Gott ist unsere Zuflucht und Stärke (Psalm 45,2).

Trotz Jahrzehnten der Verfolgung sind wir, die Katholiken Litauens, im Kampf für Gott, für lebenswichtige Existenzgrundlagen der Kirche und die Menschen­rechte stark und entschlossen geblieben. Wir sind stark, denn wir sind nicht al­lein — Gott ist unsere Zuflucht und Stärke. Mit uns ist der »Papst aus dem Osten«, der mit den Lippen der schweigenden Kirche spricht, der die Hälfte sei­nes Herzens der verfolgten und kämpfenden Kirche vorbehalten hat. Immer neue Nachrichten des Vatikansenders bestärken uns in der Erkenntnis, daß un­ser Leid und unser Kampf in der Welt immer breitere Anerkennung finden. So hat der Generalsekretär der USA-Bischofskonferenz, Bischof Thomas Kelly, auf Bitte der Auslandslitauer-Organisation Lietuvos Vyčiai (Lob und Anerken­nung unserer Jugend in der Emigration) den 11. Februar zum Gebetstag für Litauen proklamiert.

Deshalb danken wir, die Katholiken Litauens, im Namen unserer Kirche und unseres Vaterlandes den Bischöfen, Priestern und Gläubigen Amerikas sowie allen Menschen guten Willens, von deren Bemühen wir vielleicht noch gar nichts wissen, herzlichst für ihr Gebet und die Worte wohltuender Güte. Wir danken den Männern der amerikanischen Regierung und des Vatikansenders für die Durchgabe des Aufrufes der »Vyčiai«-Organisation in verschiedenen Sprachen der Welt.

Gott vergelt's allen, die Gutes tun! Wir aber wollen unsererseits auch weiter aus­dauernd dafür kämpfen, daß Christus in unserer Heimat herrsche.

Die Katholiken Litauens

Dem Staatssekretariat Vatikanstadt, 18. Dezember 1978

Sehr geehrter Herr Pfarrer Mykolas Buožius!

Seine Heiligkeit Papst Johannes Paul II. hat die in ihrem Namen und namens weiterer neun litauischer Priester entbotenen telegrafischen Grüße zu seiner Wahl auf den Stuhl Petri in Dankbarkeit entgegengenommen. Für diesen Ausdruck der Einigkeit und Liebe dankt der Heilige Vater liebevoll und erfleht von Gott alles Gute für die ihm so liebe Kirche Litauens und erteilt Ihnen und den anderen im Telegramm genannten Priestern seinen apostolischen Segen als Zeichen besonderen Wohlwollens.

Auch ich selbst nutze diese Gelegenheit, Ihnen meine Ehrerbietung und herz­lichsten Grüße zu übermitteln.

J. Caprio Subst.

Gegenwärtig vollziehen sich in Litauen große, besorgniserregende Entwicklun­gen innerer sozialer Umwälzung, ausgelöst durch die Verbreitung der Gottlosig­keit angesichts einer immer gravierender werdenden ideellen Leere im Gewissen der Menschen. Mangels edlerer Anreize füllt sich das entstandene Vakuum nur zu schnell mit primitiven Ersatzstoffen primitiver Instinktbefriedigung,und die­se drohen,das ganze Innenleben des Menschen mitzureißen: die Moral gerät ins Wanken, Willenskräfte erlahmen, nationale Ideale werden gegen billige Be­quemlichkeit und kleinbürgerliches Spießertum ausgetauscht. Diese, in der Seele des Menschen vollzogenen Veränderungen manifestieren sich im öffentlichen Leben der Nation in Form mörderischer Übel, wie steigende Ju­gendkriminalität, Sittenverwahrlosung, Umsichgreifen von Geschlechtskrank­heiten, Abtreibungen, Rückgang des natürlichen Bevölkerungszuwachses, mas­senhafter Alkoholismus und katastrophaler Zerfall der Familien. Gleichzeitig formieren sich militante Ideologien zur Rechtfertigung und weiteren Propagie­rung solcher Erscheinungen. Die Vertreter solcher Ideologien versuchen auf dem Hintergrund eines atheistischen Erziehungssystems, weniger willensstarke Menschen, besonders aber Jugendliche, nicht nur durch schlechtes Beispiel, sondern oft auch mit Mitteln brutaler Gewalt zu demoralisieren. Zu allen Zeiten war die Familie wichtigste Vermittlerin religiös-tugendhafter Normen und Erzieherin der jungen Generation. Heute hat es die Familie immer schwerer, sich gegen verderbliche Umwelteinflüsse des Bösen zu wehren. Wer zählt die weinenden gläubigen Eltern, deren Kinder auf Abwege gerieten? Un­gefestigte, geschiedene, dem Alkohol verfallene und dem Glauben entfremdete Familien sind noch weniger in der Lage, ihre Kinder zur Tugend zu erziehen. So ist zu erwarten, daß Ehescheidungen und geistige Entgleisung in kommenden Generationen noch häufiger sein werden. Und niemand vermag zu sagen, ob unsere Nation bei dieser Art »Fortschritt« nicht der Selbstvernichtung und Auf­lösung verfällt.

