Litauen befindet sich beinahe schon 200 Jahre (1795-1977) unter russischer Besatzung, wenn man von einer kurzen Zeit der Unabhängigkeit (1918—1940) absieht. Litauen mußte in dieser Zeit von seinen Kolonial­herren viel leiden. Es wurde nicht nur ausgebeutet, sondern mußte auch lange und schwer kämpfen, um seine größten Werte zu erhalten: den katholischen Glauben und die nationale Identität. Lange Zeit wurden die Litauer auf ver­schiedenste Weise ausgebeutet, verfolgt, massenweise deportiert und auch gemordet.

Um ihr Leben und ihre Freiheit zu retten, um dem ungeliebten Militärdienst bei der Armee der Besatzungsmacht oder dem Tod in Sibirien zu entkom­men, sind viele Litauer ins Ausland gegangen, besonders in die Vereinigten Staaten. Getrennt von ihren Eltern und Geschwistern haben sie niemals auf­gehört, ihre Heimat Litauen und die dort leidenden Angehörigen zu lieben. Auch jetzt fühlen sie sich als Kinder desselben Vaterlandes Litauen. Unsere ausgewanderten und verantwortungsbewußten Landsleute haben straffe Or­ganisationen geschaffen. Auch in der Emigration haben sie litauische Pfar­reien gegründet, und ihre eigenen Zentren für Wissenschaft und Kunst aufge­baut. Hier bringen sie ihre eigenen Zeitungen heraus, vertreten einmütig und beharrlich die Rechte ihres unterjochten Vaterlandes, finden Möglichkeiten, 48 auch hochgestellte kirchliche Persönlichkeiten zu informieren und Verbin­dung mit Vertretern des politischen und öffentlichen Lebens zur Beschützung ihres leidenden Heimatlandes aufzunehmen.

Unsere Landsleute, Geistliche und Laien, stellen bei ihren Begegnungen mit den litauischen Touristen aus dem Ausland oder auch bei ihren eigenen Rei­sen ins Ausland fest, wie vielen von ihnen es schwer fällt, sich in den kompli­zierten Fragen des religiösen Lebens in Litauen zurechtzufinden. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, vermögen sogar hochgestellte geistliche Würdenträger viele Probleme nicht zu begreifen oder zu lösen, von gewöhnli­chen Gläubigen ganz zu schweigen. Die einen von ihnen meinen, daß alle reli­giösen Fragen, auch die mit der geheimen Tätigkeit der Gläubigen zusam­menhängenden, von den Ortsordinarien gelöst werden könnten. Dabei wird vergessen, daß die Tätigkeit vieler von ihnen eingeengt ist und daß manche Gläubige sich scheuen, an einige von ihnen heranzutreten. Die anderen können nicht begreifen, wie in Litauen etwa 70% der Kinder Katechismusun­terricht erhalten, obwohl dafür doch in Litauen einige Priester und Laien mit Gefängnis bestraft worden sind. Sie haben keine Ahnung, in welchem Aus­maß die Kinderkatechese in Litauen unter Katakombenverhältnissen erfolgt, durchgeführt von Priestern und Laien, die weder Geld- noch Gefängnis­strafen fürchten.

An den Innenminister der Litauischen SSR

Des Priesters Pranas Masilionis, Sohn des Jonas, Rayon Pasvalys, Post Krikli-niai

Bittgesuch

Sehr geehrter Minister!

Ihnen möchte ich meine Ehrerbietung und Zuneigung zum Ausdruck bringen!

Als Mensch zu Mensch möchte ich Ihnen meine Sorgen und Gedanken mit­teilen. Ich spreche offen, ohne jemanden beleidigen zu wollen, im Vertrauen auf die Menschlichkeit.

