .. Als Kęstutis geantwortet hatte, daß er hingegangen sei, um für Litauen zu beten, brach jener das Verhör ab und führte ihn selbst in ein anderes Zimmer, wo sich schon mehrere Verhaftete befanden. Nach einer halben Stunde wurden sie alle nach Raseiniai trans­portiert. In Raseiniai luden die Beamten den K. Variakojis als allerersten vor, schoben ihm ein Papierblatt zu, befahlen ihm, es durchzulesen und zu unterschreiben, daß er seine Akte zur Kenntnis genommen habe. Nach einem längeren Aufenthalt in der Miliz führten sie ihn zu dem Richter des Volks­gerichts von Raseiniai E. Jaras. Dieser drohte, daß Kęstutis aus dem Tech­nikum und aus der Kommjugend hinausgeworfen werde und befahl ihm, eine Strafe von 10 Rubel zu bezahlen, weil er mit der Nachfrage, warum er angehalten werde, den Mitarbeitern der Miliz einen »Widerstand« geleistet habe. Nach 5 Stunden der Festnahme ließen sie K. Variakojis frei. Im Technikum wurde Kęstutis von einem Abteilungsleiter verhört, und am 28. Oktober folgte ein Verhör in der Milizabteilung, demzufolge der Ver­hörte für 3 Monate in das Melderegister der Miliz eingetragen wurde.

 

Am 24. Oktober 1981 hat der Tschekist Norkūnas den Priester Jonas Kau-neckas auf der Straße von Varniai nach Laukuva angehalten. Der Sicher­heitsabteilung von Telšiai zugeführt, wurde der Priester J. Kauneckas er­mahnt, daß es ihm in Verbindung mit den in Šiluva vorbereiteten Veran­staltungen verboten sei, sich an diesem Samstag und Sonntag aus Telšiai zu entfernen. Der Priester sagte, daß er nichts davon wisse und daß er nur in persönlichen Angelegenheiten reiste und am Nachmittag schon wieder nach Telšiai zurückkommen wollte, außerdem habe er an diesen Tagen so viel zu tun, daß er nirgends hinfahren könne. Dessen ungeachtet wurde der Priester J. Kauneckas an diesen Tagen überall demonstrativ observiert. Den Behörden war es an diesen Tagen verboten, sogar für Beerdigungen oder Jubiläen einen Bus zu vergeben. Die Schüler an den Schulen und die Mitarbeiter der meisten Behörden wurden ermahnt, nicht zu versuchen, irgendwo hinzufahren. Die Straßen zum Rayon Kelmė wurden, genau wie am 23. August, kontrolliert. Der Linienverkehr mit den Bussen zwischen Tytuvėnai — Šiluva — Raseiniai wurde »wegen Straßenreparaturen« ein­gestellt. Den Studenten in Kaunas, die aus diesem Gebiet stammten, wurde verboten, an diesen Tagen nach Hause zu fahren.

Der Priester Jonas Kauneckas schrieb am 6. November an den Staatsanwalt der LSSR eine Beschwerde folgenden Inhalts:

»Hiermit mache ich Ihnen Mitteilung über ein willkürliches Aufhalten durch Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes, das ohne einen Zweck und ohne Beschuldigung geschah.

Am 24. Oktober fuhr ich in meinen persönlichen Angelegenheiten nach Šilalė. Nicht weit von Laukuva (Rayon Šilalė) hat mich der Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes Norkūnas angehalten und ich mußte mein Auto verlassen. Der Unterabteilung des Sicherheitsdienstes in Telšiai zugeführt, wurde ich freigelassen. Mir wurde keine Anschuldigung ausgesprochen, nicht einmal nach meinem Namen gefragt. Ich wurde verwarnt, daß ich kein Recht habe, am 24.-25. Oktober aus Telšiai irgendwo hinzufahren: ein Grund dafür wurde nicht genannt...«

