CHRONIK DER KATHOLISCHEN KIRCHE LITAUENS NR. 6, 1973 

Mitte Mai 1973 haben Gläubige in Litauen dem Präsidium des Obersten Sowjet der UdSSR eine Beschwerde und zwei Eingaben eingereicht, die von Tausenden Gläubigen unterschrieben waren. Diese Eingaben waren Reaktionen auf die andauernde Diskriminierung der Gläubigen. Wie wurden die Unterschriften gesammelt? Die Texte der Eingaben wur­den von Hand zu Hand in ganz Litauen verbreitet. Jeder Unterschrift­bogen enthielt den gesamten Text der Eingabe, mit dem sich der Unter­schreibende vertraut machen mußte. Angespornt durch ihren tiefen Glau­ben und durch das schmerzhafte Erleben der Rechtsbeschränkungen ihrer Kirche und ihrer Heimat, haben unzählige Gläubige sehr viel Zeit und Mühe geopfert, bis sie 30 782 Unterschriften gesammelt hatten. Dies geschah in

ihrer Freizeit und in ständiger Gefahr, vom Sicherheitsdienst gefaßt zu werden. Wer unter solchen Bedingungen keine Unterschriften gesammelt hat, kann nicht ermessen, wieviel Mut und Opferbereitschaft von den Sammlern gefordert wurden.

Wie reagierten die Gläubigen auf die Unterschriftensammlung? Viele haben spontan unterschrieben, besonders wenn ihnen die Person des Sammlers be­kannt war. In den Fällen, wo die Person des Sammlers unbekannt war, ent­standen bei vielen Zweifel, ob es sich nicht um eine Provokation seitens der Regierung handle und ob dadurch nicht Nachteile für die Kirche und die Gläubigen entstünden. Es gab Eltern, die ihren Kindern aus Angst ver­boten haben zu unterschreiben. Aus Sicherheitsgründen war es natürlich nicht ratsam, an den Kirchen Unterschriften zu sammeln. Die Unterschrif­ten wurden daher vorwiegend in den Häusern gesammelt. Die Sammel­aktion dauerte anderthalb Monate. Einige der Listen gerieten in die Hände von zweifelhaften Personen, die entweder aus Unachtsamkeit oder aus böser Absicht die Bogen beschädigten, so daß ein Teil der Unterschriften unbrauch­bar war.

Die staatlichen Sicherheitsorgane erfuhren sehr schnell von der Unter­schriftenaktion, und es setzte eine Verfolgung der Sammler ein. Bei V. Grincevičiūte in Kaunas fand eine Hausdurchsuchung statt, nachdem sie angezeigt worden war, Unterschriften gesammelt zu haben. Auch wurde sie zu einem Verhör vorgeladen. Die Verhörenden wollten in erster Linie erfahren, wer die Unterschriftenaktion organisiere.

In der Pfarrei von Kapčiamiestis im Rayon Lazdijai fahndete der Sicher­heitsdienst nach einer Frau, die Unterschriften gesammelt haben soll. Dem Vernehmen nach wurde sie jedoch nicht gefaßt.

Dem Sicherheitsdienst von Panevėžys ist es gelungen, bei Frau Rudeniene aus Steponiškiai Unterschriftenlisten zu beschlagnahmen. Die Frau wurde verhört, woher sie die Texte für die Eingaben habe, und man drohte, ihr das Erziehungsrecht für ihre Kinder zu entziehen.

Auch einige Geistliche im Rayon Ignalina wurden verhört, nachdem der Sicherheitsdienst von der Unterschriftenaktion unterrichtet worden war. Der Bevollmächtigte des Rates für Religionsangelegenheiten, K. Tumėnas, befahl den Bischöfen und Bistumsverwaltern Litauens, durch Dechanten und Priester die Unterschriftenaktion zu verhindern.

In zahlreichen Orten Litauens, wie z. B. in Klaipėda, Kapsukas u. a., wur­den die Ortsgeistlichen von den Behörden verwarnt, keine Unterschriften zu sammeln.

Nach derartigen Reaktionen des Sicherheitsdienstes erhob sich natürlich die Frage, ob es überhaupt sinnvoll sei, den Behörden Eingaben mit Unter­schriftenlisten einzureichen? Würde man nicht damit nur riskieren, daß die Unterschreibenden aus der Arbeit entlassen, Jugendliche von den Schulen verwiesen würden usw.? Könnte nicht ferner der Sicherheitsdienst die Gläu­bigen beschuldigen, die Unterschriften gefälscht zu haben, -weil so viele Tau­sende nicht unterschrieben haben könnten usw.?

Einige meinten,, man sollte sich nicht an die Regierungsstellen wenden, son­dern vielmehr versuchen, durch den „Eisernen Vorhang" hindurchzudrin­gen und an das Weltgewissen zu appellieren.

Nachstehend folgen die vollständigen Texte der von den Gläubigen Litauens eingereichten Beschwerden.

 

An das

Präsidium des Obersten Sowjet der UdSSR

Durchschrift: An den Bevollmächtigten des Rates für Religionsangelegen­heiten, K. Tumėnas.

 

Beschwerde der Gläubigen Litauens

Im Erlaß des Präsidiums des Obersten Sowjet vom 12. 4. 1968 „Ordnung zur Uberprüfung von Vorschlägen, Erklärungen und Beschwerden der Bür­ger" heißt es: „Unter den jetzigen Entwicklungsverhältnissen der sowje­tischen Gesellschaft bilden Beschwerden gewöhnlich die Form, in der auf Tatbestände von Verletzung der Rechte der Bürger und ihrer durch Gesetze garantierter Interessen reagiert wird... Sie zeigen eben, daß es in der Arbeit der staatlichen und gesellchaftlichen Organe immer noch ernste Män­gel gibt."

Der Ratsvorsitzende für Religionsangelegenheiten V. Kurojedow schreibt: „Mit besonderer Wachsamkeit muß man auf die Beschwerden der Gläubi­gen reagieren, wenn ihre Rechte verletzt werden. Uber alle Beschwerden muß beraten und in strenger Befolgung des Erlasses des Präsidiums des Obersten Sowjet der UdSSR vom 12. 4. 1968(Religion und Gesetz, 1971, S. 24) entschieden werden."

Anfang März 1973 haben wir, Gläubige Litauens, beschlossen, uns an die sowjetischen Behörden Litauens zu wenden mit der Bitte, die Diskriminie­rung der gläubigen Schüler einzustellen, sie nicht länger zu zwingen, gegen ihre Uberzeugung zu reden und zu handeln, den Geschichtsunterricht in den Schulen objektiver zu gestalten und die Herausgabe der notwendigen religiösen Literatur nicht zu unterbinden. Damit die sowjetische Regierung über die Meinung der Gläubigen Litauens unterrichtet ist, wurden für die Beschwerden an das Kultusministerium der SSR Litauen und an den Bevoll­mächtigten des Rates für Religionsangelegenheiten, K. Tumėnas, Unter­schriften gesammelt. Wenn man der Sowjetpresse Glauben schenken darf, festigen diejenigen, die die Regierungsorgane über bestehende Mißstände unterrichten und deren Beseitigung fordern, die soziale Gerechtigkeit, neh­men Anteil an der Regierung des Landes und sind anständige und ehren­werte Menschen (vergi. Švyturys — „Der Leuchtturm" — 173, Nr. 6, S. 8—10).

Aber sobald die Staatssicherheitsorgane über die Sammlung von Unter­schriften erfahren hatten, setzte eine regelrechte „Hexenjagd" ein: Haus­durchsuchungen bei unschuldigen Menschen, Verhöre und Drohungen mit Gefängnisstrafen. So haben die Sicherheitsbeamten in Vilnius, Kaunas, Panevėžys, Lazdijai, Ignalina und anderswo verfahren. K. Tumėnas, der Bevollmächtigte des Rates für Religionsangelegenheiten, hat den Bischöfen und Bistumsverwaltern Litauens befohlen, durch Dechanten und Priester die Leute an der Unterschriftensammlung zu hindern. Den Sicherheitsbeamten ist es gelungen, einen Teil der Unterschriften zu konfiszieren. Ungeachtet dieser „wachsamen Reaktion auf die Beschwerden der Gläubi­gen" sind die Eingabe an das Kultusministerium der SSR Litauens von 14 284 Gläubigen und die Eingabe an den Bevollmächtigten des Rates für Religionsangelegenheiten von 16 498 Gläubigen unterschrieben worden. Da die Beamten des Staatssicherheitsdienstes die Eingabe der Gläubigen an die sowjetische Regierung als politisches Vergehen gewertet haben und die Unterschriftensammler terrorisieren, müssen wir von der Weitergabe der Originalerklärungen mit allen Unterschriften an die obengenannten Behör­den absehen. Das kann nur dann erfolgen, wenn die Gläubigen vom guten Willen der sowjetischen Regierung überzeugt sind, daß sich die Sicherheits­beamten nicht mehr in die Angelegenheiten der Gläubigen einmischen. Das Präsidium des Obersten Sowjet der UdSSR hat eine Meinungserklä­rung über den Entwurf der gesetzlichen Richtlinien zur Volksbildung ge­wünscht, die der Ministerrat der UdSSR im April dieses Jahres vorgelegt hat. In diesem Entwurf bleiben die Rechte gläubiger Eltern und ihrer Kin­der völlig unberücksichtigt. Er widerspricht dem Paragraph 5 der Pariser „Konvention zur Bekämpfung der Diskriminierung im Bildungswesen" vom 14.—15. Dezember 1960, in dem gefordert wird, den Eltern ... „eine religiöse und moralische Erziehung in Vereinbarung mit ihren Uberzeugun­gen zu garantieren". Unsere, der Gläubigen, Erklärung an das Kultusmini­sterium der SSR Litauens macht der sowjetischen Regierung deutlich, wel­cher Unterricht und welche Erziehung von Eltern gläubiger Kinder in Litauen gewünscht werden.

Anlage: Text der Erklärung an das Kultusministerium der SSR Litauen. Text der Erklärung an den Bevollmächtigten des Rates für Religionsange­legenheiten, K. Tumėnas.

 

Den 14. Mai 1973.

An das

Kultusministerium der SSR Litauen.

 

Erklärung der Schüler und ihrer Eltern in Litauen

Da wir Schüler und Eltern gut die Ziele der Schule und unsere Pflichten gegenüber der jungen Generation verstehen, werden wir oft enttäuscht, denn es wird den Schülern nicht das geboten, was wirklich notwendig ist. Im „Lehrbuch für Gesellschaftswissenschaft" heißt es: „Patriotismus ist eine der besten Fähigkeiten der menschlichen Natur... Er bekundet sich in der Liebe zu dem Land, in dem wir geboren und groß geworden sind und in der Liebe zu seiner Geschichte .. ." Wie sollen aber die Schüler die Vergangen­heit Litauens kennenlernen, wenn die „Geschichte der SSR Litauen" von J. Jurginis so kurz gehalten ist — knapp 100 Seiten — und einseitig dazu, und die „Geschichte der SSR Litauen" von A. Gaigalaitė (148 S.) nur über die revolutionäre Bewegung und die Nachkriegsjahre handelt? Dabei umfaßt die Geschichte der UdSSR vier Teile mit insgesamt 650 Seiten. Deshalb wissen die Schüler zwar viel über Pugatschew, Peter I. u. a., aber fast gar nichts über die ruhmreiche Vergangenheit Litauens.

