An den Vorsitzenden des Präsidiums des Obersten Rates der Sowjetunion L. Breschnew
den Bischöfen und den Administratoren der Diözesen Litauens Erklärung
Uns machen die bösen Angriffe gegen die Religion Sorgen, die in der letzten Zeit in der Presse erschienen sind. In der Rede des ersten Sekretärs der KP Litauens P. Griškevičius wird gesagt: »Man muß die Verbindung der internationalen und der patriotischen Erziehung mit dem Kampf für die Liquidierung der religiösen veralteten Anschauungen allseitig stärken« (im zweiten Plenum der KPL in Vilnius, am 17. Juni 1981). Auch der Sekretär der KPL Šepetys hat sich gegen die Religion und gegen die guten Priester drastisch geäußert, und der Bevollmächtigte des RfR verlangt streng, daß die am 27. 7. 1976 von dem Präsidium des Obersten Rates der LSSR bestätigten Vorschriften der religiösen Vereinigungen eingehalten werden sollen.
Die Geistlichkeit der Katholiken Litauens würde gerne die normalen Beziehungen zwischen der Regierung der LSSR und der Katholischen Kirche Litauens begrüßen. Wir, wie auch unsere Gläubigen, weigern uns nicht, die berechtigten Forderungen der sowjetischen Regierung, die den Dogmen und der Moral der Römischen Katholischen Kirche nicht widersprechen, zu erfüllen. Wir sind bereit, gemeinsam mit ihr gegen die moralischen Übel in unserem Volk zu kämpfen: gegen Alkohoüsmus, gegen die Zerrüttung der Familien, gegen Rowdytum, gegen die Vernichtung des ungeborenen Lebens, besonders aber gegen die nach der Legalisierung durch die Regierung sehr verbreiteten Abtreibungen.
Am 2. September 1982 wandten sich neun Priester der Erzdiözese Vilnius — Mitglieder des Priesterrates — mit einer Erklärung an alle Bischöfe Litauens, in der sie auf den verderblichen Zustand in dem Priesterseminar zu Kaunas hinweisen, der nach einer schnellen und effektiven Entscheidung verlangt.
»Auf dem Himmelsgewölbe der helleren Zukunft erschien bedrohlich das Damoklesschwert«, schreiben die Priester aus Vilnius. Wegen der schlechten Auslese und der Einmischung der Zivilregierung gelangten nicht wenige total ungeeignete Kandidaten in das Priesterseminar. Dieses zerstörerische Element ist ein wahres trojanisches Pferd im Priesterseminar, dessen verderbliche Wirkung jetzt schon deutlich zu sehen ist. Die Früchte seiner Wirkung werden in Zukunft noch trauriger aussehen. »Unsere Ohren erreichen alarmierende Signale über die Zerrüttung der Disziplin«, schreibt der Priesterrat: »einige Seminaristen trauen sich sogar, Schnaps in das Priesterseminar mitzubringen; über die frommen Seminaristen wird gespottet, ihnen werden anonyme Briefe geschrieben.«
Am 10. Mai 1982 hat der Stellvertreter des Bevollmächtigten des RfR Juozėnas an der Universität für Marxismus-Leninismus zu Vilnius für die zukünftigen Propagandisten einen Vortrag zum Thema »Der Staat und die Religion« gehalten. Das Ziel dieses Vortrags ist es, den von den Atheisten geführten Kampf gegen die Katholische Kirche in Litauen zu stärken. Aus diesem Grund versuchte Juozėnas in seinem Vortrag die beidseitigen Beziehungen zwischen dem Staat und der Religion zu durchleuchten, die Mängel und die Fehler der Propagandistenarbeit herauszuheben und gleichzeitig die neuen Richtlinien abzustecken.
Einen großen Einfluß auf die Menschen hat nach der Meinung von Juozėnas Radio Vatikan, das seine Sendungen in die Sowjetunion sogar in sieben Sprachen ausstrahlt: ukrainisch, weißruthenisch, litauisch, lettisch, russisch, grusinisch und armenisch. Die Sendungen sind in der letzten Zeit qualifiziert vorbereitet: Es wurde eine ständige Sendung für die Jugend eingerichtet, in den Sendungen wird in der »Chronik« angegebenes Material verwendet, denn die Menschen interessieren sich mehr, wenn sie über eine oder andere in der Nähe lebende Person und ihnen persönlich bekannte Personen hören.
