CHRONIK DER LITAUISCHEN KATHOLISCHEN KIRCHE NR. 39
Den Freunden der Eucharistie
zum zehnjährigen Jubiläum.
Litauen, 22. Juli 1979
Papst Johannes Paul II. hat vom 2. bis 10. Juni Polen besucht. Die Sowjetmacht ließ weder Bischöfe, Priester noch Laien aus Litauen nach Polen reisen, doch war es in der Hälfte des Landes möglich, der Berichterstattung des polnischen Fernsehens zu folgen. Die Geistlichen Litauens hatten die Gläubigen aufgefordert, den Besuch des Heiligen Vaters wenigstens am Fernsehen mitzuerleben. Der Papstbesuch im Nachbarlande beeindruckte nicht nur die Gläubigen, sondern auch die Atheisten sehr, da sie die Möglichkeit hatten, nicht nur den Papst sprechen zu hören, sondern auch sehen konnten, wie eine kommunistische Staatsregierung, dazu Millionen Menschen, das Oberhaupt der katholischen Kirche empfingen. Die Presse der Hauptstadt Litauens erwähnte den Papstbesuch in Polen lediglich in einer Kurzmeldung von wenigen Zeilen.
Am 16. Juni 1978 fand in der Stadt Kaišiadorys eine Konferenz der Stadt- und Rayonsekretäre der KP Litauens und ideologischer Propagandisten zum Thema »Weitere kommunistische Erziehung der Schaffenden« statt. Es wurde vorwiegend über zivile Familienbräuche und neue Traditionen gesprochen, die religiöse Sitten und Bräuche ablösen sollen. Reden und Diskussionsbeiträge wurden 1979 in einer von P. Mišutis redigierten Broschüre Medžiga (Materialien) vom »Min-tis«-Verlag in Vilnius herausgebracht. Die Publikation ist für den internen Gebrauch der Ideologieaktivisten bestimmt, wird öffentlich nicht vertrieben und ist in der geringen Auflage von nur 400 Exemplaren erschienen.
Die Broschüre enthält natürlich nicht das gesamte Material der Konferenz, doch selbst diese Auswahl ist sorgfältig gesichtet. Trotzdem ergibt sich ein Bild dessen, was das ZK zur Zeit beschäftigt und die Propagandadirektiven bestimmt hat. Zum Thema »Ziviles Brauchtum« erklärte der stellvertretende Vorsitzende des Ministerrats, A. Česnavičius: ». . . deren weitere Verbreitung soll dazu beitragen, den Einfluß von Kirche und Religion auf den Menschen zu vermindern und die Formierung einer materialistischen Weltanschauung positiv zu fördern« (S. 3). P. Mišutis zeigt sich besorgt darüber, daß in Litauen immer noch Namenstage gefeiert werden und fragt: »Lohnt es sich, diese Tradition beizubehalten?« Er schlägt statt dessen vor: »Genügt da nicht der Geburtstag, wo der Anlaß zum Feiern klar zutage tritt?« (S. 41). Er möchte die Tradition der Namenstage unter dem Vorwand »unklarer Motivation« ausrotten. Doch hatte er noch kurz vorher ganz offen gesagt: ». . . Namenstage hatten stets eine religiöse Färbung und am ausgiebigsten wurde dabei einzelner >Heiliger< und >Schutzpatrone< gedacht. Auch heute beziehen sich die Namenstage meist auf Namen wie Antanas, Petras, Povilas, Juozapas, Kazimieras« (Anton, Peter, Paul, Josef, Casimir — S. 41). Die Parteisekretärin des Stadtkomitees Panevėžys, Frl. T. Bitinaitė, sah sich veranlaßt, »auf eine Tatsache hinzuweisen, die einem keine Ruhe läßt; man weiß aus der Praxis, daß zivile Zeremonien meist zweimal vollzogen werden. Bei den Jugendlichen werden kirchliche Trauungen zur >ungesunden Mode<. Als besonders >schick< und Zeichen der Exklusivität gelten abendliche Trauungen in irgend welchen Kirchen am >Haff von Kaunas< (Stausee oberhalb der Stadt — Übs.). Religiöse Dienstleistungen werden auch von Nichtgläubigen in Anspruch genommen, die damit einer nationalen Sitte zu entsprechen vermeinen« (S. 44). T. Bitinaitė betont weiter: »Es ist besorgniserregend, daß sich eine wachsende Zahl von Menschen immer mehr für religiöse Reliquien begeistert, diese sammelt, die Wohnungen damit dekoriert und meint, es handele sich um nationale Werte. Alte Friedhöfe sind bereits abgegrast, selbst Kirchen versucht man auszurauben. Man sollte sich ernsthafter mit diesen Kollektionären befassen. Vielleicht würde dann auch die Zahl der Jugendlichen zurückgehen, die mit Halskreuzchen auf den Standesämtern erscheinen« (S. 45).
