CHRONIK DER LITAUISCHEN KATHOLISCHEN KIRCHE Nr. 79 

Diese Nummer ist dem Mitglied des Komitees der Katholiken zur Verteidigung der Rechte der Gläubigen, Priester Alfonsas Svarinskas, gewidmet, der 21,5 Jahre für Gott und seine Heimat in sowjetischen Lagern verbracht hatte und der am 22. August dieses Jahres seine Heimat unfreiwillig verlassen mußte.

Rede des Kardinals V. Sladkevičius bei einer Tagung der Priester

Wir bedanken uns für die Hingabe

Priester Alfonsas Svarinskas nimmt Abschied

Es gibt keine Freiheit ohne Gewissensfreiheit (Ein Aufruf an die Bewegung zur Umgestaltung)

Erklärungen und Proteste

Unsere Gefangenen

Nachrichten aus den Diözesen

In den sowjetischen Republiken

In den Jahren 1952 bis 1957 durfte ich in dieser bescheidenen Kirche des Priesterseminars öfters reden. Ich durfte hier Betrachtungen vorlesen und Konferenzen abhalten. In dieser langen Zeit hat sich vieles geändert. Wir wissen aber, daß Veränderungen unterschiedlicher Art sein können, denn es gibt erfreuliche und traurige. Auch in dieser langen Zeit waren nicht alle Veränderungen erfreulich. Es ist schwer, sie alle aufzuzählen...

Heute, da wir uns aus Anlaß des Marianischen Jubiläumsjahres zu einer Festtagung hier versammelt haben und da wir uns auch an die Fülle der Gaben Gottes erinnern, die uns durch die Seligsprechung des Erzbischofs Jurgis Matulaitis zuteil wurde, dessen Jahrestag seiner Seligsprechung wir vor kurzem in Marijampolė feierlich begehen durften, stellen wir in beson­derer Weise fest, daß die erfreulichsten Veränderungen in diesem maria­nischen Jahr begonnen haben. Wie damals am Hochzeitstag zu Kanaa in Galiäa dürfen wir sagen, daß das Beste für uns bis jetzt aufgehoben wurde.

Gerade im Jahr Mariens treten in unserem Volke die wundersamsten Ver­änderungen in Erscheinung, die den Namen Umgestaltung tragen. Eine besondere Aussagekraft dieser Umgestaltung hat unser Volk vor noch nicht langer Zeit im Wingio-Park erlebt, als nach so vielen Jahren unsere dreifar-bene Flagge wieder feierlich wehte...als die Fragen erörtert wurden, die das ganze Volk bewegen. Wie schade, daß wir heute unsere Nationalflagge hier nicht sehen. Ist denn das für uns eine fremde Sache?! Ist denn das eine Sache, die unseren Blicken unerträglich ist, oder haben wir verlernt uns darüber zu freuen, worüber heute unser ganzes Volk sich freut? Oder verträgt sich das vielleicht nicht mit dem Priestertum? Nicht ohne Grund machen jene, die die Freuden der Umgestaltung im Wingio-Park erlebt haben, uns Priestern Vorwürfe, warum wir uns bei der Sache so fremd, gefühllos verhalten, als wenn wir uns keine Umwandlungen, keine Verän­derungen wünschen würden, als wenn wir uns mit dieser traurigen Lage abgefunden hätten. Die Bewegung der Umgestaltung läßt mich nicht in Ruhe, Ihre Delegationen kommen zu mir, eine nach der anderen, und fra­gen mich, warum wir schweigen? Dieses unser Wort sei die Antwort darauf - wir schweigen bislang, weil wir uns Sorgen darüber machen, weil wir das ernst nehmen.

Am 12. Juli 1988 wurde Priester Alfonsas Svarinskas aus dem Lager mit strengem Regime zu Perm entlassen. Am 26. Januar 1983 war er festge­nommen, der antisowjetischen Agitation und Propaganda beschuldigt und gemäß §68 Teil 1 des StGB der LSSR zu 7 Jahren Lager mit strengem Regime und 3 Jahren Verbannung verurteilt worden. Nach fünfeinhalb Jah­ren, die er in verschiedenen Lagern mit strengem Regime in der Sowjet­union verbracht hatte, wurde Priester Alfonsas Svarinskas unter der Bedin­gung entlassen, daß er die Heimat verläßt und auf Einladung des Bischofs von Augsburg, J. Stimpfle, nach Westdeutschland emigriert.

