„Tamonis, Mindaugas (geb. am 28. August 1940 in Vilnius) — Ingenieur, Chemiker, Technologe, seit 1968: Dr.-Prom. der Technischen Wissenschaften. 1962: Abschluß des Politechnischen Institutes in Kaunas, bis 1963 tätig als Ingenieur des Baumaterialien-Industriekombinates von Daugėliai (Rayon Šiauliai); 1966—1969: Wissenschaftlicher Mitarbeiter des Institutes für Bau­wesen und Architektur; ab 1969: Leiter des Chemielabors am Institut für Denkmalserhaltung. Veröffentlichungen über die Zement- und Beton-Erhär­tung."

(Kleine Litauische Sowjetische Enzyklopädie, B. III, S. 560)

 

Die „Chronik der LKK" berichtete über M. Tamonis' Weigerung, auf dem Kreuzberg das Denkmal der sowjetischen Armee zu restaurieren und über seine Einweisung in das Psychiatrische Krankenhaus von Naujoji Vilnia. Nach dreimonatigem Zwangsaufenthalt wurde Tamonis mit schweren ge­sundheitlichen Schäden entlassen. Die Möglichkeit, an weiterführenden For­schungsprojekten des Institutes mitzuarbeiten, wurde ihm entzogen.

An den Vorsitzenden des Ministerrates der Litauischen SSR, J. Maniušis Kopien: An die litauischen Bischöfe: J. Labukas in Kaunas, J. Pletkus in Telšiai, L. Povilionis in Kaunas, R. Krikščiūnas in Panevėžys und V. Slad­kevičius in Nemunėlio Radviliškis, den Kanoikus J. Andrikonis in Vievis und an die Erzbischöfliche Kurie von Vilnius (Wilna).

Erklärung

des Bischofs Julijonas Steponavičius, wohnhaft: in Žagarė, Rayon Joniškis

Das fünfzehnte Jahr geht ins Land, seit ich von meinen Amtspflichten ent­hoben und mir von der administrativen Verwaltung die Stadt Žagarė im Rayon Joniškis als Zwangsaufenthalt zugewiesen wurde. Die Amtsenthe­bung ist durch keinerlei Anklage begründet worden. Bis heute weiß ich nicht, was ich mir habe zuschulden kommen lassen, weshalb und für wie lange Zeit ich aus meinem Bistum verbannt worden bin. Zwar hatte mir der damalige Beauftragte des Rates für religiöse Angelegenheiten, J. Rugienis, erklärt, daß dies auf Beschluß des Ministerrates der Litauischen SSR geschehen sei, doch meiner Bitte, mich mit dem Wortlaut dieses Beschlusses bekannt zu machen bzw. mir eine Abschrift zukommen zu lassen oder ihn mir wenigstens vorzu­lesen, ist der Beauftragte nicht nachgekommen. Um mich rascher loszuwer­den, griff er zu Zwangsmaßnahmen, indem er sich der administrativen Voll­zugsorgane bediente. Unter dem Druck letzterer mußte ich Vilnius und die Grenzen des Vilnaer Bistums verlassen. Noch immer bin ich darüber im Un­klaren gelassen, ob meine Amtsenthebung auf Grund des Beschlusses des Ministerrates der Litauischen SSR erfolgte oder auf der Eigeninitiative des Beauftragten für Religionskulte beruht.

Im November 1975 wurde in Litauen ein neues Organ, die „Aušra", als Schreibmaschinenvervielfältigung unter die Leute gebracht. Die „Chronik der LKK" druckt den Einleitungsartikel der Herausgeber der „Aušra" ab:

Gediminas Zeiten würde Vaidevutis, der Berühmte, gerne wieder erwecken! Doch wo ist Vaidevutis? Maironis

Nach fast hundert Jahren erscheint von neuem die „Aušra". Es ist, als ob sich die litauische Geschichte wiederhole— die zaristische Okkupation wurde durch die sowjetische abgelöst. Von neuem ist die Existenz des litauischen Volkes bedroht. Gefährdet sind vor allem ihre Geistesgüter: Religiosität, Moral, Sprache, Literatur und die gesamte litauische Kultur. Der seelische und physische Untergang unseres Volkes wird, planmäßig und geschickt mas­kiert, ganz bewußt vorangetrieben mit den Mitteln der Hinterlist, der Lüge und des Betrugs. Der weniger vorausschauende Teil des Volkes hat die uns drohende Gefahr noch nicht begriffen. Aus Unverstand oder des täglichen Brotes wegen macht er sich zu Handlangern der Unterdrücker unseres Vol­kes.