Alle Dekane des Bistums Telšiai waren für den 17. April 1979 ins Rayon-Exekutivkomitee Telšiai zu einer Aussprache mit dem Bevollmächtigten des Rates für religiöse Angelegenheiten eingeladen. Behördlicherseits nahmen teil: Der Bevollmächtigte, P. Anilionis, selbst, sein Stellvertreter für Angelegenheiten der Katholiken, Juozėnas, der stellvertretende Vorsitzende des Exekutivkomitees Telšiai, Jankus, und dessen Vertreter in Religionsfragen, Upermanas (von einem solchen Vertreter war bisher nichts bekannt).
Vor Beginn der »Aussprache« kam es zu einem kleinen Zwischenfall wegen einer 15köpfigen Gläubigendelegation aus Klaipėda, die auf die Ankunft des Bevollmächtigten wartete. Ihnen hatte man vorgelogen, der Bevollmächtigte sei immer noch nicht eingetroffen. Der Verwalter des Bistums Telšiai erinnerte den Bevollmächtigten vor Beginn der Sitzung daran, daß Menschen auf ihn warteten und schlug vor, er möge ihnen ein paar Worte sagen. Doch der Bevollmächtigte befahl dem Kanzler des Bistums, dem greisen Kanonikus Beinorius, der Delegation mitzuteilen, daß wegen Zeitmangel niemand mit ihnen sprechen werde, sie möchten ihr Anliegen schriftlich unterbreiten. Einige Dekane bekundeten ihren Unwillen über ein solches Benehmen des Vertreters einer Volksregierung gegenüber Vertretern des schaffenden Volkes. Die Menschen, die in der Nachtschicht gearbeitet, kleine Kinder zu Hause gelassen und kaum etwas gegessen hatten, ließ man bis 17 Uhr warten (sie konnten nirgends hingehen, weil zu befürchten war, der Bevollmächtigte könnte evtl. entweichen, d. h. wieder abreisen). Um fünf Uhr nachmittags sagte ihnen der Bevollmächtigte schließlich, er könne ihnen nicht helfen, denn ihre Sache werde vom Ministerrat behandelt. Dies hätte er der Delegation auch schon früher sagen, bzw. schriftlich mitteilen können. Warum heißt es eigentlich, daß ein Mensch nur vor der Tür eines Herrn warten muß, wie ein Hund? — Wie man sieht, ist dies bei sowjetischen Beamten nicht anders. Als Teilnehmer des Treffens mit den Dekanen war auch Pfarrer J. Kauneckas, als Mitglied des Katholischen Komitees zur Verteidigung der Rechte der Gläubigen, erschienen. Nachdem alle den Konferenzsaal betreten und an einer Kaffeetafel Platz genommen hatten, befahl der Bevollmächtigte dem Bistumsverwalter, den Pfarrer Kauneckas hinauszubefehlen. In großer Verlegenheit flüsterte der Verwalter Pfarrer Kauneckas irgend etwas ins Ohr, doch dieser blieb sitzen. Daraufhin erhob sich der Bevollmächtigte und verlangte, daß Pfarrer Kauneckas den Raum verlasse . . .
Der Bevollmächtigte des Rates für religiöse Angelegenheiten, P. Anilionis, hat schriftlich auf die Eingaben der Geistlichen geantwortet (siehe »Chronik der Litauischen Katholischen Kirche«, Nr. 38).