Viel an Trost und Hoffnung geht allerdings von der immer stärker anwachsen­den Strömung geistiger Wiedergeburt unseres Volkes, insbesondere seiner Ju­gend, aus. Dies sind Menschen, die begreifen, daß für die Wahrheit, den Glau­ben, die Heimat kein Opfer zu groß ist, und die solche Überzeugung in ihrem eigenen Leben verwirklichen.

erlassen vom Präsidium des Obersten Sowjets

Katholisches Komitee zur Verteidigung der Rechte der Gläubigen

25. Dezember 1978 Nr. 5

An das Präsidium des Obersten Sowjets der UdSSR

An das Präsidium des Obersten Sowjets der Litauischen SSR

An die Bischöfe und Verwalter der Diözesen Litauens

An den Beauftragten des Rates für religiöse Angelegenheiten, P. Anilionis

Vor dreißig Jahren, am 10. Dezember 1948, billigte die UNO-Generalversamm-lung die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, deren Einhaltung und Durchführung zu garantieren sich auch die Sowjetunion feierlich verpflichtet hat. Die Sowjetpresse behauptete sogar, die neue Konstitution der UdSSR ga­rantiere erheblich mehr an Rechten und Freiheiten, als in der Allgemeinen Er­klärung der Menschenrechte vorgesehen ist.

Die Katholiken Litauens hatten in den Nachkriegsjahren unter verschiedensten Formen der Diskriminierung zu leiden. Angesichts des Jubiläums der Verkündi­gung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte hofften sie daher, die So­wjetregierung werde ihnen jetzt etwas mehr an Rechten und Freiheiten zugeste­hen. Doch das Gegenteil trat ein. Am 24. November 1978 hat der Beauftragte des Rates für religiöse Angelegenheiten, P. Anilionis, alle Bischöfe und Verwal­ter der Diözesen Litauens nach Vilnius vorgeladen. Ihnen wurde ausdrücklich erklärt, von jetzt ab müsse man sich voll an die Bestimmungen der Verordnung des Obersten Sowjets der Litauischen SSR betreffend das »Statut religiöser Ge­meinschaften« halten. Zuwiderhandelnde würden streng bestraft. Bei Bestätigung des »Statuts religiöser Gemeinschaften« (SRG) hätte das Präsi­dium des Obersten Sowjets der Litauischen SSR vor allem davon ausgehen sol­len, daß die katholische Kirche Litauens nicht nur über geschichtliche Tradition von 600 Jahren verfügt und unbestreitbare Verdienste um Litauen hat, z. B. die vor 400 Jahren von Jesuiten gegründete Universität Vilnius. Zur katholischen Kirche gehören heute nicht weniger als 70 Prozent der Einwohner Litauens, nur eine unbedeutende Minderheit hält sich für Atheisten. Eine Volksregierung hät­te bei Bestätigung des Statuts auf die Überzeugungen und den Willen der Mehr­heit des Volkes Rücksicht nehmen müssen. Man hat sich aber im Gegenteil so verhalten, daß die Interessen einer Handvoll von Atheisten den diskriminieren­den Charakter des »Statuts religiöser Gemeinschaften« geprägt haben. Mit diesem Schreiben wollen wir die Aufmerksamkeit der Sowjetregierung dar­auf lenken, wie Geistliche und Gläubige Litauens das ihnen aufgezwungene Sta­tut bewerten, das den Bestimmungen der Allgemeinen Erklärung der Menschen­rechte ebenso widerspricht wie den Bestimmungen der Verfassung der Litaui­schen SSR — und dessen eigentliches Ziel darin besteht, die katholische Kirche Litauens mit administrativen Mitteln zu vernichten.

