Der Kampf gegen die Gläubigen in Litauen hat sich in der letzten Zeit be­sonders verschärft. Die Regierung begann sogar gegen Greise, Invalide und Kranke zu kämpfen. Das KGB sucht nach dem greisen, kranken Vladas Lapienis; den völlig kranken Priester Jonas Matulionis haben sie verhaftet. Noch erstaunlicher: sogar die Heiligen haben sich die Ungnade der Regierung zugezogen.

Als das 500jährige Jubiläum des hl. Casimir gefeiert wurde, unternahmen die Regierungsgottlosen alles, damit die Jubiläumsfeierlichkeit an Geltung verliert.

Um der Propaganda willen wurde eine Jubiläumsmedaille ausgegeben. Wer hat sie aber bekommen? Selbst die aktivsten Kirchenbesucher mußten sich damit begnügen, sie anschauen zu dürfen. Ähnlich war es auch mit dem kleinen »Kalender der Katholiken«, der anläßlich des Jubiläums des hl. Ca­simir herausgegeben wurde, sowie mit dem herkömmlichen »Kalender der Katholiken — gesammelte Informationen«. Mit allen Mitteln und bei jeder Gelegenheit wurde pompös für diese Jubiläumsausgabe Reklame gemacht, niemand traute sich aber zu sagen, wieviele von ihnen die Gläubigen bekom­men hatten. Massen von Gläubigen haben sie nicht einmal zu Gesicht be­kommen, es wirkte aber für die Propaganda ausgezeichnet: Schaut nur, das ist die Religionsfreiheit — die Regierung gibt einen Kalender der Katholiken heraus!

Am 4. Mai 1985 jährt sich zum 500. Male der Todestag des seligen Mykolas Giedraitis; die Regierung erlaubt aber nicht, dieses Jubiläum zu begehen. Der Bevollmächtigte des Rates für Religionsangelegenheiten (RfR), Petras Anilionis, hat sogar ausdrücklich verboten, in dem »Kalender der Katholiken — gesammelte Informationen« eine kurze Information über den seligen M. Giedraitis unterzubringen, damit die Kirche nicht auf den Gedanken kommt, dieses Jubiläum vorzubereiten.

Ungeachtet der schweren Lage bereiten sich die Katholiken Litauens aber mit Begeisterung auf das 500jährige Jubiläum des seligen M. Giedraitis vor.

Wir bringen hier den Lebenslauf unseres Landsmannes, des seligen M. Giedraitis, der im »Kalender der Katholiken — gesammelte Informationen« nicht abgedruckt werden durfte, weil es der Bevollmächtigte des RfR P. Ani-lionis verboten hat.

Das junge Christentum in Litauen erblühte und trug bald Früchte der Fröm­migkeit: Bereits die Großenkel der ehemaligen Heidenfürsten, Casimir (Ka­zimieras) und Mykolas, gelangten zur Ehre der Altäre.

Der Sprößling des vornehmen Geschlechts Giedraitis, Mykolas, wurde un­weit von Vilnius, in Giedraičiai (nach anderen Quellen in Videniškiai) im Jahre 1425 geboren. Gesundheitlich war er schwach. Er verbrachte die Tage oft in Einsamkeit mit Holzschnitzereien.

Als Mykolas noch als junger Mann die Berufung zum geistlichen Leben ver­spürte, wandte er sich an das Kloster der regulierten Chorherren zu Bistryčia (40 km nordöstlich von Vilnius entfernt) und wurde dort aufgenommen.

Kurz nach der Aufnahme brachte ihn der Ordensobere in das St. Markus-Kloster nach Krakau. Hier beendete er sein Noviziat und legte die Ordens­gelübde ab. Sein Beichtvater Jonas half ihm zur Vertiefung des geistlichen Lebens.

