Irina Ratuschinskaja

(Ist wegen religiöser Gedichte verurteilt gewesen).

Was gibt es Schändlicheres, als deine Nächte,

du meine verhaßte Heimat...

Umsomehr, da es dir an Mißgeburten,

Scharfrichtern und Sklaven nicht fehlte!

Wie hast du jene zertrampelt, die an dich glaubten,

wie hast du in blindem Eifer jene gemordet,

die weder sich noch die anderen verkaufen konnten,

die verurteilt waren, dich ewig zu lieben...

Ich verurteile nicht die Verängstigten, o nein -

die Scharen deiner Nachtigallen schweigen.

Warum erstarren die Tropfen deiner Tränen

auf den Kreuzen der Verhafteten?

Im Traume erscheinen die von dir Gekreuzigten,

bald werde auch ich in ihren Fußstapfen

für dich, du verfluchte, geliebte

in den grausamen Tod mich begeben,

Auf diesem Weg, dem grausamsten von allen -

wo Haß und Liebe sich berühren -

segne mich, du Stiefmutter und Mutter,

du, die du geschändet und benachteiligt bist!

 

Priester Sigitas Tamkevičius schreibt:

„Ich schreibe meinen ersten Brief aus Mordowien. Wie Du siehst, haben sich die Prophezeiungen' nicht bewahrheitet... Am 10. April bin ich aus

Baraschewo hierher gekommen, deswegen brauche ich die hl. Ostern nicht auf Rädern zu feiern. Wie schon früher, fuhr ich mit dem Zug von Vilnius aus. Ich habe zum dritten Mal Gelegenheit gehabt, nicht nur die Strapazen durchzumachen, sondern auch vieles zu sehen und über vieles nachzuden­ken. Dank sei Gott für alles, besonders aber für die äußerliche Unfreiheit, die mich lehrt, die innere Freiheit mehr zu schätzen. Hier angekommen, begann ich das Schneiderhandwerk zu lernen, aber bald habe ich mich auf Wäscher umqualifiziert. Viele Berufe habe ich in meinem Leben schon ausprobiert. Beim Militär habe ich als Bauarbeiter, Schreiner, Klempner, Kinomechaniker, Bibliothekar gearbeitet. Im Jahre 1969 als Flurbereiniger, als Arbeiter an der Stampfmaschine. In der letzten Zeit habe ich auspro­biert, ob ich begabt bin, mit einem Besen oder Schöpflöffel umzugehen, na und jetzt - ob ich mit der Waschmaschine, mit einem Bügeleisen und anderem umgehen kann, plus fünfundzwanzig Jahre Arbeit im Weinberg Christi. Ich bin davon überzeugt, daß man immer und überall ein vollblu­tiges Leben führen und den anderen nützlich sein kann. Wenn der Herr mich ins Lager geschickt hat, dann ist es selbstverständlich, daß mein Leben hier für die Kirche nützlicher ist, als in der Freiheit. Ich habe hier die Gelegenheit, Gott einiges als Opfer zu bringen, ich habe hier die Mög­lichkeit, meine Ideale allen anderen Werten vorzuziehen. Ich bereue nicht, daß ich zurückgekommen bin, denn ich konnte nicht anders. Die äußere Freiheit, die die Menschen so sehr schätzen, ist nicht die größte Kostbar­keit. Der Preis der inneren Freiheit ist größer, und diese Freiheit kann uns niemand nehmen; man kann sie nur selbst vertun, wenn man nicht nach dem eigenen Gewissen lebt.

Am 18. April gedachte ich meines silbernen Priesterjubiläums. Ich dankte Gott, der mich so reichlich beschenkt hat. Das Priestertum hat mich dem Herrn näher gebracht, gab mir die Möglichkeit, den Menschen zu dienen, das Priestertum hat mir viele gute, edle Menschen geschenkt, deren Andenken mich auch hier, weit von der Heimat, erquickt. Alles, was ich in den 25 Jahren meines Priestertums getan und den anderen gegeben habe, ist sehr wenig im Vergleich zu dem, was ich von den anderen bekommen habe. Ich weiß nicht, wie lange und unter welchen Bedingungen mir Gott noch erlauben wird zu arbeiten, ich möchte aber, daß diese Zeit mit dem Zeichen der Heiligkeit und des Opfers gekennzeichnet wird. Mir scheint, daß das Wort in dieser heutigen Welt sehr stark abgewertet ist, und daß nur die Sprache der Aufopferung die Herzen der Menschen erreichen kann. Ich bitte Sie und alle, mit denen mich mein Priestertum verbunden hat, zu beten, daß der Herr meinen weiteren Weg segnen möge. Die Pfingstfeier-tage kommen schon näher. Ich wünsche allen reichliche Gaben des hl. Geistes".

Im Mai 1987.

