Klaipėda

Anfang 1985 wurden die Einwohner von Klaipėda, Murauskas und Jonulis, verhaftet und des unerlaubten Gewerbes beschuldigt. Sie haben in privaten Räumen in Gargždai religiöse Bildchen für Weihnachten, Ostern oder zur Erinnerung an Taufe, Firmung und Erstkommunion oder auch Kreuzweg­stationen die in Žemaičių Kalvarija auf sog. Kalvarienbergen gesungen wer­den, hergestellt.

Die Verhafteten sind im Gefängnis zu Vilnius untergebracht.

Sergej Kowaliow schreibt aus der Verbannung:

» ... Anfang Dezember bin ich aus Magadan zurückgekommen. Schon zwei Wochen später beschimpfte mich die Ortsmiliz offiziell als Verletzer der Paßverordnungen (vermutlich als Verletzer der Meldepflicht — Bern. d. Übers.), ja sogar als Vagabund, obwohl ich keine drei volle Tage zu Hause verbracht hatte. Auch meine Frau ist schon eine Gefährliche geworden, weil sie ihren unangemeldeten Ehemann bei sich hat übernachten lassen.

Ich lebe in Kalinin, das Häuschen befindet sich auf dem Lande; ich habe wenigstens mein eigenes Winkelchen, das ich zu erhalten versuche und re­pariere. Nach langen Scherereien habe ich Arbeit bekommen. Schon seit einem Monat arbeite ich am Bau als Nachtwächter.

Meine jetzige Adresse:

170007, Kalinin oblactnoj

2 aja Howozawodskaja ul. dorn. 114

Kowaliowu Sergieju Adomowiču.

Im April 1985.

Mordowien

Dozent Vytautas Skuodis hat in seinem Brief vom 13. Juni 1981 an den Vorsitzenden des Präsidiums des Obersten Rates der UdSSR, Leonid Breschnew, und an den Generalstaatsanwalt der UdSSR, A. M. Rekunkow mit Begründung dargelegt, daß er seine Überzeugungen durch Hungerstreik an folgenden Tagen zum Ausdruck bringen werde: Am 15. Juni, dem Tag, an dem Litauen die staatliche Unabhängigkeit verlor; am 30. Oktober, dem Tag des politischen Gefangenen in der UdSSR und am 10. Dezember, dem internationalen Tag der Menschenrechte und Freiheiten. Dozent V. Skuodis hatte erklärt, daß er an einem von ihm ausgesuchten Tag einmal in der Woche solange hungern werde, bis er eine befriedigende Antwort vom ZK der KP Litauens auf seinen Brief bekommen werde, in dem er mit Berufung auf die Unterlagen des internationalen Rechts darlegte, daß das Statut der religiösen Gemeinschaften Litauens widerrechtlich ist. Im Lager von Mor­dowien werden in der letzen Zeit solche Hungerproteste als »gröbste Ver­letzung der Disziplin« betrachtet, wofür die Gefangenen mit Karzer bestraft werden. Der Lagerstaatsanwalt behauptet aber, daß es durchaus normal sei, die Gefangenen in Isolationshaft oder Karzer zu stecken, wenn sie einen Hungerstreik ankündigen; dies entspreche den Prinzipien des Statuts der Besserungsarbeitskolonien und auch ganz allgemein den Rechtsnormen der UdSSR. Am 30. Oktober 1984 wurde Dozent V. Skuodis »wegen der An­kündigung eines unbegründeten Hungerstreiks« für 10 Tage im Karzer ein­gesperrt, 5 Tage davon überhaupt ohne Nahrung. Im September entließ die Lagerverwaltung Dozent V. Skuodis aus der Arbeit in der Wäscherei und teilte ihm eine Arbeit als Geschirrspüler und Reiniger im Speiseraum zu, ohne Recht auf Ausgangs- und Feiertage. Die meisten an ihn adressierten Briefe und Postkarten erreichen V. Skuodis in der letzten Zeit nicht mehr. Die schriftlichen Erklärungen und Klagen, die der Gefangene wegen ähnlicher Willkürakte der Lagerverwaltung an die Staatsoberhäupter richtet, werden von der Lagerverwaltung nicht weitergeleitet oder »zwecks Überprüfung und Beantwortung« dem Lagerstaatsanwalt übergeben.

