Wenn wir in die Vergangenheit zurückblicken und die ersten Anfänge der Kirchengeschichte betrachten, dann wundern wir uns oft mit gutem Grund, wie eine so schwache Kirche, die Christus in die Hände ungebildeter Dorf­fischer gelegt hatte, fähig sein konnte, die Stürme zweier Jahrtausende zu überstehen, während Imperien, Königreiche, Staaten, verschiedene Bewe­gungen und Organisationen, die damals gleichzeitig von viel begabteren, fähigeren, mächtigeren Menschen gegründet wurden, zerfielen und unterge­gangen sind, ohne irgendwelche Spuren zu hinterlassen.

Wir irren uns nicht, wenn wir behaupten, daß der Fortbestand der Katho­lischen Kirche in der Welt auf dem im Evangelium genannten Senfkorn beruht; dies sind die Heiligen, jene Söhne und Töchter der Kirche, die voll­kommene Werkzeuge in den Händen Gottes sein konnten.

Deswegen baute Christus seine Kirche auch nicht auf die Mächtigen seiner Zeit, sondern auf die in den Augen der Welt so schwachen Apostel, mit deren Namen wir das Wort »Heiliger« untrennbar verknüpfen: der heilige Apostel Petrus, der heilige Apostel Paulus usw. Die Reihe der Heiligen hörte in der Geschichte der Kirche mit den Aposteln nicht auf; die von ihnen getra­gene Stafette wurde und wird von einer Generation an die andere und von einem Volk an das andere übertragen.

Das gläubige Volk Litauens dankt Seiner Heiligkeit Papst Johannel Paul II. für die Ehre, die er unserem Volksangehörigen Mykolas Giedraitis in seinem Brief an die Teilnehmer der Jubiläumsfeierlichkeiten in Krakau zuteil wer­den ließ.

Wir legen demütig vor dem Thron des hl. Vaters auch unsere Bitte nieder, unsere Landsleute Mykolas Giedraitis und Erzbischof Jurgis Matulaitis so bald wie nur möglich heilig zu sprechen.

Das christliche Litauen

 (Wir wollen innehalten und uns besinnen)

Vor fast 2000 Jahren geschah der größte Verrat der Menschheit: Ein Mensch hat seinen Bruder verraten, ein Sünder seinen Erlöser, ein Schüler seinen Lehrer, eine Schöpfung ihren Schöpfer. Allein die Art dieses Verrats, der Judaskuß, hat eine tiefe, sinnbildliche Bedeutung für alle Zeiten. Mit einem Kuß zeigt der Mensch seine Liebe, seine Anhänglichkeit, Dankbarkeit und seine Freundlichkeit, wie auch seine Ergebenheit und Freude. Der Judaskuß brachte aber keines dieser Gefühle zum Ausdruck. Das war ein Kuß der Heuchelei, des Stolzes, des Hochmuts und des Neides; ein verräterischer Kuß der menschlichen Verdorbenheit. Es ist eine Wiederholung der Sünde Adams, in der die Eitelkeit des Menschen, von Neid angeregt, die göttliche Priorität und Majestät nicht hinnehmen will.

Brüder und Schwestern im Glauben, wir wollen in der Stunde der Buße und Besinnung bei uns selber einkehren; wir wollen unsere Beziehungen zu Christus und zu unseren Brüdern, mit denen wir uns in Berufung und Glau­bens eins wissen, überdenken und unsere Beziehung zu unserer Heimat und zur Kirche betrachten. Wir wollen die Fenster und Türe unserer Seele öffnen und überprüfen, ob sich da nicht irgendwo in einer Ecke der Judasgeist ver­krochen hat, der nur auf den Moment wartet, wo er uns vollkommen ver­sklaven und unterjochen kann. Beim Satan spielen die irdischen Verdienste und Titel der Menschen keine Rolle, ihm ist nur die Seele des Menschen wichtig. Er will nur erreichen, daß der Mensch vor ihm niederfällt und ihn anbetet, sich vor ihm fürchtet und ihm dient. Um an dieses Ziel zu gelangen, sind dem Satan alle Mittel recht.

