(Der verstorbene Vater Virgilijus Jaugelis)

Die Nachkriegsjahre waren schwierig in Litauen:

Unschuldige Menschen wurden nach Sibirien verschleppt, die Körper ermordeter Patrioten wurden durch die Straßen geschleift, die Gefängnisse quollen über von unschuldigen Menschen. Jene Jahre waren auch schwer für die Familie Jaugelis: der Vater war im Gefängnis, die Mutter dauernden Verhören der Sicherheitspoli­zei unterworfen. Am 9. August 1948 wurde der zweite Sohn der Familie Jaugelis geboren, Virgilijus. Die Vorsehung bestimmte dem Kind einen Leidensweg vom ersten Moment an. Im strengen Winter suchte das Kind Wärme bei der Mutter in der eiskalten Wohnung. Die Mutter gab dem Kind alles, was sie geben konnte: den festen Lebenswillen, die Liebe zu Jesus und Maria. Im abgetragenen Pelz­jäckchen eilte die kleine Gestalt in die Kirche. Auf Knien näherte sie sich dem Al­tar, um die drei Absätze des Rosenkranzes zu beten und die Messe zu besuchen. Nach dem Abschluß des Gymnasiums zögerte Virgilius nicht. Er wollte ins Theo­logische Seminar. Im Jahre 1966 war die Aufnahmerate, aufgrund eines Erlasses der atheistischen Regierung im Jahre 1966, sehr gering. Die Seminarverwaltung hatte nicht einmal den Namen von Virgilijus auf der Liste der Kandidaten, denn der Kommissar für Religiöse Angelegenheiten hatte einfach alle Namen, die über die Mindestzahl hinausgingen, gestrichen.

Als dann 1967 bekannt wurde, daß Virgilijus das Seminar besuchen wollte, ver­suchten die Behörden, seine Integrität zu testen. Die eifersüchtigen Stalinisten wa­ren wenig erfreut über seinen starken und aufrechten Charakter. Die »Verbünde­ten des Herodes« blockierten Virgilijus' Weg zum Seminar. Der Rektor des Semi­nars teilte ihm mit, daß sein Wunsch in diesem Jahr abschlägig behandelt worden sei.

Am 30. Januar 1980 leitete der Chefinspektor Markevičius mit einer Gruppe von Sicherheitsagenten — Raudis, Čekenis und Jurevičius — eine Durchsuchung der Wohnung von Povilas Buzas, wohnhaft in Birštonas, Cvirkos g. 18. V. Laurina­vičius und Liudas Bazillus, beide Einwohner von Birštonas, mußten als Zeugen bei der Durchsuchung dabeisein. Diese begann um 9.00 Uhr morgens und endete um 18.20 Uhr am Abend. Bei dieser Untersuchung überraschten die Sicherheits­beamten Povilas Buzas bei seiner Arbeit an der Fotokopiermaschine im Keller des Hauses.

Folgende Gegenstände wurden beschlagnahmt: 17 Fotos von Prozessionen und fünf Priestern; ein Vergrößerungsapparat für Fotos und ein Ständer für den Fotoapparat; 49 kg weißes Papier; ungefähr 100 Fotokopien der Nr. 11 von Rū­pintojėlis (Der leidende Christ); mit der Schreibmaschine abgeschriebene Exem­plare der Nr. 41 der Chronik der Litauischen Katholischen Kirche; Nr. 19 von Aušra (Die Dämmerung); Nr. 11 von Rūpintojėlis; ein selbstgebastelter Fotoko­pierapparat; neun nicht numerierte Selenplatten; Chemikalien zum Fotokopieren; ein Umsetzer; 19 Flaschen Azeton.

Nach der Durchsuchung wurde Povilas Buzas nach Vilnius gebracht und in Haft gesetzt.

Am 28. Januar 1980 befanden sich Bischöfe und Verwaltungsgeistliche bei einer routinemäßigen Informationssitzung bei dem Rat für religiöse Angelegenheiten in Vilnius. Diese entwürdigende Versammlung findet eigens statt, um die Bischöfe daran zu erinnern, daß sie in totaler Abhängigkeit zu der gottlosen Regierung ste­hen. Es ist sehr zweifelhaft, ob der Kommissar Anilionis in derselben Weise zu staatlichen Kolchosenvorsitzenden gesprochen hat, als er noch Erster Sekretär des Rayons Kupiškis war.