 

Die ruhmreiche Vergangenheit von Litauen soll soweit wie möglich ver­schwiegen werden. Es ist deshalb nur folgerichtig, wenn in unseren Schulen nur sehr wenig Platz der Geschichtsdarstellung von Litauens Vergangenheit eingeräumt wird und die diesbezügliche Geschichtsliteratur nur sehr spärlich und im übrigen unbarmherzig zensiert erscheinen darf. Die vor dem Kriege herausgegebenen Lehrbücher der litauischen Geschichte werden vernichtet. Durch die Verfälschung der historischen Fakten erscheint die litauische Ver­gangenheit in einem ungünstigen Licht.

Erfreulicherweise finden sich unter uns Leute, denen die Verteidigung der Menschenrechte am Herzen liegt („Chronik der LKK"); der Anspruch des Menschen auf ein Leben in einer nicht nur moralisch, sondern auch physisch gesunden Umwelt bedarf desgleichen der Fürsprache. Die geistige Vernich­tung des Menschen ist eine Tragödie, eine nicht geringere stellt die Gefahr einer Vernichtung der Umwelt für sein leibliches Wohl dar. Es ist durchaus zu begrüßen, daß die Landwirtschaft in Litauen heute 20 bis 27 dz pro Hektar erntet, daß die Lebensbedingungen der Landbevölke­rung sich kaum noch von denen der Städter unterscheiden, daß der Bauer heute weniger arbeitet, jedoch mehr zu essen hat als vor dem Krieg. Das ist die helle Seite der Medaille, die Kehrseite ist bedenklicher... Gästen aus dem Ausland zeigt man gerne an der Autostraße Vilnius—Kaunas eine eingezäunte Eiche, welche zu bezeugen scheint: „Schaut her, wie man sich bei uns nicht nur der gesamten Natur, sondern auch einzelner Bäume an­nimmt". Diese Eiche dient gewissermaßen als Agitationsobjekt. Die in Litauen weilenden Touristen verspüren ein an die Sowjetregierung gerichte­tes Gefühl der Dankbarkeit für den Schutz, die diese der Natur angedeihen läßt. Wenn die Touristen dann auch noch Filme über das Naturschutzgebiet um den Žuvintas-See vorgeführt bekommen, werden sie von Tränen der Rührung übermannt. Die Eiche und diese Filme benebelten sogar einem so namhaften Naturschützer der USA wie Valdas Adamkas die Augen.

Am 22. März 1966 haben sich 21 litauische Intellektuelle an die Administra­toren von Litauen, A. Sniečkus und M. Šumauskas, gewandt. In einem 14 Seiten umfassenden Memorandum schilderten sie die recht bedenklichen Zustände der Natur in Litauen. Sie schrieben: „In der litauischen Öffentlich­keit, insbesondere in Kreisen von Wissenschaftlern und Kulturschaffenden, greift immer stärker eine tiefe Besorgnis über das Schicksal des Unterlaufes des Nemunas (der Memel), des Kurischen Haffes, der Ostseekurorte und der gesamten litauischen Meeresküste um sich ..."

Auf Anordnung von Barščius, dem Direktor des Autobusparkes der Stadt Šiauliai, wurde den Busfahrern der progressive Leistungslohn gestrichen. Die Fahrer nahmen daraufhin am 1. Oktober 1975 zwar um fünf Uhr morgens ihre Fahrtanweisungen entgegen, fuhren jedoch nicht ab. Die Leute, welche deshalb nicht an ihre Arbeitsplätze gelangen konnten, fingen an zu toben. Die Busfahrer ließen sich indes auch nicht durch die Versprechungen des Direk­tors, ihnen den Lohn nach dem alten Prinzip auszuzahlen, bewegen, ihre Fahrten anzutreten. Daraufhin befahlen der Vorsitzende des Exekutivkomi­tees der Stadt und der Erste Parteisekretär, die herbeigeeilt waren, dem Direktor, eine Anordnung zu unterzeichnen, daß wie gewohnt entlohnt würde. Nach drei Stunden wurde der Streik abgebrochen, und die Busse ver­kehrten wieder planmäßig.