Am Abend des 15. Juli 1988 traf Priester A. Svarinskas in Vilnius ein. Prie­ster A. Svarinskas, der schon dreimal verurteilt worden war, einundzwan-zigeinhalb Jahre seines Lebens in den verschiedensten Lagern des GULAGs verbracht und körperlich wie auch seelisch viel gelitten hatte, kehrte ungebrochen und voller Energie in die Heimat zurück, fest ent­schlossen, auch weiter zur Ehre Gottes und zum Wöhle seiner Heimat zu arbeiten. Litauen, das die ersten Versuche auf dem Weg der Erneuerung seines religiösen und nationalen Bewußtseins macht, empfing diesen Gei­stesriesen mit Verehrung und Begeisterung und nahm sein belehrendes Wort als geistiges Testament auf.

Was ließest du zurück dem blinden Schicksal von Tod und Gewalt

als du das Heimatland der Ahnen so plötzlich verlassen hast?

Die alten Burgruinen, die Siedlungen, den Weg des Morgensterns, -

damit sie dem Verirrten leuchten, wenn der Himmel finster wird,

wenn die Hoffnung und Wege sich verstricken.

 

Was nahmst du mit, als die Schmerzensrute hart die Erde traf,

und du das Gehöft der Heimat so plötzlich verlassen hast?

Das Blut der Ahnen, ihren Namen und in deinem Herzen Freiheitslicht, -

wie ein ew'ges Denkmal trag es auf deiner langen Reise,

wie einen großen Reichtum trag es im Herzen mit dir.

 

Wie ihre heiligen Spuren sind von Bedrängnis geprägt,

so sind auch deine Tage dem Kampf, den Entbehrungen geweiht.

Wenn das Schicksal deiner Heimat einen neuen Morgen schenkt, -

dauern sie fort, wie ein Testament aus unvergänglichem Granit,

für alle Tage, für dein Kind und Kindeskind.

(B. Brazdžionis)

 

»Meine Brüder und Schwestern in Christus, alles, was gut ist, vergeht sehr schnell. Noch vor einigen Tagen haben wir meinen Empfang gefeiert, heute heißt es für mich schon wieder Abschied nehmen. Ich danke herzlichst meinen Mitbrüdern im Priesteramt, meinen geliebten Pfarrangehörigen und allen, die sich heute in Viduklė versammelt haben, um mit mir zu beten und uns gegenseitig zu stärken, damit wir wieder auf dem Weg des Lebens weiterwandern können. Es ist ja Gottes Wille. Wir haben auf dieser Erde keine bleibende Stätte, sondern wir suchen nach der zukünftigen, und nach dieser zukünftigen Stätte suchen wir jeder auf seine Weise; allen gemeinsam ist nur das eine - daß wir gewissenhaft unsere Pflichten erfül­len und ein gesundes Empfinden besitzen, daß wir Christen, Katholiken und Litauer sind.

(Ein Aufruf an die Bewegung zur Umgestaltung)

Wir, die um die Umgestaltung der Gesellschaft besorgten Katholiken, wol­len die Aufmerksamkeit der Bewegung darauf lenken, daß die Demokrati­sierung solange unmöglich ist, solange die Rechte der gläubigen Bürger nicht den Rechten der anderen Bürger entsprechen und solange nicht alles Notwendige getan wird, um diese Gleichheit und eine allseitige Gewissens­freiheit garantieren zu können.

I. Gleichheit der Rechte

Sowohl die frühere stalinistische Verfassung der UdSSR (Art. 124), als auch die jetzt gültige von Breschnew (Art. 52) legen beide eine prinzipielle Ungleichheit zwischen Gläubigen und Ungläubigen fest: Sie garantieren den Ungläubigen das Recht, ihre Überzeugungen zu verbreiten - atheisti­sche Propaganda zu betreiben, den Gläubigen aber nur, religiöse Kulthand­lungen auszuüben, doch nicht ihre Anschauungen zu verbreiten. Die die Religion betreffende Gesetzgebung ist äußerst restriktiv, alle Massenme­dien aber sind verpflichtet, den Atheismus zu verbreiten. Sogar das Recht, an religiösen Kulthandlungen teilzunehmen, ist oft den Bürgern vieler Gesellschaftsschichten untersagt, was besonders die Intelligenz und die studierende und schulpflichtige Jugend betrifft.

