Das Jubiläumsjahr, auf das so viele Hoffnungen gesetzt und für das so lange Vorbereitungen getroffen wurden, ist vorbei. Wurden diese Hoffnun­gen erfüllt, haben sich diese Bemühungen gelohnt? Von oben her gesehen, nein. Viele Hoffnungen wurden zerschlagen und gingen nicht in Erfüllung.

Wir bekamen zu diesen Feierlichkeiten den Hl. Vater, Johannes Paul IL, nicht zu sehen; die Regierungsgottlosen hinderten den Hl. Vater, sich mit den Katholiken Litauens zu treffen.

Manche haben viele Hoffnungen auf die „Umgestaltung und Demokratisie­rung" gesetzt, die zur Zeit im sowjetischen Imperium stattfinden. Sie ver­suchten zu überzeugen, daß man keine Unterschriften mehr zu sammeln brauche, die enteigneten Kirchen würden auch so zurückgegeben und die inhaftierten Priester freigelassen. Es wurden immer neue Termine für die Rückkehr des Apostolischen Administrators der Erzdiözese Vilnius, Bischofs Julijonas Steponavičius, aus der Verbannung in Žagarė nach Vil­nius in Aussicht gestellt. Man erwartete, daß die Artikel des StGB, die gegen Andersdenkende und Gläubige gerichtet sind, geändert würden, daß das Statut der religiösen Gemeinschaften „milder" gefaßt würde, daß die Katechese erlaubt würde, daß man aufhören würde, die gläubige Schul­jugend zu verfolgen.

An den Generalsekretär des ZK der KPdSU, M. Gorbatschow Abschriften: 1. an die Bischöfe und Verwalter der Diözesen Litauens 2. an die Redaktion der „Tiesa".

Erklärung der Priester Litauens

Am 9. September 1955 wurde der damalige Priester der Erzdiözese Vilnius, Pfarrer der Pfarrei Adutiškis, Julijonas Steponavičius, nach der Ernennung durch den Hl. Vater und mit Zustimmung der sowjetischen Regierung, zum Bischof geweiht und verwaltete die Erzdiözese Vilnius und die Diözese Panevėžys bis Ende 1957.

Am 4. Januar 1961 nahm der damalige Bevollmächtigte des Rates für Ange­legenheiten der Kulte beim Ministerrat der LSSR, J. Rugienis, Bischof J. Stepanavičius die Anmeldungsbescheinigung des Administrators der Erzdiözese Vilnius ab und befahl ihm, nach Žagarė umzusiedeln, mit der Erklärung, daß er dies in Erfüllung eines Beschlusses des Ministerrates der SSR Litauen tue. Den Beschluß des Ministerrates der SSR Litauen selbst zu zeigen oder ihn vorzulesen, hat J. Rugienis verweigert.

Am 5. Februar dieses Jahres jährt es sich zum zweiten Mal, daß der eifrige Priester der Katholischen Kirche Litauens, Juozapas Zdebskis, der wegen Katechisierung der Kinder in einem sowjetischen Lager gefangengehalten worden war, bei einem Autounfall ums Leben kam. Wir veröffentlichen den Auszug eines Briefes, den Priester J. Zdebskis im sowjetischen Lager geschrieben hat.

»Ich will der Barmherzigkeit Gottes vertrauen und hoffen, daß die Gnade mir helfen wird, meine Gedanken zu sammeln und bei einer Stelle Ihres Briefes zu verweilen, obwohl man ringsherum spricht und umherläuft. Wir sind gerade von der Arbeit zurückgekommen. Heute sind wir eher zurück­gekehrt. Viel konnten wir nicht tun, weil es regnete. Alle haben sich ver­krochen, jeder wo er nur konnte, und deswegen konnte ich zu meiner gro­ßen Freude ein schönes Stück des Buches „Die Brüder Karamasow" durch­lesen; jetzt will ich aber versuchen, Ihren Brief zu beantworten.

Die Stelle aus Ihrem Brief, über die ich viel nachgedacht habe, ist ein gro­ßes Problem für uns alle. Davon, wie wir es lösen, hängt die Richtung unseres Lebens und seine Energie ab. Ich bin sicher, daß Sie diesen Gedanken immer wieder erwogen haben. Sie haben ihn mit ihren Worten ausgedrückt, ich werde es mit den meinen versuchen.