Der neue Ordensmann ließ sich in einem kleinen Zimmer gleich neben der Kirche nieder. Er betete lange und ausdauernd, hielt streng die Ordensregeln ein und pflegte alle geistlichen Übungen. Sein Zimmerchen war nur mit ein­fachen Möbeln und einigen lebensnotwendigen Dingen ausgestattet. Er nahm nur soviel Speise zu sich, wie unbedingt nötig war, und fastete häufig. Seit seinem Eintritt ins Kloster nahm er kein Fleisch mehr zu sich.

Durch seine körperliche Unvollkommenheit entwickelte sich in ihm seine Neigung zum inneren, in sich selbst gekehrten Leben, eine Liebe zur Ein­samkeit. Da er Schwierigkeiten hatte, sich den anderen Mitbrüdern und der ganzen Umgebung anzupassen, lernte Mykolas mit den anderen Mitbrüdern umzugehen, indem er sie schweigend erduldete und so entschlossen nach christlicher Vollkommenheit strebte. Das asketische Leben des Ordens formte Mykolas' Charakter und Lebensweise. Sein Orden lebte nach strengen Re­geln. Die Ordensleute praktizierten Kasteiungen, beteten das Stundengebet nicht nur zu den Tageszeiten, sondern auch in der Nacht. Der Provinzial Jonas Praniškis verstärkte noch die Strenge und die Genauigkeit der Einhaltung der Regel. Der Antrieb seines inneren Lebens war für Mykolas seine Frömmig­keit vor dem Kreuz, das in der Mitte der Kirche stand (jetzt ist es neben den mittleren Altar versetzt). In den Betrachtungen des Gekreuzigten vertiefte er seine Liebe zu Gott und den Menschen. Betrachtung mit Ausdauer brachte ihn zu kontemplativem Gebet, das für ihn die Quelle einer unvergeßlichen Freude war. Mit dem Reichtum seines inneren Lebens erreichte Mykolas Giedraitis jene Höhe, die die großen Mystiker des Mittelalters erreicht haben.

Vor seinem Tode gestand er seinen Mitbrüdern, daß er beim Beten folgende Worte Christi gehört habe: »Harre aus bis zum Tode und du wirst die Ehren­krone erhalten.«

In den Werken des Historikers Albertas Kojalavičius sind Eintragungen der Aktenbücher der Akademie von Krakau zu finden, aus denen klar wird, daß M. Giedraitis im Jahre 1460 diese Akademie abgeschlossen hat. A. Kojalavi­čius zitiert: »An der Universität für allgemeines Studium zu Krakau wurde der Gradus Bakkalaureus für freie Wissenschaften und Philosophie an My­kolas Giedraitis, den Fürsten Litauens, verliehen.« Man muß bemerken, daß er der erste Student im XV. Jahrhundert gewesen ist, der aus Litauen an die Jagellonen-Universität zum Studium gekommen war.

Mykolas machte den Orden der regulierten Chorherren weit und breit be­rühmt, obwohl es auch an anderen heiligen Ordensmännern nicht fehlte. Die »Kirchliche Enzyklopädie« nennt ihn »Die kostbare Perle dieses Ordens«.

Der franziskanische Wanderprediger Johannes Capestrano (später heiligge­sprochen), erfrischte damals das geistige Klima des Ordens. Seine Gedanken haben die Geister der Jugend erreicht und ihre Herzen entzündet. M. Gied­raitis verkehrte mit Männern von Krakau, die durch ihr Wissen und ihr hei­liges Leben berühmt waren. Der hl. Johannes Cantius, die seligen Isaias Boner, Simon von Lipnica und Stanislaus Kazimierczik sowie Stanislaus der Stille waren seine Freunde.

Geistig feinfühlige Persönlichkeiten erspüren die Nähe heiliger Menschen in besonderer Weise. Für Mykolas war eine solche Persönlichkeit ein anderer Litauer — Casimir der Jagellone, mit dem er sich traf. Der fromme Königs­sohn Casimir wurde zu der Zeit schon als das Haupt der adligen Jugend ange­sehen. Er weilte oft in Krakau und war durch seine Bildung und sein edles Leben den gebildeten Schichten der Klöster der Hauptstadt wohl bekannt.