Es könnte Ihnen bekannt sein, daß es schon 6-7 Jahre lang dauert, seitdem ich mich vergeblich bemühe, eine Erlaubnis zu erhalten, meine Geschwister in Amerika besuchen zu dürfen. In dieser Zeit hat mein Bruder Josef drei for­melle Einladungen geschickt, die auch von der Russischen Botschaft beglau­bigt waren. Die letzte Einladung ist auch vom Außenminister der USA Henry Kissinger und vom Gouverneur des Staates Ohio, Braun, unterschrieben. Da­für sage ich ihnen meinen herzlichen Dank. Leider hat man auf alle Einladun­gen hier negativ geantwortet. Immer ohne Begründung. In dieser Zeit habe ich ein Gesuch an den Ministerpräsidenten gerichtet, die Abschrift Ihnen zugeschickt, und auch die Briefabteilung des Ministerpräsi­denten hat mir mitgeteilt, daß dieser mein Gesuch an das Innenministerium, also an Sie weitergeleitet habe. An Sie als Innenminister direkt habe ich vier Gesuche geschrieben. Alle diese meine Gesuche habe ich bei der Post regi­striert, aber ich habe weder von Ihnen noch von Ihrem Ministerium eine Ant­wort bekommen, auch keine Nachricht, ob meine registrierten Briefe ange­kommen seien.

Seit Juni 1974 haben die Beamten des Staatssicherheitsdienstes begonnen, Nijolė Sadunaitė sehr intensiv zu beobachten.

Zur Informatorin des Sicherheitsdienstes wurde die Bewohnerin der Nach­barwohnung, die Lehrerin Aidietienė. Sie hat gewissenhaft verfolgt, wer zu Nijolė gekommen und wann der Besuch wieder weggegangen ist. Telepho­nisch gab sie den Sicherheitsdienstbeamten durch, wann immer Nijolė selbst aus dem Hause gegangen war. Drei Tage nach Nijolės Verhaftung hat der Sicherheitsdienstbeamte Vincas Platinskas ihrem Vetter Vladas Sadūnas ge­genüber großgetan, daß Frau Aidietienė am 27. August 1974 um 14 Uhr beim Komitee des Sicherheitsdienstes angerufen und gemeldet habe, daß in Nijolės Wohnung das Geklapper einer Schreibmaschine zu hören sei. Nach zwei Stunden ist eine starke Gruppe von Sicherheitsdienstbeauftragten er­schienen, die in die Wohnung Nijolės eindrang und mit der Durchsuchung be­gann. Die Beamten sagten zu Nijolė: „Du bist doch katholisch, wie kannst du dann die Chronik der LKK drucken, wo doch nur Lug und Trug über angeb­liche Verfolgungen der Gläubigen zusammengeschrieben werde!" Darauf antwortete Nijolė gerade heraus: „Die Wahrheit eines jeden Vergehens der Atheisten, das in der Chronik der LKK hervorgehoben wird, wird bezeugt mit den Tränen der Gläubigen". Die Sicherheitsdienstbeauftragten haben noch behauptet, der Artikel über das Begräbnis Kanonikus Petras Rauda sei sicher von Nijolė geschrieben. Das hat sie mit der Bemerkung geleugnet, wenn sie ihn geschrieben hätte, dann hätte sie sehr viel ausführlicher die Be­hinderungen geschildert, die während der Beerdigung vom Sicherheitsdienst verursacht wurden. Dann begannen die Tschekisten den verstorbenen Kan. P. Rauda zu verhöhnen. Entrüstet sagte Nijolė: „Ihr alle zusammen seid nicht so viel wert, wie eine kleine Zehe des Kanonikus!"

Zwei Stunden nach Beginn der Durchsuchung ist noch ein Beamter hinzuge­kommen und hat Nijolės Bruder Jonas Sadūnas befohlen, zum Verhör im Si­cherheitskomitee mitzufahren. Nijolė hat dagegen protestiert und gesagt, daß ihr Bruder an Lungenentzündung erkrankt sei und daß sie kein Recht hätten, einen Kranken abzuführen, aber darauf wurde keine Rücksicht genommen. Nach der Abführung wurde auch seine Wohnung durchsucht, aber nichts ge­funden.