Die Sitzung wurde von A. Česnavičius, Abgeordneter des litauischen Ministerra­tes, eröffnet. Seine Hauptgesprächsthemen:

Es gäbe gewisse Gerüchte in Litauen: z. B. über geheime Priester (er nannte ihre Namen), die habgierig seien und kriminell, und auch schon früher wegen ihrer Kriminalität vor Gericht gestanden hätten, und Ignoranten seien. Wer habe sol­che Priester berufen?

Bischof R. Krikščiūnas unterbrach die Ausführungen: »Ich habe sie bestimmt nicht ernannt, ebensowenig Bischof Povilonis noch Bischof Sladkevičius.« Der Klerus wird mit weiteren extremistischen Tendenzen konfrontiert: Das Tra­gen des Kreuzes zum Kreuzberg, das Abhalten der heiligen Messe unter freiem Himmel (Vater Alg. Mocius), der Marsch nach Šiluva (Vater K. P. Krikščiukai-tos). Beide Priester hätten sich im Büro des Staatsanwaltes zu der Sache zu stellen. Das Katholische Komitee terrorisiere Priester, sammele Unterschriften. Doku­ment Nr. 5 des Komitees, das von zwei Bischöfen und 522 Priestern unterzeichnet war, wurde dazu exemplarisch ausgewählt.

Vorschlag

Zur Verstärkung des Kampfes gegen religiösen Extremismus und zur besseren Kontrolle von Anhängern der verschiedenen Glaubensrichtungen:

1.     Es ist darauf zu achten, daß Priester und andere mit der Religion in Verbin­dung stehende Personen sich nicht ermächtigen, elterliche Rechte bezüglich der Vorbereitung auf die Firmung und sonstige Unterweisungen an Kindern auszu­üben.

2.     Schriftliche und mündliche Verwarnungen für diejenigen, die die sowjetischen Gesetze hinsichtlich der Religionen verletzt haben.

3.     Systematisches Aufzeichnen aller Predigten und regelmäßige Auswertung zum Zwecke antireligiöser Propaganda, um die Extremisten zu demaskieren.

15. August 1979 Nr. 20

Aufruf

An die litauischen Bischöfe, Priester, Intellektuellen und alle Brüder im Heimat­land sowie an alle, die im Ausland leben.

Kürzlich feierten Polens Katholiken den tausendsten Jahrestag der Christianisie­rung. Zehn Tage dauerten die Feierlichkeiten. In diesem Jahr wurde auch der To­destag des heiligen Stanislaus, Bischof und Märtyrer von Krakau, besonders feier­lich begangen. Der Heilige Vater besuchte aus diesem Anlaß Polen. Die Katholiken in der Ukraine bereiten sich auf die Tausendjahrfeier der ersten Christianisierung in Kiew/Rußland für das Jahr 1988 vor.

Und auch wir Litauer stehen am Vorabend großer Ereignisse:

1984 verzeichnet den fünfhundertsten Jahrestag des Todes des heiligen Kasimir; 1987 verzeichnet den sechshundertjährigen Jahrestag der Bekehrung Litauens.

Es ist daher für uns Katholiken in Litauen an der Zeit, Vorbereitungen zu diesen zwei bedeutenden Jahrestagen zu treffen.

Wir bitten alle Bischöfe, Priester, Radio Vatikan und die litauische Emigranten-Presse, die gesegnete Arbeit der katholischen Kirche in Litauen während der ver­gangenen 600 Jahre bekanntzugeben. Dazu soll die Katechese der Kinder gestärkt werden; Familien sollen noch mehr dem Leben einen christlichen Charakter ver­leihen, um größere Familien zu werden. Es obliegt den Priestern, die Menschen auf diese Jahrestage vorzubereiten, und zwar durch Missionen, Exerzitien und an­dere Übungen.

Am 28. November 1979 hatte das Volksinstitut für die Weiterbildung von Agrar-experten in Vilnius die verantwortlichen Leiter dieses Institutes sowie deren Kolle­gen aus demselben Institut in Kaunas zu Gast.

Der Sekretär L. Šepetys des Zentralkomitees der Litauischen Kommunistischen Partei hielt dieses Mal einen Vortrag mit dem Titel »Fragen zur ideologischen Ar­beit«.