Antwort an die Geistlichen des Erzbistums Kaunas:
Der Bevollmächtigte des Rates für religiöse Angelegenheiten der Litauischen SSR beim Ministerrat der UdSSR
23600 Vilnius, Leninpropsket 39, Tel. 22228 16. Mai 1979, Nr. 140
Pfarrer G. Gudanavičius Žagarė, Rayon Joniškis
Im Auftrag des Präsidiums des Obersten Sowjets der Litauischen SSR und in Beantwortung Ihrer Erklärung vom 25. Januar 1979 teilen wir mit, daß eine Änderung oder Außerkraftsetzung des Statuts für Religionsgemeinschaften nicht vorgesehen ist.
Bevollmächtigter des Rates P. Anilionis
Der Bevollmächtigte des Rates für religiöse Angelegenheiten, P. Anilionis, hatte zum 13. Juli 1979 die Ordinäre Litauens in sein Amt vorgeladen. Er schlug vor, zunächst das Andenken des verstorbenen Bischofs Labukas durch Erheben von den Plätzen zu ehren, was auch geschah.
Der Bevollmächtigte begrüßte Bischof L. Povilionis und teilte mit, daß ihm mit Wirkung vom 9. Juli 1979 gestattet sei, sein Amt auszuüben. Dann erklärte der Bevollmächtigte, daß Extremisten unter der Geistlichkeit ihr Wirken aktivieren und neue Ausfälle erwartet werden. »Es gibt nicht viele Extremisten, und die Mehrheit der Geistlichen ist loyal, ein Teil unentschlossen. Sie wissen nicht, wem sie sich anschließen sollen.
Die Extremisten geben Anweisung selbst an die Ordinare. Diese sollten größere Aktivität zeigen, um die in vielen Jahren errungene bischöfliche Autorität zu wahren.
Die Extremisten weigern sich formell, sowjetische Gesetze zu befolgen. Sie sind in zwei Gruppen organisiert: eine Helsinkigruppe und eine Fünfergruppe. Pfarrer Br. Laurinavičius hat den Platz des verstorbenen Pfarrers Garuckas eingenommen.
Die Fünfergruppe entstand in der zweiten Hälfte des Jahres 1978 und aktiviert ihre Tätigkeit ständig. Sie vertreten niemand, sind von niemandem gewählt aber aktiv tätig. Welchen Platz nehmen sie innerhalb der Geistlichkeit ein? Sie verfassen Schreiben, lügen und bringen keine Fakten. Sie wollen, daß Bischöfe und Verwalter ihnen Gehorsam leisten.
Petras Paulaitis schreibt:
Lieber Bruder, hier ein paar Worte für Dich aus der Hölle. Traue mich kaum, jemand offiziell mehr zu schreiben. Solche Briefe werden beschlagnahmt und verschwinden. Verspüre außerdem, daß auch die Empfänger meiner Briefe observiert und verfolgt werden. Und möchte doch nicht ganz isoliert, nicht gänzlich getrennt sein von dem Mutterland Heimat, seinen Töchtern und Kindern. Doch werden die Möglichkeiten einer Korrespondenz erheblich kleiner und geringer. Doch, solange das Herz noch in der Brust schlägt, will ich die Stellung unter keinen Umständen dem Feind überlassen. Die Sache wird dadurch erschwert, daß sich unsere Reihen lichten. Kaum gibt es Menschen auf die noch zutrifft:
Ich bin ganz Wirbel,
Ganz Feuer und Pflicht,
Ein glühender Funke
Vom himmlischen Licht!
Menschen werden alt und vergreisen. Übriggeblieben sind vor allem jene, die sich auch früher für nichts interessierten. Wir sind hier 12 Litauer, zusammen auf dem ganzen Hof noch 130 Mann. Das Lager der Politischen wird (unauffällig) aufgelöst — jede Woche werden kleine Gruppen nach Norden in die Lager um Perm abtransportiert. Für den Rest schafft man in Barasev 3—5 Platz, von wo man uns im Vorjahr abschob.
Leonas vermisse ich schon lange, auch Vincas und andere. Ob ihnen was Schlimmes zugestoßen ist? Das Regime wird verschärft. Und die kleinen Schritte der Verschärfung werden planmäßig und behutsam vorgenommen. Man bemüht sich, jeden von drinnen zu beeinflussen, so daß sich jeder vor jedem fürchten und meiden soll.