Vilnius. Am 11. Oktober 1982 wurde von 8 bis 12 Uhr in den Zimmern von Jonas Sadūnas, Marytė Sadūnienė und Nijolė Sadūnaitė eine Hausdurchsuchung gemacht. Den Beschluß, eine Durchsuchung durchzuführen, bestätigte am 10. 10. 1982 der Staatsanwalt der LSSR des Rayons Vilnius N. Krempowski. In dem Beschluß schreibt man, daß die Stellvertreterin des Staatsanwaltes der LSSR, R. Juciūtė, sich mit der Strafprozeßakte Nr. 57-2-031-81 wegen der Verleumdung des Direktors des Experimentierguts Vokė im Rayon Vilnius, Petras Dukšas, in Kenntnis gesetzt habe und feststellte, daß aufgrund der Ergebnisse des Vorbereitungsverhörs der Grund anzunehmen besteht, daß bei dem Bürger Jonas Sadūnas, (Sohn des) Jonas, wohnhaft in der Stadt Vilnius, Architektų 27-2, sich aus der Hand von Sadūnas stammende Manuskripte befinden. Deshalb beschloß man eine Hausdurchsuchung vorzunehmen, mit dem Ziel, die Manuskripte von Sadūnas zu beschlagnahmen.
Die Durchsuchung führten R. Juciūtė und ein Mann in Zivilkleidung durch, der keine Dokumente vorlegte und seinen Namen nicht sagte. Er war ohne Zweifel ein Tschekist. R. Juciūtė hatte außerdem Untulienė Neonila und Rulevičienė Nijolė als Zeugen mitgebracht. Der die Durchsuchung leitende Tschekist erlaubte Sadūnas nicht, seine Arbeitsstelle anzurufen und mitzuteilen, daß er nicht zur Arbeit kommen könne. Erst nach langen Bitten erlaubte der Tschekist Frau Sadūnienė, ihr sechsjähriges Töchterchen in den Kindergarten zu bringen. Da er ihr nicht erlaubte, allein zu gehen, schlug die Zeugin Untulienė sich selbst vor, Sadūnienė zu begleiten, aber Juciūtė befahl der Zeugin N. Rulevičienė, dies zu tun.
Jede Ablaßfeier bringt in das graue, eintönige Leben des Katholiken Litauens viel Belebung und geistige Freude. Höhepunkte sind die großen Ablaßfeiern von Žemaičių Kalvarija, Šiluva und vom Tor der Morgenröte in Vilnius. Sie haben schon lange die Grenzen Litauens überschritten: Es kommen Pilger aus Lettland, Estland, Weißrußland und sogar aus dem fernen Kasachstan. Wenn die gottlose Regierung auch die Pilger verschiedenartig hindert, so kommen zu den Ablaßfeiern trotzdem jedes Jahr Tausende von Menschen, und die Gläubigen teilen nachher noch lange die erlebten Schmerzen und die Freuden unter sich.
Vor den großen Ablaßfeiern von Šiluva im vorigen Jahr riefen die Gottlosen eine »Schweinepest« aus, sie aber später für abgeklungen zu erklären, fehlte ihnen der Mut. Dieses Jahr warteten die Leute auf neue »Perlchen« der Phantasie der Gottlosen, die gewöhnlich nicht nur Litauen allein in Erstaunen setzen, sondern auch die öffentliche Meinung der übrigen Welt.
Da schon seit zwei Jahren die Regierung die Jugend und die Pilger daran hindert, organisiert nach Šiluva zu gehen (die Tschekisten wiederholen andauernd: »Auch in Polen begann alles mit dem Rosenkranz!«), gehen dieses Jahr schon seit Anfang des Frühjahrs die Leute einzeln oder in kleinen Gruppen aus Tytuvėnai (9 km), aus Raseiniai (19 km), oder sogar aus Kaunas (etwa 95 km), Rosenkranz betend, zu Fuß nach Šiluva.
Aus den Briefen von Antanas Janulis:
»Schade, aber nicht alle meine Briefe erreichen die Verwandten und andere Adressaten. Man findet in meinen Briefen das, was es überhaupt nicht gibt, und behält sie zurück. Vielleicht will man mich einfach nur schikanieren.. .
... Ich danke Dir für alle Deine Briefe. .. auch für jene, die Du schreiben möchtest (und sie in Deinen Gedanken schreibst), wo aber die Bedingungen und die Lage es nicht erlauben, daß ich sie bekomme. Ich arbeite. Nur die Normen, die Taugenichtse, steigen immer höher, daß es unmöglich ist, sie zu erreichen.«
»Wenn jemand also meine Briefe nicht bekommt oder wenn ich von irgendjemand keine bekomme, dann hat es keinen Wert, sich deswegen aufzuregen. Eher muß man sich freuen, wie auch für alles, was Gott uns gibt und wegnimmt.