Anfang 1979 hat der Administrator des Erzbistums Vilnius, Monsignore Česlo­vas Krivaitis, schriftlich seinem Amte »entsagt«. Die Berater des Erzbistums Vilnius, die Priester Algis Gutauskas, K. Gajauskas und J. Morkūnas, haben daraufhin Pfarrer Algis Gutauskas, Gemeindepriester der Pfarrei der St. There­se in Vilnius, zum neuen Administrator »gewählt«.

Oberflächlich gesehen scheint alles normal: Der eine wollte seelsorgerisch in ei­ner Gemeinde tätig werden — und trat von seinem Amt zurück, während der andere für die vakante Stelle gewählt wurde.

In Wirklichkeit jedoch vollzogen sich »Rücktritt« wie »Neuwahl« unter der Re­gie eines geheimnisvollen Zauberstabes des KGB. Fast von selber stellt sich die Frage, warum das KGB eigentlich an einem neuen Administrator des Erzbis­tums Vilnius so sehr interessiert ist. Die Antwort lautet — weil der bisherige Verwalter jegliche Autorität eingebüßt hatte und keine Aussicht mehr bestand, daß ihn der Heilige Stuhl jemals zum Bischof machen würde. Doch ist die Sowjetmacht sehr daran interessiert, auf dem Stuhl des Oberhirten des Erzbis­tums Vilnius einen residierenden Bischof zu haben — jeden — außer dem exi­lierten rechtmäßigen Oberhirten Julijonas Steponavičius. Nach der Wahl Jo­hannes Pauls II. war dem KGB sofort klar, daß das Erzbistum einen neuen Ad­ministrator braucht, der Aussicht hat, Bischof,evtl. sogar Kardinal zu werden. Als geeigneter Kandidat galt hier Pfarrer Algis Gutauskas, der unter den Geistli­chen Polens viele Bekanntschaften hat, die ihn als geeigneten Kandidaten für ein Bischofsamt empfehlen könnten. Ferner hat sich Pfarrer A. Gutauskas mo­ralisch nicht kompromittiert und ist ängstlich genug, um der Sowjetmacht wi­derspruchslos Gehorsam zu leisten. In Vilnius konnte man sich nicht genug dar­über wundern, wie eifrig er Kinder aus Prozessionen entfernte, weil sowjetische Anordnungen eine Teilnahme an Prozessionen verbieten. Ebenso eifrig setzte er sich für den Kleriker R. Jakutis ein, über dessen Zusammenarbeit mit dem KGB diese »Chronik« ausgiebig berichtet hat.

Die Geistlichen des Erzbistums Vilnius zweifeln nicht daran, daß der neue Ad­ministrator, Pfarrer A. Gutauskas, dem KGB längst in die Falle gegangen ist. Sie vertrauen daher fest darauf, daß Papst Johannes Paul II. ihn niemals in die hierarchische Rangordnung der katholischen Kirche aufnehmen wird.