Das größte Übel aber ist der durch Zwang den Schülern eingeimpfte Atheis­mus. Es wird gesagt, daß Religion in der Sowjetunion Privatangelegenheit sei, daß die Verfassung der UdSSR die Gewissensfreiheit für alle garantiert, aber die Lebenserfahrung sagt etwas anderes.

Religiöse Schüler werden doch öfters verhöhnt oder wegen religiöser Betäti­gung gescholten; mit Karikaturen von ihnen werden die Wandzeitungen der Schulen „geschmückt". Medaillen und kleine Kreuze werden den Schülern abgenommen. Manchmal führen die Lehrer gläubige Schüler sogar aus der Kirche heraus, z. B. bei Begräbnissen.

Gläubige Schüler werden gezwungen, gegen ihre Uberzeugung zu reden und zu schreiben, antireligiöse Karikaturen zu zeichnen. Wer nicht heucheln will, der bekommt die Note schlecht oder sehr schlecht.

Die Lehrer zwingen religiöse Schüler, atheistischen Organisationen und Zirkeln beizutreten und dadurch werden viele zur Heuchelei verleitet. Viele Lehrer benutzen die Unterrichtsstunden zur atheistischen Propaganda. Atheismus wird in und außerhalb der Schule sogar mit Hilfe von Betrug propagiert, z. B. durch Vorführung von „Wundern", boshafte Verhöh­nung und bewußte Entstellung des katholischen Glaubens. Manchmal wird die Note im Betragen nur wegen Kirchenbesuch auf aus­reichend herabgesetzt. In der Charakterbeurteilung wird die Uberzeugung religiöser Schüler vermerkt und dadurch der Zugang zu den Hochschulen erschwert.

Die Schüler müssen öfters Fragebogen ausfüllen, in denen die religiöse Uber­zeugung berührt wird. Es ist für uns unverständlich, warum mit Gewalt in

Gewissensbereiche eingedrungen wird. Da sie ihre Uberzeugung nicht offen­baren wollen, beantwortet ein Teil der Schüler diese Fragen heuchlerisch. Wem nützt das?

Wir haben nur einige Fälle von Gewissensnötigung der Schüler erwähnt, aber auch diese zwingen zur Meinung, daß die sowjetische Schule nicht an der Erziehung und Bildung, sondern an Propagierung des Atheismus interessiert ist. Eine solche „Erziehung" zerstört die Autorität der Schule und fügt den Schülern einen nicht wiedergutzumachenden Schaden zu. Zwangsmäßige Propagierung des Atheismus ist uns langweilig geworden und ruft zur Gegenreaktion auf — zur Abkehr von gewaltsam eingebläuten Ideen. Warum geschieht so etwas in den Schulen, wo doch die Verfassung der UdSSR Gewissensfreiheit verkündet?

Deshalb bitten wir das Kultusministerium, diese schädlichen Erscheinungen in der Schule zu beseitigen, damit niemand die Schüler am Gebrauch der Gewissensfreiheit hindert.

 

Im März 1973. 14284 Unterschriften.

N. B. Der Anteil der Schülerunterschriften beträgt etwa 25 %. An den

Bevollmächtigten des Rates für Religionsangelegenheiten K. Tumėnas

 

Erklärung der Gläubigen in Litauen

 

Am 1. März 1973 konnten wir in der Zeitung Gimtasis Kraštas (Geburts­land) die Erklärung von Bischof R. Krikščiūnas lesen: — Die Katholiken in Litauen geben die von ihnen benötigten Bücher heraus. Erst kürzlich sindRomos Kataliku Apeigynas Lietuvos Vyskupijoms (Das römisch-katholische Rituale für die Bistümer Litauens),Maldynas (Das Ge­betbuch), IIVatikano Susirinkimo Nutarimai (Die Beschlüsse des II. Vatika­nischen Konzils) und andere Bücher erschienen. Auch das so bedeutende Buch Šventojo Rašto Naujasis Testamentas (Das Neue Testament der Heiligen Schrift) ist noch druckfrisch. —

Wir, Gläubige, haben den Wunsch, die „Heilige Schrift" zu erwerben. Jedoch erklärten uns die Ortsgeistlichen, daß sie nur wenige Exemplare der „Heiligen Schrift" erhalten hätten — auf 300 Gläubige kommt ein Exemplar ...Wenn die Katholiken in Litauen die von ihnen benötigten Bücher heraus­geben dürfen, warum ist dann in den Nachkriegsjahren nicht einmal das allernotwendigste Buch „Der Katechismus" erschienen? Warum sind nur 10000 Exemplare der „Heiligen Schrift" erschienen? Warum haben wir die „Beschlüsse des II. Vatikanischen Konzils" nie zu Gesicht bekommen? War­um konnten wir nie das „Gebetbuch" bekommen, obwohl jeder Katholik ein

Gebetbuch besitzen muß? Damit nicht genug, warum müssen wir erfahren, daß Tausende von Exemplaren der „Heiligen Schrift" an Litauer im Aus­land geschickt werden, obwohl wir selbst das Buch hier nicht kaufen können? Sollen wir etwa unsere Verwandten im Ausland bitten, uns die in Litauen gedruckte „Heilige Schrift" zu senden?

Da es uns klar geworden ist, daß die sehr geringe Auflage der religiösen Bücher nicht von Katholiken, sondern auf Bitten des Bischofs und durch Ihre Vermittlung, Herr Bevollmächtigter, von der sowjetischen Regierung heraus­gegeben wird, bitten wir Sie, dafür zu sorgen, daß die „Heilige Schrift" und das „Gebetbuch" wiederholt gedruckt werden, damit jede katholische Familie je ein Exemplar davon erwerben kann.

Ferner bitten wir um die Erlaubnis, einen umfangreicheren Katechismus her­ausgeben zu dürfen. Andernfalls wird es uns schwerfallen, den Berichten Glauben zu schenken, daß die notwendigen religiösen Bücher in Sowjetlitauen erscheinen dürfen.

Im März 1973. 16498 Unterschriften.

 

Gläubige Schüler sollen zu Atheisten gemacht und entnationalisiert werden

(Uberblick über die sowjetische Propaganda von Januar bis April 1973) In der letzten Zeit hat die KP ihre besondere Aufmerksamkeit der Erziehung von Schülern und Studenten zugewandt. Die Pressespalten sind voll von Aufsätzen, die größere Aufmerksamkeit für die materialistische Weltanschau­ung der Jugend im Sinne des „sowjetischen Patriotismus" und „proletarischen Internationalismus" fordern.

1. Verleugnung und Vernichtung der Vergangenheit Litauens. „Im Geschichtsunterricht der SSR Litauen muß mit Entschiedenheit alles beseitigt werden, was irgendwie eine Idealisierung der Erscheinungen der reaktionären Vergangenheit sein könnte. Bei der Interpretation der Ge­schichtsdaten Litauens muß durch konkrete Beispiele bewiesen werden, daß die wirkliche Schöpferin der Geschichte das Volk gewesen ist und nicht die Fürsten — Vertreter der Ausbeuterklasse." Tarybine Mokykla (Sowjet­schule), 1971, Nr. 3.

Der Erste Sekretär des ZK der KP Litauens, A. Sniečkus, hat in seiner Rede vor dem Parteiaktiv der Republik im März ausgeführt: „Beunruhigend ist auch die Tatsache, daß bei der Behandlung der geschichtlichen Vergangenheit manchmal eine gewisse Idealisierung nicht vermieden wird ... So haben einige Mitarbeiter des ethnografischen Sektors beim Institut für Geschichte, anstatt die heutige Thematik zu erörtern, fast ausschließlich Probleme der Vergangenheit behandelt... Auch die Verlage müßten ihre Arbeit kritisch bewerten. Manchmal werden in ihrer Arbeit offensichtliche Zugeständnisse

gewissen Personen gegenüber gemacht, die meistens eine übertriebene Glorifi-

zierung gegenüber der grauen Vergangenheit hegen ..."

Tiesa (Die Wahrheit) vom 27. 3. 1973 hat ausdrücklich gefordert: „Man muß

unbedingt die offensichtliche tendenziöse Verherrlichung der Vergangenheit

bekämpfen."

„Die Geschichte der SSR Litauens" von J. Jurginis und V. Merkys, die ohne­hin nur 105 Seiten umfaßt und viele Tatsachen der Geschichte Litauens ver­dreht, wurde in Tiesa (Die Wahrheit) vom 10. 3.1973 dahingehend kritisiert, daß dort zu wenig „ideologische Fragen" hervorgehoben werden und daß „der klassenkämpferische Aspekt" in den geschichtlichen Ereignissen manch­mal durch zweitrangige Tatsachen verdeckt wird."

2. „Patriotische" und „internationalistische" Erziehung der Jugend. Die Sowjetpresse ist besorgt um die Verstärkung des „Internationalismus" bei der studierenden Jugend. Im gesamten Erziehungssystem, im Komplex der ideologischen Beeinflussung, nehmen der sowjetische Patriotismus und der sozialistische Internationalismus die erste Stelle ein." (Tarybinis Moky­tojas — Sowjetlehrer — vom 21. 3. 1973.)

Was bedeutet nun dieser „Patriotismus" und „Internationalismus" in der sowjetischen Propaganda?

A. Sniečkus hat vor der Versammlung des Parteiaktivs geäußert, daß „die Bande zwischen Schulen mit litauischer und russischer Unterrichtssprache verstärkt werden".

„Bei der Erziehung der Schüler im Geiste der Freundschaft bedeutet das Erlernen der russischen Sprache ein sehr wichtiges Hilfsmittel. Alle Völker und Nationalitäten der UdSSR halten die russische Sprache für ihre zweite Muttersprache ... Das Erlernen der russischen Sprache kultiviert die Liebe und Ehrfurcht zu dieser Sprache und formt Gefühle der Völkerverbrüderung und des sowjetischen Patriotismus und Internationalismus. Daher stellt sich die Aufgabe, den Unterricht der russischen Sprache ständig zu vervollkomm­nen." (Tarybinė Mokykla — Sowjetschule — 1973, Nr. 3.) Tarybinis Mokytojas (Der Sowjetlehrer) vom 14.2.1973 lobte dieDirektorin der Mittelschule von Kalesninkai, S. Lokit, und die Russischlehrerinnen L. Supron und V. Voitkun, weil sie sich bemühen, mit allen Mitteln den Schü­lern die Liebe zur russischen Sprache einzuimpfen. Zu diesem Zweck werden Konzerte des revolutionären Liedes in russischer Sprache veranstaltet, rus­sische Literaturwerke aus dem Gedächtnis vorgetragen usw. Die vormilitä­rische Ausbildung wird in allen Schulen in russischer Sprache durchgeführt, eine Ausbildung, deren Ziel es ist, bei den Schülern den „Patriotismus" zu fördern. Die militärischen Ausbilder pflanzen den Schülern mit großer Hin­gabe das Gefühl von Patriotismus ein." (Tarybinis Mokytojas — Der So­wjetlehrer — vom 21. 3. 1973.)

3. Atheistische Erziehung der Jugend.

A. Sniečkus hat in seiner Rede vor dem Parteiaktiv eine Verstärkung der atheistischen Arbeit gefordert: „Man darf sich nicht damit abfinden, daß einzelne Parteiorganisationen in der letzten Zeit ihre atheistische Arbeit deutlich vermindert haben. Unsere Zeit fordert nicht nur eine breite, sondern auch eine ständige und tiefe atheistische Propaganda."

Tiesa (Die Wahrheit) — vom 4. 3. 1973 ermahnt „alle Kommunisten, Kom­somolzen und Gebildeten zur atheistischen Arbeit."