 

Am 26. September 1975 wurde die vorbereitende Untersuchung in dem Ge­richtsverfahren gegen S. Kovaliev abgeschlossen. Sein Gerichtsverfahren wurde von dem Gerichtsverfahren Nr. 345 abgetrennt. Die Frau von S. Kovaliev betraute im August die Moskauer Rechtsanwälte S. V. Kalistratov und D. I. Kaminski mit der Verteidigung des Angeklagten vor Gericht, was diese auch annahmen. Von dem Präsidiumsvorsitzenden des Moskauer Advokatenkollegiums Apraksin wurde jedoch die Teilnahme der Rechtsanwälte Kalistratov und Kaminski an diesem Gerichtsverfahren unter­sagt. Nach Meinung des Vorsitzenden Apraksin seien solche Gerichtsverfah­ren für die Anwälte nicht ungefährlich, wobei das Advokatenkollegium sei­nen Mitarbeitern keine Hilfestellung bei einem Gerichtsstand außerhalb Moskaus leisten könne. Außerdem vertrat Apraksin die Ansicht, daß selbst im Falle einer offenen Gerichtsverhandlung wohl nur die engsten Angehöri­gen daran teilnehmen dürften.

Verordnung Nr. 112

des Direktors des Mitschurin-Sowchos und der-Fachschule, Trägerin des Rote-Fahne-Ordens, in Joniškėlis

Joniškėlis, 20. Oktober 1975

Gemäß der Verordnung Nr. 1019 des Landwirtschaftsministeriums der Litauischen SSR vom 8. Juli 1975 über Maßnahmen zur Verbesserung des Russisch-Unterrichtes an Landwirtschafts-Fachschulen und Sowchos-Fach­schulen während der Lehrveranstaltungen und im Außerklassenbetrieb sowie über die Einführung des Litauisch-Unterrichtes für Gruppen, die in russi­scher Sprache unterrichtet werden, ordne ich an:

 

1. Die pflichtmäßige Teilnahme der Schüler mit Abitur (Teilnehmer des Se­kundärkursus) an den Unterrichtsstunden in russischer Sprache und Lite­ratur.

2.        Zur besseren Aneignung russischer Fachausdrü

a.   im Russischunterricht — die verstärkte Hinzuziehung von Fachtex­ten, unter Verwendung der fortschrittlichsten Lehrmethoden und Lehrhilfsmittel,

b.     im Fachunterricht — Gegenüberstellung der litauischen und russischen Fachausdrücke.

Am 16. Oktober 1975 wurde Eugenija Žukauskaitė zu der Vorsitzenden des Exekutivkomitees von Kaunas, Tamašauskienė, bestellt. E. Žukauskaitė wird vorgeworfen, daß sie unverbesserlich in den Sommermonaten Kinder in Glaubenswahrheiten unterrichtet hätte, obwohl bereits ihr Fall in einer Fabriksitzung zur Sprache gekommen sei.

E. Žukauskaitė entgegnete, daß sie sich in der sowjetischen Schule und auf der Straße ihre Kinder nicht zusammengesucht hätte. „Wenn mich ein Mensch darum bittet, weshalb sollte ich ihm denn dann nicht etwas über den Glauben erklären. Ich habe da ein ganz reines Gewissen."

„Sieh mal an, ein reines Gewissen? Wo Sie doch haufenweise Kinder unter­richtet haben!", staunte die Vorsitzende des Exekutivkomitees. Daraufhin erwiderte E. Žukauskaitė, daß die Verfassung der Sowjetunion Gewissenfreiheit garantiere. Außerdem hätte die Sowjetunion die Deklara­tion über allgemeine Menschenrechte unterzeichnet, die für Religionsfreiheit eintritt. Aus der Zeitung hätte sie erfahren, daß der Verwalter des Erzbis­tums von Vilnius, Č. Krivaitis, bei seinem Besuch in Amerika behauptet hätte, daß in Litauen der Glaube nicht eingeengt würde. Sie sei sich keiner Schuld bewußt, auch wenn sie irgendwem etwas über Glaubenssachen erzählt hätte.

Die Vorsitzende Tamašauskienė machte Žukauskaitė zum Vorwurf, daß sie die Kinder verderbe und bemerkte hierzu, daß Kinder bis zu 18 Jahren nicht beeinflußt werden dürften.