Am 1. November 1978 zelebrierte Pfarrer Virgilijus Jaugelis in der Pfarrkirche zu Kybartai öffentlich eine Messe. Viele Jahre hindurch hatte er sich um Auf­nahme in das Priesterseminar Kaunas beworben, doch wurde sein Name Jahr für Jahr durch das KGB von der Kandidatenliste gestrichen. Im Jahr 1974 wur­de er wegen Vervielfältigung der »Chronik der Litauischen Katholischen Kir­che« verurteilt und ein Jahr später vorzeitig und halb lebend aus der Lagerhaft entlassen, um zu Hause zu sterben. Nun, er starb nicht, sondern bereitete sich entschlossen auf die Priesterschaft vor.

Das erste öffentliche Meßopfer des Priesters V. Jaugelis bereitete dem KGB an­gesichts dieser Vorgeschichte einige Sorgen. Bedeutete der Vorgang doch wohl, daß die Zeiten vorüber sind, daß man einen jungen Menschen, der dem KGB die Mitarbeit verweigert, um ein guter Priester zu werden, nach Belieben terrorisie­ren kann; das Ereignis weist ferner darauf hin, daß man künftig auch keine gu­ten Seminaristen mehr so ohne weiteres wird einschüchtern können — denn, siehe da, man kann auch ohne den Segen des KGB Priester werden! »Was tun?«, so fragten sich alle, deren Ziel darin besteht, die katholische Kir­che in Litauen zu beerdigen. Irgendwer ersann daraufhin einen Plan zur Kom­promittierung der Untergrundtätigkeit der katholischen Kirche Litauens und derjenigen Bischöfe, die ohne Wissen und Genehmigung des KGB Priesterwei­hen vornahmen.

Nach Belegung mit einer Geldstrafe von 50 Rubel, wegen einer Prozession zum Friedhof am Tage Allerseelen, hat sich der Gemeindepfarrer von Kybartai, Sigi­tas Tamkevičius, an das Rayongericht Vilkaviškis gewandt. Das Gericht tagte erstmals am 1. Dezember 1978. Verhandlungsraum und Kor­ridore des Gerichtsgebäudes waren von Gläubigen überfüllt. Richter Stankaitis zögerte die Eröffnung der Verhandlung gegen Pfarrer S. Tamkevičius immer länger hinaus, in der Hoffnung, die Leute würden auseinandergehen. Doch pas­sierte etwas Unerwartetes — die vor dem Gerichtsgebäude versammelte Menge begann laut den Rosenkranz zu beten. Sichtlich betroffen täuschte Richter Stan­kaitis vor, dem Gericht fehlten einige Unterlagen und vertagte die Sitzung unter diesem Vorwand. Die im Verhandlungsraum befindlichen Gläubigen begannen daraufhin, das bekannte Marienlied »Maria, Maria« zu singen. Der Richter ver­suchte, die Sänger zum Schweigen zu bringen — vergeblich. Es ist schwer, die Atmosphäre im Verhandlungsraum zu schildern. Von der Wand herab blickte aus seinem Rahmenporträt nichts Gutes verheißend Lenin herab, während die Menschen mit Tränen in den Augen sangen: »Maria, Maria — lindere der Knechtschaft Bande — rette uns vor dem bösen Feind«. Alsbald stimmten auch die außerhalb des Raumes wartenden Gläubigen ein, und bald erscholl in den Straßen der Stadt überall dies traditionelle Lied, das so sehr der Stimmung der bedrückten Litauer entspricht.

Weil gut 500 Menschen zu der Verhandlung erschienen waren, erließ jemand die Anordnung, ein erneuter Zusammentritt des Gerichtes habe plötzlich, unerwar­tet und ohne vorherige Bekanntgabe zu erfolgen. Pfarrer S. Tamkevičius erhielt die Vorladung am 20. Dezember nachts — die Verhandlung war für den näch­sten Morgen 10 Uhr festgesetzt. Leider war der Geistliche nach dem Abendgot­tesdienst verreist; die Vorladung konnte ihm nicht übergeben werden, und die Verhandlung wurde erneut vertagt.