Nach der Verhaftung von Nijolė Sadūnaite hat sich der Gesundheitszustand ihres Bruders stark verschlechtert und er mußte anderthalb Monate lang im Krankenhaus liegen.

Am 26. April 1977 war in Tiesa (Die Wahrheit) ein ausführlicher Artikel des Pfarrers von Sidabravas, Hochw. Vytautas Starkus, abgedruckt: Kodel is klystkeliu pasukau (Warum ich aus den Irrwegen ausgeschert bin), in dem versucht wird, den Leser zu überzeugen, daß die wichtigste Ursache des „Augenaufgehens" von Hochw. V. Starkus - die Verleumdungen von Radio Vatikan gegen die Sowjetregierung gewesen seien. Als Beispiel bringt Hochw. V. Starkus die Tatsache, daß Radio Vatikan die sowjetischen Autoinspekteure beschuldigt hat, Hochw. J. Zdebskis den Führerschein ab­genommen zu haben, obwohl er nüchtern war. In dem Artikel behauptet der Verfasser V. Starkus, daß er mit Hochw. J. Zdebskis Umgang gepflogen habe und wisse, daß dieser gerne getrunken habe. Hochw. V. Starkus schreibt, daß er während seines Studiums im Priesterseminar zu der Überzeugung gelangt sei, daß die sowjetische Ordnung die Rechte der Gläubigen respektiere. Jeder einigermaßen kritische Leser dieses Artikels begreift, daß er vom KGB geschrieben ist, wobei allerdings die Hand von Hochw. V. Starkus benutzt wurde.

Den Priestern der Diözese Panevėžys hat Hochw. V. Starkus folgendes er­zählt. Bei seinem Eintritt in das Priesterseminar wurde er als Agent des KGB angeworben. Die Funktionäre des Sicherheitsdienstes haben ihm das Studium im Seminar unter der Bedingung erlaubt, daß er nach einigen Priesterjahren sein priesterliches Amt wegwerfen würde. Hochw. V. Starkus wäre mit dieser Forderung einverstanden gewesen und habe geglaubt, nach der Priesterweihe könnte er den Schlingen des KGB irgendwie entrinnen. Das war der Anfang der Tragödie des Hochw. V. Starkus. Moralisch gebrochen, war er nicht in der Lage, ein guter Kleriker zu sein und die Seminarleitung wollte ihn entlassen, aber durch Fürsprache einiger Priester konnte er das Seminar beenden.

Kaunas

Am 22. Mai 1977 wurden folgende Alumnen des V. Kursus des Priester­seminars zu Priestern geweiht:

1.      Jonas Alesius,

2.      Ričardas Černiauskas,

3.      Česlovas Degutis,

4.      Vytautas Kadys,

5.      Jonas Kauneckas,

6.      Stanislovas Linda,

7.      Marijonas Savickas,

8.      Vincas Stankevičius,

9.      Petras Tarvydas.

Gemeinde Levaniskiai (Rayon Anykščiai).

Der Neupriester Marijonas Savickas wollte in seiner Heimat zu den Primiz-feierlichkeiten bei seinem Anwesen auf dem Nevežisufer vorübergehend ein Zelt aufschlagen, aber der Vorsteher der Ortskolchose hat das verboten. Dar­aufhin wandte sich Hochw. M. Savickas an den Bevollmächtigten des Rates für religiöse Angelegenheiten K. Tumėnas. Kurz danach hat der Kolchosvor­sitzende die Erlaubnis zum Aufschlagen eines Zeltes gegeben, mit der Be­merkung: „Wenn nicht das Ausland wäre, dann würden wir euch alle auf­hängen". Denn K. Tumėnas hat dem Kolchosvorsitzenden klargemacht, daß es bei Störung von Primizfeierlichkeiten zu einem Heidenlärm käme, der auch ins Ausland dringen würde.