Aus den Briefen des Priesters Jonas-Kąstytis Matulionis:

»(...) Danke für die so teuren Worte in der Muttersprache. Aus der Heimat schreibt man litauisch, und manche dieser Briefe bekomme ich auch. Ihren Brief haben sie mir in das Krankenhaus nach Tschita nachgeschickt, wohin ich ohne mein Einverständnis gebracht worden bin. Vorher wurde mir gesagt, daß nicht mehr viel fehle, daß sich dies erübrige. Nachher bin ich doch jemandem im Weg gestanden, und sie haben mich (vom 9. März bis 22. April) weggeschickt. Nur Gott allein weiß es, was denen eingefallen ist und warum sie mich weggeschickt haben... Ich habe schon gedacht, ich werde nicht nur nicht mehr in die Heimat zurückkommen können, son­dern nicht einmal ins Lager. Im Krankenhaus war nämlich meine Gesund­heitslage kritisch. Ich überließ mich dem Willen Gottes. (...) Die Lage und das Leben im Lager laufen in alten Spuren weiter, die Ihnen wohl bekannt sind. Das Leben ist hier schwer und bedrückend. Sie können sich vorstel­len, wie lieb mir die Briefe sind, die auf dem Weg sind zu mir, die mich doch noch gefunden und erreicht haben. Obwohl zwischen dem Lager und Tschita nur 180 km, drei Stunden Fahrt sind, sind die Briefe herumgereist und erst nach mehr als einem Monat zurückgekommen... (...)

Heute wurde ich vorgeladen, um ein aus Frankreich abgeschicktes Päck­chen abzuholen, was immer eine Überraschung und ein Staunen für mich ist. Bei der Gelegenheit fragte ich die Zensorin auch wegen der religiösen Bildchen. Sie antwortete mir: „Wir geben sie nicht heraus. Sie werden sie erhalten, wenn Sie das Lager verlassen. Das ist eine Anordnung der Ver­waltung." Es ist doch sonderbar, daß es mir nicht erlaubt ist, sie zu haben, wenn doch die Museen voll mit religiösen Bildern sind und man in Buch­handlungen Postkarten mit religiösen Motiven finden kann. Nun ja -„Perestroika"! Unter solchen Bedingungen hat es keinen Sinn, religiöse Bildchen zu schicken. Sie haben doch auch öfters erfahren, wie gut es ist, nichts zu haben, reich in Gott zu sein. Überall und immer Dank und Gehorsam Gott gegenüber! Erfüllung Seines Willens ist mehr als Pflicht. Es soll keine Grenzen im Gehorsam geben. (...) In einigen Tagen wird in Rom Erzbischof Jurgis Matulaitis vor aller Welt seliggesprochen, Litauen wird das Jubiläum der Taufe feiern. Auch ich werde bei den Festlichkeiten und Feierlichkeiten im Geiste dabei sein: Ich werde in der Stille Sibiriens beten, opfern und „Gott, wir loben Dich", „Gott ist unsere Zuflucht und Stärke", „Maria, Maria" singen... Diese Lieder sind in Sibirien - hinter dem Baikalsee - noch niemals erklungen. Ich danke dem Herrn, daß er mich in dieses Land der Erde geschickt hat, um Ihn zu loben, Ihm zu danken, Ihn um Verzeihung zu bitten und das Opfer der hl. Messe, das hier niemals dargebracht wurde, Ihm darzubringen.«

Im Mai-Juni 1987.

Viktoras Petkus, der durch Gerichtsbeschluß seit April 1987 in die Zone mit strengem Regime verlegt wurde, hat seit der Zeit nur am 20. Mai geschrieben, obwohl er nach dem Gesetz monatlich zwei Briefe hätte schreiben dürfen. In einem in russischer Sprache geschriebenen Brief (er schreibt russisch, damit die Zensoren den Brief an den Adressaten wei­terleiten), schreibt V. Petkus folgenden Satz: „... erst heute konnte ich meine Gedanken einigermaßen in Ordnung bringen..."

Aus diesem Text und den Erfahrungen anderer Gefangener scheint es, daß V. Petkus unter Einwirkung von Medikamenten gewesen ist.

*

Gintautas Iešmantas schreibt:

„(...) Mein Leben verläuft jetzt in gewohntem Rhythmus, im wesentlichen verändert sich nichts dabei, ausgenommen, daß ich im Februar - davon werden Sie sicher gehört haben - Briefe an die Obersten Sowjets der UdSSR und der LSSR geschrieben habe. Damit wollte ich meine Position klarlegen, warum ich mich geweigert habe, eine Erklärung zu schreiben mit der Verpflichtung, die Gesetze in Zukunft nicht zu verletzen. Ich wollte mit dem wahrhaftig langen und ausführlichen Brief an den Obersten Sowjet der LSSR außerdem alle, die angeblich für die ,Perestroika' kämpfen, auch an mich erinnern. Ich dachte, die sollen doch wissen, daß auch ich dies­bezüglich meine eigene Meinung habe, daß ich immer noch existiere, daß die Unwahrheit und das Unrecht mich noch nicht gebrochen haben usw. Antworten auf diese Briefe habe ich überhaupt nicht erwartet. Und trotz­dem trafen Antworten ein. Es stimmt, nicht die Adressaten haben sich gerührt, sondern die entsprechenden Staatsanwaltschaften. Sie setzten, wie man so sagt, allem noch den letzten I-Punkt auf. Ich meine, daß es inter­essant sein könnte, wie diese Anworten ausgefallen sind, deswegen präsen­tiere ich sie eine nach der anderen.

