An den

ZK-Sekretär der KP Litauens P. Griškevičius

Erklärung

In unserer ersten Eingabe an den Sekretär der ZK der KP Litauens, P. Griškeviči­us, hatten wir betont, daß wir, falls der uns zugefügte materielle Schaden nicht rechtzeitig ersetzt wird, das Kreuz selber wieder errichten werden. Das Schweigen des Rayon-Exekutivkomitees Panemunė haben wir als Zustimmung angesehen. Nach einer Wartezeit von vier Monaten hat die Gemeinde das Kreuz wiedererrich­tet. Doch konnte man sich nicht lange des schönen Anblicks erfreuen. Seit Errichtung des Kreuzes waren kaum vier Tage vergangen, als wir am 15. Mai im Kirchhofsgelände eine ausgehobene Grube vorfanden, wie zur Bestattung ei­nes Verstorbenen. Zufällig erfuhren wir, daß die Gruft nicht zur Beisetzung eines Menschen, sondern für das Kreuz unserer Gemeinde bestimmt war, das wir daher nach dem Gottesdienst bewachten. Beim Rosenkranzbeten gegen 23.30 Uhr er­schienen plötzlich zwei Lastkraftwagen, einer besetzt mit sechs Arbeitern, die Spaten bei sich trugen. Da man das Kreuz bewacht vorfand, wurde uns befohlen, auseinanderzugehen und den Jugendlichen Unannehmlichkeiten angedroht. Die jungen Leute ließen sich nicht einschüchtern, sondern wollten erfahren, warum und mit wessen Genehmigung man nachts Kreuze stehlen geht. Ein in der Fahrer­kabine hockender Typ erklärte, alles sei mit dem Gemeindepfarrer R. Liukis ab­gesprochen. Die Jugendlichen antworteten, der Pfarrer habe kein Recht, den Atheisten bei der Kreuzzerstörung zu helfen, denn er sei auch an seiner Errichtung nicht beteiligt gewesen. Als klargeworden war, daß die Bewacher nicht weichen würden, fuhr das Rollkommando ab und drohte mit einer größeren Zahl von Be­amten wiederzukommen. Nach dem Verschwinden der Störenfriede beteten die Jugendlichen weiter den Rosenkranz, während in der Umgebung Milizautos her­umsausten. Schließlich kam das Auto LLZ 10-07, ein Mann stieg aus und fragte: »Sind nicht mehr von unseren da?« Wir antworteten: »Falls nötig, kommen auch mehr«, worauf er wegfuhr.

Gegen 1.30 Uhr morgens kamen wieder die beiden Lastkraftwagen in Begleitung von drei Zehnplätzern der Automarke UAZ voll Milizbeamten und einige PKW, denen Geheimdienstbeamte entstiegen: der VRS-Rayonchef Panemunė, Sama­jauskas, sein Stellvertreter Vanagas, der Leiter des Trusts Petrašiūnai für Straßen-und Brückenwesen, Svedaravičius, der stellvertretende Leiter der Abteilung Ex­ploitation, Baublys, und Arbeitseinsatzleiter Rasiukevičius. Dahinter marschierte ein Trupp betrunkener Arbeiter mit Spaten. Alle Bewacher stellten sich vor dem Kreuz auf und erklärten, sie würden den Abbruch nicht zulassen, wehrten sich aktiv und nannten die Kreuzvernichtung einen unhumanen Akt. Sie ver­langten nach schriftlicher Weisung, fragten, warum man dies dunkle Geschäft in schwarzer Nacht vollziehe, als handele es sich um einen Raubüberfall von Row-dies. Svedaravičius wurde daran erinnert, daß er sich bereits einmal als Schuft be­nommen habe, als er das Kreuz abbrach und dies nun im Dunkel der Nacht zu wiederholen gedenke. Er rechtfertigte sich mit entsprechenden Befehlen des Exe­kutivkomitees, was die jungen Gemeindemitglieder als Ausrede zurückwiesen. Sie machten die Angreifer persönlich verantwortlich als Zerstörer des kulturellen und moralischen Lebens ihres Volkes, und erklärten, sie würden nicht zulassen, daß Besoffene das Kreuz antasteten. Die Angreifer warfen mit unzensierten Flüchen um sich und stießen wilde Drohungen aus. Die Streiterei dauerte fast eine halbe Stunde. Während der ganzen Zeit saß eine weinende alte Frau am Stamm des Kreuzes. Nachdem klargeworden war, daß die Gemeindemitglieder von dem Kreuz nicht weichen würden, erging der Befehl zum Einsatz der Miliz. Als die »Ordnungshüter« auf das Kreuz zumarschierten, stellten wir fest, daß auch sie be­soffen waren. Sofort wurde physische Gewalt angewandt, Kinder brutal beiseite gestoßen, Mädchen an den Haaren geschleift, anderen die Arme ausgedreht. Noch Wochen nach dieser Nacht der Gewalt hatten die Kinder blaue Flecken von den erduldeten Mißhandlungen. Die Leute wurden ergriffen und mit Gewalt in die Milizautos geschleppt. Frau Eugenije Mikulevičiene wurde von den Milizbe­amten am Boden geschleift, getreten und mit Fäusten geschlagen. Frauen und Kinder schrien vor Angst. Zwei Jugendliche wurden festgenommen, die anderen, überzeugt daß sie gegen die Übermacht nichts ausrichten würden, zogen sich zu­rück, verfolgt von fluchenden Milizionären. Etwa 30 Menschen verteidigten ihr Kreuz, die Zahl der Geheimdienstler und Milizionäre war etwa dreimal größer. An dem Überfall waren außer der Miliz von Panemunė, Beamte des Stadtrayons Požėla und Lenin von Kaunas beteiligt, selbst ein Aufgebot der Rayonmiliz von Kaunas war in zwei Autos erschienen. Hinter der Straßenkreuzung der Eisen­bahnstation Amaliai warteten Milizkursanten; die Eisenbahnstrecke zwischen Amaliai und der Abzweigung nach Palemonas war während des Überfalls ge­sperrt.

