Vom 11. bis 17. März 1975 befaßte sich das Oberste Gericht der Litau­ischen SSR mit dem Strafverfahren gegen Juozas Gražys. Als Richter fun­gierte Jankauskas, als Staatsanwalt Bakučionis, als Verteidiger Kudaba. Obwohl die Gerichtsverhandlung nicht unter Ausschluß der Öffentlichkeit stattfand, wurde jedem Unbeteiligten der Eintritt in den Gerichtssaal ver­wehrt. Auch von den Angehörigen von J. Gražys nahm niemand an der Gerichtsverhandlung teil. Als Zeugen wurden folgende Personen geladen: Povilas Petronis, Jonas Stašaitis, Kazėnaitė, Martinaitienė, Žemaitienė und Semaška-Semaškevičius. J. Gražys wurde beschuldigt, die Broschur „Chronik der LKK" hergestellt und bei der Beschaffung von Nachrichten für die „Chro­nik der LKK" mitgearbeitet zu haben. J. Gražys soll je einige der ersten Nummern der „Chronik der LKK" und ca. 20 Exemplare der Nummer 7 gebunden haben. Er habe auch einige Broschüren mit der Schreibmaschine vervielfältigt: Tarp dviejų įstatymu(Zwischen zwei Gesetzen), Vyskupas Matulionis (Bischof T. Matulionis), Lietuviškojo charakterio problemos(Probleme des litauischen Charakters), S. Kudirkos teismo procesas (Ge­richtsprozeß gegen S. Kudirka), Lietuva Laimėjimu keliu (Litauen auf dem Wege des Sieges), Nacionaliniu Pajamų Paskirstymas (Die Verteilung des Nationaleinkommens — diese habe er aus dem Russischen übersetzt und verbreitet), Tau, Lietuva (Dir, Litauen — davon habe er eine Zusammenfas­sung erstellt).

Am 28. Februar 1975 verhörte Major A. A. Istominas die Frau von Sergiejus Kovaliovas, L. Boicova, die ihrem Mann ein Paket gebracht hatte. S. Kovaliovas verbüßte zu jener Zeit eine Gefängnisstrafe in der Isolie­rungsanstalt des Sicherheitsdienstes in Vilnius.

Am 28. März 1975 verhörte der Major Istominas A. Lavutas, der für S. Kovaliovas ein Paket gebracht hatte, im Sicherheitsamt von Vilnius. A. Lavutas lehnte es ab, sich dem Verhör zu unterziehen, da seinen Worten nach ein solches Verhör an der freien Verbreitung von Informationen hin­dere. Istominas fragte Lavutas, ob die Nr. 34 der „Chronik über die lau­fenden Ereignisse" bereits erschienen sei und fügte hinzu, dies interessiere S. Kovaliovas. Der Untersuchungsrichter erklärte, daß S. Kovaliovas sich nicht für die Nr. 34 zu verantworten haben werde, sondern für die Nr. 33.

Am 4. März 1975 wurde ein Verhör von Balys Gajauskas, Birutė Pašilienė und Algis Petruševičius durchgeführt.

In Nr. 15 der „Chronik der LKK" wurde über die Mißhandlungen an Virgilijus Jaugelis im Straflager Pravieniškiai berichtet. Hier wird diese Information ergänzt: Man schlug ihn zusammen, während er betete. Eine ganze Woche blieb er mit einer schweren Kopfverletzung im Lager Pra­vieniškiai ohne jegliche qualifizierte medizinische Hilfe, und erst nach Ab­lauf einer Woche wurde er nach Vilnius in das Gefängniskrankenhaus Lukiškiai gebracht. Bei diesem Transport wurde er von den Kriminal­beamten beraubt.

Der Chirurg an der Krebsstation der Poliklinik in Vilnius, Kaspariūnas, stellte bei V. Jaugelis die Diagnose, ein Teil seines Darmtraktes sei von Krebs befallen (Stadium 3) und teilte mit, daß eine sofortige Operation notwendig sei. Nach Ablauf eines Jahres, wenn Jaugelis aus dem Straflager entlassen werden wird, wird es für die Operation bereits zu spät sein. V. Jaugelis hat schriftlich verzichtet, sich operieren zu lassen.

An den Staatsanwalt der Litauischen SSR Erklärung

von Jaugeliene Monika, wohnhaft in Kaunas, Kalnustr. 7.

Mein Sohn, Virgilijus Jaugelis, wurde wegen Vervielfältigung der „Chro­nik der LKK" und wegen des Sammeins von Unterschriften für das Me­morandum verurteilt. Er wurde jedoch zur Verbüßung der Strafe zusam­men mit Kriminellen untergebracht und dort zusammengeschlagen. Ich protestiere gegen die Unterbringung meines Sohnes bei Kriminellen und für alle Folgen dieser Tatsache mache ich jene verantwortlich, die ihn dort in­haftiert haben.