Veiviržėnai (Rayon Klaipėda)
In der Nacht vom 27. zum 28. Juli 1982 wurde in der Kirche von Veiviržėnai das Allerheiligste Sakrament geschändet. Die Übeltäter drangen in die Kirche ein, zerstörten den Hauptaltar und stahlen den Tabernakel mit dem Aller-heiligsten Sakrament. Nach etwa einem Monat wurde der Tabernakel in einem Wald etwa 5 km entfernt gefunden, das Allerheiligste Sakrament war nicht mehr im Tabernakel.
Am 22. August 1982 fand in der Pfarrkirche von Veiviržėnai wegen der Schändung des Allerheiligsten Sakramentes ein Fürbittgottesdienst statt. Er begann um 10 Uhr und endete am Abend um 19 Uhr. Die große Kirche war voll mit Menschen. An den Gottesdiensten nahm die Jugend aus Gargždai, Kretinga und anderen Ortschaften Niederlitauens teil. Die hl. Messe wurde auf einem im Mittelschiff provisorisch eingerichteten Altar gefeiert. Die Abendmesse konzelebrierten die Mitglieder des Komitees der Katholiken zur Verteidigung der Rechte des Gläubigen — die Priester Vincas Vėlavičius, Jonas Kauneckas und Alfonsas Svarinskas.
»Nicht alle in Litauen nennen ein und dieselbe Erscheinung mit gleichem Namen. Die Gottlosen nennen eine Aktion gegen die Kirche ideologischen Kampf. Wir aber, die Gläubigen, nennen sie ideologisches Rowdytum, denn wie kann man es ideologischen Kampf nennen, wenn ein Mensch geschlagen wird, dem die Hände gebunden sind? Die Katholische Kirche in Litauen ist nicht nur gebunden, sondern auch gefesselt. Am besten kann man also diesen Kampf ein ideologisches Rowdytum nennen, das sich in den letzten Jahren in einen ideologischen Satanismus entartet hat.
Pašušvys (Rayon Radviliškis)
Die Ortsvorsitzende von Pašušvys Bronė Stulgienė und die Lehrerinnen Ona Liubinienė und Roma Siurnienė haben am 12. Juli 1982 an der Autobushaltestelle die aus der Kirche kommenden Kinder Bronius und Česlovas Matulevičius, Lina Bitytė, Valdis Molis und andere angehalten und aufgeschrieben.
Am nächsten Tag erkundigte sich der Pfarrer von Pašušvys, Priester Juozas Vaičekauskas in der Ortsverwaltung, warum die sich zur Erst-Beichte vorbereitenden Kinder eingeschüchtert und verfolgt würden. Die Ortsvorsitzende Bronė Stulgienė erklärte, daß eine gruppenmäßige Unterrichtung der Kinder in den Glaubenswahrheiten verboten ist und daß sie die Kinder auf Anweisung des Stellvertreters des Vorsitzenden des Exekutivkomitees von Radviliškis Alfredas Krikštanas aufgeschrieben habe.
Riga (Lettland)
Am Abend des Palmsonntags, den 4. April 1982, wurde der Pfarrer der St.-Joseph-Kirche in Riga Valfredas Vinbergas von einem unbekannten Mann an der Umzäunung des Kirchhofes überfallen und stark zusammengeschlagen. Der Priester mußte sich ins Krankenhaus begeben und sich operieren lassen, weil das Bauchfell gerissen war. Der Priester Valfredas Vinbergas sagte den Gläubigen nicht, wer ihn überfallen habe, möglicherweise hat er den Angreifer auch nicht erkannt. Die Pfarrkinder zweifeln aber nicht daran, daß es eine Tat des KGB ist, weil sie schon mehrmals Tschekisten beobachtet hatten, die den Pfarrer verfolgten. Ein Zeuge behauptet, gesehen zu haben, wie zwei Tschekisten auf der Straße den Priester Alfredas Vinbergas mit Gewalt in ein Auto hineindrängten und wegbrachten.
Die Gläubigen machen sich ernste Sorgen, daß der Priester Valfredas Vinbergas von den Tschekisten ermordet werden könnte.
Wir sind dem Vertreter der Republik Litauen bei dem Apostolischen Stuhl Herrn Stasys Lozoraitis-Junior und dem Mitarbeiter der Stimme Amerikas Romas Sakadolskis dankbar für das Interview vom 9. und 10. 10. 1982. Wir möchten bitten, öfters ähnliche Gespräche zu verschiedenen Fragen, die die Kirche und die Heimat betreffen, vorzubereiten.
Sergej Kowaliow
Antanas Terleckas
Anastazas Janulis
Vytautas Skuodis
Petras Paulaitis
Mečislovas Jurevičius
Gintautas Iešmantas
Julius Sasnauskas
Balys Gajauskas
Viktoras Petkus
Vytautas Vaičiūnas
Povilas Pečeliūnas
Algirdas Statgevičius
und andere tragen die Ketten der Unfreiheit, damit du frei leben und glauben darfst!