Warum wird der atheistischen Propaganda in der letzten Zeit so viel Auf­merksamkeit gewidmet? Die Kandidatin der philosophischen Wissenschaften I. Galickaja weist darauf hin, daß unter der Jugend handschriftliche religiöse Literatur verbreitet wird, daß Priester mit den Jugendlichen religiöse Ge­spräche führen, die Eltern besuchen, daß die Jugendlichen auffallendes Inter­esse an der kirchlichen Vergangenheit zeigen, Heiligenbilder und Kreuze sammeln (Aufsatz Jaunimas ir Religija — Jugend und Religion — in ver­schiedenen Zeitungen der Republik).

Tarybinis Mokytojas (Der Sowjetlehrer) vom 30. 3. 1973 schreibt: „Die Geistlichkeit aktiviert ihre Arbeit unter den Gläubigen ... organisiert Kate­chismusunterricht für Kinder, Ministrantendienst in der Kirche während der Konfluxtage, ja sogar gemeinsame Kinder- und Elternausflüge werden ver­anstaltet ..."

Auf die Frage, warum die Religion in Litauen bekämpft werden muß, antwortete vielleicht am besten S. Sniečkus: „Die religiösen Vorurteile sind sehr oft mit den nationalen verquickt. Die Dunkelmänner bemühen sich in der letzten Zeit, die kirchlichen Traditionen sogar als nationale darzu­stellen."

 

Für die atheistische Propaganda werden neue Aufgaben gestellt:

1. Soziologische Forschungen durchzuführen über die Religiosität und ihre Ursachen. (Tiesa — Die Wahrheit — vom 4. 3. 1973.)

2. Individuelle Beschäftigung mit jedem gläubigen Schüler. (Tarybinis Moky­tojas — Der Sowjetlehrer — vom 30. 3. 1973.)

3. Die Eltern überzeugen, daß sie die atheistische Erziehung der Jugend nicht hindern. (a.a.O.)

Als Antwort auf die verstärkte atheistische und internationalistische Beein­flussung der Schüler kam die Erklärung der gläubigen Eltern und Kinder an das Kultusministerium der SSR Litauen.


Instruktion für die sowjetischen Behörden (Für den Dienstgebrauch)

Stoff zum Thema „Katholizismus in Litauen und die Gegenwart" Methodische Anweisungen.

Der Stoff zum genannten Thema wird aus wissenschaftlichen Gründen ge­sammelt, um die Vorgänge im heutigen Katholizismus und auch in anderen Konfessionen besser zu erkennen. Der Stoff wird vielseitig gesammelt: es werden die Predigttätigkeit und andere Formen der pastoralen Arbeit der Geistlichen, die Rolle des Kirchenaktivs in der religiösen Gemeinschaft und in der Arbeit der Kultdiener, die materielle Grundlage der religiösen Propa­ganda (Kirchengebäude, Kunstgegenstände, Kirchenchöre usw.) untersucht und die Modernisierung des Kultes beobachtet.

 

Predigttätigkeit.

Zum Abhören der Predigten werden aktive Atheisten ausgesucht, die über genügend Vorbildung verfügen. Ohne an der Kulthandlung teilzunehmen, benimmt sich der Atheist doch angemessen, hört sich die Predigt aufmerksam an und erzählt später ihren Inhalt, ohne etwas hinzuzufügen. Die Beschrei­bung der Predigt muß folgende Tatsachen enthalten:

a)  Ort der Predigt (Rayon, Kirche), Zeit (Tag, Stunde), Vor- und Familien­name und Wohnort des Predigers;

b)  Der Inhalt der Predigt wird möglichst ausführlich, vollständig und genau wiedergegeben unter strenger Beachtung der Objektivität. Der Inhalt der Predigt darf auf keinen Fall durch eigene Kommentare und Schlußfolgerun­gen ergänzt werden. Nach der Beschreibung des Inhalts darf man eigene Kommentare und Schlußfolgerungen unter dem Vermerk „Anmerkungen" hinzufügen;

c)  Predigtform: hat aus einem Konzept vorgelesen, einen Plan verwendet, hat ohne Konzept und ohne Plan gesprochen; Dauer der Predigt; Folge­richtigkeit der Formulierung; andere Mittel des Predigers zur Beeinflussung der Gläubigen.

In den Anmerkungen muß festgehalten werden, wie viele Gläubige am Gottesdienst teilnahmen (darunter Männer, Frauen, Jugendliche, Schul­kinder); wer beim Gottesdienst ministriert hat (Erwachsene oder Kinder); gottesdienstliche Zeremonien, ihre Feierlichkeit und Emotionalität (Orgel, Chor, Orchester, Solisten u. a.); Teilnahme der Gläubigen (Singen, Beten aus dem Gebetbuch, Antworten an den Priester usw.); wer während des Gottes­dienstes kollektiert hat (der Geistliche oder Vertreter des Kirchenaktivs).

Andere pastorale Tätigkeit des Priesters.

a)  Priester und Gläubige. Ist der Priester in seiner pastoralen Arbeit aktiv? Wenn ja, wie äußert sich seine Aktivität? Differenziert er seine Arbeit nach den verschiedenen Gruppen der Gläubigen (Männer, Frauen, Jugendliche, Kinder)? Hält er sich an die sowjetisdien Gesetze über religiöse Kulte? Wenn nicht, dann sind konkrete Angaben über die Nichteinhaltung der Gesetze zu machen. Welche besonderen Merkmale finden sich in der pastoralen Tätigkeit dieses Geistlichen? Meinung der Gläubigen über den Geistlichen.

b) Priester und Kinder. Ist der Priester bemüht, die Verantwortung gläubiger Eltern für die religiöse Erziehung ihrer Kinder zu wecken? Wenn ja, mit welchen Mitteln? Wie werden Kinder gläubiger Eltern zur Erstkommunion und zur Firmung vorbereitet?

c)  Die Lage des Priesters und sein persönliches Leben. Umgang des Priesters mit den Gebildeten im Ort. Das kulturelle Leben des Geistlichen (Fernsehen, Radio, Telefon, Zeitungen, Bücher, Theater- und Konzertbesuche u. a.).

 

Das Kirchenaktiv.

Es sind demographische Angaben zu machen über den Zwanzigerrat der Kirchengemeinde, über die ausführenden Organe, Mitglieder der Revisions­kommission und die Teilnehmer des Kirchenchores: Geschlecht: männlich oder weiblich; Alter: 18—25, 26—30 usw.; Bildungsgrad: Grundschule, abgeschlossen oder nicht; Mittelschule, abgeschlossen oder nicht; Hochschule, abgeschlossen oder nicht usw.; Soziale Lage: Arbeiter, Kolchosbauer, Ange­stellter, Rentner, Hausfrau usw.; Beschäftigung: die Pflichten der werk­tätigen Mitglieder des Kirchenaktivs im Produktionskollektiv sind anzu­geben; Teilnahme der Mitglieder des Kirchenaktivs am öffentlichen Leben:Amateurspielgruppen, politische Arbeit u. a.

Ferner ist das Verhältnis des Kirchenaktivs zum Pfarrer und den anderen Geistlichen zu schildern. Machen das Pfarrkomitee und die Revisionskom­mission von ihren in den sowjetischen Gesetzen über religiöse Kulte fest­gelegten Rechten Gebrauch, oder wird dieses Recht ausschließlich vom Pfarrer usurpiert? Die Rolle des nicht organisierten Kirchenaktivs (fromme Frauen und noch existierende Ordensschwestern) innerhalb der Pfarrgemeinde.

Materielle Basis der religiösen Gemeinschaften.

a) Gebetshaus. Die Instandhaltung des Gebetshauses und der Ordnungs­zustand des Geländes sind anzugeben (erneuert oder nicht, Kirchenplatz sauber oder nicht, Blumenrabatten, Steingärten u. a.). Das Innere des Gebets­hauses ist zu beschreiben (angestrichen, mit Bildern ausgestattet, elektrifiziert, Lautsprecheranlage u. a.). Sind etwa modernistische Züge in der Ausstattung und Ausschmückung des Kirchenraumes festzustellen?

b) Kultgegenstände. Glocken und ihre Benutzung; liturgische Gewänder und ihr Zustand (ordentlich, sauber oder verschlissen, ungepflegt); Zubehör der kirchlichen Prozessionen (Baldachin, Tragleuchter, Tragaltärchen, Fahnen u. a., ihr Zustand).

Einstellung der Gläubigen zur Modernisierung des Kultes. Wie bewerten die Gläubigen die Einführung der Muttersprache beim Gottes­dienst? Wie bewerten sie die Abkürzung der Abstinenz bis zu einer Stunde vor der Kommunion? Wie bewerten sie andere liturgische Neuerungen?

 

Anforderungen von Schriftproben der Schreibmaschinen.

Zu Beginn des Jahres 1973 haben die Exekutivkomitees einiger Rayons und Städte alle Behörden, Wirtschaftsbetriebe, Organisationen, somit auch die religiösen Gemeinschaften, aufgefordert, Schriftproben ihrer Schreibmaschi­nen einzuschicken. Hier ein Beispiel solcher Anforderung: — Hiermit ersuchen wir Sie, bis zum 22. März d. J. dem Exekutivkomitee Schriftproben der in Ihrem Besitze befindlichen Schreibmaschinen einzu­senden. Anzufertigen sind nach dem beigefügten Vorlagetext zwei Seiten auf Normblättern. Außerdem bitten wir um Mitteilung, welche Schreib­maschinen sich noch in Ihrem Besitz befinden, deren Schriftproben Sie wegen Defekte, Reparaturen oder anderer Ursachen nicht zuschicken können. — Beim Einschicken der Schriftproben muß die Nummer und die Marke der Maschine angegeben werden.

Es ist allen klar, daß die Schriftproben der Schreibmaschinen von Sicherheits­organen benötigt werden. Warum kümmert sich der Staatssicherheitsdienst um Schreibmaschinen?

Im Laufe der letzten Jahre haben die Katholiken Litauens mehrfach Be­schwerden an verschiedene staatliche Behörden gerichtet. Man darf nicht vergessen, daß jede Beschwerde an sowjetische Regierungsstellen wegen Un­terdrückung der religiösen Freiheit als Verleumdung und „ideologische Ab­weichung" angesehen wird. Deshalb will der Staatssicherheitsdienst auf­klären, wer die antisowjetische Kampagne inspiriert und organisiert. Außerdem wird in Litauen mit Hilfe von Schreibmaschinen religiöse Litera­tur vervielfältigt, die von Menschen verschiedener Berufsgruppen benutzt wird. Auf diese Weise werden Sowjetbürger „verdorben" ... Es ist anzu­nehmen, daß die Sicherheitsorgane ermitteln wollen, wie Schriften verviel­fältigt werden, und insbesondere — die Menschen einschüchtern wollen. Diese Bemühungen der Staatssicherheitsorgane, sogar private Schreibmaschi­nen zu kontrollieren, erinnern an die Stalin-Ära. Damals mußten alle Schreib­maschinen bei der Behörde registriert werden.


Erzbistum Vilnius

 

Ende 1972 wurde die Heilige Schrift (Neues Testament, etwa 10000 Exem­plare) gedruckt. Im Februar 1973 konnten die Geistlichen dieses Buch in ihrem Ordinariat abholen. Die Pfarrer von kleineren Gemeinden bekamen nur einige Exemplare. Größere Pfarreien erhielten ca. 10—20 Exemplare. Es wird angenommen, daß jede Pfarrei durchschnittlich 10 Exemplare be­kommen hat. Zwei Exemplare der Heiligen Schrift sind für die Pfarrkirche, zwei für jeden Priester, und die restlichen darf der Pfarrer nach seinem Gut­dünken an die aktiveren Katholiken verteilen. Auf einen Katholiken entfällt durchschnittlich eine Seite der Heiligen Schrift!...