Vilnius

Nach einer Amnestie wurde der Priester Jonas-Kąstytis Matulionis am 15. Juni 1985 aus dem Lager in Smolensk entlassen. Durch einen glücklichen Zufall wurde am Tag seiner Rückkehr in der St. Michael-Kirche das 50jäh-rige Priesterjubiläum des Priesters Stanislovas Valiukėnas begangen. Kurz vor dem Hochamt kam Priester J. Matulionis, der gerade nach Vilnius zu­rückgekehrt war, ganz erschöpft in der Kirche an. Schon früher hatte er in der St. Michael-Kirche gesungen und war bei allen sehr beliebt. Nach alter Gewohnheit sang Priester Matulionis, der eben noch Lagerinsasse war, wieder in der Hl. Messe. Die meisten Gläubigen konnten es nicht fassen: Eine be­kannte Stimme... Priester Matulionis... es ist doch nicht möglich ... Er ist doch im Gefängnis! Er war es aber wirklich. Da der Priester ernsthaft krank ist, hat man ihm im Lager die erste Invaliditätsgruppe zuerkannt, und weil der Artikel, aufgrund dessen er verurteilt wurde, unter die Amnestie fiel, wurde er entlassen.

An den Staatsanwalt der LSSR Erklärung

der Priester der Erzdiözese Vilnius

Das Oberste Gericht der LSSR hat am 18. Januar 1985 nach der Anklage wegen grober Verletzung der öffentlichen Ordnung, gemäß § 199 Teil 3 des StGB der LSSR, den Priester Jonas-Kąstytis Matulionis zu drei Jahren Freiheitsentzug verurteilt.

Priester Jonas-Kąstytis Matulionis ist am 1. November 1984 gemeinsam mit den Gläubigen aus der Kirche von Kybartai zu dem naheliegenden Friedhof gegangen, um dort für die Verstorbenen zu beten. Am Tag der Verstorbenen­ehrung organisiert auch die Regierung in ganz Litauen Märsche zum Friedhof. Die Gläubigen sind mit dem verurteilten Priester wohlgeordnet zum Friedhof gegangen, ohne den Transportverkehr oder die Arbeit der Betriebe zu be­einträchtigen. Deshalb besteht überhaupt kein Anlaß, diese Prozession als grobe Verletzung der öffentlichen Ordnung zu betrachten. Außerdem wird mit dem Artikel 48 der Verfassung der LSSR die Freiheit der Straßenumzüge garantiert.

Im März 1985 fand in Vilnius die Gerichtsverhandlung gegen Vladas Lapienis statt. Der Frau des Angeklagten, Elena Lapienienė, wurde von dem Prozeß gegen ihren Mann offiziell nichts mitgeteilt. Durch eigenes Bemühen hatte sie von dem Gerichtsprozeß erfahren. Sie kam in den Gerichtssaal und fand ihn vollbesetzt; es gab keine freien Plätze mehr. Für E. Lapienienė wurde extra ein Stuhl hereingebracht, den man so hinstellte, daß sie nichts sehen und hören konnte.

Der Staatsanwalt bei der Verhandlung war Murauskas. Auf einen Verteidiger hat der Angeklagte verzichtet. Die Gerichtsverhandlung dauerte einen Tag. Zu Beginn wurde die Anklage verlesen. Das Anklagematerial umfaßte sieben Bände. Es wurde so schnell und so leise vorgelesen, daß im Saal nichts zu verstehen war. V. Lapienis wurde der antisowjetischen Propaganda und Ver­leumdung beschuldigt.

