Der Kampf gegen die Gläubigen in Litauen hat sich in der letzten Zeit besonders verschärft. Die Regierung begann sogar gegen Greise, Invalide und Kranke zu kämpfen. Das KGB sucht nach dem greisen, kranken Vladas Lapienis; den völlig kranken Priester Jonas Matulionis haben sie verhaftet. Noch erstaunlicher: sogar die Heiligen haben sich die Ungnade der Regierung zugezogen.
Als das 500jährige Jubiläum des hl. Casimir gefeiert wurde, unternahmen die Regierungsgottlosen alles, damit die Jubiläumsfeierlichkeit an Geltung verliert.
Um der Propaganda willen wurde eine Jubiläumsmedaille ausgegeben. Wer hat sie aber bekommen? Selbst die aktivsten Kirchenbesucher mußten sich damit begnügen, sie anschauen zu dürfen. Ähnlich war es auch mit dem kleinen »Kalender der Katholiken«, der anläßlich des Jubiläums des hl. Casimir herausgegeben wurde, sowie mit dem herkömmlichen »Kalender der Katholiken — gesammelte Informationen«. Mit allen Mitteln und bei jeder Gelegenheit wurde pompös für diese Jubiläumsausgabe Reklame gemacht, niemand traute sich aber zu sagen, wieviele von ihnen die Gläubigen bekommen hatten. Massen von Gläubigen haben sie nicht einmal zu Gesicht bekommen, es wirkte aber für die Propaganda ausgezeichnet: Schaut nur, das ist die Religionsfreiheit — die Regierung gibt einen Kalender der Katholiken heraus!
Am 1. November 1984 hielten die Gläubigen der Pfarrei Kybartai nach der hl. Abendmesse eine Prozession zum Friedhof, der nahe bei der Kirche liegt, und beteten dort für ihre Verstorbenen. Gemäß dem »Zeremonienbuch der katholischen Kirche« wurde diese Zeremonie vom Vikar der Pfarrei Kybartai, Priester Jonas Kastytis Matulionis, geleitet.
Milizmänner und Sicherheitsbeamte beobachteten diese Prozession der Gläubigen zum Friedhof. Während der Prozession lief der Ortsvorsitzende von Kybartai, Gudžiūnas, zu Priester J. Matulionis und befahl ihm, die Leute zu zerstreuen. Ohne dies zu beachten, gingen die Leute unter dem Gesang der Allerheiligen-Litanei wohlgeordnet zum Friedhof, beteten dort für die Verstorbenen und gingen danach auseinander.
Am 7. und 8. November fiel den Einwohnern von Kybartai auf, daß sich viele ortsfremde Sicherheitsbeamte in der Stadt aufhielten, die aufmerksam Kirche und Pfarrhaus beobachteten. Am Freitag, dem 9. November, wurde die Spannung noch größer. Ununterbrochen lauerten Beamte des KGB von ihren Pkw aus in der Stadt. Nach der hl. Abendmesse gegen 20 Uhr begleitete eine Gruppe von etwa 30 Personen Priester J. Matulionis ins Krankenhaus, wo dieser einem Kranken die letzte Ölung spendete. Aus der Ferne verfolgten die Sicherheitsbeamten jeden Schritt des Priesters, wagten sich aber nicht näher an ihn und die Gläubigen heran. Ein zweiter Kranker, den der Priester noch an diesem Abend besuchen sollte, wohnte in der Stadt Nesterow (im Gebiet von Kaliningrad), 12 km von Kybartai entfernt. Die Milizbeamten versuchten Priester J. Matulionis in der Stadt Nesterow anzuhalten, noch bevor er den Kranken mit den Sterbesakramenten versehen hatte, die Leute aber, die ihn begleiteten, beschützten ihn.
Vilnius
Am 12. November 1984 wurde in der Wohnung des Priesters Jonas-Kąstytis Matulionis in Vilnius eine Durchsuchung durchgeführt. Das Durchsuchungsprotokoll unterschrieb der Untersuchungsrichter (für besonders wichtige Prozesse) der Staatsanwaltschaft der LSSR, G. Pogoželskas. Die Durchsuchung haben außer ihm noch vier Beamte der Staatsanwaltschaft und zwei eingeladene Frauen durchgeführt. Es wurden mitgenommen die Veröffentlichung »Lietuvos ateitis« (»Die Zukunft Litauens«), 7 Artikel »Lietuvos valdininkas tėvynėje« (»Der Litauische Beamte in der Heimat«), »Kateki-zacija praktikoje« (»Die Katechese in der Praxis«), »Nuotaikos iš šv. Kazimiero jubiliejaus uždarymo« (»Impressionen nach dem Abschluß des hl. Casimir-Jubiläums«), ein Schreiben, adressiert an Priester A. Gutauskas, eine Erklärung, adressiert an den Bevollmächtigten des RfR, drei Varianten einer Fotomontage mit dem Bild des Priesters S. Tamkevičius, 21 Aufnahmen des Pfarrers S. Tamkevičius, eine Erklärung, adressiert an den ersten Sekretär des ZK der LSSR, eine Schreibmaschine.