Es wird erzählt, daß beim Druck der Heiligen Schrift in der Druckerei „Vaizdas" das Arbeitskollektiv nur aus Parteimitgliedern zusammengestellt war. Aber trotz ihrer „Treue" zur Regierung verschwand eine beträchtliche Anzahl von Exemplaren der Heiligen Schrift aus der Druckerei. Nach dem Erscheinen der Heiligen Schrift haben verschiedene Atheisten, indem sie vorgaben, Katholiken zu sein, in Vilnius versucht, die Heilige Schrift den Pfarrern abzukaufen, damit weniger Gläubige ein Exemplar bekommen. Das Echo bei den Katholiken auf das Erscheinen der Heiligen Schrift war verschieden: die einen freuten sich, die anderen kritisierten die Übersetzung, und wieder andere sagten: „Für einen Rubel gewonnen, für 19 verloren." Denn eine so kleine Auflage der Heiligen Schrift wird kaum eine praktische Bedeutung haben, dagegen wird die Sowjetregierung das für ihre Propaganda ausschlachten — seht, welche Pressefreiheit in Sowjet-Litauen herrscht.

Sehr viele Exemplare der Heiligen Schrift (die genaue Zahl ist unbekannt) hat das ZK der Partei beschlagnahmt. Viele Exemplare der Heiligen Schrift wurden aus Propagandagründen an Litauer im Ausland, an hohe Würden­träger der katholischen Kirche und andere verschickt.

S. E. Bischof R. Krikščiūnas hat in seinem Rechenschaftsbericht vor der Wahl-und Plenarversammlung des Komitees für kulturelle Verbindung mit Aus­landslitauern ausgeführt, daß die Katholiken in Litauen die von ihnen be­nötigten religiösen Bücher herausgeben ... So sei das so bedeutende Buch „Das Neue Testament der Heiligen Schrift" noch druckfrisch. Die Rede des Bischofs hat Reaktionen bei den Gläubigen hervorgerufen: „Wir haben über­haupt keine religiösen Bücher." So kam es dazu, daß die Katholiken Litauens Erklärungen an den Bevollmächtigten des Rates für Religionsangelegen­heiten Tumėnas richteten.

Aus allen möglichen Gegenden Litauens kamen in die Buchhandlung Knyga paštu (Buch per Post) Schreiben mit der Bitte: „Schickt uns die Heilige Schrift." Leider war die Antwort an alle negativ.

Vilnius. Im Februar 1973 wurde der Bevollmächtigte des Rates für Religions­angelegenheiten J. Rugienis durch K. Tumėnas ersetzt.

J. Rugienis, ein langjähriger Mitarbeiter des KGB, hat sich als Bevollmäch­tigter für Religionsangelegenheiten oft als Tschekist benommen: die Priester beschimpft, grob behandelt, eingeschüchtert usw. Kazimieras Tumėnas ist ein Parteifunktionär und Kandidat der Geschichtswissenschaften. 1964 absol­vierte er die Akademie der Sozialwissenschaften in Moskau und arbeitete später als Leiter der Lektorengruppe beim ZK der KP Litauens. Diese Veränderung bedeutet für die Kirche Litauens nichts Gutes. K. Tumė­nas wird wohl taktvoller sein, aber auch er wird wie Rugienis die Arbeit der Kirchenzerstörung fortsetzen.

 

 

Vilnius. 1973 wurden vom Sicherheitsdienst in Vilnius folgende Litauer verhört:

1.   Andrašiūnaitė Birute, Ingenieurin, am 28. März;

2.   Božyte Marija, Studentin der Lituanistik im IV. Studienjahr an der Universität Vilnius, am 28. März;

3.   Burauskaite Birute, Ingenieurin, am 2. April;

4.   Bigminas Kazimieras, Absolvent der Universität Vilnius, Lituanist, am 6. April;

5.   Bimaityte Elena, Germanistin, am 27. März;

6.   Jakučionyte Reda, Ingenieurin, am 28. März;

7.   Jakučiunas Zenonas, Absolvent des Konservatoriums:

8.   Janulevičiūte Veronika, Mitglied d. ethnografischen Ensembles am Ju­gendtheater, am 28. März;

9.   Jasiukaityte-Ašmontiene Virginija, Studentin d. Lituanistik;

 

10.   Juška Alfonsas, Biophysiker, am 27.—28. März;

11.   Kanevičiūtė Donata, Mathematikerin, am 3. April;

12.   Kaukėnas Danas, Korrespondent der Vakarines Naujienos (Abend­nachrichten), am 4. April;

13.   Labanauskas Kęstutis, Mitarbeiter des Instituts für Denkmalrestaurie­rung, am 28. März;

14.   Matulis Rimas, Anglist, am 28. März;

15.   Misius Kazimieras, Ingenieur, am 27. März;

16.   Korvaišas Egidijus, Aspirant des Physikstudiums, am 27. März;

17.   Petrauskas Algimantas, Ingenieur, am 28. März;

18.   Povilaityte Terese, Lituanistin, am 28. März;

19.   Ramonas Alfonsas, Physiker-Mathematiker, am 27. März;

20.   Simokaitis Albinas, Instrukteur;

21.   Stankavičius Edma, Student, Journalist;

22.   Trinkūnas Jonas, Aspirant des Geschichts- u. Philosophiestudiums, am 28. März;

23.   Vanagaite Zita, Architektin, am 3. April.

Die Sicherheitsbeamten wollten Auskunft über Reisen in den Ural und nach Sibirien haben. Warum während der Reisen Verbindung zu verbannten Litauern aufgenommen und Lager besucht wurden. Sie wurden beschuldigt, während ihrer Ferienreisen im Kaukasus versucht zu haben, Verbindung zu den Nationalisten Armeniens, Grusiniens u. a. Völkerschaften aufzunehmen.

Die Ermittlungsbeamten erhoben den Vorwurf, daß sie während der Aus­flüge nach Ostpreußen in das Gebiet von Samland ihre Aufmerksamkeit der Zerstörung alter Kulturdenkmäler gewidmet und sie öffentlich kritisiert haben, daß auf den Hügeln alter Burgruinen Lichter angezündet wurden. Außerdem haben die Sicherheitsbeamten über die Vereinstätigkeit des Volks­liedklubs im Gewerkschaftshaus zu Vilnius, über den schon vor zwei Jahren gesprengten Studentenklub „Romuva" an der Universität Vilnius, über Sommerexpedition, über das Fest „Rasa" in Kernave und über die archeo-logische Expedition zum Fluß Šventoji ermittelt.

Die Verhörten wurden für ihr Interesse an der Vergangenheit und deren Idealisierung beschimpft, weil dadurch nationalistische Stimmungen ver­breitet würden.

— Warum werden nur litauische Lieder gesungen? Warum werden Lieder der Widerstandskämpfer gesungen? Warum werden Unterlagen über ihre Kampfhandlungen gesammelt? Warum werden bei Begegnungen mit Letten nationalistische Gefühle geschürt? Warum wird Verbindung zu den Litauern Weißrußlands unterhalten? Warum werden ihnen Bücher besorgt, Zeitungen bestellt, Kinder zum Besuch von litauischen Schulen aufgefordert? — Die Sicherheitsbeamten wollten wissen, wie es kommt, daß Veranstaltungen der Heimatforscher soviel Jugend anziehen?

R.Matulis mußte unterschreiben, daß er keine Veranstaltungen besuchen oder organisieren würde, wenn sie nicht mit den offiziellen Organen abgestimmt wurden.

Vilnius. Ende März 1973 hat in Vilnius die IV. Versammlung des Vereins für Denkmalschutz und Heimatkunde der SSR Litauen stattgefunden, auf der die Tätigkeit der Heimatforscher besprochen wurde. Der Vorsitzende des Vereins, V. Uogintas, sagte, daß sich jeder Heimatforscher bei seiner Arbeit von der marxistisch-leninistischen Methodologie und von klassen­kämpferischen Kriterien leiten lassen müsse, daß es notwendig sei, gegen die auftauchenden Bestrebungen der Idealisierung von Vergangenheit und gegen Erscheinungen des Nationalismus zu kämpfen. Besondere Aufmerksamkeit sei notwendig für die Erhaltung, den Schutz und die Popularisierung der Denkmäler der Arbeiter-, Revolutions- und Partisanenbewegung sowie der Ehrenmäler der Sowjetarmee.

„Wenn nicht allseitiges heimatkundliches Material gesammelt wird, sondern nur das, was an die Vergangenheit erinnert, dann entfernen wir uns dadurch von den aktuellsten Problemen unseres Lebens... Die wichtigste Aufgabe der Heimatforscher sollte es sein, alles festzuhalten, wovon heute die arbei­tende Bevölkerung lebt, was ihr die Sowjetregierung gegeben hat", führte der Vereinsvorsitzende der Stadt Vilnius, J. Jarmelavicius, aus. Die Stellvertreterin des Vorsitzenden des Ministerrates der SSR Litauen, L. Diržinskaite, äußerte den Wunsch, daß die litauischen Heimatforscher Material über die Teilnehmer an der revolutionären Bewegung sammeln und sich um die Erziehung des Menschen der kommunistischen Gesellschaft küm­mern sollten (Tiesa — Die Wahrheit — vom 27. 4.1973).

Vilnius. Ende 1972 fanden im Museum für Atheismus zwei Diskussionen für die Jugend unter dem Thema „Liebe, Freundschaft und Familie" statt. Pro­fessor K. Daukša führte aus, daß Liebe ein flüchtiges tierisches Gefühl und daß Treue in der Familie unmöglich sei. Entscheidend sei, daß der Partner nichts davon erfahre, und wenn er doch etwas erfahre, dann müsse er Nach­sicht üben. Der Professor sagte, er habe in seinem Leben viereinhalbmal geliebt.

Die Diskussionsteilnehmer stellten dem Professor viele Fragen:

— Ist es normal, daß Jugendliche vorehelichen Geschlechtsverkehr aus­üben? —

·      Ist denn das Geschlechtsleben normal? Natürlich! Damit ist auch die Frage hinfällig — antwortete der Professor.

·      Wie denkt der Vortragende über die Unschuld eines Mädchens? —

·      Das ist ein religiöses Überbleibsel. Ein Mann, der ein unschuldiges Mäd­chen zu heiraten wünscht, ist ein Egoist. —

·      Herr Professor, sind Sie für die freie Liebe? —

·      Im sozialistischen Staat herrscht Freiheit. Man kann in einer legalen Ehe leben, oder aber auch nach freier Vereinbarung. —

·      Sind Sie denn für öffentliche Häuser? —

·      Die könnte es geben, aber ihre Form müßte anders sein; eine soziale, ohne Bezahlung. —

·      Herr Professor, Sie haben alles banalisiert: Kunst, Poesie, Liebe. Gibt es dann überhaupt noch einen Lebenssinn? —

·      Einen Sinn? Wer kann das schon wissen? Besteht der Wille zum Leben, dann leben wir. Läßt dieser Wille nach, hängen wir uns auf, vergiften uns, gehen ins Wasser, erschießen uns. Wer zuviel über den Sinn des Lebens nach­denkt, endet im Irrenhaus...

Bei vielen Diskussionsteilnehmern erhob sich die Frage, wer den Professor Daukša zum Verderben der Jugend in der Hauptstadt inspiriert habe. Oder glauben die Atheisten etwa nicht mehr, daß man die Jugend atheistisch machen kann, ohne ihre Moral zu untergraben?