Der Königssohn Casimir und der Fürst M. Giedraitis — zwei Persönlich­keiten an der Schwelle zwischen Mittelalter und Neuzeit. Beide schöpften die Stärke für ihren Geist aus den Überlieferungen Litauens; der Intellekt aber reifte unter dem Einfluß der Großstadt Krakau, also eindeutig unter dem Einfluß westlicher Kultur. Beide besaßen eine gute wissenschaftliche Ausbildung, die ihnen sowohl im Kloster, als auch auf der Jagellonen-Uni­versität und auch am Hofe des Königs zuteil geworden war. Beide übten Buße und Fasten und führten ein keusches, enthaltsames Leben. Diese beiden Litauer repräsentierten Litauen.

Sie besitzen als Persönlichkeiten auch klare unterschiedliche Merkmale. My­kolas vertritt den Typus eines heiligen Ordensmannes des Mittelalters, die mystische Lebensweise, die Vertiefung in die Geheimnisse Gottes und der eigenen Seele, das Zurückziehen von den weltlichen Ereignissen. Der drei Jahrzehnte jüngere Casimir ist Sohn eines Königs mit der humanistischen Ausbildung der Renaissanceepoche. Er ist der in ganz Europa bekannte Thronfolger, der an der Regierung des Staates teilnimmt und in dessen Hän­den das Schicksal vieler Menschen liegt.

Eine die andere ergänzend, erstellen diese beiden asketischen Persönlichkei­ten vor unsere Augen das Bild des Heiligseins wieder.

M. Giedraitis ist am 4. Mai 1485 gestorben und wurde in Krakau in der St.-Markus-Kirche beigesetzt. Nicht lange danach wurde seine Biographie ge­schrieben, die uns aber nicht erhalten blieb. Seine zweite Biographie schrieb der Professor an der Universität Krakau, Johannes von Totschiant im Jahre 1544. Seit der Mitte des XVI. Jahrhunderts wird Mykolas als selig betrachtet. Seine Verehrung wurde besonders im XVII. Jahrhundert verstärkt, als der Litauer Jurgis Radvila als Kardinal die Diözese Krakau leitete. Die Überreste des Seligen wurden 1624 in einen Sarkophag auf der Evangelienseite des Hauptaltars in der St.-Markus-Kirche umgebettet. Über dem Sarkophag hängt ein Bild des Seligen, auf dessen unterer Hälfte die Altersgenossen von My­kolas, die Heiligen und Seligen von Krakau abgebildet sind. Auch 11 durch (Fürsprache von Mykolas geschehene Wunder sind auf dem Bild dargestellt. Viele Votivtafeln zeugen von den erfahrenen Gnaden und Wundern. Im Jahre 1759 wurden in einer Sonderausgabe die Gebete zu den Seligen mit dem Imprimatur des Bischofs herausgegeben.

Etwas Genaueres über die Wunder kann man aus den im XVII. Jahrhundert geschriebenen Biographien erfahren. Es handelt sich meistens um Wunder­heilungen bei Kindern, Frauen, Männern wie auch den Ordensbrüdern des Klosters. Die Beschreibungen der Wunder bezeugen, daß die Pilger zum Sarg von Mykolas aus fernen Ländern gekommen sind: Die Heilung von vier Soldaten, die 1614 bei Moskau verwundet wurden, die Wiederbelebung eines Ertrunkenen, der drei Tage in der Donau bei Budapest im Wasser gewesen ist. Die zu dieser Zeit geschriebenen Quellen verhelfen uns zu der Überzeu­gung, daß die Kunde von M. Giedraitis weit verbreitet und die Verehrung des Seligen sehr stark war. Die Quellen besagen, daß Mykolas Visionen ge­habt habe, mit der Gabe der Prophezeihung ausgezeichnet worden sei und durch Gebet die Kranken geheilt habe.