Die Durchsuchung dauerte über 5 Stunden.
Kūčios (Das Abendessen am Heiligen Abend)
Wie eine Mutter birgst du, liebe Heimat, tröstliche Hoffnung.
Ich höre, wie du an diesem weißen Heiligen Abend
deine Kinder rufst —
und in Gedanken flieg' ich
in deine Arme, liebe Heimat,
und weile in trauter Zwiesprache bei dir.
Aus der Ferne kommen mir schon entgegen
die Stadt des Gediminas,
die Kreuze auf den Kirchtürmen,
die Mutter Gottes aus dem Tor ...
Tausend Meilen würde ich gehen,
könnte ich auf die Knie fallen
und dort das Straßenpflaster küssen,
ja auch nur ein Stäubchen der Heimaterde —
unaufhörlich rufst du mich .. .
Vor kurzem erschien in den Buchhandlungen eine kleine Sammlung von Feuilletons, Schmähschriften »Dialogai« (Vilnius, Vaga, 1984), zusammengestellt von K. Bagdonavičius. Aus diesem Büchlein haben die Gläubigen Litauens erfahren, wie auf Grund eines Interviews des Rektors des Priesterseminars zu Kaunas in der Londoner Tageszeitung »Guardian« die Lage der Kirche in unserem Lande verdreht dargestellt wird (Seite 243).
Der Rektor Dr. Priester V. Butkus erzählt beispielsweise, daß im März 1982 eine neue Kirche für das Priesterseminar eingeweiht worden sei. Das ist nicht wahr: Diese Kirche ist nicht neu. 1982 wurde dem Priesterseminar die Kirche zur Hl. Dreifaltigkeit zurückgegeben, die ihm vor 20 Jahren weggenommen worden war. In den Jahren sind von der wunderbaren Kirche nur die Wände noch übriggeblieben: Die schönsten Altäre sind zerstört, kunstvolle Bilder und Statuen verröchlet worden. Die Kirche war als Bücherlager benützt worden. Man nimmt an, daß der verstorbene Kardinal Alfred Bengsch da-'.u beigetragen hat, daß diese Kirche zurückgegeben wurde, weil er sich während seines Besuchs in Litauen über das winzige Kapellchen des Priesterseminars wunderte, in dem es sowohl an Licht als auch an Luft und Platz mangelte.
Palanga
Im November 1984 hielt der Journalist Vytautas Miniotas in Palanga einen Vortrag. Als er über die internationale Lage sprach, griff er Radio Vatikan an, daß es die sowjetische Regierung verleumde; es verkünde nämlich, man habe dem heiligen Vater nicht erlaubt, zu den Jubiläumsfeierlichkeiten des hl. Casimir nach Litauen zu kommen. »Das ist aber nicht die Wahrheit. Ich habe selbst Bischof L. Povilonis gefragt, ob er den heiligen Vater nach Litauen eingeladen habe. Bischof L. Povilonis hat geantwortet, er habe ihn nicht eingeladen«, sagte V. Miniotas den Versammelten.
Skardupiai (Rayon Kapsukas)
In der Nacht vom 25. zum 26. April 1984 drangen unbekannte Übeltäter in die Kirche von Skardupiai ein, nachdem sie die Türe mit einer Brechstange aufgebrochen hatten. Dort brachten sie am Hauptaltar das Türchen des Tabernakels auf und nahmen das Kommuniongefäß mit dem Allerheiligsten Altarsakrament mit. Die Verbrecher blieben unentdeckt.
Am 28. Mai 1984 fand in der Kirche von Skardupiai ein Fürbittgottesdienst statt. Der Pfarrer Boleslovas Čegelskas hielt eine dem Anlaß entsprechende Predigt. Nach der hl. Messe gingen Jugend und Erwachsene auf den Knien um die Kirche. In den Monaten Mai und Juni versammelten sich die Gläubigen der Pfarrei Skardupiai und auch zahlreiche Gäste in der Kirche, wo sie gemeinsam mit dem Priester zur Sühne die hl. Messe feierten und die hl. Kommunion empfingen.
Šaukėnai (Rayon Kelmė)
Im Oktober 1984 wurden alle Schüler der Mittelschule von Šaukėnai, die sich im entsprechenden Alter geweigert hatten, der Kommunistischen Jugend beizutreten, zwecks Umerziehung nach Kelmė gebracht. Nach entsprechender »Erziehung« war nur ein Mädchen bereit, der Kommunistischen Jugend beizutreten.