Vilnius. Anfang Februar 1973 erschien in den Kinotheatern von Vilnius der historische Film „Herkus Mantas" über die Kämpfe der alten Preußen gegen die Kreuzritter im 13. Jahrhundert. Der Film weist eine stark atheistische Tendenz auf. Für den Regisseur war nicht die geschichtliche Wahrheit, son­dern die Propaganda entscheidend. Der Hauptheld des Films „Herkus Mantas" denkt in atheistischen Kategorien. Sogar Tiesa (Die Wahrheit) hob in ihrer Besprechung des Films vom 22. 2. 1973 hervor, daß der religiöse Fanatismus im Film übertrieben sei. Ungeachtet dessen, daß durch diesen Film der atheistischen Propaganda ein großer Tribut gezollt wurde, weckte er bei den Zuschauern nationale Gefühle.

Druskininkai. Nachdem Novickas Chefarzt des städtischen Krankenhauses geworden ist, ist es dem Geistlichen verboten, Schwerkranke und Sterbende religiös zu betreuen. Mitte April 1973 bat der Krebskranke P. Kalinauskas, einen Priester zu holen. Als die Frau des Kranken beim Chefarzt um Erlaub­nis vorsprach, lachte dieser die Frau aus, verhöhnte sie und wies sie aus dem Zimmer. Der Dechant von Druskininkai wandte sich wegen der Behinderung von Krankenbetreuung an den Bevollmächtigten des Rates für Religions­angelegenheiten und an den Minister für das Gesundheitswesen, Kleiza. Ob­wohl die hohen Funktionäre versicherten, daß es keinerlei Verbote gäbe, hat sich im Krankenhaus von Druskininkai nichts geändert.

Varena. Die Holzsäulen im Vorraum der Kirche von Varena mußten schon seit langem erneuert werden. Das hat der Kirchenvorstand auch beschlossen. Die Sache wurde mit dem Architekten und den Künstlern von Varena besprochen. Man konnte Eichenstämme bekommen. Die Arbeit war schon begonnen. Aber im April 1973 verbot der Stellvertreter des Vorsitzenden des Exekutivkomitees im Rayon die Arbeit.

Im Sommer 1972 wurde das angefaulte Dach der Kirche von Varena neu gedeckt. Aber der Dachdecker, ein Parteimitglied, bekam den behördlichen Befehl, die Arbeit einzustellen.

Das Pfarrkomitee von Varena bat den Stellvertreter des Vorsitzenden des Exekutivkomitees, J. Visockis, einen Anschluß an die Wasserleitung für den Kirchplatz zu genehmigen, um die Blumen bewässern zu können. Der Stell­vertretende lehnte dies aber mit der Begründung des Wassermangels ab. Später bekam man aber den Wasseranschluß von der Bahnstation. Der Instal­lateur, der auch Parteimitglied ist, wurde für den Anschluß an die Wasser­leitung getadelt.

Ignalina. Nach dem Wechsel des Bevollmächtigten für Religionsangelegen­heiten im Jahre 1973 hat der Bevollmächtigte K. Tumėnas selbst oder dessen Stellvertreter mit Mitarbeitern des Exekutivkomitees im Rayon vom 2.—8. April die Kirchen im Gebiet von Ignalina kontrolliert: das Innere der Kir­chen besichtigt, Altäre, Orgeln, elektrische Leitungen, liturgische Geräte, Gewänder; er prüfte sorgfältig die Kassenbücher, die Stromzähler, erkun­digte sich, bei wem die Kollektengelder verwahrt würden, wie das Verhältnis des Kirchenvorstandes zu den Pfarrern sei und ob Kinder bei der Messe ministrieren. Überall dort, wo Kinder ministrieren, tadelte er die Vorsit­zenden des Kirchenvorstandes und verbot, Kinder zum Altar zuzulassen. Bei seinen Schulbesuchen fragte er einige Schüler über Priester und über das Ver­hältnis der Kinder zu der Kirche aus.

Hierbei wurden sicherlich die Instruktionen für die Sowjetbehörden ausge­führt, allseitiges Material über die Lage der katholischen Kirche Litauens zu  sammeln (Text der Instruktionen siehe Seite 11—13).

Valkininkai. Am 16. Februar 1971 unterrichtete das Pfarrkomitee von Valkininkai die Amtsbehörde über die Vollzähligkeit des Zwanzigerrates der Pfarrgemeinde — einige Mitglieder waren nämlich verstorben oder aus­geschieden (der Zwanzigerrat ist laut Sowjetgesetz der Gründer der Pfarrei). Die Amtsbehörde benachrichtigte die Rayonverwaltung von dem Schreiben, und diese forderte die Einsendung der Anträge der ausgeschiedenen Mit­glieder an und versprach, eine Liste zuzusenden, in der alle Mitglieder des Pfarrkomitees eingetragen werden sollten. Nachdem der Rayonbehörde die Anträge der ausgeschiedenen Mitglieder zugesandt worden waren, bestellte diese den Vorsitzenden des Pfarrkomitees von Valkininkai sowie den Vor­steher der Revisionskommission zu sich und verlangte eine Neuwahl der Mitglieder des Komitees. Bei der Wahl mußten auch Vertreter der Rayon­behörde dabei sein. Die Mitglieder des Pfarrkomitees waren darüber erstaunt, denn die neuen Mitglieder waren längst gewählt und der Rayonbehörde über die Amtsverwaltung bekanntgegeben. Warum muß das Pfarrkomitee neu gewählt werden, und wozu ist dabei der Behörden Vertreter notwendig? Es heißt doch, daß sich die Sowjetregierung in innerkirchliche Angelegenheiten nicht einmische ...

Kabelilai. Einigen der Absolventen der 8jährigen Volksschule in Kabeliai wird in der Charakterbeurteilung vermerkt, daß sie gläubig seien, die Kirche besuchen würden, gläubige Eltern hätten oder daß bei der Erziehung Ein­flüsse wirksam seien, die außerhalb des Schulbereiches lägen. Im November 1971 besserte der Rentner des Dorfes Kabeliai, Adolfas Galčius, den Kirchenzaun aus. Der Direktor der Sowchose, Jonas Kazlauskas, jagte ihn weg mit den Worten: „Daß ich dich ja nicht wieder in der Nähe der Kirche sehe."

Ceikiniai. 13. 4. 1973. In der Pfarrkirche von Ceikiniai fanden Einkehrtage und das Kirchweihfest statt. An der Kirchentür verkaufte ein altes Mütter­chen Medaillen, Rosenkränze, kleine Kreuze, fotokopierte Heiligenbildchen.

Daraufhin kam ein Milizangehöriger mit zwei Mitgliedern des Exekutiv­komitees und nahm der alten Frau die Waren ab und wollte sie selbst fest­nehmen. Sie schlüpfte aber schnell in die Kirche hinein, die voller Menschen war. Die Miliz wagte nicht, die alte Frau in der Kirche zu suchen, und wartete auf sie mehrere Stunden draußen. Aber die alte Frau gelangte unbemerkt hinaus.

 

Erzbistum Kaunas

Kaunas. 17. 4. 1973. In der Kathedralkirche von Kaunas hat S. E. Bischof Labukas 5 Klerikern des IV. Studienjahr der Theologie die Priesterweihe erteilt. Bei einem wurde die Priesterweihe wegen Krankheit verschoben. Einige Angaben über die Lage der Priester in Litauen: 1962 hat die Regierung 5 Kandidaten den Eintritt ins Priesterseminar geneh­migt; 1963 — 5; 1964 — 5; 1965 — 5; 1966 — 8; 1967 — 7; 1968 — 6; 1969-70-71-72 je 10.

Geweiht wurden: 1968 — 6; 1969 — 3; 1970 — 8; 1971 — 4; 1972 — 6. Es starben: 1968 — 19; 1969 — 15; 1970 — 18; 1971 — 12; 1972 — 19. Jedes Jahr verlieren einige Pfarrgemeinden in Litauen ihre Geistlichen.

 

Kaunas. Ende März 1973 wurden in Kaunas folgende Personen festgenom­men:

1.   Povilonis Vidmantas, Ingenieur;

2.   Sakalauskas Antanas, Dozent für Bauwesen am Polytechnikum;

3.   Žukauskas Šarūnas, Student d. VI. Studienjahr am med. Institut;

4.   Rudaitis, Arzt.

 

Mitte April wurde Juozas Rugys festgenommen. Bei der Hausdurchsuchung wurden Schriftstücke beschlagnahmt.

Kruminis Viktoras, Student des VI. Studienjahr am Polytechnikum, wurde vom Institut entfernt.

Die Mutter von V. Povilonis wandte sich an den Sekretär des ZK der KP der SSR Litauen mit der Bitte um Freilassung ihres Sohnes. Die Staats­anwaltschaft der SSR Litauen hat mitgeteilt, daß V. Povilonis wegen eines besonders schweren Staatsvergehens festgenommen sei und daß ihm des­wegen ein Prozeß gemacht werde. Er habe einer antisowjetischen Gruppe angehört und im Februar 1972 in Kaunas antisowjetische Proklamationen verbreitet.

Kaunas. Vor Ostern 1973 wurde in den Schulen von Kaunas bekanntge­geben, daß am 22. April (Ostersonntag) ein Tag des kommunistischen Arbeitseinsatzes sein solle. Die Schüler wurden unruhig. Sie erklärten sich bereit, an anderen Tagen zu arbeiten, aber nicht am ersten Ostertag. An einigen Schulen wurde dieser Arbeitseinsatz vorverlegt, in den anderen dagegen...

Am 20. 4. 1973 schüchterte die Lehrerin der achtjährigen Volksschule II in Kaunas, Stanionien^, die Kinder ein: „Am Osterfest soll ja keiner zur Kirche gehen, denn dort wird die Miliz stehen und euch alle verhaften." Daraufhin meldete sich ein Mädchen: „Ich werde mit Vati und Mutti zur Kirche gehen — sie werden mich gegen Milizmänner verteidigen." In der A.-Mickevičius-Mittelschule in Kaunas wurde am Ostermorgen der leninistische Arbeitseinsatz auf dem Schulhof organisiert. Die Kinder waren gezwungen, den Gemüsegarten der Schule umzugraben und das Schulgelände zu reinigen. Auf ihrem Heimweg von der Auferstehungsfeier tadelten die Gläubigen laut den Lehrer: „Schämen Sie sich denn nicht, Kinder an einem solchen Tag zur Arbeit zu zwingen? Wenn ihr schon unsere Feiertage nicht mehr respektiert, dann sollt ihr doch wenigstens euren Lenin in Ehren hal­ten. Heute ist doch sein Geburtstag."

Von der 8. Klasse der XXIV. Mittelschule ist am Ostertag kein einziger Schüler zum kommunistischen Arbeitseinsatz erschienen. Im Schaukasten der Komsomol-Schule I war eine ganze Woche lang die Mit­teilung angeschlagen, daß am Sonntag, dem 22. April, ein gemeinsamer Arbeitseinsatz stattfinden werde. Lehrer und Schüler haben Einspruch erho­ben, und der Arbeitseinsatz wurde auf Karsamstag vorverlegt. Die 8jährige Volksschule II konnte keine Blumen zum Lenindenkmal brin­gen, weil nur ganz wenige Schüler erschienen waren.