An den Kultusminister der Litauischen SSR

Abschrift: An den Direktor des Mičiurinas' Sovchostechnikums in Kaunas

Des Spindžiūnas Vytautas, Sohn des Juozas, Schüler am Mičiurinas' Sovchostechnikum in Kaunas, wohnhaft in Kaunas, Botanikos 6,

Erklärung

Am 13. Juni dieses Jahres, als ich zu Praktikumsarbeiten gekommen war, hat der Technikumsdirektor mich zu sich gebeten und mich gefragt, wo ich gestern, den 12. Juni, gewesen sei. Ich sagte, daß ich in Alytus gewesen sei, um einen bekannten Priester, der dieses Jahr das Seminar beendet hatte, zu gratulieren. .Dann hat der Direktor zusammen mit einer anderen mir unbe­kannten Person mich durch Drohungen und Einschüchterungen gezwungen, die lügenhafte Erklärung zu unterschreiben, daß ich auf eigenen Wunsch das Technikum verlassen wolle. Nachdem der erste Schreckenseindruck auf mich vergangen war, wollte ich meine Erklärung zurückziehen, aber der Direktor hat mir das Schriftstück nicht zurückgegeben und erlaubte mir nicht, ferner an den Praktikumarbeiten teilzunehmen.

Weil der Priester ein vom Staat anerkanntes Seminar absolviert hat, habe ich durch meine Gratulation kein Vergehen begangen. Mich dafür aus dem Tech­nikum zu entfernen, hat keiner das Recht; auf eigenen Wunsch das Techni­kum zu verlassen, habe ich ebenfalls nie beabsichtigt, die Erklärung habe ich nur unter Zwang unterschrieben.

Ich bitte den Genossen Minister mich zu beschützen, die unter Zwang er­preßte lügenhafte Erklärung nicht anzuerkennen und den Direktor anzuwei­sen, daß er mich zum Weiterlernen im Technikum zulasse.

Kaunas, d. 14. Juni 1977        V. Sprindžiūnas

Priester der Diözese Panevėžys, die ermordet wurden oder in Gefängnissen bzw. Sibirien gelitten haben.

Ermordet 1941:

1.        Priester Šveikauskas Benediktas        - ermordet in der Stadt Rokiškis,

im Amtsgebäude des Rayon.

2.      Priester Baltrymas Stasys        - ermordet in Zarasai.

3.      Priester Didžiokas Vladas        - in der Kathedralkirche

von Panevėžys abgeholt und er­mordet.

Gemartert in Gefängnissen oder in den Lagern Sibiriens:

1.        Priester Liepa Petras        verhaftet        - 1949

gestorben        - 1955

2.        Priester Rauba Antanas        verhaftet        - 1947

gestorben        — 1951

Tiesos kelias (Weg der Wahrheit). Im Juni ist die 4. Nummer dieser Schrift erschienen. In ihr werden aktuelle Fragen des priesterlichen Lebens behan­delt. Es wäre sehr gut, wenn alle Priester in Litauen sich mit dem Artikel „Wie beschaffen möchte ich den Priester sehen" beschäftigen würden.

Rūpintojėlis (Der Schmerzensmann). Im Monat Mai 1977 ist die 1. Nummer einer neuen Schrift im Untergrund erschienen. Im Vorwort heißt es: „Sie be­kommen Besuch vom „Schmerzensmann". Diesen Namen hat der Herausge­ber gewählt, weil er sich zum Ziel gesetzt hat, die Werte zu pflegen und zu verbreiten, welche durch den Schmerzensmann versinnbildet werden, der in Litauen an Wegen und Stegen aufgestellt ist und huldvoll auf Land und Leute herabschaut". Viele Leser haben das Erscheinen dieser Schrift warm begrüßt, aber sie wünschen, daß sie aktueller sein möge, mehr die Probleme der Ju­gend behandeln und in einer größeren Auflage erscheinen würde.