Kybartai (Rayon Vilkaviškis). Die Bürgerin der Stadt Kybartai, Birutė Briliūtė, wurde am 17. November 1987 um 14 Uhr zum Amtssitz des KGB der Stadt Vilkaviškis bestellt. Das Verhör führte der Tschekist Stepučinskas, der aus Vilnius angereist war. Während des Verhörs wurden Fragen über die Sachen gestellt, die man bei der Durchsuchung am 8. September 1987 mitgenommen hatte. Da der Untersuchungsbeamte Stepučinskas sich ten­denziös bemühte, nur die religiöse Literatur so hinzustellen, als ob sie die sowjetische Ordnung verleumde, ignorierte B. Briliūtė das Verhör, und am nächsten Tag reichte sie dem Vorsteher des KGB in Vilnius durch den Un­tersuchungsbeamten Stepučinskas folgende Erklärung ein:

»Ich bin am 17. November 1987 in die Unterabteilung des Staatssicher­heitskomitees von Vilkaviškis zu einem Verhör vorgeladen worden. Der Mitarbeiter des Staatssicherheitskomitees Stepučinskas hat mich als Zeugin im Prozeß „wegen der Herstellung und Verbreitung von Literatur verleum­derischen Inhalts" befragt. Die meisten vom Untersuchungsbeamten Stepu­činskas gestellten Fragen betrafen eine Literatur, die mit einer Verleum­dung niemals etwas zu tun hatte, noch jemals haben wird (wie z. B. „Dievas, pasaulis, žmogus" - „Gott, der Mensch, die Welt" von Viksvas, „Jurgis Matulaitis" von St. Yla, Gedichtesammlung „Per pasaulį keliauja žmogus" - „Ein Mensch geht durch die Welt" von Bern. Brazdžionis). Schon allein die Tatsache, daß diese Literatur mitgenommen wurde, betrachte ich, im günstigsten Fall, als Unvorsichtigkeit der Mitarbeiter und Unkenntnis der eigenen Zuständigkeit. Und diese Literatur hinzustellen, als ob sie die sowjetische Ordnung verleumde, betrachte ich als tendenziöse Böswillig­keit der Mitarbeiter des Staatssicherheitskomitees, zumal nicht einmal der Untersuchungsbeamte Stepučinskas selbst in der Lage war zu erklären, wo in der Gedichtsammlung von B. Brazdžionis oder in dem Buch „Jurgis Matulaitis" die sowjetische Ordnung verleumdet wird. Er gab darauf zur Antwort, daß er selbst diese Bücher überhaupt nicht gelesen habe, und auf die Bitte hin, diese Bücher zur Beurteilung einem Experten vorzulegen, erklärte er, daß Bücher in der Beurteilung der Experten nicht einzeln besprochen werden, sondern nur die allgemeine Beurteilung „verleum­derisch" abgegeben würde.

Viktoras Petkus wandte sich am 6. Dezember 1987 mit einer Klage an den Vorsitzenden des Obersten Sowjets und den Generalstaatsanwalt der UdSSR, in der er schreibt: „Ich bin am 21. September 1987 aus dem Gefängnis von Ulan Ude in die Ortschaft Bagdarin für eine dreijährige Ver­bannung gebracht worden. Beim Abtransport aus dem genannten Gefäng­nis habe ich nichts von meinen Sachen aus dem Lager zurückbekommen, z.B.: meine Bücher, meine handgeschriebene bibliografische Enzyklopädie der Schriftsteller der Welt, den elektrischen Rasierapparat, die Briefe von meinen Verwandten und anderes. Man konnte mir angeblich deswegen nichts aushändigen, weil man den Gefangenen, der im selben Gefängnis untergebracht und für das Lager zuständig war, nicht finden konnte.

Da die Miliz von Bagdarin mehrmals in der Woche nach Ulan Ude fährt, hat mir der Milizhauptmann, der unsere Etappe leitete, versprochen, mir in der darauffolgenden Woche die Sachen mitzubringen. Die Miliz von

Bagdarin speist mich seit zweieinhalb Monaten mit Versprechungen ab, daß sie mir die Sachen bringen werde, bringt sie aber nicht.

Lazdijai. Am 12. Dezember 1987 hat der Stellvertreter des Exekutiv­komiteesvorsitzenden des Rayons Lazdijai, Vanagas, die Priester des Rayons Lazdijai in den Räumen des Exekutivkomitees des Städtchens Veisiejai zusammengerufen und sie ermahnt, daß die Priester sich eines Vergehens schuldig machen, wenn sie andere Priester zu Ablaßfeierlichkeiten ein­laden, ohne das vorher mit der Rayonverwaltung abgestimmt zu haben.