Die Lehrer der S.-Neris-Schule wurden von der Direktorin gescholten, weil sie den Arbeitseinsatz der Schüler vorzeitig beendet hatten. Als in der Mittelschule XII bekannt wurde, daß am 22. April ein Arbeits­einsatz stattfinden solle, erklärten die Schüler der oberen Klassen, daß sie nicht kommen würden, deshalb mußten die Schüler der 5. bis 7. Klasse den „Einsatz" allein ableisten. In einigen Klassen haben die Lehrer die Schüler dahingehend eingeschüchtert, daß diejenigen, die nicht zum Einsatz kämen, den Behörden ausgeliefert würden, schlechte Noten im Betragen bekämen usw. Diejenigen, die am Ostersonntag nicht zum Einsatz gekommen waren, mußten Erklärungen ihrer Eltern beibringen. Die Lehrer entschuldigten sich damit, der Befehl, den Arbeitseinsatz am 22. April zu organisieren, sei von höherer Stelle gekommen.

In der Mittelschule XXX protestierten Lehrer und Schüler gegen einen Arbeitseinsatz am Ostersonntag. Die Direktorin setzte ihnen auseinander, die Anordnung sei von der Unterrichtsabteilung gekommen. Erst versuchte sie, durch Einschüchterungen die ungehorsamen Schüler „fertigzumachen", als das aber nichts half, versuchte sie es mit Freundlichkeit. In die Schul-tagebücher der Schüler wurde ein Vermerk eingetragen, daß der Sohn bzw. die Tochter zum Arbeitseinsatz erscheinen müsse. Wer dem Einsatz fern­geblieben war, mußte eine schriftliche Erklärung nachreichen, und auch die Eltern wurden vorgeladen, um sich zu rechtfertigen, warum sie ihre Kin­der nicht zum Einsatz geschickt hatten.

Der Leiter der Unterrichtsabteilung im Rayon Panemunė, Stasaitis, ent­gegnete schroff den Lehrern, die eine Vorverlegung des kommunistischen Arbeitseinsatzes vorgeschlagen hatten: „Was? Wir sollen auf deren Festtage Rücksicht nehmen? Sie sollen sich an die unsrigen anpassen." Das Parteikomitee der Stadt Kaunas hat Pädagogen-Detektive zum Oster­fest in die Kirche entsandt, um Schüler unter den Kirchgängern aufzu­spüren und Predigten der Geistlichen aufzuzeichnen. Bericht mußten die Detektive schriftlich erstatten.

Kaunas. Da sich der Jahrestag des tragischen Todes von R. Kalanta nähert, ist in Kaunas eine gewisse Unruhe spürbar. In den Straßen sieht man viel Miliz. Im Stadtpark wachen ständig Sicherheitsbeamte. Den Schülern wurde befohlen, sich am 14. Mai nicht in der Freiheitsallee sehen zu lassen. Es wird geplant, einen Teil der Schüler zum Jahrestag aus Kaunas zu entfernen. Am 19. 12. 1972 fand eine Elternversammlung der Mittelschule XII in Kaunas statt. Ein Lektor des Polytechnischen Instituts hielt eine atheistische Vorlesung und machte dabei den Eltern Vorwürfe, daß sie ihren Kindern Religionsunterricht erteilen. Einige Eltern konnten die Taktlosigkeit des Lektors nicht ertragen und riefen laut dazwischen, er solle mit dem Lügen und Unsinnreden aufhören. Im Saal kam es zum Tumult. Der Lektor führte weiter aus, einige Eltern seien rückständig und nicht in der Lage, ihre Kinder richtig zu erziehen. Er lobte die Kinder, die „zur Einsicht kommen" und ihre Eltern für Dunkelmänner hielten. Das rief im Saal einen Ent­rüstungssturm hervor.

·       Wer hat der Schulleitung ein solches Recht gegeben, Kinder gegen ihre Eltern aufsässig zu machen? — wollte ein Vater wissen.

·       Ich bin zwar selbst ungläubig, aber beim Anhören solcher Redensarten bin ich einfach entsetzt — äußerte sich eine Mutter.

Der Lektor setzte seine „Aufklärung" der Eltern fort und erzählte, daß Männer nicht mit gläubigen Frauen und Frauen nicht mit gläubigen Män­nern leben könnten. Im Saal kam es erneut zu einem großen Tumult. Direk­tor V. Kamaitis konnte es nicht mehr aushalten und schlug vor, wer nicht einverstanden sei, der solle den Saal verlassen. Da jedoch der Tumult nicht aufhören wollte, mußten die „Aufklärer" den Saal verlassen. Beim Ver­lassen des Saales erklärte der Direktor noch, er würde auch in Zukunft keine Anstrengung scheuen, um die Schüler zu Atheisten zu machen. Den Schü­lern, deren Umerziehung nicht zum Erfolg führte, werde er in der Charak­terbeurteilung bescheinigen, daß sie atheistisch ungebildet seien. In dieser Schule werden die Schüler auch anderweitig „aufgeklärt" und „gebildet". So befahl zum Beispiel der Zeichenlehrer Mačys den Schülern, irgendeine antireligiöse Zeichnung anzufertigen, etwa einen Priester, wie er Soldaten segnet, die in den Vietnamkrieg ausziehen, oder wie er bei Pensionären Geld kollektiert usw. In der nächsten Stunde bekamen die Schüler, die für dieses Thema keine Zeichnung angefertigt hatten, fast alle eine schlechte Note, für die „besten" Zeichnungen dagegen wurde eine Prämie in Aussicht gestellt.

Die Lehrerin M. Babeckienė hielt den Schülern der 6. Klasse einen Vortrag, in dem sie ausführte, daß Christus eine legendäre Person sei, daß früher die Priester Kinder eingeschüchtert hätten: wenn du nicht auf den Priester hörst, dann kann Gott dir die Zunge durch den Hinterkopf herausziehen usw.

Vidukle. Der Priester V. Pesliakas erhielt eine Antwort auf seinen Brief, den er an S. E. Bischof Labukas und einige andere Bischöfe geschrieben hatte.

„Lieber Confrater Vytautas,

am 10. Oktober dieses Jahres habe ich die Abschrift Ihres Schreibens an Bischof J. Labukas erhalten. Ich bin überzeugt, daß Sie als vorbildlicher Priester und treuer Sohn der Kirche mit diesem Schreiben Ihrem Bischof keine Vorwürfe machen oder ihm den Ungehorsam erklären wollen, son­dern nur hervorheben möchten, in welcher schwierigen Lage sich unsere Bischöfe, Bistumsverwalter, Priester und Gläubige wegen der groben Ein­mischungen der Regierungsorgane — konkret: des Bevollmächtigten des Rates für Religionsangelegenheiten, Rugienis — in das innerkirchliche Leben unseres Landes und in die kirchliche Verwaltung befinden. Der Bevollmächtigte des Rates für Religionsangelegenheiten versucht zwar in seinen Artikeln und Interviews, die natürlich meistens für das Ausland bestimmt sind, sich als unschuldiges Lamm hinzustellen, die Versetzung von Priestern würde von den kirchlichen Behörden vorgenommen, er würde sidi da überhaupt nicht einmischen.

Ihr Fall ist aber erneut ein Beweis, daß alle seine Erklärungen dieser Art nur propagandistische Lüge und Heuchelei sind.

Auf wen sonst ist es zurückzuführen, wenn nicht auf Rugienis, daß der Priester Šeškevičius, der im Bistum Kaišiadorys gearbeitet hatte, in das Bistum Telšiai verbannt wurde? Ebenso wird auch der Priester des Bistums Vilkaviškis, Juozas Zdebskis, in das Bistum Telšiai nicht auf Anordnung des Bischofs verbannt, sondern auf eine Drohung des Genossen Rugienis, daß diesem Geistlichen sonst nirgendwo eine Arbeitserlaubnis erteilt werde. Man darf gespannt sein, wie der Genosse Rugienis sich jetzt rechtfertigen wird, um seine grobe Einmischung in die innerkirchliche Ordnung zu ver­tuschen, da die Tatsachen der Verbannung der Priester Šeškevičius und Zdebskis eindeutig klar sind und da Bischof Labukas unmißverständlich erklärt: .Rugienis hat angeordnet, Dich aus Deinem Amt zu entfernen und nach Vidukle zu versetzen'. Auch Bischof Kirkščiunas bestätigt: ,Du arbei­test gut, aber Du mußt wissen, daß der Bischof Labukas Deinetwegen 2 Bistü­mer nicht verlassen und nach Žagare fahren wird'.

Lieber Mitbruder Vytautas, es läßt sich darüber streiten, ob Dein Schrei­ben notwendig war oder nicht, aber ich meine, daß dieses Schreiben wenig­stens dadurch der Sache der Kirche dient, daß es die unzulässige Ein­mischung der Regierungsorgane in das kirchliche Leben beleuchtet. Diese Dinge sind für uns alle sehr schmerzlich, insbesondere für Dich, denn sie gehen Dich persönlich an.

Aber wir wollen die Hoffnung nicht aufgeben, daß einmal doch die Zeit kommt, daß auch sie zur Einsicht gelangen, daß sie sich selbst dadurch Schaden zufügen und ihr Verhältnis zur Kirche normalisieren, wie das in Polen, Ungarn und anderen sozialistischen Ländern schon geschehen ist. Ich bete für Dich und wünsche Dir geistige Ausdauer und Festigkeit und die Gnade unseres Herrn. 2.11. 1972."

 

Bistum Telšiai

Die Staatsanwaltschaft in Rayon Taurage lud die Pflegerin der Kirchen­wäsche, Agota Savickaitė, vor und machte ihr verschiedene Vorwürfe: sie würde Kindern Katechismusunterricht erteilen, Mädchen für Prozessionen einkleiden, ja sogar auf der Straße Kopfschleier verteilen und zur Anbe­tung einladen. „Wenn du es auch weiterhin so machst, werden wir dich auf Staatskosten bis zu deinem Lebensende verpflegen", drohte ihr der Staatsanwalt und zwang sie, ein Versprechen zur Besserung zu unter­schreiben.

Vaitinėnai. 14. 4. 1973. In der achtjährigen Volksschule von Vaitinėnai lud die Englischlehrerin alle Schüler zu einer Versammlung ein. Obwohl sie vorher gesagt hatte, daß sie über die Frühlingsarbeiten auf dem Felde erzäh­len werde, begann sie mit unsinnigen Reden über Gott und den Glauben. Dann befahl sie den Schülern, die zur Kirche gehen, die Hände hochzu­heben. Alle ihre Schüler hoben die Hände hoch, nur die Töchter des För­sters nicht. Die atheistische Lehrerin wurde rot und wußte nicht, was sie sagen sollte. Ein Schüler meinte: „Euer Gott ist Lenin, gehen Sie nach Moskau, und wir sind zur Kirche gegangen und werden auch weiterhin gehen."

Klaipėda. Am 24. Dezember 1972 mußten die Schüler der 11. Klasse der IV. Mittelschule am Heiligabend (an einem Sonntag) zum Unterricht erschei­nen. Aber jeder stellte auf seiner Schulbank eine kleine Tanne auf. Als die Schulleitung das erfuhr, befahl sie, die Tannen sofort zu entfernen. Die Schüler wurden gescholten und als Dunkelmänner und Rückständige titu­liert. Sobald aber die Schulleitung die Klasse verlassen hatte, holten die Schüler die kleinen Tannen wieder hervor. Beim Eintreffen der zweiten Schülerschicht baten sie die Freunde, die Tannen nicht anzurühren.