An den Vorsitzenden des Komitees für Staatssicherheit (KGB) Durchschriften an:

Katholisches Komitee zur Verteidigung der Rechte der Gläubigen, Bischöfe des Erzbistums Kaunas und der Diözese Vilkaviškis

Erklärung

des Gemeindepfarrers von Kybartai Sigitas Tamkevičius, wohnhaft Kybartai, Darvino gatve 12.

Auf der Straße nach Vilnius, unweit der Ortschaft Pircupis, stieß mein PKW am 1. Juni 1978 mit dem motorisierten Rollstuhlfahrzeug des Aleksandras Raz-vinavičius zusammen. Nach Klärung der Umstände befand die Autoinspektion Varėna Razvinavičius schuldig (s. beiliegende Bescheinigung). Nach etwa zwei Monaten erfuhren Mitarbeiter des Komitees für Staatssicherheit von dem Unfall. Nachstehende Einzelheiten über die Tätigkeit dieser Beamten wurden mir von Razvinavičius berichtet, bevor dieser selbst Mitarbeiter des Ge­heimdienstes wurde.

Ich besuchte ihn am 23. August 1978, am selben Tage seiner Vorladung nach Šalčininkai, wo er sich mit einem aus Vilnius angereisten KGB-Beamten traf. Dieser Gast erkundigte sich eingehend nach Einzelheiten des Unfalls und ob ich (Pfarrer T.) nicht etwa die Autoinspektion bestochen habe! Der KGB-Mann forderte Razvinavičius auf, den Schuldspruch der Autoinspektion abzulehnen, gerichtlich Klage zu erheben, mit dem Begehren, daß mir (Pfarrer T.) schuld an dem Unfall gegeben werde. Der KGB-Mann versprach Hilfe und günstigen Aus­gang. Aus seinen Ausführungen zog Razvinavičius den Schluß, das KGB wolle ihn unterstützen, den Prozeß zu gewinnen, denn der Geheimdienst hasse mich (Pfarrer T.). Der Beamte erklärte, ich sei ein höchst gefährlicher Mensch, dem man leider nichts anhängen könne, so daß nur noch eine Kompromittierung möglich sei, denn ich gehörte nun einmal »in Ordnung gebracht« zu werden. Der KGB-Beamte hatte Razvinavičius zu verstehen gegeben, die Richter seien seine guten Bekannten, und er werde den Prozeß schon gewinnen. Auch in der Autoinspektion Varėna werde man alles zugunsten des Razvinavičius »regeln«. Der KGB-Mann gab zu verstehen, aus der Unfallakte der Autoinspektion Varė­na seien bereits einige Seiten verschwunden, und der Geheimdienst befasse sich bereits mit »Regelung der Dokumentation«. Der KGB-Beamte erbot sich sogar, den Text einer Anzeige an das Gericht zu entwerfen, die Razvinavičius dann nur noch zu unterschreiben habe. Er sagte ferner Hilfestellung des KGB bei der So­zialfürsorge zu, wo man eine Bezuschussung bei Anschaffung eines neuen Motor-Rollstuhls befürworten werde. Razvinavičius, der Invalide ist, brauche dann nur 20% des Neupreises von 200 Rubel zu zahlen. Razvinavičius war über die Großzügigkeit des Geheimdienstes natürlich höchst erfreut, doch kamen ihm gleichzeitig auch gewisse Bedenken. Er gab daher keine klare Antwort und erbat Bedenkzeit.

In seiner Predigt am 14. Januar 1979 gab Pfarrer Juozas Indriūnas, Vikar der Auferstehungskirche in Kaunas, einige Tatsachen bekannt, die zeigen, wie amo­raiische Hochschullehrer Studentinnen erpressen, unsittliche Handlungen dul­den und so der Jugend unseres Landes Schaden zufügen. Um Studienbescheini­gungen zu erhalten, sind Studentinnen gezwungen, Sittenstrolchen unter den Lektoren zu Willen zu sein.