»Unsere Hauptaufgabe«, sagte Šepetys, »besteht darin, die politische Seite bei der Ausbildung zu verbessern, denn ausländische extremistische Elemente haben ihre Tätigkeiten verstärkt.« Der agitierte Sekretär des Zentralkomitees der Litauischen Kommunistischen Partei brachte zuerst die Frage der Religion zur Sprache, die seiner Meinung nach sehr lästig sei, da reaktionäre Priester und andere Elemente kontinuierlich ihre zersetzenden Tätigkeiten verstärkten. Bei der Zielsetzung des Vatikans habe sogar Johannes Paul II. seine reaktionäre Tätigkeit begonnen. Die Reise des Papstes nach Polen habe auch auf die Katholiken unserer Republik ihre Schatten geworfen.

Am 5. Dezember 1979 erhielt Vater A. (Antanas) Gražulis folgenden Verweis, zu­geschickt vom Exekutivkomitee des Rayons Prienai:

»Es wurde festgestellt, daß in der Pfarrkirche zu Prienai laufend Schulkinder an­gehalten werden, religiösen Andachten beizuwohnen. Am 6. September dieses Jahres erhielten Sie diesbezüglich eine schriftliche Verwarnung (die Sie sich wei­gerten zu unterzeichnen). Trotzdem besuchten am 18. November 19 Kinder die Messe und am Abend desselben Tages waren 12 Kinder bei der Messe anwesend. Am 25. November dieses Jahres besuchten 12 Kinder die Messe. Außerdem gibt es Beispiele, wo Schulkinder gesucht wurden, um im Kirchenchor zu singen.

Wir warnen Sie noch einmal, da sonst Maßnahmen ergriffen werden müssen, die Anhänger von religiösen Kulten daran hindert, die Vorschriften für religiöse Ver­einigungen zu übertreten.

Außerdem machen wir Sie auf den Tatbestand aufmerksam, daß Sie am Abend des 4. November dieses Jahres grundlos den Vorstand der Mittelschule Nr. 2 in Prienai, A. Mickas, von der Kanzel der Kirche in Prienai verleumdet haben.«

Unterzeichnet von dem Vorsitzenden des Exekutivkomitees,

A. Budbergis

Vilnius

Am 21. Februar 1980 versammelten sich eine große Menge von Gläubigen und et­wa sechzig Priester in der Kirche der hl. Theresa in Vilnius. Einige der Priester ka­men aus der Erzdiözese Vilnius, die anderen aus den verschiedenen Teilen des Landes. Während des Gottesdienstes wurden Gebete zur Temperenz der Nation gesagt. Die meisten Teilnehmer der Andacht faßten den Entschluß zur Abstinenz oder Mäßigung.

Zur Initiative der Priester von Vilnius, die der Temperenzbewegung sehr zugute kam, kann man nur gratulieren.

Vilnius

Frau Alfreda Zutkutė, wohnhaft in Vilnius, wird aufgrund ihrer religiösen Über­zeugung terrorisiert, und es werden Anstrengungen gemacht, sie in eine Psychia­trische Klinik einzuweisen. In einer Erklärung vom 15. Januar 1980 an das Zen­tralkomitee der Kommunistischen Partei der Sowjetunion beschreibt Frau Zutku­tė, wie KGB-Beamte sie und ihren Sohn in eine Psychiatrische Klinik zur Untersu­chung brachten, und daß die Ärztekommission Mutter und Sohn als gesund be­zeichneten und es ablehnten, sie im Krankenhaus zu behalten. Laut Aussagen der KGB-Beamten beeinträchtige Frau Zutkutė ihren Sohn mit religiösen Vorstellun­gen, aufgrund dessen er der Mutter weggenommen werden müsse.

Lukšiai (Rayon Šakiai)

Im Jahre 1978 wurde Birutė Alytaitė, Schülerin der 8. Klasse der Mittelschule in Lukšiai, ohne Wissen ihrer Eltern zum Mitglied der Kommunistischen Jugend ge­macht. Sogar in der Ausgabe der Šakiai-Rayon-Zeitung vom 13. Mai 1978 stand eine kurze Notiz darüber, die die Mutter von der Tatsache überzeugte. Frau Aly-tienė ging zur Lehrerin ihrer Tochter, Adomaitienė, und sagte ihr: »Wir sind Gläubige, und unser Glaube gestattet uns nicht, gottlosen Organisationen beizu­treten.« Die Lehrerin versuchte sie zu überzeugen, daß die Kommunistische Ju­gend ihrer Tochter nichts anhaben würde. Die Mutter war außer sich: »Man ver­langt von den Eltern, daß sie ihre Kinder großziehen, ihre Wäsche waschen und alle Kosten tragen. Doch die Erziehung sollen nur Schule und Staat ausüben. Das soll hier nicht der Fall sein. Sorgen Sie dafür, daß meine Tocher niemals im Ver­dacht stand, Mitglied der Liga der Kommunistischen Jugend gewesen zu sein.« Danach ging Frau Alytienė mit ihrer Tochter zum Komitee der Kommunistischen Jugend des Rayon Šakiai. Dort veranlaßte sie, daß der Name von der Liste gestri­chen wurde und kein Hinweis mehr auf eine Mitgliedschaft in der Kommunisti­schen Jugend aktenkundig war.