Kretinga. Im Februar 1973 verstarb in der Pfarrei Kretinga J. Daukša. Seine Kinder beschlossen, ihren gläubigen Vater katholisch zu beerdigen, aber der Schwiegersohn Kecorius, Leiter der Unterrichtsabteilung in Kre­tinga, wollte eine atheistische Bestattung und verklagte seine Verwandt­schaft bei der Stadtverwaltung in Kretinga. Das Parteikomitee lud den Pfarrer von Kretinga vor und verbot ihm, die Leiche zum Friedhof zu begleiten.

 

Bistum Panevėžys

N. Radvyliškis. 27. 3. 1973. Der Kolchosvorsteher von Auksine Varpa (goldene Ähre), Kalkys, lud den Vorsitzenden des Kirchenkomitees, Petras Šimukėnas, vor und befahl ihm, mit noch zwei weiteren Mitgliedern des Kirchenkomitees zu S. E. Bischof Sladkevičius, der zur Zeit in N. Radvy-liškis in Verbannung lebt, zu gehen und ihn zu beschuldigen, daß er gegen die Regierung predige, Nachrichten ins Ausland schicke, Kindern Katechis­musunterricht erteile und das Firmungssakrament spende. Der Vorsitzende drohte noch, wenn Šimukėnas diesen Befehl nicht ausführe, bekäme er für sein Vieh keinen Weideplatz.

 

Bistum Vilkaviškis

Prienai. Im Februar 1973 mußten die Schüler der 8jährigen Volksschule folgende Fragen beantworten:

1. Wofür schätzt du einen Menschen? Für Fleiß, Aufrichtigkeit, Gerechtig­keit, Freundlichkeit, Kollektivität, äußeres Aussehen, gute Belesenheit, Begabung, Religiosität?

2. Wie beurteilst du erwachsene Menschen, die zur Kirche gehen (positiv, negativ, keine Meinung)?

3. Wie beurteilst du die Schüler, die zur Kirche gehen (positiv, negativ, keine Meinung)?

4. Bist du mit der Meinung der Gläubigen einverstanden, daß Gebet und Glaube den Menschen besser machen (einverstanden, nicht einverstanden, weiß nicht)?

5. Einige Eltern halten ihre Kinder an, zur Kirche zu gehen. Wie bewer­test du ein solches Verhalten der Eltern (positiv, negativ, keine Meinung)?

6. In der Schule wird behauptet, daß Gebet und Glaube an Gott den wissen­schaftlichen Erkenntnissen widersprechen? Wie ist deine Meinung (ein­verstanden, zum Teil einverstanden, nicht einverstanden)?

7. Werden in eurer Familie religiöse Feste gefeiert (ja, nein, manchmal)?

8. Gibt es in eurer Wohnung, in eurem Hause Heiligenbilder (ja, nein)?

9. Wird in eurer Familie vor und nach dem Essen ein Kreuzzeichen gemacht (ja, nein) ?

 

10.Wird in eurer Familie gebetet (ja, nein, manchmal)?

11.Gibt es bei euch am Heiligabend Weihnachtsoblaten (ja, nein)?

12.Bekommt ihr Besuch von einem Priester (ja, nein)?

13.Glaubst du, daß es einen Gott, Engel, Teufel gibt (ja, nein, zweifle)?

14.Wann bist du zum letzten Mal in der Kirche gewesen (vor 5, 4, 3, 2, 1 Jahren, kürzlich)?

15.Bist du zur Erstkommunion gegangen (ja, nein)?

16.Wer hat dich zur Erstkommunion, zur Konfirmation vorbereitet (Ange­hörige, Tanten, Kirchendiener, Priester)?

17.Magst du atheistische Gespräche und Bücher (ja, nein, solche Fragen sind bisher nicht aufgekommen)?

18.Die Kirche gebietet, die Eltern zu ehren, nichts Schlechtes zu tun. Ist sie deshalb auch nicht schädlich (einversanden, nicht einverstanden, weiß nicht)?

19.Die Naturgesetze sind unveränderlich, sind deshalb Wunder nicht möglich (einverstanden, nicht einverstanden, weiß nicht)?

20.Sind deine Eltern gläubig (gläubig, ungläubig, Zweifler)?

21.Warum besuchst du die Kirche (aus Uberzeugung, weil die Eltern mich dazu anhalten, weil es interessant ist)?

Nach Unterstreichung der zutreffenden Antwort mußte der Familienname eingetragen und der Fragebogen dem diktierenden Lehrer abgegeben werden. Die Schüler antworteten verschieden: die einen schreiben offen, was sie den­ken, die anderen heucheln.

Wozu werden solche Fragebogen benötigt? Für „soziologische" Untersuchun­gen, um die Uberzeugung der Schüler zu erfahren. Wenn die Mehrheit der Schüler sich als gläubig bekennt, wird in der Schule die atheistische Propa­ganda verstärkt.

Prienai. 9. 2. 1973. In der 8jährigen Volksschule von Prienai fand eine Elternversammlung statt, zu der auch der Leiter des Komitees des Staats-

Sicherheitsdienstes im Rayon Prienai, Radionovas, eingeladen war. Der Sicherheitsbeamte sprach von erbitterten ideologischen Kämpfen, davon, daß die Stimme Amerikas die sowjetische Ordnung diffamiere. Er meinte, daß in Prienai die Kinder der Pionier- und Komsomolzenorganisation deshalb nicht beitreten, weil ihre Eltern entweder religiös seien oder früher mit der Wider­standsbewegung in Verbindung standen. Als der Sicherheitsdienstbeamte vom Pfarrer Zdebskis anfing, er sei für die Erteilung von Religionsunterricht „gerecht" verurteilt worden, kam es im Saal zum Tumult. Radionovas nahm das nicht zur Kenntnis und erklärte weiter, es gäbe noch mehr solcher Prie­ster, die — nach seinen Worten — nicht eine priesterliche Arbeit verrichten, sondern sich mit der Schmähung der sowjetischen Ordnung befassen. Der Sicherheitsdienstbeamte stellte den Eltern die vorwurfsvolle Frage, warum sie die Kinder zum Kirchgang anhielten, nachdem diese der Pionier-und Komsomolzenorganisation beigetreten seien, und sie auf diese Weise zum Heucheln anleiteten. Eine Frau erklärte dazu: „Wir gehen zur Kirche und unsere Kinder gehen. Zur Heuchelei leiten nicht wir an, sondern ihr. Ihr zwingt Kinder gläubiger Eltern, der Pionier- und Komsomolzenorgnisation beizutreten." Der ganze Saal stimmte dem zu. Eine andere Frau meldete sich zu Wort, aber Radionovas erklärte, daß er sich in keinen Disput einlassen werde, und verließ den Saal. Als der Sicherheitsdienstbeamte herausging, wurde er von einem großen Lärm begleitet.

Die Schuldirektorin Janaitiene versuchte, die Versammelten zu beschämen,

indem sie ihnen vorwarf, sie hätten besser schweigen sollen.

—Wir haben die Kinder zum Beitritt in die Pionierorganisation gezwungen

und werden es auch weiterhin tun — erklärte die Direktorin.

— Und wir lassen es nicht zu — erwiderten die Eltern .

Prienai. Im April 1973 wurde Vikar Zdebskis zum Pfarrer von Kučiūnai ernannt. Diese Pfarrei befindet sich im Grenzbezirk. Vor dieser Ernennung hatte Vikar Zdebskis auf Befehl der Miliz in Prienai eine Arbeit als Wäch­ter in der Taxizentrale in Kaunas aufgenommen. Die Regierungsagenten verbreiteten das Gerücht, daß der Vikar Zdebskis selbst nicht mehr in einer Pfarrei arbeiten wolle.

Krikštonys. Am Ostermorgen 1973 kam zur Musikkapelle ein Beauftragter der Miliz, offenbar begleitet von zwei Sicherheitsdienstbeamten aus Lazdijai, und verlangte die Herausgabe der Blasinstrumente. Die Musiker wider­setzten sich dem Befehl. Mittlerweile schaltete sich der Pfarrer ein und sagte, daß er sich deshalb bei einer höheren Stelle beschweren werde. Die Beamten wollten offensichtlich keinen größeren Konflikt und gingen.

Ilguva. Im April 1973 haben unbekannte Täter die Kirchen in Ilguva, Žemoji Panemunė und Pažerelis ausgeraubt. Aus zwei Kirchen wurde das Allerheiligste gestohlen.

Skriaudžiai. 25. 4. 1973. Die Direktorin der 8jährigen Volksschule von Skriaudžiai, Rinkauskienė, lud die Eltern einiger Schüler zu einer Erklä­rung vor, warum sie ihre Kinder zur Kirche gehen ließen, warum sie an Prozessionen teilnähmen und warum die Mädchen Blumen streuten. Als erste erschien K. Kairiūkštiene in der Schule. Am Gespräch nahmen einige Leh­rer und die Direktorin teil. Sie sagten der Mutter, sie solle doch ihre Kin­der von der Kirche und besonders von Prozessionen fernhalten.     '

— Meine Kinder werde ich zur Kirche mitnehmen, denn die Verfassung garantiert Gewissensfreiheit. Unser Glaube lehrt nichts Schlechtes. Eure atheistischen Zöglinge sind gegen Pf arrer Uleckas handgreif lieh geworden und haben von ihm Geld verlangt. Anschließend sind sie zur alten Frau Tamulevičienė gegangen und haben sie mit Steinen beworfen. Einer eurer Zöglinge hat ein Mädchen vergewaltigt. Antwortet mir, ob die Kinder gläubiger Eltern, die zur Kirche gehen, auch so handeln? —

Die Lehrer verstummten, und die Mutter redete weiter von Gott.

·      Geh mir weg mit diesem Gott — unterbrach die Lehrerin Tumaitienė sie.

·      Ein Sprichwort alter Menschen sagt: du sollst nicht den Himmel anspeien, denn dadurch wirst du dir nur den Bart vollspeien — versetzte Frau Kairiūk­štienė.

Die Direktorin drohte, in der Charakterbeurteilung der Kinder zu ver­merken, daß sie gläubig seien und sie würden keine höhere Schule besuchen können.

— Jede Arbeit ist ehrenvoll. Dann können sie in der Kolchose arbeiten wie ich. In der Kolchose werden auch Gläubige aufgenommen. —

Als Frau Kairiūkštienė herausging, sagte sie noch zu den Lehrern: „Seid mir nicht böse, wenn ihr mich mit meinen Mädchen zur Kirche gehen seht. Ich habe sie immer mitgenommen und werde sie auch weiterhin mitneh­men." Aber die Direktion wurde doch böse, als Frau Kairiūkštienė ihr von dem folgenden Gespräch berichtete: „Mama, nicht nur du sagst, daß es einen Gott gibt, sondern auch die Lehrer erzählen es. Wenn sie Gott bekämp­fen, dann existiert er bestimmt, denn gegen nichts kann niemand kämpfen."

 

Lankeliškiai. Im Januar 1973 richteten die Gläubigen der Pfarrei Lankeliškiai an L. Breshnew eine Eingabe folgenden Inhalts:

„Wir, die Gläubigen der Pfarrei Lankeliškiai, müssen Ihnen einen beklagens­werten Vorfall berichten. Unser ehemaliger Pfarrer Kupstaitis wurde nach Gižai versetzt, uns aber konnte der Bischof keinen Pfarrer mehr zuweisen, denn in Litauen herrscht Priestermangel. Zur Zeit ist der Vikar Zdebskis aus dem Lager zurückgekehrt, aber die örtlichen Behörden erlauben ihm nidit, als Priester in unserem Bistum tätig zu sein. Wir sind der Meinung, daß dies den Gläubigen gegenüber ungerecht ist.