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Barac Galina Iwanowna, eine Ungarin, geboren in Transkarpatien, hatte bis 1977 den Lehrstuhl für Geschichte an der Staatlichen Universität zu Moskau inne. Ihr Mann, Wasali j Barac, ist Ingenieur, Spezialist für Computertechnik, ehemaliger Offizier des Generalstabs. Wegen unbegründeter Verfolgung durch das KGB (W. Barac wurde dreimal in einem psychiatrischen Kranken­haus »Zwangsbehandlungen« unterzogen; durch Aminazinspritzen erlitt Wa-silij eine Lähmung der rechten Körperseite), traten Galina und Wasilij Barac 1977 aus der Kommunistischen Partei aus, legten die sowjetische Staatsan­gehörigkeit ab und ersuchten um eine Ausreisegenehmigung in ein beliebiges nichtsozialistisches Land. Das Politbüromitglied Grischin sprach persönlich mit G. Barac als ehemaliger Kommunistin und versprach ihr, diese Ausreise­genehmigung zu erwirken. G. Barac wurde der Lehrstuhl entzogen; man versetzte sie in die Bepflanzungsabteilung derselben Universität gegen 70 Rubel Entlohnung. Ihr Mann arbeitete zu der Zeit überhaupt nicht, erst nach einem Jahr bekam er eine Beschäftigung als einfacher Arbeiter in einer Wäscherei. Im August 1982 fuhr W. Barac in Angelegenheiten der Auswan­derung in die Stadt Rowno, wo er von den Mitarbeitern des KGB bis zur Bewußtlosigkeit geschlagen wurde. Zehn Tage lang wußte Galina nicht, wo sich ihr Mann befand. W. Barac kündigte einen Hungerstreik an (13 Tage lang hat er gehungert) und verlangte für seine Verhaftung einen Haftbefehl des Staatsanwalts. Nach 13 Tagen brachten sie ihn nach Rostow am Don, wo sie ihn in einer geschlossenen Gerichtsverhandlung zu 9 Jahren Lager mit strengem Regime verurteilten. W. Barac wird zur Zeit im Lager von Perm gefangengehalten. G. Barac fuhr aus Moskau nach Rostow am Don, um zu erfahren, wann die Gerichtsverhandlung gegen ihren Mann stattfindet, wurde aber auf der Stelle verhaftet und wie ihr Mann in einer geheimen Gerichts­verhandlung zu 6 Jahren Lager mit strengem Regime und drei Jahren Ver­bannung verurteilt. Als sie Galina in das Lager gebracht hatten, gaben sie ihr fast einen ganzen Monat lang keine Kleider, obwohl sie bis auf die Un­terwäsche ausgezogen worden war. Im Jahre 1983 hat G. Barac fünfmal lange Zeit (ingesamt 58 Tage lang) gehungert. Vom 9. bis 19. Januar 1984 war sie in einem Karzer eingesperrt. Galina Barac leidet an Rheumatismus und Arthritis; sie darf keine chemischen Medikamente verwenden. Ihre Brille wurde ihr zurückgegeben, sie ist aber in der letzten Zeit schon wieder zu schwach. Die Briefe ihres Mannes erreichen G. Barac fast nicht mehr; auf ihre Erklärungen an den Staatsanwalt bekommt sie ebenfalls keine Ant­wort; niemand aus der Verwandtschaft kommt, um sie zu besuchen. Wasilij und Galina Barac sind in einer ganzen Reihe von Zeitungen verleumdet worden; beide sind gläubige Pfingstler. Aus einem Brief von G. Barac: »Alles wird so, wie Gott es will, denn der Mensch denkt, Gott aber lenkt. Und doch, was kann uns ein Mensch antun, wenn Gott mit uns ist, denn wir wissen, daß denen, die Gott lieben und durch seinen Willen berufen sind, alles zum Besten gereicht. Wir wollen mit Gott leben. Betet für uns. Gott möge euch segnen!«