Ein offener Brief an die Lehrerin der achtklassigen Schule in Pajieslys, Aldona Ilgūnienė.

Verehrte Lehrerin,

Ihr Artikel zu weltanschaulichen Fragen „Man darf dazu nicht schweigen", der in der Rayonszeitung von Kėdainiai Tarybinis Kelias (Der sowjetische Weg) vom 28. Juni 1976 erschienen war, wurde von den Gläubigen mit Ver­ärgerung aufgenommen.

Sie sind Atheistin, nicht schweigen zu wollen, ist Ihr gutes Recht, doch reden und schreiben sollte man stets die Wahrheit.

Ich bedauere es sehr, daß Sie die geistige Welt, in der Ihre Schüler leben, so wenig kennen. In die Kirche gehen nur diejenigen Kinder, welche an Gott glauben. Die Kirche ist kein Vergnügungsort. Die Eltern und ihre Kinder huldigen Gott in der Kirche und beten. Die gläubigen Kinder mißtrauen Ihnen und werden Ihnen niemals ihr Herz aufschließen. Uber hundert Kin­der und ihre Eltern sind gewillt, mit ihrer Unterschrift zu bezeugen, daß sie an Gott glauben und daß die Lehrerin Aldona Ilgūnienė die Unwahrheit sagt. Sie beabsichtigen sogar, deshalb vor Gericht zu gehen. Verärgert sind die Vertreter der Intelligenz, die Fachleute, welche in die Kirche von Pajieslys kommen. Sie fragen, wer die Lehrerin Ilgūnienė dazu berechtigt habe, sich in die Gewissenangelegenheiten anderer Leute einzu­mischen.

Unlängst wurde in Litauen die Nachricht verbreitet, daß in nächster Zeit ein hoher Würdenträger der Kurie, Erzbischof Augustin Casaroli, Litauen einen Besuch abstatten werde. Diese Nachricht wurde von den Priestern mit allge­meiner Besorgnis aufgenommen: wenn Moskau eine Reise von Erzbischof Casaroli nach Litauen genehmigt, so verspricht es sich von dieser Visite einen Nutzen. Zur Zeit ist Moskau daran gelegen, den Vatikan und die ganze Welt davon zu überzeugen, daß in Litauen völlige Glaubensfreiheit herrsche. Es besteht kein Zweifel, daß, sollte Erzbischof Casaroli nach Litauen kommen, die Sowjetregierung ihm mit Hilfe von weniger standhaften Priestern ein falsches, von der sowjetischen Propaganda entstelltes Bild der in Litauen in der katholischen Kirche vorherrschenden wahren Zustände vorgaukeln würde. Moskau möchte ferner erreichen, daß zwei verbannte Bischöfe, J. Ste­ponavičius und V. Sladkevičius, völlig entmachtet werden und den Bis­tümern der Sowjetregierung bis in Kleinigkeiten hörige und treue Bischöfe vorstehen. Die Katholiken in Litauen beten bereits darum, daß es Moskau nicht gelingen möge, den Vatikan irrezuführen und von der Kurie in Rom den Wünschen Moskaus entsprechende Entscheidungen zu erlangen.

 

Skiemonys

Im Juli 1975 wurde von der Familie Andrijauskas ein Standbild der hl. Jungfrau Maria auf dem Kirchhof der Kirche von Skiemonys aufgestellt. Am 30. Juli 1975 ließ der Fahrer des Kolchos von Skiemonys, Atkočius, auf Geheiß des Kolchosvorsitzenden Augustinas die Lkw-Garage unabgeschlos­sen. In der Nacht wurde das Standbild der hl. Jungfrau Maria von Jonas Krištaponis, dem Oberleutnant der Miliz, Lionginas Michelevič, dem Arbeiter Vladas Lebeda und dem Direktor der Mittelschule, Miliūnas, auf einen Laster verladen und ins Gebüsch am Wege zum Dorf Aženiai geworfen. Die Statue wurde dort noch am Morgen von Leuten, die zur Arbeit gingen, ge­sehen und war dann völlig verschwunden. Der Pfarrer von Skiemonys, F. Savčiuk (er kam im September um), meldete diesen Kirchendiebstahl der Miliz, die jedoch die Schuldigen offenbar nicht finden wollte und deshalb auch nicht fand.