Zuerst das Schreiben der Staatsanwaltschaft der UdSSR:

,Bezüglich Ihres Briefes vom 12.2.1987, der mir vom Obersten Sowjet der UdSSR übergeben wurde, teile ich Ihnen mit, daß der Oberste Sowjet der UdSSR über die Frage der Befreiung von der weiteren Verbüßung der Strafe bei jenen Personen, die wegen antisowjetischer Agitation und Propa­ganda verurteilt worden sind, erst dann berät, wenn Sie sich mit einem Gnadengesuch an ihn wenden. Abteilungsoberstaatsanwalt J. E. Owcarow'. Also, alle diese unschuldigen Erklärungen um Straferlaß mit der Verpflich­tung, die Gesetze nicht zu verletzen, werden von den obersten Instanzen als Gnadengesuch betrachtet. Unter anderen Bedingungen werden die poli­tischen Gefangenen nicht entlassen. Selbstverständlich gibt es keine Regel ohne Ausnahme... So sieht also diese Gutherzigkeit aus, wenn man ihr die Maske der Tücke abnimmt!

Und was sagen die 'litauischen' Beamten?

Ich teile Ihnen mit, daß die Staatsanwaltschaft der Republik ihren Brief vom 19- 2.1987, adressiert an das Präsidium des Obersten Sowjets der SSR Litauen, erhalten hat und daß ich ihn überprüft habe. Die in Ihrem Brief dargelegten Ausführungen entsprechen nicht dem Prozeßmaterial und den Beweisen und bieten keinen juridischen Grund, Maßnahmen zu ergreifen, um Sie von der weiteren Verbüßung der Strafe zu befreien, die Ihnen das Gericht am 22. Dezember 1980 zugesprochen hat. Staatsanwalt der SSR Litauen A. A. Nowikow.'

Kommentare sind, wie man in solchen Fällen sagt, überflüssig. Man könnte höchstens noch hinzufügen, daß die Antwort selbst schon eine alte, nach Mottenpulver riechende Denkweise offenbart, die sogar noch durch ihren bürokratischen Stil jeder Umgestaltung widerspricht. Was kann man aber von solchen Nowikows auch erwarten!... Sie sind doch deutliche Früchte der nationalen' Politik von P. Griškevičius. Haben Sie seinen Bericht vor dem Plenum des ZK der KPL (in ,Tiesa' vom 14. März) gele­sen? Wenn nicht, dann lesen Sie ihn doch nach! Dort wird das wahre Wesen der Internationalisierung des öffentlichen Lebens gezeigt. In den Zeitungen wird auch von den Feinden der Umgestaltung gesprochen. Der Fernsehkommentator Bovinas nennt sie Konservatoren', die anderen nennen sie ,Bürokraten', R. Vanagas nennt sie in ,Literatura ir menas' (,Literatur und Kunst') verallgemeinert ,Fedka'. Wie wir sehen, sind nicht solche ,Fedkas' das größte Hindernis, sondern konkrete hohe Beamte und Instanzen. Ich bin aber vom Thema abgewichen. Ich wollte Sie nur einfach informieren, bin aber in unerwünschte Gedankengänge hineingeraten. Es könnten möglicherweise unsere Herrschaften böse werden.

In meiner Umgebung ist ebenfalls schon Frühjahr. Der Wind bläst, heute begann schon das Tauwetter, das scheinbar schon den Frühling bedeutet. Es stimmt, der ganze Monat März war schön, sonnig ohne Wind. Tagsüber hat die liebe Sonne, die hier sehr heiß ist, schon begonnen, wenn auch noch kaum bemerkbar und nur auf der Sonnenseite, den Schnee aufzu­tauen. Es erklang schon das Liedchen der Meise. Was wird uns das Früh­jahr bringen? Bislang hoffe ich auf gar nichts.

Wie die Vertreter der Staatsanwaltschaften zeigen, gibt es auch nichts, auf das man hoffen könnte. Aber... wozu noch darüber reden. Wir leben doch endlich nicht dazu, damit wir uns irgendwas erhoffen. Das Warten auf Gnaden ist uns fremd, und deswegen gehen wir auf diesen dornenvollen Wegen. Es ist schwer, aber es ist gut, wenn man weiß, daß man rechtschaf­fen lebt. Dann ist immer im Herzen und in der Seele der Frühling."

Am 29.3.1987.

Die Adresse von Balys Gajauskas, der in der Verbannung lebt: 682460

Chabarowskij kraj Chumikanskij r-on P. Chumikan, ul. Sowjetskaja 4 Balys Gajauskas

*