Am 1. August 1976, dem Fest des hl. Dominikus, feierte die Kirche von Palėvenė (Rayon Kupiškis) ihr 300jähriges Jubiläum. Die Predigt während der Feierlichkeiten hielt der Priester Pranciškus Masilionis, der in dieser Kirche früher gearbeitet hatte. Er erinnerte kurz an die Geschichte der

Kirche von Palėvenė, an das bei der Kirche gegründete Dominikanerkloster und die von den Ordensleuten geleitete Schule und Bibliothek, durchleuch­tete auch die Bedeutung der anderen Kirchen und Schulen, die es früher in Litauen gab und denen von Palėvenė ähnlich waren. Er sprach z. B. von Pažaislis bei Kaunas, von St. Peter und Paul, von St. Michael, von der Bern­hardiner-Kirche in Vilnius und erwähnte Tytuvėnai, Linkuva und Kražiai. Das waren Zentren der Kunst und der Wissenschaft, die zur Entwicklung der Anschauungen und Bräuche des Landes entscheidend beitrugen.

»Dies alles hat die Litauer für die Kämpfe und für das Leiden vorbereitet, die später auf sie warteten.

Klaipėda

Anfang 1985 wurden die Einwohner von Klaipėda, Murauskas und Jonulis, verhaftet und des unerlaubten Gewerbes beschuldigt. Sie haben in privaten Räumen in Gargždai religiöse Bildchen für Weihnachten, Ostern oder zur Erinnerung an Taufe, Firmung und Erstkommunion oder auch Kreuzweg­stationen die in Žemaičių Kalvarija auf sog. Kalvarienbergen gesungen wer­den, hergestellt.

Die Verhafteten sind im Gefängnis zu Vilnius untergebracht.

Sergej Kowaliow schreibt aus der Verbannung:

» ... Anfang Dezember bin ich aus Magadan zurückgekommen. Schon zwei Wochen später beschimpfte mich die Ortsmiliz offiziell als Verletzer der Paßverordnungen (vermutlich als Verletzer der Meldepflicht — Bern. d. Übers.), ja sogar als Vagabund, obwohl ich keine drei volle Tage zu Hause verbracht hatte. Auch meine Frau ist schon eine Gefährliche geworden, weil sie ihren unangemeldeten Ehemann bei sich hat übernachten lassen.

Vilnius

Wenn man einen Einflick in den »Kalender der Katholiken — gesammelte Informationen« für das Jahr 1985 bekommt, dann fallen einige Fehler und Abweichungen mit dem »Kalender der Katholiken — gesammelte Informa­tionen« des vergangenen Jahres ins Auge. In der gemeinsamen Liste der Bischöfe Litauens zum Beispiel wird die Amtsbezeichnung (z. B. Administra­tor) nicht wie früher angegeben. Dies wird nur am Anfang der Liste der Geistlichen einzelner Diözesen vermerkt. Bischof Julijonas Steponavičius wird nur bei der Aufzählung der in Žagarė lebenden Geistlichen genannt, unter seiner Amtsbezeichnung als Apostolischer Administrator der Erzdiö­zese Vilnius wird er jedoch nicht erwähnt, obwohl er im vergangenen Jahr in der gemeinsamen Liste der Bischöfe von Vilnius in Kurzform erwähnt wurde. So ging man auf Anweisung des Bevollmächtigten des RfR Petras Anilionis vor.

In der Liste der Diözesanrichter der Erzdiözese Vilnius müßte der Name des Priesters Donatas Valiukonis zu finden sein — denn tatsächlich übt er sein Amt aus, aber in der im Kalender zusammengestellten Liste ist er nicht aufgeführt. P. Anilionis kann ihn mit Sicherheit deswegen nicht leiden, weil dieser verhindert hatte, die unkanonischen Wahlen in den Priesterrat der Erzdiözese Vilnius durchzuführen.

                                   Priester Alfonsas Svarinskas

                                   Priester Sigitas Tamkevičius

Priester Jonas-Kąstytis Matulionis

Dozent Vytautas Skuodis

Viktoras Petkus

Vladas Lapienis

Romas Žemaitis

Jadvyga Bieliauskienė

Povilas Pečeliūnas

Gintautas Tešmantas

Julius Sasnauskas

und andere tragen die Ketten der Unfreiheit, damit du frei leben und glauben darfst!