An die XIX. Konferenz der KPdSU

Erklärung der Priester der Katholischen Kirche Litauens

Die Worte, die der Generalsekretär des ZK der KPdSU, M. Gorbatschow, in einer seiner Reden gesprochen hat: „Die Gläubigen sind sowjetische Menschen, arbeitende Menschen, Patrioten, und sie haben das vollkom­mene Recht, dementsprechend ihre Anschauungen zum Ausdruck zu brin­gen. Die Umgestaltung, die Demokratisierung und die Transparenz erfas­sen auch sie, und zwar vollkommen, ohne jegliche Einschränkung" („Tiesa" vom 30.4.1988), diese Worte erfreuen uns und geben uns große Hoffnun­gen. Wir empfinden die Verpflichtung, uns an jene wenden zu müssen, die die Pläne des gesellschaftlichen Lebens für die Zukunft aufstellen, und ihnen die Meinung der Gläubigen über die Ungerechtigkeiten vorzubrin­gen, die sie erlebt haben. Zu den Zeiten Stalins und der Stagnation haben viele Menschen verschiedener Berufe unseres Volkes unheimlich viel gelit­ten, darunter auch die Gläubigen und die Priester. Es ist schmerzlich, daß, obwohl jetzt auch viel von der Wiedergutmachung geredet wird, der Prozeß der Umgestaltung hinsichtlich der Religion seitens der Regierungs­organe fast nicht zu merken ist.

Aus den Briefen des Priesters Sigitas Tamkevičius :

»Ich wurde aus Staro-Sainakowo nach Kriwoscheino verlegt, lebe am Ufer des Flusses Ob. Die Briefträgertasche habe ich nur zwei Tage getragen, nachher wurde sie mir abgenommen. Der Postvorsteher erklärte mir, daß es nicht rechtens sei, wenn ich an einer Kontaktstelle arbeite. Noch am selben Tag fand ich eine Arbeit in einer Sportartikelfabrik. Dort werden Eisstöcke gefertigt, und ich muß die Stiele hobeln. Lärm und Staub könnte es weniger geben - die Augen, Ohren und die Lunge sind voll davon. Sie dürfen selbstverständlich nicht denken, daß das eine unerträgliche Last ist. Die Menschen arbeiten hier jahrelang und es passiert ihnen nichts. Außer­dem habe ich fünf Jahre lang an einer Werkbank gearbeitet, dort gab es ebenfalls Staub und alles Unvorstellbare. Und Gott sei es gedankt, daß ich nicht vergesse zu beten, nicht verlernt habe zu lachen und auch nicht ver­gessen habe, daß mich sehr viele gute Menschen unterstützen, denen ich für ihre Gebete und ihre moralische Stärkung so viel schulde. Die Arbeit selbst ist nicht schwer, aber man muß von 9 Uhr morgens bis 18 Uhr abends an der Hobelbank auf den Beinen stehen. Im Lager war die Arbeit an der Werkbank etwas bequemer, auch beten konnte man viel leichter, hier aber kann man nur während der „Zigarettenpause" Rosenkranz oder sonst etwas beten. Dafür werde ich aber die Samstage und Sonntage frei haben, im Lager haben wir nur die Sonntage frei gehabt. Ich danke Gott für alles, denn Er gibt mir alles zur Genüge, was ich brauche: Gesundheit, Kraft, Zeit und alles andere, wir dürfen nur die vom Allmächtigen geschenkten Talente nicht in der Erde vergraben. (...)

Wenn man Jahr für Jahr nur Fremde um sich sieht, Leute, denen dein Schicksal gleichgültig ist, ja sogar feindliche Gesichter, dann wird man gei­stig hungrig. Unser, der Gläubigen, Glück ist es, daß wir mit der unsichtba­ren Welt geistig zu verkehren gelernt haben, und auch das Glück, daß man weiß, daß jemand für uns betet und uns moralisch stärkt. Ich habe dies auch damals gewußt, als meine Briefe haufenweise konfisziert wurden, und auch dann, als sie spurlos verschwanden.