Im Jahre 1979 wird es zehn Jahre her sein, daß in Litauen die Bewegung »Freunde der Eucharistie« begann, in deren Reihen sich die besten Söhne und Töchter der katholischen Kirche Litauens zusammengefunden haben. Unter ihnen befinden sich Menschen verschiedenen Alters und verschiedener Berufe. Alle aber vereint die Liebe zu Gott und ihrem Heimatland. Sie sind entschlossen mit Hilfe der Eucharistie Christi ihr an Gottlosigkeit erstickendes Volk und seine Kirche wie-derzuerwecken.
Die Freunde der Eucharistie gedachten ihres Jubiläums am 7. Juli, am Ablaßfest der allerheiligsten Mutter Maria im Wallfahrtsort Žemaičiu Kalvarija, Freunde der Eucharistie aus allen Landesteilen Litauens waren in das berühmte Heiligtum des Zemaitenlandes gekommen, um Gott für seinen Segen in den letzten Jahren zu danken und sich für neue, zukünftige Aufgaben zu rüsten. Aus diesem Anlaß sprachen in der Kirche die Pfarrer Alfonsas Svarinskas und Sigitas Tamkevičius, während die heilige Messe vom gesamten Katholischen Komitee zur Verteidigung der Rechte der Gläubigen konzelebriert wurde. Die Einwohner Niederlitauens erklärten, schon lange habe man in diesem Wallfahrtsort nicht so viel Menschen und besonders junge Leute gesehen. Nach dem Hauptgottesdienst begingen alle Freunde der Eucharistie den Kreuzweg des Leidens Christi. Pfarrer J. Kauneckas hielt mehrere Predigten.
Katholisches Komitee zur Verteidigung der Rechte der Gläubigen 5. Mai 1979 Nr. 15
An die
Bischöfe und Bistumsverwalter Litauens
Lange haben wir, die Geistlichen Litauens, darauf gewartet, daß die Ordinarien Litauens zu aktuellen Fragen der katholischen Kirche Litauens Stellung nehmen. Daher waren wir auch ziemlich überrascht, als wir die erste öffentliche Verlautbarung zu Gesicht bekamen — das Schreiben an das Amt des Bevollmächtigten des Rates für religiöse Angelegenheiten vom 6. April 1979. Wir danken den Ordinarien Litauens für diese öffentliche Verlautbarung, fühlen uns aber gleichzeitig verpflichtet, unserer Sorge über viele der angeschnittenen und vergessenen Probleme Ausdruck zu verleihen.
Die Geistlichen Litauens sind sehr besorgt und bezweifeln, daß die liturgische Kommission es schaffen wird, einen brauchbaren und endgültigen litauischen Text des Meßbuchs zu erstellen. So wurde ja z. B. manche berechtigte Kritik an der Übersetzung des Neuen Testaments durch Pfarrer C. Kavaliauskas laut. Wären nicht stärkere Bemühungen am Platze, daß unsere liturgische Kommission mit Spezialisten entsprechender Fachgebiete unter den litauischen Geistlichen der Emigration Kontakt aufnimmt, um zu übernehmen, was dort bereits geschaffen wurde, statt alles nochmal von vorn zu beginnen?