Deshalb bitten wir Sie, die zuständigen Behörden anzuweisen, daß sie unseren Bischof nicht daran hindern, Vikar Zdebskis zum Pfarrer unserer Pfarrei zu ernennen. Den 21. Januar 1973."

Die Eingabe wurde von 149 Gläubigen unterzeichnet. Für die Antwort wurde folgende Adresse angegeben: Rayon Vilkaviškis, Post Bartininkai, Bauernschaft Moliniškiai, Raulinaitis Juozas, Sohn des Jurgis. 2. 2. 1973. Das Pfarrkomitee der Pfarrei Lankeliškiai wandte sich an S. E. Bischof Labukas mit der Bitte, ihnen einen Pfarrer zuzuweisen. Moskau hat auf die Eingabe der Gläubigen von Lankeliškiai nicht geant­wortet, und der Bischof hätte beim besten Willen keinen Pfarrer ernennen können, denn es herrscht Priestermangel.

 

Bistum Kaišiadorys

Šešuoleliai. Die Lehrerin der 8jährigen Volksschule, M. Pakalniene, besuchte vor Ostern 1973 die Eltern einiger Schüler und verlangte, daß sie ihre Kinder von den Einkehrtagen und am Osterfest vom Kirchgang abhielten.

Bagaslaviškis. Vor Allerheiligen 1972 warnte der Lehrer von Bagaslaviškis seine Schüler streng davor, zur Kirche zu gehen. Er drohte damit, daß die­jenigen, die zur Kirche gehen, aus der Schule entlassen würden und um Auf­nahme in andere Schulen ersuchen müßten.

Širvintos. Die Rayonbehörden und die Lehrer der Mittelschule in Širvintos sind darüber besorgt, daß die Schüler zahlreicher als bisher die Kirche be­suchen. Der Schuldirektor bemerkte beiläufig, daß früher die Schüler, wenn sie zum Beitritt in den Komsomol angehalten wurden, nur zaghaft ihren Unwillen bekundeten, jetzt aber offen erklärten: „Ich kann dem Komsomol nicht beitreten, denn ich bin gläubig."

Auf die Frage über ihre Ansicht zur Religion, antworteten die Schüler der 10. Klasse, daß sie für den einzelnen Menschen und die Gemeinschaft not­wendig sei.

Am Osterfest 1973 kam zur Bespitzelung der Schüler der Direktor selbst in die Kirche. Am folgenden Tag wurden einige Schüler gescholten, weil sie am Osterfest in der Kirche gewesen seien. Besonders nahm man sich den Schüler der 10. Klasse, T. Gurskis, vor, weil er während des Gottesdienstes auf der Violine gespielt hatte.

— Zerstöre dir nicht dein Leben und deine Karriere, und bereite der sowje­tischen Schule keine Schande — meinte eine Lehrerin. — Soll das etwa in deiner Charakterbeurteilung vermerkt werden, damit du beim weiteren Stu­dium Schwierigkeiten hast? — T. Gurskis soll erklärt haben, daß er anderswo hinfahren werde, falls er die Mittelschule in Širvintos nicht beenden könne.

DIE CHRONIK DER KATHOLISCHEN KIRCHE LITAUENS bittet beim Sammeln von Material um genaue Angabe der Daten, Orte sowie Vor-und Familiennamen. Namen, die nicht veröffentlicht werden sollen, sind besonders anzumerken. Im Mai 1973.

 

 

KLAGE DER BAPTISTEN DER STADT RIGA UND IHRER UMGEBUNG

An den Vorsitzenden des Präsidiums des Obersten Sowjets der Lettischen SSR, abschriftlich an den

Ersten Sekretär der Kommunistischen Partei der Lettischen SSR, Ministerrat der Lettischen SSR,

Vorsitzenden des Staatlichen Sicherheitskomitees der Lettischen SSR, Staatlichen Prokureur der Lettischen SSR Angehörigen der Geschädigten.

Wir wenden uns an Sie zum ersten Male mit folgender Beschwerde und Forderung.

Absender des Briefes sind Christliche Evangelische Baptisten, die in Riga und Umgebung leben.

Schon seit mehreren Jahren hat man uns, die wir dem lebendigen Gott dienen, gefährdet: durch Drohungen, Strafen und Verfolgung, durdi Beleidigungen unserer religiösen Gefühle, durch Haussuchungen und Verhaftungen. Wir bemühen uns auf jede Weise, bei der Arbeit und im Leben vorbildlich zu sein. Wir erfüllen aufrichtig unsere Pflichten dem Staate und der Gesellschaft gegenüber. Aber wir wissen auch, daß die Regierung, wenn sie gerecht sein will, niemanden unterdrücken darf, niemandes menschliche und religiöse Gefühle herabsetzen und die Bürgerrechte einschränken darf; das bedeutet, auf uns bezogen, den Glauben an Gott zu behindern, was nach den Gesetzen unseres Landes nicht verboten ist, den Wunsch, ein Bethaus zu besitzen, eine eigene geistliche Führung zu wählen.

Alles dies, auch die sonstigen Rechte der Gläubigen, sind in der Konstitution der UdSSR und in den internationalen Deklarationen vorgesehen, welche die Regierung der UdSSR unterzeichnet hat. Wie aber ist es in Wirklichkeit?

1. Auf die Bitte um Registrierung unserer Gemeinde gemäß der entsprechen­den Verordnung des Ministerrates (Form 2) erhielten wir sowohl mündlich als auch schriftlich nur eine verschwommene Antwort. Die Erlaubnis zur Registrierung traf nicht ein.

2. Für die Abhaltung von Gebetsstunden sind wir wiederholt mit insgesamt ca. 1000,— Rubeln bestraft worden. M. W. Vasiljev (eine fünfköpfige Familie) wurde das Rundfunkgerät fortgenommen, weil er das Geld zur Bezahlung der Strafe nicht hatte.

Einem anderen Glaubensbruder wurde die Pension genommen.

3. Uns werden Glaubensgemeinschaften und Personen aufgedrängt, die ge­mäß der christlidi-evangelisdien Lehre unserem Glauben nicht dienen können. Alles wird im örtlichen und dem Moskauer Rat der Kirchen ent­schieden.

4.Uns wurde die Möglichkeit genommen, von unseren Bürgerrechten Ge­brauch zu machen, und wir fragen: Seit wann wurden in unserem Lande Beerdigungen, Trauungen etc. als Kriminalverbrechen angesehen? Die Trauung unseres Glaubensgenossen Mihhail Koleschnitschenko und der Nadeshda Zanoviz im Sommer des Jahres 1972 im Standesamt wurde verboten und deshalb zu Hause abgehalten. Dort erschienen Männer der Miliz und des KGB. Es ist schwer, das Erschrecken der Gäste, sowohl der Gläubigen als auch der Nichtgläubigen, über das Verhalten der Miliz zu schildern. Mit dem KGB-Major Buchanko an der Spitze brachen sie durch die Tür ein. Beschimpfungen, Kontrolle der Dokumente, der Fahrererlaub­nisse, der Autopapiere, Verhöre der Braut und des Bräutigams, sind nur einige Beispiele des gesetzwidrigen Verhaltens der Vertreter der Staats­gewalt. Dafür wurden sie nicht bestraft, die Familie Zanoviz aber mußte 50 Rubel Strafe zahlen.

Wir schwiegen. Wir haben uns nicht beschwert. Wir ließen nichts verlauten. Wir beteten zu Gott und haben vergeben im Bewußtsein, daß wir Christen aufrichtig in unserem Glauben stehen, wie es im Evangelium bestimmt ist. Die Bibel sagt, Leiden und Schwierigkeiten müßten im Namen Christi er­tragen werden. Aber alle unsere Glaubensbrüder und ihre Familien sind gefährdet. „Wir werden Ihnen den Kopf abhauen!" drohte Major Buchanko dem Bondarenko und anderen Russen im Jahre 1971 in der Wohnung von Sawtschenko in Gegenwart von 20 Zeugen. Wir sind gezwungen, zu schrei­ben und uns zu beschweren. Wir alle sind sehr in Sorge um das Schicksal unserer Glaubensbrüder A. Petrov, M. Paukov und M. Koleschnitschenko. Sie wurden im Januar 1973 verhaftet. Auch Familie J. Bondarenko wird verfolgt, der Ernährer der Familie wurde entlassen.

Dies alles zeigt, daß man unsere Glaubensbrüder als Kriminalverbrecher abstempeln will. Beim Verhör des Glaubensbruders Zchilejev hatte der KGB-Major Buchanko verlangt, er müsse bezeugen, daß J. Bondarenko die Sowjet­union und die sozialistische Ordnung geschmäht hätte. Auch andere Personen wurden zu derartigen falschen Zeugnissen genötigt; sie waren als Zeugen gegen unsere Glaubensbrüder geladen worden.

Ist das nicht eine gröblichste Verletzung der sowjetischen Ordnung sowie der Menschenrechte? Nahezu 20 Haussuchungen, auf Befehl der Prokuratur durchgeführt, reden von wiederholter gesetzwidriger Behandlung der Gläu­bigen. Es wurde religiöses Schrifttum beschlagnahmt (aus der Zeit vor und nach der Revolution), Tonbandgeräte, Tonbänder, Rundfunkgeräte, Küchen­geschirr, Familienbilder, Postkarten, Rezepte, Briefe und andere Dinge, die mit Kriminalität nicht das geringste zu tun haben.

Die Haussuchung wurde unter einem Vorwand durchgeführt. Beispielsweise klopften die Machthaber am 31. Januar nachts an die Türen einiger unserer Glaubensbrüder und sagten, es sei ein Telegramm eingetroffen. Wurden sie hereingelassen, begann die Haussuchung. Wo man die Tür nicht öffnete, wurde eingebrochen. Auch Schränke wurden aufgebrochen und Möbel beschädigt. Die Haussuchungen wurden von KGB-Männern durchgeführt, ohne daß diese ihre Namen genannt hätten. Manchmal sagten sie, sie seien Gepäck­träger, irgendwelche Spezialisten oder Konsulenten. Einige Tage vor der Durchsuchung der Wohnung besuchte jemand die gläubige Familie, der sagte, er sei ebenfalls gläubig oder ein Beamter des Gesundheitsamtes oder ein Mensch, der seiner Glaubensüberzeugung wegen verfolgt werde. Diese „Gäste" versuchten ein staatsfeindliches Gespräch zu provozieren, und die Gläubigen sind gezwungen, ein derartiges Verhalten zu dulden. Wir bestätigen von ganzem Herzen Ihnen und unserem Volk: Unsere Brüder, unsere gesamte Brüderschaft der Christlichen Evangelischen Baptisten, richtet ihre Gläubigkeit in keiner Weise weder gegen die Gesetze unseres Staates, noch gegen unser Land und Volk. Wir hoffen, daß die lettische Obrigkeit uns richtig versteht, unsere Situation berücksichtigt und derartige Gesetzüber­tretungen, wie sie oben bezeichnet wurden, verhindert.

Wir bitten in der Hoffnung, daß man uns Gehör schenkt:

1. unsere Glaubensgenossen Koleschnitschenko, Petrov und Paukov aus dem Gefängnis zu entlassen,

2. die Verfolgung von J. Bondarenko zu beenden und ihn und seine Familie leben und arbeiten zu lassen wie alle übrigen Bürger,

3. die bei den Haussuchungen beschlagnahmte Literatur und sonstige Gegen­stände zurückzugeben,

4. die Einmischung in die inneren Angelegenheiten unserer Gemeinde zu beenden,

5. unsere Gemeinde zu registrieren.

 

Februar 1973                                  Im Namen der Gemeinde:

(47 Unterschriften)