Kaunas. Am 2. August 1988 fand im Interdiözesanpriesterseminar zu Kaunas eine Versammlung der Würdenträger und der Geistlichen der Litauischen Katholischen Kirche statt. Die Versammlung wurde mit dem Hymnus an den Heiligen Geist eröffnet. Zwei Vorträge wurden gehalten: „Maria im Leben eines Priesters" und „Pastoralbriefe und Belehrungen des Erzbischofs von Vilnius, des seligen Jurgis Matulaitis". Die hl. Messe konzelebrierten der Kardinal Vincentas Sladkevičius, die Bischöfe A. Vai­čius, J. Preikšas, J. Steponavičius, R. Krikščiūnas und etwa 30 Priester. Während der hl. Messe sprach im Namen der Bischöfe Kardinal Vincentas Sladkevičius (siehe oben). Nach der Ansprache des Kardinals, die mit gro­ßer Aufmerksamkeit angehört wurde, brachten die Priester ihre Zuneigung und das Vertrauen zur derzeitigen Obrigkeit der Kirche zum Ausdruck, nahmen aber auch Anstoß an der Einmischung der Regierung in rein innere Angelegenheiten der Kirche, an der schlechten Verwaltung des Priesterseminars zu Kaunas und der Einmischung in die Ernennung der Priester. Alle stimmten den Äußerungen des Dekans von Lazdijai, Priester V. Jalinskas, zu. „Es ist schmerzlich, daß die letzte Entscheidung bei der Auswahl der Kandidaten für das Priesterseminar ein Vertreter der Regierung trifft. Auch dieses Jahr wurde die Liste der Kandidaten für das Priesterseminar nach Vilnius gebracht... Wir müssen danach streben, daß die Kirche nicht den Interessen des Staates unterworfen wird, daß die Fangarme der Unterjochung gekürzt werden. Die Aufnahme der jungen Männer in das Priesterseminar ist reine Sache der Geistlichkeit, und dieser Zustand ist widerrechtlich. Der Terror gegen die Kandidaten für das Prie­sterseminar muß endlich ein Ende nehmen; daß man von ihnen verlangt, durch eine Verleumdung des Priesteramtes selbst und der Priester mit dem Sicherheitsdienst zusammenzuarbeiten. Das ist eine Verletzung der Verfas­sung, eine kriminelle Tat, und deswegen sollen jene, die dies tun, entlarvt und der Verantwortung vor dem Gesetz zugeführt werden. Es ist eine Schande für einen Staat, wenn er mit solchen Mitteln versucht, die Kirche zu unterjochen." - sagte Priester V. Jalinskas. „Es ist falsch, wenn man meint, man müsse sich bei der Ernennung der Priester an Vilnius wenden. Das ist ebenfalls eine innere Angelegenheit der Kirche, und niemand hat das Recht, sich in die innere Struktur der Kirche einzumischen. Unter den jetzigen Bedingungen ist dem Priester manchmal nicht mehr klar, wem man gehorchen soll: Dem Bischof, der die Priesterweihe gespendet hatte, oder der unsichtbaren Hand, die die Struktur der Kirche zerstört" - so brachte Priester V. Jalinskas stellvertretend die schmerzlichen Erfahrungen manchen Priesters zum Ausdruck.

Gervėčiai (Weißrußland). In der Pfarrei Gervėčiai, in der eine große Zahl von litauischen Völksangehörigen lebt, wurde voriges Jahr das Gedenken des 600-jährigen Jubiläums der Taufe Litauens nicht gefeiert.

Die Gläubigen bemühten sich, wenigstens dieses Jahr dieses Jubiläums zu gedenken. Sie wandten sich an Bischof Julijonas Steponavičius (Bischof J. Steponavičius ist in der Pfarrei Gervėčiai im Dorf Mičiūnai geboren) und baten ihn um Hilfe. Der Bischof half den Gläubigen bei ihren Bemü­hungen und bat selbst den Pfarrer der Pfarrei Gervėčiai, Priester Gwozdo-wicz, auf Bitte der Gläubigen den Gottesdienst aus Anlaß des Jubiläums zu feiern. In ihrem Schreiben an den Pfarrer haben die Gläubigen gebe­ten:

Das Gedenken am 29. Mai 1988 (Fest der Heiligen Dreifaltigkeit) zu feiern, darüber die Gläubigen rechtzeitig zu informieren, den Gottesdienst nicht wie gewohnt um 11 Uhr sondern um 12 Uhr zu beginnen, damit auch Gäste aus Litauen zum Gottesdienst kommen können;

ein Bild des seligen Erzbischofs Jurgis Matulaitis in der Kirche von Gervėčiai aufzuhängen.