An den
ZK-Sekretär der KP Litauens P. Griškevičius
Erklärung
In unserer ersten Eingabe an den Sekretär der ZK der KP Litauens, P. Griškevičius, hatten wir betont, daß wir, falls der uns zugefügte materielle Schaden nicht rechtzeitig ersetzt wird, das Kreuz selber wieder errichten werden. Das Schweigen des Rayon-Exekutivkomitees Panemunė haben wir als Zustimmung angesehen. Nach einer Wartezeit von vier Monaten hat die Gemeinde das Kreuz wiedererrichtet. Doch konnte man sich nicht lange des schönen Anblicks erfreuen. Seit Errichtung des Kreuzes waren kaum vier Tage vergangen, als wir am 15. Mai im Kirchhofsgelände eine ausgehobene Grube vorfanden, wie zur Bestattung eines Verstorbenen. Zufällig erfuhren wir, daß die Gruft nicht zur Beisetzung eines Menschen, sondern für das Kreuz unserer Gemeinde bestimmt war, das wir daher nach dem Gottesdienst bewachten. Beim Rosenkranzbeten gegen 23.30 Uhr erschienen plötzlich zwei Lastkraftwagen, einer besetzt mit sechs Arbeitern, die Spaten bei sich trugen. Da man das Kreuz bewacht vorfand, wurde uns befohlen, auseinanderzugehen und den Jugendlichen Unannehmlichkeiten angedroht. Die jungen Leute ließen sich nicht einschüchtern, sondern wollten erfahren, warum und mit wessen Genehmigung man nachts Kreuze stehlen geht. Ein in der Fahrerkabine hockender Typ erklärte, alles sei mit dem Gemeindepfarrer R. Liukis abgesprochen. Die Jugendlichen antworteten, der Pfarrer habe kein Recht, den Atheisten bei der Kreuzzerstörung zu helfen, denn er sei auch an seiner Errichtung nicht beteiligt gewesen. Als klargeworden war, daß die Bewacher nicht weichen würden, fuhr das Rollkommando ab und drohte mit einer größeren Zahl von Beamten wiederzukommen. Nach dem Verschwinden der Störenfriede beteten die Jugendlichen weiter den Rosenkranz, während in der Umgebung Milizautos herumsausten. Schließlich kam das Auto LLZ 10-07, ein Mann stieg aus und fragte: »Sind nicht mehr von unseren da?« Wir antworteten: »Falls nötig, kommen auch mehr«, worauf er wegfuhr.
Die »Chronik der Litauischen Katholischen Kirche« berichtete in Nr. 37, daß das KGB gegen den Gemeindepfarrer von Kybartai, Sigitas Tamkevičius, eine Gerichtsverhandlung im Zusammenhang mit dem Verkehrsunfall vom 1. Juni 1978 vorbereitet.
Am 31. Januar 1979 wandte sich Pfarrer S. Tamkevičius an das Komitee für Staatssicherheit der Litauischen SSR (KGB) und protestierte gegen den Mißbrauch dieses Amtes zwecks Abrechnung mit einem Geistlichen (Chronik der LKK Nr. 37).
Am 6. Februar erhob die Staatsanwaltschaft Varėna aufgrund der Anzeige des Aleksandras Razvinavičius Anklage wegen des Autounfalls. Die Anzeige des Raz-vinavičius erfolgte auf Veranlassung von KGB-Agenten.
Am 13. Februar erging durch den Chef des Sekretariats des KGB A. Grakauskas folgende Antwort an Pfarrer S. Tamkevičius:
»In Beantwortung Ihres Schreibens vom 31. Januar 1979 teilen wir mit, daß Ermittlungen im Zusammenhang mit Autounfällen nicht in die Kompetenz der Staatlichen Sicherheitsorgane fällt.«
Am 19. Februar wird Pfarrer S. Tamkevičius zur Vernehmung von der Miliz in Varėna vorgeladen.
Am 21. Mai gestatten die Vernehmungsbehörden Pfarrer Tamkevičius Einsicht in die Akten, in denen Aleksandras Razvinavičius als Kläger erscheint.
Verhandlungstermin vor dem Volksgericht Varėna war am 28. Juni festgesetzt. An der Verhandlung nahmen rund 80 meist jugendliche Gläubige als Zuschauer teil. Nachdem sich alle versammelt hatten, teilte der Richter mit, der Kläger Razvinavičius sei erkrankt und die Verhandlung werde vertagt. Kein Mensch zweifelt daran, daß dies ein Betrug ist. Höchstwahrscheinlich wollte das KGB nicht, daß der Verhandlung so viele Zuschauer beiwohnen.
Nach Verlassen des Saales, noch vor dem Gerichtsgebäude (im selben Haus befinden sich auch die Amtsräume der Miliz und der Geheimpolizei), überreichten die Jugendlichen dem vom Geheimdienst verfolgten Geistlichen als Zeichen des Beileids und der Solidarität ein Blumengebinde. Bei der Übergabe stimmte irgendwer das traditionelle Marienlied »Marija, Marija« an.