Außerdem dürfe man nicht ohne Erlaubnis ein Kreuz auf dem Kirchhof aufstellen, wie dies z. B. Priester Vincentas Jalinskas in Lazdijai getan hat.

Der Stellvertreter von Lazdijai, Vanagas, war darüber verärgert, daß die Gläubigen, die in Rudamina zusammenkommen, sagen, Priester Juozapas Zdebskis sei ermordet worden. Nach Meinung von Vanagas gibt es keine Beweise dafür, und ein Unfall kann jedem und überall passieren. Das dürfte man also nicht tun.

Die Priester klagten ihrerseits Stellvertreter Vanagas gegenüber über das ungebührliche Benehmen der Lehrer, die während der Beerdigung ihre Schüler mit Gewalt aus der Kirche hinausjagten. Außerdem erklärten sie, daß es kein Vergehen sei, einen Ausflug zu organisieren, und deswegen sei auch der Wächter der Kirche von Lazdijai, Alvydas Vainoras, der einen Ausflug nach Vilnius zu den Ablaßfeierlichkeiten bei der Mutter der Barm­herzigkeit im Tor der Morgenröte wie auch zu den Ablaßfeierlichkeiten nach Žemaičių Kalvarija organisiert hatte, zu Unrecht mit einer Strafe von 50 Rubel belegt worden.

Panevėžys. Die Dozentin für Atheismus an der Medizinschule zu Panevėžys, Stanislova Stanevičiūtė, verlangte von ihren Schülern während einer Vorlesung im Dezember 1986 eine schriftliche Arbeit, in der zu beweisen war, daß es keinen Gott gibt. Als sie aus der schriftlichen Arbeit entnahm, daß eine Schülerin an der Medizinschule, Neringa Dalbokaitė, gläubig ist, begann sie sie aktiv „umzuerziehen".

N. Dalbokaitė wurde in das „Leninzimmer" vorgeladen, wo die Dozentin S. Stanevičiūtė Anstoß daran nahm, daß Neringa, als gläubiges Mädchen, der Organisation der Kommunistischen Jugend beigetreten ist. N. Dalbokaitė machte ihr klar, daß sie erst 14 Jahre alt war, als sie der Kommunistischen Jugend beitrat, und damals noch von ihren Eltern abhängig war, die ungläubig sind. Nach dieser Antwort folgte eine ganze Reihe von Fragen, die die Dozentin S. Stanevičiūtė stellte: Was sie zum Glauben bewogen habe, woher sie ihre Literatur bezogen habe, wann sie angefangen habe zu glauben, wer sie zum ersten Mal mit in die Kirche genommen habe? Für die weitere „Umerziehung" benutzte die Atheismusdozentin die gewohnte Waffe der Gottlosen: Verleumdung und Schmähung der Priester und der Kirche.

 „Aušra" (Die Morgenröte) Nr. 60 (100). Im September 1987 erschien die Nr. 60 (100) der Untergrundveröffentlichung „Aušra". Im Leitartikel dieser Ausgabe, einem Aufruf einer Gruppe von Litauern an alle Menschen guten Willens in allen Ländern der Welt, will man die Aufmerksamkeit der Welt­öffentlichkeit auf den Molotow-Ribbentrop-Pakt vom 23. August 1939 len­ken. In diesem Aufruf wird gebeten: „Seid nicht gleichgültig dem Unrecht und dem Leiden der anderen gegenüber! Beleuchtet die Lage der Balti­schen Staaten mit allen euch zur Verfügung stehenden Informationsmitteln und bittet die Oberhäupter Eurer Staaten, die Frage der Zwangseinverlei­bung der Baltischen Staaten in der nächsten Session der Vollversammlung der Vereinten Nationen zu erheben und zu behandeln".

In dem Artikel „Wir wollen ihnen in jeder Hinsicht beistehen" wird die Frage der Gefangenen Gintautas Iešmantas, Povilas Pečeliūnas und der anderen Gefangenen herausgehoben: Man fordert eine bedingungslose Rehabilitation der politischen Gefangenen und derer, die aus Gewissens­gründen inhaftiert sind und kommt auch auf die Lage der Menschenrechte in der Sowjetunion zu sprechen.