Am 17. Oktober 1981 ging für Ona Vitkauskaitė die Zeit im Frauenlager zu Panevėžys zu Ende. Vor eineinhalb Jahren war sie wegen der Verviel­fältigung der »Chronik der LKK« festgenommen worden. Während der Beurteilung am 1. Juli 1981 hat eine Kommission, bestehend aus Mitarbeitern der Lagerverwaltung und einigen Gefangenen, Ona Vit­kauskaitė vorgeladen und noch einmal auf ungewöhnliche Weise versucht, mit Hilfe von Lüge und Verleumdung (eine Mitarbeiterin der Lagerverwal­tung beschuldigte Onutė der Zugehörigkeit zu einer Sekte, die die Kinder sittlich verführe) eine »Erziehungsarbeit« durchzuführen mit dem Ziel, aus der Festgenommenen ein Geständnis herauszupressen, daß sie sich bessern wolle. Als sie aber kein Wort der Reue hörten, sondern nur die feste Uber­zeugung: »Wer den von Ihnen so genannten Irrtum einsehen und sich bessern will, der muß auf den Glauben verzichten — und das werde ich niemals tun«, erklärte die Vorsteherin der Operativabteilung, daß sie in die Charakteristik »nicht auf dem Weg der Besserung befindlich« hineinschreiben werde, und sie drohte ihr, daß sie mit einer derartigen Einstellung bald wiederkommen werde.

Als die Strafzeit schon zu Ende ging, entzog die Lagerleitung die der Vit­kauskaitė zustehende persönliche Besuchszeit und kürzte die allgemeine Besuchszeit derart, daß die Inhaftierte ihren herbeigereisten Bruder kaum noch begrüßen und einige Worte mit ihm wechseln konnte, obwohl bis zur Grundaufstellungszeit noch einige Stunden Zeit blieben. Begründung: »Ge­fangene gibt es viele, aber die Zeit ist knapp.«

Während des letzten Besuches am 25. September sagte die Vorsteherin der Operativabteilung der Ona Vitkauskaitė im Beisein ihrer Verwandten, daß sie am 17. Oktober nicht früher als um 9 bis 9.30 Uhr entlassen werden würde. Die Gefangene vereinbarte mit ihren Familienangehörigen, ihr Klei­der zur genannten Zeit zu bringen.

Die Schwester der Inhaftierten, Bronė Vitkauskaitė, vergewisserte sich noch am 16. Oktober 1981 bei der verantwortlichen Beamtin des Lagers wegen der Entlassungszeit der Inhaftierten. Ihr wurde mitgeteilt, sie solle am 17. Oktober um etwa 9 Uhr früh kommen.

Zur angegebenen Zeit warteten beim Frauenlager zu Panevėžys die Schwester der Onutė und noch einige ihr bekannte Personen. Nach gut eineinhalb Stunden des Wartens lud der Direktor der Nähfabrik Bronė Vitkauskaite zu sich, um die vor einer Stunde abgegebenen Kleider zurückzugeben und er­klärte, daß man auf Ona Vitkauskaitė nicht mehr zu warten brauche — man solle sie in Kaunas suchen, denn er selbst habe sie in der Frühe um 7 Uhr in einen Autobus gesetzt, ihr die Fahrkarte gekauft und sie nach Hause fahren lassen.

Es stellte sich heraus, daß die wachhabende Žukauskienė am 17. Oktober Onutė Vitkauskaitė um 5.30 Uhr geweckt und ihr mitgeteilt hatte, sie solle sich beeilen und in einer Stunde schon hinter der Wachtür sein — mit einem Wort, auf der Straße, und von dort werde sie zum Bahnhof gebracht, um nach Hause zu fahren. Der Verwunderung der Gefangenen, warum sie schon so früh auf der Straße sein müsse und ob sie nicht, wie vereinbart, auf ihre Nächsten, die in Kürze kommen sollten, warten könne, schenkte niemand auch nur die geringste Aufmerksamkeit.

Eineinhab Jahre wurde Onutė für eine Fanatikerin, Nachzüglerin, die das sowjetische Leben verleumde, gehalten. Die Vorsteherin der vierten Truppe in Panevėžys, Rudienė, versuchte sogar zu beweisen, daß der Glaube frei sei — viel zu frei, denn man sollte alle Priester in Gefängnisse stecken, die Gläubigen seien aber gleichberechtigte Bürger.

Eine nicht kleine Schar von Gläubigen und Jugendlichen empfing die nach Kaunas zurückgekehrte Ona Vitkauskaitė. Während der Hl. Messe dankten alle dem Herrn für das Opfer der Onutė und baten Gott um Ausdauer und Segen für die Gefangenen aus Glaubensgründen.

Nach verbüßten acht Strafjahren wurde am 20. November 1981 der Petras Pluiras-Plumpa aus dem KGB-Isolator zu Vilnius entlassen. Er wurde im Jahre 1973 verhaftet und der Vervielfältigung der religiösen Literatur und der »Chronik der LKK« angeklagt.

Wegen der Beteiligung an einem Streik der politischen Gefangenen, in wel­chem verlangt wurde, daß die dem KGB zugehörige Lagerverwaltung auf­hören solle, die Gesetze der UdSSR den politischen Gefangenen und deren Angehörigen gegenüber grob zu verletzen, wurde Petras Pluiras-Plumpa am 17. September 1980 aus dem Lagerregime ins Gefängnisregime über­führt und noch in demselben Monat aus dem Lager Nr. 88 im Gebiet von Perm in das Gefängnis von Tschistopol in der Tatarei gebracht. Hier wurde er wegen der Fortsetzung des Streiks vier Monate lang in einem Gefängnis mit verschärftem Regime (bei verminderter Nahrungsration, verkürzter Zeit für Spaziergänge, eingeschränktem Briefeschreiben u. a.) festgehalten. Außer­dem wurde ihm zehn Monate lang nicht erlaubt, Nahrungsmittel einzukaufen.

Während der letzten vier Jahre wurde ihm nicht ein einziges Mal erlaubt, seine Familie zu sehen.

Am 9. Oktober 1981 wurde Petras Pluiras-Plumpa von Tschistopol nach Vilnius verbracht. Während der Durchsuchung vor der Abfahrt wurde ihm ein Christusbild abgenommen.

Die Reise nach Vilnius dauerte bis zum 13. November. Die Bewachung benahm sich während der ganzen Reise menschlich und erst in Vilnius be­gannen wieder die Schubsereien und die Faustschläge. Im Gefängnis von Lukiškiai fragte Petras Pluiras-Plumpa die Wachen und die wachhabenden Offiziere, nachdem er ihnen seine geschwollene Backe gezeigt hatte, auf wessen Anweisung und zu welchem Zwecke Gewalt angewendet wurde. Der wachhabende Feldwebel antwortete auf russisch, daß man noch zu wenig geschlagen habe — man müßte ihn totschlagen. Später fügte er noch hinzu: »So einem litauischen »Swolotsch« sollte man schon lange an die Wand gestellt und erschossen haben.« Am selben Tag wurde der Gefangene aus dem Gefängnis zu Lūšiškiai in den Isolator des KGB überführt. Hier warnte ihn ein Vertreter des KGB in Zivil sehr höflich, daß er nach zwei Urteilen sehr aufmerksam beobachtet werden würde, weshalb jeder Versuch, Literatur herzustellen, sofort geklärt werden würde.