In Nr. 15 der „Chronik der LKK" wurde über eine unehrenhafte Fälschung durch die sowjetische Presse berichtet: Die Zeitschrift Tarybinis mokytojas (Sowjetischer Lehrer) beschuldigte Radio Vatikan, daß er die „Toten See­len" (nicht existierende Lehrer) erfunden und sie verleumdet habe. Ohne Rücksicht darauf zu nehmen, daß Radio Vatikan diese Fälschung aufge­deckt hat, wird sie auch heute weiterhin wiederholt. Am 20. März 1975 wurde in der Sendung des Senders „Akiratis" und am 4. April in der Wo­chenzeitschrift „Hier spricht Vilnius" wieder verkündet, daß Radio Vatikan erfundene Informationen verbreite. Die „Chronik der LKK" hat die Fak­ten überprüft und ergänzt nun das Material von Nr. 15. Der Lehrer Mažeika an der 5. Oberschule der Stadt Memel wurde vor zwei Jahren in die 18. Oberschule versetzt. Während der Zeit, als er in der 5. Oberschule arbeitete, hat er über die Schüler, die Kirchen besuchen, ge­spottet. Kurz vor Ostern wollte er einmal die Kinder einschüchtern, damit sie nicht in die Kirche gehen: „Keiner soll wagen, in die Kirche zu gehen, jeder, der es trotzdem tut, wird in Geschichte eine Fünf bekommen." (Dies bezeugen die ehemaligen Schüler des Lehrers Mažeika. Ihre Familiennamen sind der „Chronik der LKK" bekannt. — Redaktion)

Die Lehrerin der achtklassigen Schule in Šilute, Irena Arlauskiene (jetzt bereits Direktorin), hat den Schülern befohlen, wie eine ihrer Schülerinnen bezeugt, dreimal laut zu rufen: „Es gibt keinen Gott!" Die einen schwie­gen, die anderen riefen schüchtern, während die Lehrerin Arlauskiene am lautesten schrie. „Da ich von Gott nichts wußte — schwieg ich; jetzt würde ich tapfer rufen: Lehrerin, Sie irren sich, Gott gibt es!" berichtete eine ihrer Schülerinnen über die Erziehungsmethode ihrer ehemaligen Lehrerin. Der Direktor der achtklassigen Schule von Kašučiai, Povilaitis, pflegte tat­sächlich die Hände jener Schüler zu schlagen, die Eintrittsformulare in den Verein „Kommunistische Jugend" nicht ausfüllen wollten. Traf er einen Schüler in Darbėnai, so pflegte er zu schreien: „Ausgeburt, bis du hierher­gekommen, um in die Kirche zu gehen?" Da die Eltern diesen Terror des Direktors nicht zu dulden bereit waren, reichten sie eine Klage ein. Darauf kam eine Kommission, um die Fakten zu überprüfen.

Vilnius

Am 30. Januar 1975 wurde die leitende Redakteurin der Staatsbibliothek Vilnius, Elena Šuliauskaitė, vor das Sicherheitskomitee Vilnius geladen Das Verhör dauerte über sechs Stunden. Es wurde von zwei Sicherheits­beamten durchgeführt. Die Untersuchungsrichter baten sie zu erzählen, wie die Geburtstagsfeier von Teresė Masytė am 30. September 1973 begangen wurde. Die Untersuchungsrichter betrachteten diese Zusammenkunft als eine antisowjetische politische Versammlung. Sie behaupteten, daß alle, die daran teilgenommen hätten, bereits befragt worden seien und alles ausge­sagt hätten. Sie verlangten von ihr zu berichten, wer die obenerwähnte Zusammenkunft und andere Versammlungen inspiriere, organisiere und wer an ihnen teilnehme.

Šuliauskaitė verneinte, jene Versammlung — die Geburtstagsfeier von Masytė — organisiert zu haben. Der Untersuchungsrichter Rimkus befragte sie ferner über den Bischof Steponavičius und den Priester S. Tamkevičius, der, so die Meinung des Untersuchungsrichters, in der Dzukijstr. während der Versammlung bei T. Masyte die sowjetische Ordnung verleumdet und sie zu stürzen verlangt habe. Die Sicherheitsbeamten waren vor allem auf den Priester Tamkevicius böse, weil er die Jugend aufwiegele und die „Chronik der LKK" sowie die Instruktionsschrift Kaip laikytis tardymo metu (Wie man sich bei einer Untersuchung verhalten soll) verbreite. Mit allerlei Drohungen versuchten die Untersuchungsrichter von Šuliauskaitė die für sie nötigen Beweise herauszubekommen, diese jedoch verneinte alle Beschuldigungen.