Die Arbeiter, unter Leitung des Meisters Drasiukevičius von der Straßen- und Brücken-Explotationsabteilung, weigerten sich, das Kreuz auszugraben. So muß­ten sich der Chef Svedaravičius selbst, seine Begleiter Baublys und Rasiukevičius mit einigen Geheimdienstlern an die Arbeit machen. Svedaravičius drohte den Ar­beitsverweigerern mit Entlassung und hat die Drohung auch zum Teil wahrge­macht. Die Arbeiter Kulikauskas und Rasimavičius wurden schriftlich verwarnt, ihre Prämien um 30% vermindert.

Die Kreuzvernichter fanden das Kirchhofstor offen und setzten das Kreuz in die geheimnisvolle Gruft.

Die Mutter des verhafteten Ricardas Petrauskas wandte sich wiederholt an die Geheimpolizei. Am selben Abend wollte man die Verabschiedung ihres Sohnes zum Militärdienst feiern, Freunde und Verwandte warteten jedoch vergebens, Ri­cardas blieb verschwunden. Unter der Anschuldigung des »Chuliganismus« wur­de er zu zehn Tagen Haft verurteilt.

Die körperbehinderte Mutter des verhafteten Antanas Žilinskas erkundigte sich telefonisch nach dem Verbleib ihres Sohnes. Wie zum Hohn wurde ihr mitgeteilt, ihr Sohn werde zusammen »mit seiner Frau« zurückkehren. Zwei Tage nach der Verhaftung erschien ein Milizionär bei Frau Janina Žilinskienė und kassierte 10 Rubel, ohne anzugeben, warum ihr Sohn festgehalten wurde. Nach Frau Eugenija Mikulevičiene konnte sich niemand erkundigen — der Mann war auf Dienstreise, die Kinder von 7 und 15 Jahren mit der altersschwachen Großmutter nicht aktionsfähig. Ein Milizionär kam, um die Kinder zu trösten und befahl ihnen, ihre Mama zu besuchen. Auf der Wache ließ man sie aber nicht vor und drohte, die Kinder ebenfalls einzusperren.

Am 18. Mai wurde Frau Angele Grebliauskienė wegen Protests gegen die erste Kreuzzerstörung ins Exekutivkomitee Panemunė vorgeladen. Sie wurde gefragt, ob sie auch an der Verteidigungsaktion des zweiten Kreuzes teilgenommen habe. Als sie bejahte, erging die Drohung: »Deine Kinder sind jetzt abgestempelt . . .« Man erklärte ihr, auf Errichtung von Wegkreuzen stehe ein Jahr Gefängnis. We­gen der verhafteten jungen Leute erging die Auskunft: Ricardas Petrauskas hätte seinen Militärdienst »in der Nähe« ableisten können, werde jetzt aber an die chi­nesische Grenze entsandt. Antanas Žilinskas könnte dem Politechnikum Kaunas »sogleich Lebewohl sagen« (er stand kurz vor der Diplomverleihung). Diskrimination und Terrorisierung der unverschuldet des nachts Überfallenen Menschen nehmen kein Ende. Die Schwester von Ričardas Petrauskas, Schülerin der 25. Mittelschule, wurde von der Klassenlehrerin Frau Bandoravičienė ver­nommen und anschließend vom Schulinspektor vorgeladen. Die Mutter von Ri­cardas mußte sich bei den Schulleitungen ihrer Kinder melden, wo man von ihr verlangte, ihre Kinder »umzuerziehen«.

Die Miliz meldete sich wiederholt im Hause der Familie Grėbliauskas und suchte nach dem Hausherrn. Als man einmal nur die Kinder vorfand, wurden diese ein­geschüchtert und der 15jährigen Tochter mit 10 Rubel Strafe gedroht, weil sie sich weigerte, russisch zu sprechen. Es ist sehr bedauerlich, daß unsere verhafteten Freunde des »Chuliganismus« beschuldigt werden, nur, weil sie in dunkler Nacht ein überfallenes Kreuz verteidigt haben.

Gläubige von Petrašiūnai

N. B. Grėbliauskas erhielt 12 Tage Arrest, Antanas Žilinskas durfte sein Diplom nicht verteidigen. Er wurde von der Miliz besonders rabiat getreten und mit Faustschlägen traktiert. Das ausgegrabene Kreuz wurde im Kirchhof Petrašiūnai aufgestellt.