Unter den gegenwärtigen Bedingungen gibt es nur ein Mittel, amtlicherseits ge­förderte, mit Diplomen und Parteibuch gepanzerte Totengräber der Moral un­serer Jugend zu bekämpfen — radikale Veröffentlichung ihrer Untaten. Aus diesem Grunde nannte Pfarrer Indriūnas die Namen von Prof. T. Šiurkaus, des Lektors Z. Dagys und einiger anderer Personen — in der Hoffnung, so den Ver­derbern der Jugend wenigstens in Zukunft das Handwerk zu legen. Nach dieser Predigt gab es im Medizinischen Institut von Kaunas und beim KGB helle Aufregung, wie in einem Wespennest. Über die Kurie des Erzbistums Kaunas wurde verlangt, Pfarrer Indriūnas solle seine »Verleumdungen« wider­rufen, sonst werde man ein Strafverfahren gegen ihn eröffnen. Der Priester war nicht einzuschüchtern und verweigerte jeden Widerruf. Gegenwärtig bereitet das KGB einen Strafprozeß gegen Pfarrer Indriūnas vor. Besorgt wegen der Sicherheit des beliebten Seelsorgers, haben Gläubige der Stadt Kaunas verschiedenen staatlichen Institutionen Denkschriften übersandt. Hier eine von 300 Personen unterzeichnete Eingabe in vollem Wortlaut:

Am 19. März 1972, vor genau sieben Jahren, erreichte die erste Nummer der »Chronik der Litauischen Katholischen Kirche« einen kleinen Kreis von Lesern. Geringe Auflage, Mangel an Information und Ängstlichkeit der Leser waren die schwer zu überwindenden Anfangshindernisse. Einige Monate später gerät die »Chronik« bereits in die Fänge der Tschekisten, und gegen diesen »gefährlichen Staatsverbrecher« wird unter Nr. 345 ein Strafverfahren eingeleitet. Nach der Strafexpedition im November 1973 triumphieren die Tschekisten — die »Chro­nik« ist liquidiert! Doch nicht tot. Jahre gingen ins Land; Informationen häuf­ten sich; es wuchs der Mut in den Herzen der Menschen; es erweiterte sich der Leserkreis — die »Chronik« überschritt die Grenzen unseres Heimatlandes und öffnete vielen die Augen.

Heute ist die »Chronik der Litauischen Katholischen Kirche« zum Gewissen un­seres Volkes geworden, eine Stimme der kämpfenden Kirche, ein in aller Welt vernehmbarer Hilferuf.

Keine »Chronik« gäbe es ohne die vielen: Plumpa, Nijole, Lapienis, ohne das edelmütige Opfer so vieler Litauer. Am allermeisten verdankt die »Chronik« aber denjenigen, die hinter Stacheldraht leiden.

Čistopol

Viktoras Petkus, Mitglied der litauischen Helsinkigruppe, wurde aus der Haft­anstalt Vladimir in das Gefängnis Čistopol verlegt. Die Haftanstalt Vladimir wurde im Zuge der Vorbereitung auf die Olympischen Spiele 1980 aufgelöst, die Insassen in das weit abgelegene Čistopol verlegt. Die jetzige Adresse von Vikto­ras Petkus lautet:

422950 Tatarskaja ASSR Čistopol Ue 148 st. 4

Ulianovsk

Ona Pranskūnaite hat am 20. Januar 1979 ihre Haftstrafe wegen Vervielfälti­gung und Verbreitung der »Chronik der Litauischen Katholischen Kirche« ver­büßt und wurde freigelassen. Noch am Abend desselben Tages ist sie auf dem Luftwege nach Kaunas zurückgekehrt. Auf dem Flugplatz in Kaunas wurde sie mit Blumensträußen empfangen und in mehreren festlichen Empfängen geehrt. Obwohl sichtlich von den durchstandenen Strapazen gezeichnet, ist Ona Prans­künaite in geistiger Hochstimmung in die Heimat zurückgekehrt.