Erklärung

des Priesters B. Laurinavičius

An den Bevollmächtigten des Rates für religiöse Angelegenheiten, K. Tumėnas

Am 30. August 1974 haben Sie meinen Pfarrkindern P. Burokas, V. Tre­čiokas, C. Burokienė und B. Steponienė gesagt: „Ihr sollt euren Pfarrer umerziehen!" Dies bedeutet: Ihr sollt ihn so beeinflussen, daß er nicht der Kirche und seinem Gewissen gehorcht, sondern den Atheisten. Wenn Sie schon den einfachen Kolchosenarbeitern von Adutiškis geraten haben, mich umzuerziehen, erlauben Sie mir zu fragen, ob Ihr Straßenkehrer oder die Putzfrau Ihres Arbeitszimmers imstande wäre, Sie umzuerziehen? Mich lehrten und erzogen Lehrer und Professoren von hoher Moral und Kultur. Indem sie meine Weltanschauung formten, erlaubten sie mir, ja sie befahlen mir manchmal sogar, mich mit den Ideen der Marxisten-Kommunisten auseinanderzusetzen. Meine Weltanschauung bildete sich nicht nach einem Diktat, sondern frei. Ich habe auch Werke der Freidenker gelesen. Haben aber jene, die ihre Weltanschauung heute formen, die Mög­lichkeit, die Bücher derer zu lesen, die nicht kommunistisch denken? Im Jahre 1966 fragte ich in einer Moskauer Buchhandlung nach der Hl. Schrift. Treuherzig erwiderte mir der Verkäufer: „Wir haben die Hl. Schrift nie gehabt. Wenn Sie in der Hl. Schrift lesen wollen, gehen Sie in die Bibliothek, aber auch dort wird sie Ihnen nur auf Grund einer speziel­len Genehmigung zum Lesen ausgehändigt." Wenn man in der Bibliothek die Hl. Schrift nur auf Grund einer Sondergenehmigung ausgehändigt er­hält, so ist gar nicht daran zu denken, daß man Bücher von anders als kommunistisch Denkenden bekommen oder lesen kann. Jedoch muß jeder, der seine Weltanschauung formt, die Andersdenkenden kennenlernen. Mo-lotov hatte recht, als er sagte: „Nur zwischen zwei verschiedenen Meinun­gen liegt die Wahrheit."

ANORDNUNG NR. 20

des Rektors des staatlichen Pädagogischen Institutes in Vilnius Vilnius, den 14. Februar 1975

Über die Verantwortung der Dozenten bei Organisation und Durchführung von Studienfahrten für Studenten

Im Lehrplan sind auch verschiedene Exkursionen, künstlerische Zusammen­arbeit, Ausflüge der Sportkollektive und Studienfahrten anderer Art im Innern der Republik und außerhalb ihrer Grenzen vorgesehen. Sie alle ha­ben eine große fachliche, wie auch didaktische und erzieherische Bedeutung für die Ausbildung der zukünftigen Lehrer. Es wird angestrebt, daß die Studenten bei solchen Studienfahrten, wie auch im pädagogischen Prakti­kum, in Arbeits- und Erholungslagern, ferner bei den Hilfsaktionen bei den Bauern durch ihre Arbeit und ihr Benehmen dem ehrenvollen Namen eines sowjetischen Studenten, eines zukünftigen Pädagogen, eines Jung­kommunisten und UdSSR-Bürgers Rechnung tragen.

Für diese Studienfahrten wird nicht wenig Zeit, die eigentlich für den aka­demischen Unterricht oder für die Erholung bestimmt ist, geopfert und es werden hohe finanzielle Mittel dafür verwendet. Ihr Gelingen für die Aus­bildung eines jungen Spezialisten hängt ab von der entsprechenden und zur gegebenen Zeit durchgeführten Vorbereitung dieser Studienfahrten seitens der Kollektivführer und Lehrstuhldozenten, wie auch von der Ein­haltung der dazugehörenden Disziplin während derselben mit Hilfe der Studenten-Aktivisten. Es ist unerläßlich, die Resultate solcher Studienfahr­ten innerhalb der Lehrstühle und Kollektive zu besprechen, die Dekane über die Studienfahrten und Exkursionen zu informieren und, wenn es nötig erscheint, auch das Rektorat.

In letzter Zeit wurden die elementarsten Forderungen bei Organisation und Durchführung von Studentenfahrten verletzt und man wurde mit Er­scheinungen konfrontiert, die einen negativen Einfluß auf die ideologische Erziehung der Studenten und die Entwicklung ihrer marxistischen Weltan­schauung ausüben.