Der Gemeindepfarrer von Kirdeikiai, P. Kražauskas, richtete unter dem 30. Mai 1979 einen Bericht an den Apostolischen Administrator des Bistums Kaišiadorys, Exzellenz Bischof V. Sladkevičius. Das von 267 Gläubigen der Gemeinde gegengezeichnete Schreiben betrifft eine besonders grobschlächtige Einmischung des atheistischen Staates in innere Angelegenheiten der Gemeinde.
In dem Bericht heißt es:
Unter Leitung des stellvertretenden Vorsitzenden des Rayon-Exekutivkomitees Untena, J. Labanauskas, und dem Ortsvorsitzenden von Saldutiškis, A. Šapranauskas, wurde am 13. Mai 1979 ein neues Exekutivkomitee der Gemeinde Kirdeikiai gewählt, und zwar wie folgt:
Am 6. Mai 1979 brachte der Ortsvorsitzende A. Šapranauskas an der Kirchentür einen Anschlag folgenden Inhalts an: Zur Kenntnisnahme der Gläubigen der Gemeinde Kirdeikiai! Am 13. Mai d. J., gleich nach dem Gottesdienst, findet um 14.15 Uhr im Saal der Mittelschule eine Versammlung der Gläubigengemeinschaft statt. Tagesordnung: Wahl eines neuen Kirchenkomitees.
Gezeichnet von
A. Šapranauskas, Vorsitzender des Rates der
Volksdeputierten
des Kreises Saldutiškis
An die Redaktion der Zeitung Bangos Erklärung
des Vikars der Gemeinde Gargždai, Pfarrer Antanas Šeškevičius, wohnhaft in Gargždai, Tilto gatve 1—2
Die von Ihnen redigierte Zeitung »Bangos«, Organ des Rayonkomitees Klaipėda der KP Litauens und Rayonrates der Volksdeputierten, brachte am 31. März d. J. einen Artikel von V. Savičius unter der Überschrift Kas drumsčia vandeni (»Wer das Wasser trübt«) zum Abdruck. Darin werde ich in jeder erdenklichen Art und Weise beschimpft, verleumdet und angeschwärzt. Daher bitte ich, mir zu gestatten, dagegen zu protestieren und einige Bemerkungen zu machen. Bereits vor zweitausend Jahren verteidigten die alten Römer die Ehre eines Menschen, indem sie sagten: »Man höre auch die andere Seite an.« Jeder Angeklagte hatte das Recht, sich zu verteidigen und seine eigene Meinung kundzutun. Seit jener Zeit ist das Kulturniveau der Menschheit erheblich gestiegen, und ich meine, daß auch die sowjetische Presse des 20. Jh. kulturell hoch genug steht, einem verleumdeten Geistlichen zu ermöglichen, öffentlich seine Meinung zu sagen. Unter dieser, möglicherweise illusionären Voraussetzung will ich versuchen, die Vorwürfe von V. Savičius zu beantworten:
Erster Vorfall — mit dem Patienten Karnauskas
V. Savičius wirft mir vor, ich sei eigenmächtig in das Krankenhaus eingedrungen und habe dem dort hospitalisierten J. Karnauskas deprimierende Worte gesagt. Ich erkläre dazu: Das ist unwahr, die Sache war ganz anders:
Krankenhausbesuche mache ich erst, wenn Anverwandte des Kranken mich dazu auffordern und Absprachen mit der Hospitalverwaltung getroffen haben. Seit fast vier Jahren mache ich solche Krankenhausbesuche, Konflikte gab es nie, denn die Verwaltung hat alles in kulturbewußter Weise geregelt. Bitte, dies zu überprüfen.
Vilnius
Neuerdings versucht die Regierung, die Legitimität ihrer Unterdrückungsmaßnahmen religiöser und politischer Rechte in Litauen, mit Hilfe verschiedener soziologischer »Untersuchungen« zu beweisen.