Vilnius

Bald nach Amtsantritt des neuen Bevollmächtigten des Rates für religiöse Ange­legenheiten, Petras Anilionis, wurde dessen »Fürsorge« um kirchliche Angele­genheiten alsbald spürbar. Seit drei Monaten warten die Geistlichen bereits auf den liturgischen Kalender. Wie sich herausstellte, ist selbst die Drucklegung eines solchen Kalendariums — dem Kreml vorbehalten.

Adutiškis

Anfang 1979 trat der hiesige Gemeindepfarrer Bronius Laurinavičius der litaui­schen Helsinkigruppe bei, deren Aufgabe bekanntlich in der öffentlichen Kon­trolle besteht, zu überwachen, daß die Bestimmungen der Konferenz von Hel­sinki in Litauen eingehalten werden. Pfarrer Bronius Laurinavičius gehört zu den tatkräftigsten und mutigsten Priestern des Erzbistums Vilnius. Seine Erklä­rungen wurden wiederholt in den Spalten der Chronik der Litauischen Katholi­schen Kirche abgedruckt.

Anfang Dezember 1978 wurde ein Projekt für Neubesetzung von Pfarrstellen in der Erzdiözese Kaunas fertiggestellt und dem Bevollmächtigen des Rates für Re­ligionsangelegenheiten, P. Anilionis, zur Bestätigung übermittelt. Zwei Monate hindurch beriet dies Amt mit dem KGB, wie Ernennungen am be­sten zu hintertreiben seien, die dem Geheimdienst nicht behagen. Unter ande­rem sah das Projekt die Amtsenthebung des Pfarrers Izidorius Butkus als Kanz­ler des Erzbistums Kaunas vor, bei Übernahme dieses Amtes durch Pfarrer Pr. Juozapavičius, bisher Pfarrherr der erzbischöflichen Kathedrale in Kaunas. Am 1. Februar lehnte Anilionis das bischöfliche Projekt ab. Motiv: »Bitte Pfarrer Juozapavičius nicht zu benachteiligen.« Was der Bevollmächtigte nicht sagen wollte, wahrscheinlich aber meinte, dürfen wir formulieren: »Man darf doch unseren Mann, Pfarrer Butkus, nicht benachteiligen« . . .

Die katholische Schuljugend ist dem Vatikansender für Berichte über den Wi­derstand der Schülerschaft gegen zwangsweise Vergottlosung sehr dankbar. Es wäre sehr zu begrüßen, wenn der Vatikansender in sein Samstagprogramm eine Zehnminutensendung für Schüler einführen würde. Denn es bedarf großer Hilfe, unsere Schüler zu vollwertigen, erwachsenen Menschen zu erziehen. Bis­her vernehmen sie über Fragen des Glaubens und der Heimat nichts als lauter Lügen.

Dies schreibt eine Lehrerin aus Oberlitauen (der Aukštaitija): »Wunderbare Kinder gibt es in unserer Schule. Eine Schülerin der VIII. Klasse schreibt als Ab­schluß einer schriftlichen Arbeit: >Wir wählen den Mut, wir stärken den Willen und werden, wenn es darauf ankommt, aufstehen und unser Litauen — vertei­digen < . . .«

Telšiai

In der hiesigen 5. Mittelschule wird die Schülerin Fabijonavičiūtė (V. Klasse) seit Jahren wegen ihres Glaubens terrorisiert. Hier einige Beispiele:

Im Oktober 1977 wird die Schülerin von der stellvertretenden Direktorin ver­warnt, Kirchenbesuche einzustellen. Im selben Jahr versucht dieselbe stellvertre­tende Direktorin das Mädchen erneut einzuschüchtern, sie solle sich endlich bes­sern und nicht mehr in die Kirche gehen.