In Litauen verbreiteten zwei Brüder den Ruhm des Seligen: Der Heeres­führer Martynas Giedraitis (um etwa 1621) und der Bischof Niederlitauens (Schemaiten) Merkeiis Giedraitis (etwa 1536 —1609). Im Jahre 1907 haben die Litauer im Vatikan die Frage der Heiligsprechung von Bischof Merkeiis Giedraitis und des Jesuitenpaters Andrius Rudamina (ein Missionar in China) zur Sprache gebracht. Auch der spätere Bischof von Niederlitauen

(Schemaiten), Juozapas-Arnulfas Giedraitis (1754 — 1838), Teilnehmer der litauischen Bewegung der Niederlitauer, wurde in Giedraičiai geboren.

Der Heeresführer Martynas Giedraitis errichtete in Videniškiai eine Kirche und ein Kloster der »weißen Augustiner«. Hier richtete er eine Kapelle des seligen Mykolas mit seinem Bild ein. In der Kirche des Städtchens Giedraičiai befindet sich ebenfalls ein Altar mit einem Bild des Seligen. Darin wird Mykolas abgebildet, bevor er ins Kloster eingetreten ist. (Vor über zehn Jahren wurde der Altar und das Bild auf Veranlassung des verstorbenen Zigmas Komarts restauriert). Auch die Kirche von Tverečius wurde mit einem Bild des Ordensmannes Mykolas geschmückt. Die Ordensleute, die regulier­ten Chorherren oder »weißen Augustiner« hat Feliksas Pacas im Jahre 1662 in Tverečius angesiedelt. Die Verbreitung der regulierten Chorherren in unserem Lande ist mit der Verehrung des seligen Mykolas verbunden. Sie führten die Bildungsarbeit in Vilnius (Užupis), Medininkai, Smalvos, Kvetkai, Suvainiškis, Salakas, Jūžintai, Kurkliai, Panemunė und Papilys durch. Außer­dem arbeiteten sie in Mikailiškis, Maros, Miorai und anderen Ortschaften Weißrußlands. In Polen waren fünf Ordenshäuser: In Krakau, Bogoria, Pilica, Tengobože und Limanowa.

Verehrt wird der Selige in unseren Tagen, wie auch schon in früheren Zeiten, vor allem in Krakau, am Grabe von M. Giedraitis; seine Verehrung wird aber auch in seiner Heimat Litauen langsam wieder lebendiger. Der Selig­sprechungsprozeß des Mykolas ist bis jetzt offiziell noch nicht abgeschlossen.

Am 4. Mai 1985 werden in Krakau große Jubiläumsfeierlichkeiten stattfinden. Am 4. Mai 1984 fand dort eine Tagung der Fachgelehrten zur Erforschung der Persönlichkeit des litauischen Ordensmannes und seiner Epoche statt. Das liturgische Institut an der theologischen Fakultät in Krakau hat sie orga­nisiert. Das Material dieser Tagung wird zur Zeit vorbereitet, um eine Mono­graphie herauszugeben. Darin werden folgende Themen behandelt: Die Epo­che der regulierten Chorherren, Kult, Askese, das Material der Ikonographie, der Gekreuzigte (XV. Jahrhundert), die Votivbilder, die die Wunder des Mykolas darstellen.

Uber M. Giedraitis sind etwa 20 Werke geschrieben worden. Das wichtigste von ihnen ist die im Jahre 1981 von Priester A. G. Dilys in Krakau geschrie­bene Doktorarbeit »Das Leben und die Verehrung des seligen M. Giedraitis« — ein Werk mit 500 Seiten. Von den älteren litauischen Verfassern kann man Visvainis Butkevičius und sein Buch »Eine Zierde des göttlichen Kreu­zes — die Rose von Giedraičiai« (Krakau, 1682) noch erwähnen. Man fühlt aus den Seiten des Buches die Liebe zur Heimat; es wird die Schönheit der Seele des Seligen hervorgehoben. Der Verfasser freut sich über die Kultur und Heiterkeit der Seele des Jünglings, der aus dem Land der blühenden Wiesen und Wälder in die Hauptstadt des Königreichs gekommen war.

Es möge zur Tradition für die Litauer werden, sich den Reichtümern der Seelen ihrer edlen Volksangehörigen zu nähern.