Anfang 1978 wurden in verschiedenen Behörden des Landes Fragebogen verteilt, in denen die Mitarbeiter eine Reihe von Fragen bezüglich ihrer Haltung zur Religion beantworten mußten. Unter den Fragen waren auch die folgenden: Was ist Ihre Einstellung zur Religion? Gehen Sie zur Kirche, um dort zu beten? Feiern Sie religiöse Feiertage? Wie bewerten Sie die Religion? Zu diesen Fragen sind alternative Antwortmöglichkeiten gleich vorgesehen. So hat der Befragte bei der Frage: Wie bewerten Sie die Religion? die Auswahl zwischen —
1. Religion ist schädlich,
2. Religion widerspricht der Wissenschaft,
3. Religion bringt keinen Nutzen, schadet aber auch nicht,
4. Religion beruhigt den Menschen,
5. weiß nicht,
wobei die antireligiöse Tendenz ziemlich deutlich wird.
Am 28. Juni 1979 brachte das Parteiorgan Tiesa einen Bericht eines Korrespondenten Vyt. Žeimantas unter der Überschrift Šmeižtai iš sakyklos (»Verleumdungen von der Kanzel«). Darin attackiert der Verfasser den Gemeindepfarrer von Viduklė, A. Svarinskas. Die Gläubigen von Viduklė richteten darauf ein Protestschreiben an den Ersten Sekretär der KP Litauens, P. Griškevičius. Es unterschrieben über 1000 Menschen.
Die Gläubigen richteten auch einen Brief an den Verfasser des Berichtes, Vyt. Žei-mantas, selbst, doch bekamen sie keine Antwort. Statt dessen erschien am 28. März 1979 der Untersuchungsbeamte des Geheimdienstes, Major Matulevičius.im Invalidenheim Blinstrubiškis und vernahm die Patientin Frl. Stase Navardauskai-tė, die es gewagt hatte, den Geistlichen zu verteidigen.
Der Major erklärte, die Vernehmung werde ohne Zeugen stattfinden, worauf sich die stellvertretende Direktorin, Danute Lipeikaitė, entfernte. Daraufhin schloß Major Matulevičius das Zimmer ab, zog einen Packen Papier hervor und erklärte:
— »Wollen wir anfangen . . .«
Nach einer Reihe unwichtiger Fragen kam er dann zum Thema:
»Was können Sie über den Gemeindepfarrer von Viduklė, A. Svarinskas,
sagen?«
Kaunas
Auf der Milizwache Panemunė der Stadt Kaunas wurde dem Bürger Liūdas Si-mutis am 29. Mai 1979 mitgeteilt, daß er Litauen innerhalb von 24 Stunden zu verlassen habe.
Nach 22jähriger Gulaghaft wegen Teilnahme am aktiven Widerstand gegen die Okkupanten, war Liūdas Simutis nach Litauen zurückgekehrt und hatte eine Familie gegründet. Leider — ein Litauer hat kein Recht in seiner Heimat zu leben. Seine Stelle soll ein fremdstämmiger Okkupant einnehmen. Simutis weigerte sich, Litauen zu verlassen. Die Miliz schweigt bisher.
Vilkaviškis
In seiner Rede vom 12. Juli 1979 in der Nähfabrik Vilkaviškis erklärte der Parteisekretär des Rayons, Tėvelis, im Rayon würden da und dort Kreuze errichtet. Das sei zwar gesetzlich nicht verboten, doch müsse man sie entfernen, wenn sie an »unzulässigen Stellen« errichtet würden. So geschah es auch in unserem Rayon — ein Kreuz war auf dem Grab eines »Banditen« errichtet worden (reine Erfindung — Red.) und mußte als Denkmal eines Feindes weggeschafft werden. Ein weiteres Kreuz war auf einer früher einmal errichteten Anhöhe zwischen den Städten Vilkaviškis und Kapsukas errichtet. Diese Anhöhe bezeichnete Parteisekretär Tėvelis als »Geschichtsdenkmal«, an dem jede Art von Grabungen verboten ist, das Kreuz habe man daher niederreißen müssen.
Beide Kreuze wurden auf Anordnung des stellvertretenden Rayonvorsitzenden von Vilkaviškis, Urbonas, entfernt. Es handelt sich um Weiterführung des alten Plans der Partei zur Zerstörung des christlichen Antlitzes der Nation.