Am 25. Oktober 1981, um etwa 2 Uhr in der Nacht, ging eine kleine Gruppe von 10 jungen Leuten aus Kelmė nach Šiluva. Sie wanderten mit Gebeten auf den Lippen und in Liebe zur Gottesmutter und zur verfolgten Heimat im Herzen. Es war unmöglich, auf der Straße Kelmė — Tytuvėnai zu gehen; sogar an drei Stellen, eine nach der anderen, waren »Barrieren« von der Miliz errichtet. Die Jugend schlich sich durch die Felder der Dubysa entlang und erreichte um 7 Uhr in der Frühe Lyduvėnai. In Lyduvėnai haben sie sich in drei Gruppen geteilt, damit man den verfolgenden Tschekisten und der Miliz leichter ausweichen könne. Als nur noch 5 km bis nach Šiluva geblieben waren, stoppten aus einem Auto herausspringende Beamte die Gruppe, in der sich die frühere Gewissensgefangene Onutė Vitkauskaitė, aus Kelmė die Regina Teresiūtė, aus Kaunas die Einwohnerin Bena Mališkaitė und aus Vilkaviškis der Arvydas Juška befanden. Den »Ordnungshütern« war es zuerst wichtig zu erfahren, wohin die Angehaltenen gehen wollten, und als sie erfuhren, daß diese nach Šiluva reisten, bestellten sie per Funk einen Kleinbus, mit dem 6 Beamte ankamen, setzten die Festgenommenen hinein und brachten sie fort, um »ihre Personalien festzustellen«. Bei der Vernehmung hat Onutė Vitkauskaitė auf die Fragen, wo sie wohne und arbeite, geantwortet, daß sie gerade aus dem Zwangsarbeits-Lager in Pa­nevėžys zurückgekommen sei und jetzt ihre Dokumente in Ordnung bringe. Im Lager habe man ihr 1,5 Jahre lang erklärt, daß in Litauen der Glaube nicht verfolgt werde, daß die Gläubigen frei beten dürften, ihr aber, kaum daß sie von dort herausgekommen sei, nicht erlaubt werde, bei dem Heilig­sten Mütterlein von Šiluva sich zu bedanken, was schon wieder eine neue Tatsache der Glaubensverfolgung zeige.

Nachdem sie alle verhört hatten, fielen die Beamten besonders grob über den nichtvolljährigen Arvydas Juška her. Schließlich, nach der üblichen Ver­spottung, fuhren sie die jungen Leute in einen etwa 50 km entfernten Wald hinaus und ließen sie laufen. Man mußte zu Fuß gehen, sich verirren, weil auf Waldwegen keine Busse fuhren. Ein ähnliches Schicksal ereilte auch die zweite Gruppe: alle wurden festgenommen und nach Raseiniai gebracht, um ihre »Personalien festzustellen« .. . Lediglich die dritte Gruppe, die, wie die Partisanen im Kriege, sich vor bösen Blicken der Tschekisten versteckend, durch Wälder, durch Wiesen, erreichte glücklich Šiluva, welches, vom Hügel­chen her gesehen, rot vor lauter Uniformmützen der Milizmänner wimmelte.

 

Eine Gruppe von 13 Gläubigen aus der Pfarrei Molėtai fuhr am 24. Oktober 1981 nach Raseiniai, in der Hoffnung, von dort nach Šiluva gelangen zu können. Auf dem Busbahnhof wurden gemäß gegebenem Befehl, wie die Kassiererin sich rechtfertigte, keine Fahrkarten nach Šiluva verkauft, es fuhren auch keine Busse dorthin. Die von so weit angereisten Einwohner von Molėtai entschlossen sich, die restlichen 20 km bis nach Šiluva zu Fuß zu gehen. Kaum waren sie 8 km gegangen, als neben ihnen mit einem Bus her­beigekommene Milizmänner hielten und mit dem Auto den Weg versperrten. Drei Milizmänner stiegen aus und begannen, die Einwohner von Molėtai auszufragen:

»Wo geht Ihr hin? Wo kommt Ihr her? Zeigt, bitte, Eure Papiere!« Die Angehaltenen erwiderten, daß sie ihre Papiere nicht mit sich trügen, außerdem hätten sie nichts Unrechtes getan, aus welchem Grund sie denn angehalten würden?

»Ihr wollt den Pfarrer berauben, und unsere Pflicht ist es, ihn zu schützen«, erwiderten die Milizmänner, »und wenn Ihr versucht weiterzugehen, dann verstauen wir Euch alle in das Auto.«

Die bei den Müttern befindlichen Kinder erschraken darüber und begannen zu weinen. Sie mußten alle zurückgehen, denn die Macht war auf seiten der Miliz. Nach Molėtai zurückgekommen, richteten sie ein Protestschreiben an den Sekretär der KPL, Griškevičius, mit der Bitte, die Verfolger der Gläu­bigen — die Milizmänner — zu zügeln.