UKRAINE

Nach dem Weihnachtsfest des Jahres 1978 wußten übereilige westliche Presse­korrespondenten zu berichten, erstmalig nach dem Kriege habe es in der UdSSR ein so geruhsames Christfest gegeben: keine Komsomolzen an Kirchentüren, keine Störung der Gottesdienste, keine Lehrer, die ihre Schüler aus der Kirche treiben usw. Und so sei es überall gewesen: in Moskau wie in Kiew und Vilnius. Manche gingen noch weiter und behaupteten, in der UdSSR normalisiere sich das Verhältnis des Staates zur Religion und den Kirchen. Anscheinend wußten die Berichterstatter nicht, was sich in weiter abgelegenen Gebieten tat, die keiner dieser Korrespondenten aufgesucht hat und zu deren Bewohnern sie auch sonst keinerlei Kontakt unterhalten.

Nehmen wir etwa die westliche Ukraine, wo die Mehrheit der Bevölkerung aus ukrainischen Katholiken besteht. Hier ist die Lage gänzlich anders. Es sei daran erinnert, daß die Sowjetbeamten, genau wie ihre zaristischen Vorgänger, einen Ukrainer niemals als Katholiken gelten lassen — bestenfalls als »Uniierten«, mit dem Unterton der Mißachtung für einen Abtrünnigen von der russisch-ortho­doxen Kirche und Anbiederer bei den Katholiken. Das ukrainische Volk aber war besonders in der Westukraine von alters her katholisch nach byzantini­schem Ritus. Das aber ist dem zaristischen wie dem heutigen Rußland ein uner­träglicher Gedanke. Bezeichnet sich ein Ukrainer als Katholik, so wird er als­bald verbessert — er sei »nicht Katholik, sondern Uniierter« — mit anderen Worten, ein von Mütterchen Rußland Abgefallener, der Unfrieden stiftet zwi­schen dem russischen und dem ukrainischen Volk.

Biržai

Kanonikus Adolfas Sabaliauskas war, unter dem Künstlernamen Žalia Rūta (Rautengrün), ein bekannter Schriftsteller und hochverdienter Sammler von Folklore, Exponaten bäuerlicher Volkskunst und Volksmusikinstrumenten. Er ließ auf dem kleinen Friedhof seiner Heimatgemeinde Mielaišiai, im Rayon Bir­žai, eine kleine Kapelle im litauischen Volksstil errichten und hinterließ seinen Anverwandten den Wunsch, daß man ihn selbst hier einmal beerdigen möge. Die Einwohner dieser Gegend nutzten die Friedhofskapelle: Hier bahrten sie ihre Toten auf, und sie hielten die nächtliche Totenwache, um sie am nächsten Morgen, nach Ankunft des Pfarrers und dem Totenamt, zur letzten Ruhe zu betten. Später, zur Sowjetzeit, ließ der Kreisvorsteher von Geidžiūnai die Kapel­le verschließen, nahm den Schlüssel an sich, und verbot den Menschen, in der Kapelle zu beten. Angeblich wollte er aus der Kapelle einen Getreidespeicher machen.

Aušra (Morgenröte), Nr. 14/54, Erscheinungsdatum Dezember 1978

Diese Nummer enthält eine Erklärung von Pfarrer Karolis Garuckas, Mitglied der litauischen Helsinkigruppe, einen Artikel unter der Überschrift »Schacher mit ganzen Völkern« u. a. Beiträge. Im Nachrichtenteil Informationen über das

Katholische Komitee zur Verteidigung der Rechte der Gläubigen und Berichte über zunehmende Russifizierungsversuche in Litauen.

Dievas ir Tėvynė (Gott und Vaterland), Nr. 10

Ein Poem unter dem Titel Nakties svetys (Der nächtliche Gast), von einem unter dem Decknamen Bičiulis (Freund) schreibenden Autor, füllt die Hälfte der Nummer. Sie enthält ferner drei Artikel mit den ÜberschriftenKapjums negeda (Schämt ihr euch nicht?), Lietuviai visi uz tautos skaistumą (Alle Litauer sind für Tugendhaftigkeit ihres Volkstums), Zmonidkumo bitdunr (Höchste Menschlichkeit).