Pasvalys
In der Mittelschule wurde am 29. Januar 1979 eine Atheismuswoche eröffnet. Es gab eine Ausstellung von Schülerbildern atheistischer Thematik. Die Schüler nahmen an den Veranstaltungen nur widerwillig teil. Bilder von Schülern der Oberklassen waren selten, die meisten (rund 40) Arbeiten stammten von Schülern der 5.—6. Klasse, die solche Bilder während des Unterrichts malen mußten. Die Lehrerin Frau Slančiauskienė ging von Klasse zu Klasse, um die Malarbeiten zu beschleunigen.
In der Nacht vom 1. zum 2. Februar verschwanden plötzlich alle Bilder und atheistischen Wandzeitungen. Statt dessen hing am Schwarzen Brett ein Plakat mit Auszügen aus der Verfassung der Sozialistischen Sowjetrepublik Litauen (Artikel 50): »Den Bürgern der SSR Litauen wird Gewissensfreiheit garantiert, d. h. das Recht, jede Religion zu bekennen oder auch keine, religiöse Kulte auszuüben oder atheistische Propaganda zu betreiben. Unruhe und Haß im Zusammenhang mit religiösem Glauben zu schüren, ist verboten. In der Litauischen SSR ist die Kirche vom Staat und die Schule von der Kirche getrennt.«
Um den »Diebstahl« eiligst zu vertuschen, arrangierten die Lehrer am frühen Morgen schnell eine Ersatzausstellung. Am 3. Februar abends fand eine Ver-
Sammlung von Schülern und Studenten statt, die von rund 300 Menschen besucht war. Leere Stellen fand man mit Aufrufen beklebt oder mit (verbotenen) litauischen Nationalflaggen dekoriert. Unter den Aufrufen waren auch solche wie »Weg mit den russischen Okkupanten«, »Freiheit für Litauen« und Kurzgedichte wie dies:
Raudona, žalia ir geltona Gelb, Grün und Rot sind unsre Farben
Tai mūsų trispalvė vėliava In Litauens Dreifarbenband
Kovokime už laisve broliai Laßt Brüder uns für Freiheit kämpfen
Ir vėl laisva bus Lietuva. Daß wieder frei sei unser Land.*
Weißrußland
Gervėčiai
Hier verstarb im September 1978 der Gemeindepfarrer Stanislav Chodygo. Selbst polnischer Nationalität, ehrte er seine litauischen Pfarrkinder und verlas während des Gottesdienstes das Evangelium auch in litauischer Sprache. Die Einwohner von Gervėčiai, Rimdžiūnai, Giriai und anderer litauischer Dörfer bemühten sich, einen Geistlichen aus Litauen als Nachfolger zu bekommen. Es kam auch der Pfarrer Petravičius, doch bald stellte sich heraus, daß die Kreisbehörde sich weigerte, ihn zu registrieren.
Zum Ende des Jahres 1978 verstarb auch der Gemeindepfarrer von Rodunė. So blieb nicht nur die Gemeinde von Rodunė, sondern auch die litauische Sprachinsel Pelesa ohne Geistlichen. Im Alter von 85 Jahren starb Anfang 1979 auch der Gemeindepfarrer von Barunai, Kozlovskis, der ebenfalls mehrere Gemeinden bediente. So sterben in Belorußland die letzten Geistlichen dahin.
Novy Dvor
Der Pfarrer von Novy Dvor und Vosyliškės, Antonij Chanko, wurde am 23. April 1979 durch Rayonbehörden verwarnt, weil Kinder bei der Messe ministrier-ten. Einige Wochen später wurden Pfarrer A. Chanko und der Vorsitzende des Kirchenkomitees zu je 20 Rubel Geldstrafe verurteilt, weil Kinder an der Oster-prozession teilgenommen hatten.
Exekutivkomitee des Volksdeputiertenrats Marijampolė
16. August 1951 Nr. 332-p
An das Exekutivkomitee des
Katholischen Gemeindekomitees Liudvinavas
Wegen Ihrer Erklärung betr. Genehmigung eines Gottesdienstes am 26. August 1951 und Prozession um das Kirchengebäude, teile ich im Auftrag des Vorsitzenden des Exekutivkomitees mit, daß die Anreise eines auswärtigen Geistlichen nicht zugelassen wird.
Die Prozession ist ebenfalls nicht genehmigt, weil der Kirchenvorhof nicht voll abgeschlossen ist.
gez. Andriušaitis