Aus dem Städtchen Pagiriai (Rayon Kėdainiai) fuhr am 25. Oktober 1981 der Albinas Chščenavičius mit seiner Frau Danutė, der Tochter Odeta, dem Sohn Gintaras und einem Freund des Sohnes, Rimantas Jasinskas, über Šiluva nach Šiaulėnai. Sie wollten in Šiluva auf die Gräber der Verwandten Blumen niederlegen und beten. Nicht weit von Šiluva hielten die Beamten der Miliz sie an und bedeuteten ihnen nach der Kontrolle der Papiere und des Kofferraumes, daß sie mit dem Auto nicht weiterfahren dürften. Bis nach Šiluva waren es nur noch 5 km, deswegen entschlossen sie sich, zu Fuß hinzugehen. Die Eheleute Chščenavičius gingen mit der Tochter voraus, nach ihnen, etwa vierzig Meter zurück, gingen der Sohn Gintaras, Schüler der 10. Klasse, und Rimantas Jasinskas, der vor einem Jahr die Mittelschule beendet hatte und als Kraftfahrer in Pagiriai arbeitet. Zwei an einem Wäldchen ste­hende Beamte der Miliz ließen die Vorangehenden vorbei, aber den Gintaras und den Rimantas hielten sie an und fragten sie, wohin sie gehen. Im selben Moment kam zu ihnen ein Auto »Wolga« gefahren, und die Milizmänner ergriffen Gintaras und Rimantas und stießen sie ohne jede Erklärung grob in das Auto hinein. Als die Eltern des Gintaras das sahen, versuchten sie, mit erhobenen Händen das Auto anzuhalten und zu fragen, wohin sie die Kinder bringen wollen. Der Lenker des Autos verringerte die Geschwin­digkeit, als die Eltern aber, fragend, wo sie die Kinder hinbringen wollen, sich dem Auto näherten, erhöhte er plötzlich die Geschwindigkeit, und warf diese zum Boden in den Straßendreck. Die Gestürzten standen auf und kaum, daß sie zu einem Teich neben der Straße zum Waschen hingelangten, kam zu ihnen ein ganzer Bus voll Milizmänner herbeigefahren und man teilte ihnen mit, daß sie alle verhaftet seien.

In der Miliz von Šiluva verhörte eine Frau, die sich nicht traute, ihren Namen zu nennen, den Gintaras und den Rimantas. Dem R. Jasinskas stockt die

Sprache, deswegen war er in der Schule von mündlichen Beantwortungen und Prüfungen befreit. Der Junge, ganz erschocken, konnte auch auf die Fragen der Verhörerin keine Antwort geben. Darauf rief sie Milizmänner her, von denen einer den Rimantas mit dem Fuß in die Brust stieß und ihn über den Nacken schlug. Der Bursche wurde ohnmächtig und fiel vom Stuhl. Später, als sie erfuhr, daß der Junge in der Aufregung nicht sprechen könne, befahl die Verhörerin dem Rimantas, seinen Vornamen und Namen aufzu­schreiben, wann sie weggefahren seien, wer ihn agitiert habe, mitzufahren.

Die drei verhafteten Chščcenavičius' brachten sie auch in die Miliz von Siluva. Eine Frau verhörte sie, die ebenfalls auf Anfrage ihren Namen und ihren Auftrag nicht preisgab. Die Tschekistin fragte die Mutter und die Tochter, ob sie gläubig seien, zu welchem Zweck sie nach Šiluva gegangen seien und bedauerte, daß die gläubige Mutter durch die Weitergabe ihrer Überzeugun­gen die Tochter zum Krüppel mache. Nachher befahl sie, eine Erklärung an den Vorsteher der Miliz, Kolelkow, zu schreiben.

Nach der Uberführung nach Raseiniai stellte man lügenhafte Zeugnisse zu­sammen — daß Albinas Chščenavičius und seine Frau Danute, das Miliz­auto anhaltend, eine Unfallsituation hervorgerufen hätten, und befahlen ihnen, dieses zu unterschreiben. Als sie sich weigerten zu unterschreiben, wurden sie vor Gericht gestellt, wo ein Richter, der seinen Namen nicht nannte, sie wegen angeblichen Rowdytums verurteilte: Danute Chščenavi-čienė zu 30 Rubel Strafe und ihren Mann Albinas Chščcenavičius zu 7 Tagen Arrest.