Allerdings mußte Frau Alytienė dafür büßen. Sie war als Köchin in der Mittel­schule in Lukšiai beschäftigt. Von da an stellte die Schule so schwere Bedingun­gen, daß Frau Alytienė gezwungen war, diese Arbeit aufzugeben.

Moldavia

Seit dem Jahre 1974 werden die Katholiken in Moldavia von Vater Zavalnniuks, dem einzigen Priester in dieser Republik, betreut. Das Recht zur Ausübung seines Berufes in Moldavia erhielt er gleich nach seinem Seminarabschluß in Riga. Während seiner fünfjährigen priesterlichen Arbeit verfolgte die Regierung jeden seiner Schritte. Mehr als einmal bestrafte und verwarnte ihn die Regierung, daß er es gewagt hatte — trotz Regierungsverbot — Kranke und Sterbende in Kishinev und anderen moldauischen Städten und Dörfern aufzusuchen, wenn man ihn ver­langte. Da die Regierung wußte, daß der Priester nicht käuflich ist, versuchte sie es mit härteren Mitteln. Am 6. Dezember 1979 wurde seine Arbeitsgenehmigung eingezogen.

Sehr viel zur Verwirklichung der Entfernung Vater Zavalnniuks von seinen Pflichten trugen der Kirchenratsälteste Augustin Faiglevič und ein anderes Mit­glied des Kirchenrates, Zigmant Rudnicky, bei. Letzterer wurde dabei von der So­wjetregierung protegiert.

Schon seit langer Zeit spielten diese zwei Kirchenratsmitglieder ein doppeltes Spiel, waren sich aber darüber im klaren, als Verräter nicht nur das eigene Volk, sondern auch die Nutznießer ihrer Machenschaften anzuwidern.

Die Zerstörung einer Kapelle

Inmitten eines großen Waldgebietes zwischen Kuršėnai und Žarėnai-Latveliai be­fand sich eine Kapelle in den Ausmaßen von 8x5 Metern. Darum herum standen ungefähr 500 steinerne, hölzerne und eiserne Kreuze. Die meisten waren Votivga-ben für Krankheiten und andere Anlässe. Dieser Platz war den Menschen heilig. Einer 50 m weiter gelegenen Quelle sagte man Wunder nach. In der Gnadenkapel­le hing das Bild der Mutter Gottes von der immerwährenden Hilfe. Dieses Gna­denbild wurde schon vor dem Krieg von Tausenden von Gläubigen am Himmel­fahrtstag aufgesucht.

Durch Spenden der Gläubigen war eine Renovierung der Kapelle in den letzten Jahren ermöglicht worden. Außerdem war ein sehr schöner gotischer Altar ge­stiftet worden und Decken und Wände wurden gestrichen. Auch der Fußboden wurde neu verlegt.

Aušra (Die Dämmerung), Nr. 19, 20 
Perspektyvos (Perspektiven), Nr. 17, 18, 19
Rūpintojėlis (Der leidende Christ), Nr. 13

Bulletin der Chronik der Litauischen Katholischen Kirche

Gegenwärtig verstärkt das KGB seine Repressalien bei der Aufspürung der Unter­grundpresse. Trotz erschwerter Bedingungen wird jeder Versuch unternommen, die Chronik auch weiterhin zu veröffentlichen. Wir bitten unsere Leser um Unter­stützung bei der Veröffentlichung und Verbreitung.

Berichtigung

Die Chronik der Litauischen Katholischen Kirche berichtet, daß am 3. August 1979 Vater Antanas Jokūbauskas neun Stunden lang von dem Sicherheitspolizei­chef Astrauskas »belehrt« wurde. Sein richtiger Name ist: Astromskas.