Vidsodis (Rayon Kelmė)
Zu der Familie Tarauskas, die in Vidsodis lebt, kam am 15. Oktober 1984 der Direktor der Achtjahreschule, Kęstutis Vinča. Nervös und aufgeregt beschimpfte er Adomas Turauskas, weil dieser seinen Sohn Modestas, der die fünfte Klasse besucht, mit in die Kirche nimmt und ihm nicht erlaubt, der Organisation der Pioniere beizutreten. Der Vater erklärte: »Ich gehe in die Kirche und mein Kind geht ebenfalls; ein Pionier werden will er aber von selbst nicht.« Als Direktor A. Turauskas in schärferem Ton weiter schimpfte, mischte sich ein Gast, der bei der Familie Turauskas war, in das Gespräch ein: »Warum streitet man so? Jetzt wird doch Religionsfreiheit propagiert.« Am 16. Oktober griff die Leiterin Merkelienė in der Schule den Modestas Turauskas an: »Warum gehst du in die Kirche, warum willst du nicht den Pionieren beitreten? Wir werden es dir doch zeigen!« — drohte die Leiterin dem Jungen. Die Lehrer hetzten alle Klassenkameraden gegen Modestas auf; diese fingen an, ihren Freund zu verspotten. Der Knabe wurde aus Angst krank. Die Eltern mußten einen Arzt aufsuchen. Eine ganze Woche lang durfte M. Turauskas wegen der Krankheit nicht zur Schule gehen..
A. Priester der Diözese Panevėžys, die unter sowjetischer Herrschaft Arrest, Gefängnis oder Lager erleiden mußten.
1. Prälat Vladas Butvilą, geboren 1891, zum Priester geweiht 1915, Pfarrer und Dekan zu Rokiškis, im Herbst 1950 verhaftet und zu 10 Jahren Freiheitsentzug verurteilt. Am 25. 11. 1955 aus Irkutsk in Sibirien als Invalide zurückgekehrt. Gestorben am 14. 3. 1961, beigesetzt auf dem Friedhof in Panevėžys.
2. Prälat Kazimieras Dulksnys, geboren am 19. 2. 1910, zum Priester geweiht am 15. 6. 1935, Pfarrer der Pfarrei der hl. Apostel Peter und Paul zu Panevėžys, am 17. 11. 1957 verhaftet und zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt, am 19. 5. 1959 aus einem Lager in Rußland zurückgekehrt. Er wurde als Benefiziant in die Diözese Kaišiadorys nach Merkinė und später bis 7. 6. 1963 nach Nedzingė verbannt. Seit 9. 5. 1983 Verwalter der Diözese Panevėžys.
3. Prälat Mykolas Karosas, geboren 1878, zum Priester geweiht 1901, Pfarrer und Dekan zu Šeduva, Generalvikar des Bischofs von Panevėžys. Verhaftet im September 1951 und verurteilt zu 10 Jahren Gefängnis. Gefangengehalten in Šilutė und Karaganda, am 25. 12. 1954 nach Litauen zurückgekehrt. Gestorben am 13. 10. 1955, beigesetzt auf dem Kirchhof der Kirche Šeduva.
4. Prälat Leopoldas Pratkelis, geboren am 5. 6. 1912, zum Priester geweiht am 11. 6. 1938, Pfarrer der Pfarrei Rozalimas, verhaftet 1950, verurteilt zu 10 Jahren Gefängnis, 1956 aus dem Arbeitslager aus Sibirien zurückgekehrt. Gestorben am 7. 1. 1983, beigesetzt auf dem Kirchhof der Kirche von Linkuva.
Im April 1984 erschien die Nr. 42 (82) der Untergrundveröffentlichung »Aušra« (»Die Morgenröte«). Die Nummer wird dem 500jährigen Jubiläum des Todes des hl. Casimirs gewidmet. In dem Leitartikel wird die Rede des Papstes Johannes Paul II. wiedergegeben, die er am 4. März während der Gedenkfeier des Todes des hl. Casimir in der St. Peter-Basilika zu Rom gehalten hatte; in der Veröffentlichung wird die Bedeutung heiliger Menschen in der derzeitigen Welt ausführlich erläutert. In der Nummer wurde auch ein Aufruf der in Weißrußland lebenden Litauer an die Litauer im Ausland gebracht, mit der Bitte, die Welt auf ihre erfolglosen Kämpfe für die eigene Sprache und Kultur aufmerksam zu machen. Der Artikel »O kas parašys apie tave?« (»Und wer wird über Dich schreiben?«) ist dem am 14. März verstorbenen Juozas Eretas (Joseph Ehret), »dem gutwilligen Schweizer, der in den Boden der litauischen Kultur wie eine Eiche hineinwuchs und in ihr deutliche Spuren hinterließ«, gewidmet.